Wissler, der Superstar
Fotos: Werner Krug
Wissler arbeitet längst schon wieder an Neuem. „Ich gehöre nicht zu denen, die sich nach einem Trend orientieren. Ich gehe meinen eigenen Weg. Und das wird sich auch nicht mehr ändern.“ Viermal im Jahr dreht Wissler die Karte in seinem Restaurant „Vendôme“ komplett um. Das bedeutet, jedes Jahr 80 neue Gerichte, die aus Deutschlands innovativster kulinarischer Kreativwerkstätte entspringen. Die Entwicklungen ziehen sich oft über Monate hin. „Bei einer Menüfolge von 20 Gängen muss der Spannungsbogen konstant hoch gehalten werden, sonst endet das in einem Teller-Marathon.“
Im Moment arbeiten Wissler und sein Team an Gerichten, in denen spezielle Wurzeln aus der Erde einfließen, die eigentlich nicht zum Verzehr bestimmt sind. Wissler bewies wieder einmal seinen Spürsinn für das Außergewöhnliche: Ein Lieferant erzählte ihm, dass er zuhause seinen Johannisbeerstrauch geschnitten hat und die Äste dann durch die Hexelmaschine schickte – daraufhin hat sich im gesamten Garten ein intensiver Duft von Johannisbeeren verbreitet. „Ich hab zu ihm gesagt…
Fotos: Werner Krug
Wissler arbeitet längst schon wieder an Neuem. „Ich gehöre nicht zu denen, die sich nach einem Trend orientieren. Ich gehe meinen eigenen Weg. Und das wird sich auch nicht mehr ändern.“ Viermal im Jahr dreht Wissler die Karte in seinem Restaurant „Vendôme“ komplett um. Das bedeutet, jedes Jahr 80 neue Gerichte, die aus Deutschlands innovativster kulinarischer Kreativwerkstätte entspringen. Die Entwicklungen ziehen sich oft über Monate hin. „Bei einer Menüfolge von 20 Gängen muss der Spannungsbogen konstant hoch gehalten werden, sonst endet das in einem Teller-Marathon.“
Im Moment arbeiten Wissler und sein Team an Gerichten, in denen spezielle Wurzeln aus der Erde einfließen, die eigentlich nicht zum Verzehr bestimmt sind. Wissler bewies wieder einmal seinen Spürsinn für das Außergewöhnliche: Ein Lieferant erzählte ihm, dass er zuhause seinen Johannisbeerstrauch geschnitten hat und die Äste dann durch die Hexelmaschine schickte – daraufhin hat sich im gesamten Garten ein intensiver Duft von Johannisbeeren verbreitet. „Ich hab zu ihm gesagt, mach das noch einmal, pack die Dinger in einen Sack und schick sie mir. Das interessiert mich.“ Wissler hat nun einen geeisten Puder daraus gemacht, den er schon bald präsentieren wird. „Er schmeckt und riecht nach Johannisbeere, hat aber gleichzeitig noch diesen besonderen Holzton. Sehr spannend.“
Für Innovationen wie diese, geschmacklich und handwerklich perfekt umgesetzt, haben ihn seine Kollegen in einer Umfrage zur Nummer 1 in Deutschland gewählt. Auch die wichtigsten Führer listen Wissler an der Spitze auf: drei Sterne im „Guide Michelin“, „Gault Millau“ bewertet mit 19,5 Punkten und der „Feinschmecker“ vergibt fünf „F“. Wie kaum ein anderer Koch weltweit hat er seine kulinarische Vision klar vor Augen. „Wichtig ist die Art und Weise, wie man an neue Gerichte herangeht“, sagt er. „Das kann über Kindheitserinnerungen gehen oder über eine neue Technik, die allem einen komplett anderen Drive gibt, oder eine Kombination von mehreren Komponenten sein.“
Wisslers Kreativitäts-Achterbahn hat längst die kulinarische Einbahnstraße verlassen. Im vergangenen Jahr veröffentlichte er sein Kochbuch, von dem gesagt wird, es sei ein Meilenstein in der neuen deutschen Kochgeschichte. Ein monumentales Werk, das 120 Gerichte und 500 Rezepte aus der Wissler-Küche präsentiert. Der Sternekoch legt eine souveräne Offenheit dar, mit der er auch das kleinste Detail der oft sehr anspruchsvollen Entstehungsprozesse beschreibt. Einen so tiefen Einblick in die Werkstatt eines der besten Köche der Welt konnte man bisher wohl noch nirgendwo gewinnen. Wer das 386 Seiten starke Buch um 129 Euro kauft, erhält einen Zugangscode zur Online-Rezeptdatenbank, die laufend auf dem neuesten Stand gehalten wird.
Verbessert Wissler bei einem Gericht die Rezeptur, kann man das live verfolgen. Sogar bei der Food-Fotografie beschritt der Koch revolutionäre Wege: Als Fotografen holte sich Wissler mit Erik Chmil bewusst einen Mann, der zuvor nichts mit Food-Aufnahmen zu tun hatte. „Ich wollte das Buch mit einem eigenen Stil prägen“, erklärt Wissler, der – wie es sich für einen Schwaben gehört – bei der Titelwahl des Werkes zurückhaltend blieb und auf das Cover lediglich seine Initialen in Großbuchstaben setzte: JW.
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In der Branche sorgte die literarische Offenbarung für Staunen. Früher wurden Kücheninnovationen geheim gehalten und nun prescht ein Koch vor und veröffentlicht seine wertvollen Rezepte? „Wenn ich alles im stillen Kämmerlein mache, würde ich die Entwicklungen verzögern. Je mehr Menschen das Know-how haben, desto mehr kann am Schluss für die Gesamtheit dabei herauskommen.“ Worte, die nur von einem kommen können, der weiß, dass er immer einen Schritt voraus ist; und während andere ihn kopieren, schon längst wieder etwas Neues macht.
Wisslers Wert für das Althoff-Unternehmen „Schloss Bensberg“ ist unbestritten und sogar in Zahlen bemessen: Die Person Joachim Wissler bringt dem Unternehmen 30 Prozent des Gesamtumsatzes, die für die Gäste sorgen, die wegen Wisslers Gourmetkunst im edlen Schloss absteigen und dort noch Geld liegen lassen. Es ist klar: Wissler ist der Motor für die Marke.
Seit elf Jahren in der Althoff-Familie
Als Ausgleich steigt Wissler auf das Rennrad.
Wissler war 32 Jahre jung, als er seinen ersten Michelin-Stern erkochte. Das war 1995 im Schloss Reinhartshausen in Erbach. Schon ein Jahr später folgte der zweite Stern. Ausgebildet wurde der am 13. Januar 1963 in Nürtingen geborene Wissler in der Traube Tonbach in Baiersbronn. Seit 2000 arbeitet Wissler als Küchenchef und Patron im Restaurant „Vendôme“ auf Schloss Bensberg, das zur Kette von Hotelier Thomas Althoff gehört. 2006 erhielt er dort vom „Guide Michelin“ den dritten Stern.
Die renommierte „San Pellegrino“-Liste führt ihn weltweit auf der 22. Position. Was kaum jemand über Wissler weiß: Er ist ein hervorragender Sportler und schaltet am besten auf dem Rennrad ab, bei Touren, die an die hundert Kilometer gehen. Auch Yoga betreibt Wissler, der als äußerst naturverbunden gilt. Aufgewachsen ist er auf der Schwäbischen Alb auf einem landwirtschaftlichen Anwesen.
Die Skandinavier werden überschätzt
Warum Joachim Wissler die deutsche Küche für konstanter hält.
Redzepi-Kult
Mit Renè Redzepi, der Nummer 1 der „San Pellegrino“-Liste, ist Wissler befreundet und er schätzt ihn über alles. Trotzdem findet Deutschlands Nummer 1 kritische Worte über die Skandinavier.
ROLLING PIN: Was ist faul an den Skandinaviern?
Joachim Wissler: Faul ist gar nichts an ihnen. Die nordische Küche ist sehr spannend, wir beobachten das genau. Die Skandinavier haben eine tolle Philosophie und ein erstklassiges Marketing. Aber am Drücker, so wie alle behaupten, sehe ich sie nicht.
RP: Und warum nicht?
Wissler: Wenn die Skandinavier so im Trend liegen, wie es allgemein behauptet wird, frage ich mich, warum im letzten Jahr allein in Kopenhagen drei Sternerestaurants schließen mussten. Auch ein Renè Redzepi hatte im ersten Quartal vergangenen Jahres einen Umsatzeinbruch von 30 Prozent. Wenn er nicht in der „San Pellegrino“-Liste zur Nummer 1 gewählt worden wäre, hätte er vielleicht auch Probleme bekommen.
RP: Welches Land ist Ihrer Meinung dann federführend?
Wissler: Ich bin oft in Spanien und sehe die Spanier sehr weit vorne – sehr interessante Entwicklungen. Aber kein anderes Land weltweit ist aus der Krise so gut herausgekommen wie Deutschland. Das ist kein unwichtiger Aspekt.
RP: Aber kein Argument, das für eine Vorreiterrolle in der Küchenlinie spricht.
Wissler: Natürlich sind wir keine Überflieger, aber wir haben eine konstante Qualität und unser großer Vorteil ist das nationale Publikum. Jahrelang haben wir uns aufgeregt, dass wir kein großes internationales Publikum haben. In der Krise waren es jedoch die Deutschen, die wie immer kamen und für die Umsätze sorgten. In Städten wie Paris gab es da das große Erwachen. Mittlerweile verlangt die deutsche Spitzenküche auch einen angemessenen Preis und kann sich mit den Metropolen vergleichen.