Warum Flip Dejaeghere an 100 Tagen im Jahr von Top-Chefs kostet
Es sind blaue und weiße Notizbücher, in denen Flip Dejaeghere penibel jedes Gericht, jede Textur und die Atmosphäre eines Restaurants dokumentiert. Seit mehr als 30 Jahren besucht dieser Mann Fine-Dining-Restaurants auf der ganzen Welt, von Belgien bis Indien. Und mit seinen Analysen hat er über die Jahre schon viele dieser Notizbücher gefüllt. Alleine im vergangenen Jahr waren es genau 264 Restaurants, durch die er sich gekostet hat.

Es sind blaue und weiße Notizbücher, in denen Flip Dejaeghere penibel jedes Gericht, jede Textur und die Atmosphäre eines Restaurants dokumentiert. Seit mehr als 30 Jahren besucht dieser Mann Fine-Dining-Restaurants auf der ganzen Welt, von Belgien bis Indien. Und mit seinen Analysen hat er über die Jahre schon viele dieser Notizbücher gefüllt. Alleine im vergangenen Jahr waren es genau 264 Restaurants, durch die er sich gekostet hat.

Ja, der Belgier Flip Dejaeghere ist mittlerweile ein gern gesehener Gast in der Haute Cuisine, ein heimlicher Star. Dabei hat alles ganz klein angefangen, wie er gern erzählt, wenn man ihn fragt: „Mit 18 Jahren hatte ich noch nie ein Michelin-Stern-Restaurant betreten“, erinnert er sich.
Dann lernte er seine Frau, mit der er heute noch verheiratet ist, kennen. Der Schwiegervater legte großen Wert auf gutes Essen und so lud er Flip jeden Monat in ein anderes Fine-Dining-Restaurant in Belgien ein. Schnell hatten die beiden alle im Land besucht. Also fuhren sie mit dem Schnellzug nach Paris. Und als da alle getestet waren, ging es weiter – hinaus in die weite Kulinarikwelt! So wurde aus der Leidenschaft, man kann es wohl gar nicht anders benennen: eine Obsession.
Alleine unterwegs als Markenzeichen
Diese führt dazu, dass Flip über die vergangenen 30 Jahre ein wahrlich beachtliches Netzwerk aufgebaut hat. Er kennt das Who is who der Spitzengastronomie persönlich.
Bei seinen Reisen ist Dejaeghere meistens alleine unterwegs. „Wenn ich nur mit mir bin, kann ich besser analysieren“, erklärt er. Wenn er in Begleitung essen geht, sei es immer eine ganz andere Erfahrung, weil er dann den Fokus nicht auf dem Essen habe. Also schreibt er auch nur dann in sein Notizbuch, wenn er auf Einmannpfaden wandelt.
Die meisten Restaurants finden sich übrigens mehrfach in seinen Mitschriften. Denn für Flip Dejaeghere reicht ein einziger Besuch nicht aus, um ein Restaurant wirklich zu verstehen und zu bewerten. „Man muss die Entwicklung sehen und die Ideen der Saison.“ Diese Herangehensweise hat ihm schon zu vielen Bekanntschaften verholfen.
So hat er damals René Redzepi im Noma kennengelernt: Er war mehrmals im selben Jahr dort und Redzepi wurde neugierig auf diesen freundlich aussehenden Mann, der immer wieder im Gastraum auftauchte. Das wiederholte sich in den darauffolgenden Jahren in vielen anderen Restaurants, denn Köche bekommen natürlich mit, wenn jemand öfter auftaucht und werden neugierig.

Bei alldem stellt man sich doch die Frage: Was treibt Dejaeghere eigentlich an? Und verdient er damit Geld? Die Antwort auf die zweite Frage ist: Nein. Er gibt sogar jährlich mehrere Tausend Euro für seine Restaurantbesuche aus. Die Kosten für Züge, Flüge, Hotels und Menüs summieren sich – auch wenn er mittlerweile öfter auf die Menüs eingeladen wird.
„Viele Menschen, die ich kenne, haben ein teures Hobby. Manche sammeln Autos, andere Kunst. Meines ist das Essen“, stellt er fest und beantwortet damit wohl die erste Frage. Flip ist kompromisslos, wenn es um gutes Essen geht. So kann es vorkommen, dass er bis zu zwei Fine-Dining-Restaurants an einem Tag besucht, wenn er auf Reisen ist.
Das ist auch der Grund, warum ihm seine Frau keinen Strich durch die Allein-Essen-Rechnungs-Vision macht. Die Reisetage sind eng getaktet und der Superfoodie verbringt mehrere Stunden damit, alles zu verkosten: Die Gerichte, den Wein und auch das Service-Personal sieht er sich ganz genau an. Das ist wahrlich nicht jedermanns Sache.
Auch wenn dieser Lebensstil nach einem luxuriösen Dasein klingt, gebe es Schattenseiten, sagt Flip. „Ich arbeite hart. Eigentlich Tag und Nacht, um mir das Reisen zu finanzieren. Meine Frau erlaubt mir 100 Tage im Jahr dafür, aber letztes Jahr habe ich das überschritten, also muss ich wohl dieses Jahr einsparen“, sagt er und schmunzelt.
Das für diese Eskapaden nötige Geld verdient er übrigens als Buchhalter mit einer eigenen Kanzlei. Jetzt plant der 54-Jährige gerade eine dreiwöchige Reise durch Europa, dabei wird er unter anderem Frankreich, die Schweiz und auch Österreich besuchen. Zum Zeitpunkt des Gesprächs wurden die Michelinsterne für Österreich noch nicht vergeben.
Aber Flip spekuliert schon vorab: „Ich erwarte verdammt viele Sterne für Österreich“. Damit sollte er sich als Prophet erweisen: Österreich hat nun 82 Sternerestaurants. Viele davon wird er wohl besuchen.
Ein Mann und sein Netzwerk
In seinem Telefon sind jedenfalls Hunderte Telefonnummer von den wichtigsten Köchen dieser Welt gespeichert. Ein Netzwerk, das er auch nutzt, um die Köche untereinander zu verbinden. So organisiert er regelmäßig sein „Familienessen für Spitzenköche“, wie er es nennt.
Ohne PR, ohne Journalisten und ohne Influencer. „Die Köche aus dieser Liga sind neugierig aufeinander, haben aber wenig Zeit. Also bringe ich sie an einen Tisch“, erzählt er. Auch wenn das Treffen maximal einmal im Jahr stattfinden kann, ist es ein Highlight für die Beteiligten.
Die Gespräche drehen sich dann um Herausforderungen, die alle betreffen, egal, ob sie in Mexiko City, Tokio oder Wien kochen. Noch ein Herzensprojekt ist die Schweizer Stiftung Uccelin. Dort ist Dejaeghere eine Art Mentor. Die Stiftung vergibt Stipendien an Nachwuchsköche.
Im Rahmen des Programms werden sie für vier Wochen in die besten Restaurants der Welt geschickt, darunter große Namen wie Tim Raue, Heinz Reitbauer oder Clare Smyth. Das Besondere ist, dass die Köche aus einem Netzwerk von Partnern wählen können. Derzeit vergibt die Stiftung ungefähr 20 dieser Stipendien im Jahr.
Nicht alles unter einem guten Stern
Auch die Schattenseiten seines Hobbys sind ihm bewusst. „Dass Fliegen schlecht für die Umwelt ist, wissen wir alle. Deshalb versuche ich, in Europa so oft wie möglich mit dem E-Auto zu reisen.“ Wenn er doch in ein Flugzeug steigt, plant er seine Routen effizient, um mehrere Stationen zu verbinden.
Wenn Flip dann wieder zuhause ist, nutzt er die Zeit, um Restaurants, die in der Nähe sind, auf Einladung zu testen. Derzeit stehen 36 Restaurants aus Belgien und den Niederlanden auf der Liste, die Flip eingeladen haben, vorbeizukommen. In seinem Büro sind die Wände mit den Speisekarten aus all den Restaurants, die er besucht hat, tapeziert.
Außerdem hat er alle möglichen Kochbücher, natürlich persönlich von den Stars signiert, in einem Regal zuhause stehen. Und obwohl er tief in der Branche verankert ist, denkt Flip nicht daran, sein Hobby zum Beruf zu machen, denn „es würde die Leidenschaft zerstören“. Angeboten wurde es ihm oft, aber seine Devise lautet: „Wenn man etwas für die Liebe an der Sache macht, ist es etwas ganz anderes, als wenn man dafür bezahlt wird.“
Wohl wahr und umso schöner, wenn man davon nicht nur spricht, sondern es sich auch leisten kann.