Warum Massimo Bottura seine Küche neu erfindet
Massimo Bottura nennt es sein „Headquarter“ – dieses Fleckchen Erde in Modena, zwischen seinem Gourmettempel „Osteria Francescana“ und seinem Hotel „Casa Maria Luigia“. Nicht ohne Grund: Der umtriebige Koch, UN-Botschafter, Philanthrop, Autor und Kunstsammler – alle Bezeichnungen anzuführen würde den Rahmen sprengen – braucht seine Heimatstadt wie die Luft zum Atmen.
Hier kommen Bottura die Ideen auch für jene Projekte, die in Tokio oder Neu-Delhi neue Maßstäbe setzen. Und genau hier, im idyllischen Garten der Casa Maria Luigia, sprudeln Antworten, Ansagen und Selbstreflexionen aus ihm, wie das sonst nirgends möglich wäre. Daher führen wir das Interview genau an diesem Ort.
Rolling Pin: Du hast so viele Restaurants und Projekte auf der ganzen Welt am Start – hast du nicht ständig das Gefühl, immer irgendwo anders als hier in Modena sein zu müssen?
Massimo Bottura: Nein, weil ich mir selbst – und das ist neu – einen Luxus in meinem Leben gönne, nämlich: Selbst zu entscheiden, wann und warum ich wohin reisen will.
Massimo Bottura nennt es sein „Headquarter“ – dieses Fleckchen Erde in Modena, zwischen seinem Gourmettempel „Osteria Francescana“ und seinem Hotel „Casa Maria Luigia“. Nicht ohne Grund: Der umtriebige Koch, UN-Botschafter, Philanthrop, Autor und Kunstsammler – alle Bezeichnungen anzuführen würde den Rahmen sprengen – braucht seine Heimatstadt wie die Luft zum Atmen.
Hier kommen Bottura die Ideen auch für jene Projekte, die in Tokio oder Neu-Delhi neue Maßstäbe setzen. Und genau hier, im idyllischen Garten der Casa Maria Luigia, sprudeln Antworten, Ansagen und Selbstreflexionen aus ihm, wie das sonst nirgends möglich wäre. Daher führen wir das Interview genau an diesem Ort.
Rolling Pin: Du hast so viele Restaurants und Projekte auf der ganzen Welt am Start – hast du nicht ständig das Gefühl, immer irgendwo anders als hier in Modena sein zu müssen?
Massimo Bottura: Nein, weil ich mir selbst – und das ist neu – einen Luxus in meinem Leben gönne, nämlich: Selbst zu entscheiden, wann und warum ich wohin reisen will.
Mein Grundsatz orientiert sich neuerdings immer an der Frage: Mit wem tut es mir gut, Zeit zu verbringen, und wie kann ich dabei selbst Gutes tun? Mir immer wieder diese Frage zu stellen, ist für mich deswegen so wertvoll, weil Zeit das einzige ist, wovon ich nicht genug habe. Jede Reise muss also sinnvoll sein, auch ethisch gedacht. Für mich war es noch nie so zeitgemäß und auch noch nie so wichtig, Ethik und Ästhetik als eine Sache zu begreifen.
Warum ist es dir heute wichtiger denn je? Was hat sich verändert?
Bottura: Weil man nur durch die Mischung dieser beiden Ansätze die Welt verändern kann – zum Guten, versteht sich. Und die Welt braucht das aktuell eben mehr denn je. Deswegen kann man heute auch nicht mehr kochen wie vor 20 Jahren!
Die Welt verändert sich, ich kann das nicht oft genug wiederholen. Bitte zuhören: Die Welt verändert sich! Die Wahl der richtigen Produkte, das Vermeiden von Abfällen, um nur zwei Beispiele zu nennen – das sind Dinge, die heute eigentlich selbstverständlich sein sollten. Damit es das so bald wie möglich wird, müssen es halt noch mehr Leute hinausposaunen.
Joseph Beuys hatte Recht, als er sagte: „Die Revolution sind wir alle“. Ich allein kann nichts ausrichten, aber zusammen mit anderen sehr wohl, und mit meinem Team natürlich. Ohne mein Team bin ich nur Massimo Bottura, gemeinsam sind wir viel, viel mehr.
«Der italienischen Küche und der Japanischen geht’s um die DNA des Produkts»
Massimo Bottura ist fasziniert von den Parallelen zwischen diesen beiden nur scheinbar so konträren Küchen
Apropos: Du hast deinem Team das neue Osteria-Menü gewidmet. Es heißt „Globale“. Dein Team steht so stark wie noch nie im Fokus deiner Arbeit. Was ist der Grund dafür?
Bottura: Ach, es steckt so viel drin in diesem Menü. So viel Geschichte. So viel Leidenschaft. Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Mein Team hat während der Corona-Zeit Unglaubliches geleistet, hat während der Lockdowns so viel Kreativität freigesetzt.
Das lag auch daran, dass wir den kulturellen Aspekt des Kochens damals alle miteinander vertieft haben. Ich konnte meinem Team nicht nur Werke von Bob Dylan oder den Beatles näherbringen, sondern wir haben auch die großen Klassiker der italienischen Küche studiert, die einzelnen Errungenschaften der wichtigsten Köchinnen und Köche Italiens der vergangenen Jahrzehnte. Einer der Höhepunkte war dann das Menü in der Osteria Francescana namens „I’m not there“, angelehnt an den Film über Bob Dylan, in dem andere Künstler ihn und sein Werk neu interpretieren.
Ziel war es, dass mein Team meine bekanntesten Gerichte der letzten Jahrzehnte aus der Osteria Francescana auf seine ganz eigene Weise – also ohne mich – interpretiert, und auch das möglichst zeitgemäß. Das Unglaubliche daran ist: Mein Team hat damit alle Auszeichnungen abgesahnt, die es zu gewinnen gab. Für mich war das der Moment, in dem ich verstanden hab: Der wichtigste Teil an der Osteria Francescana bin nicht ich. Das ist mein Team!
Das Menü besteht aus Gerichten, die Namen tragen wie „From Gragnano to Bangkok“ oder „Tandoori“ …
Bottura: Mir ging es dabei darum, die unterschiedlichen Kulturen, Herkünfte und Prägungen unseres internationalen Teams sichtbar zu machen. Und auf die Teller zu bringen. Es ist eine Ehrerbietung jedem einzelnen gegenüber und all den Familien, die dahinterstecken. Einer der wichtigsten Momente in unserem Arbeitsalltag ist das Personalessen. Da sitzen wir alle, Menschen aus allen Ecken der Welt, an einem Tisch, essen in Ruhe, nehmen uns Zeit – und genau da entstehen neue Ideen und neue Erkenntnisse. Und solche Namen.
Du hast anlässlich der Eröffnung deiner Gucci Osteria in Tokio deine Bewunderung für japanische Techniken kundgetan – welche Rolle spielt die japanische Küche bei dir?
Bottura: Ich finde es faszinierend, wie viele Parallelen es zwischen der japanischen und italienischen Küche gibt: Beide entwickeln eine unbändige Obsession für die Qualität des Produkts an sich und nutzen sanfte Techniken, die nur zum Ziel haben, die Echtheit des Geschmacks hervorzuheben. Das ist hochinteressant! Die französische Küche hingegen hat mehr mit der chinesischen gemeinsam: In beiden liegt der Fokus auf fortgeschrittene Techniken und aufwendigere Zubereitungsformen, die das Grundprodukt in eine neue Sphäre heben wollen. Beide Zugänge können interessante Geschichten erzählen.
Und dann gibt es in deinem Menü etwas, über das viel diskutiert wird – das Club Sandwich. Wie kommt man beim Tüfteln an einem Drei-Sterne-Menü auf sowas?
Bottura: Ganz einfach: Ein Club Sandwich ist das, was uns, die aus allen Ecken der Welt kommen und viel reisen, immer und immer wieder zusammenhält. Wenn man irgendwo – und sei es an einem Flughafen am anderen Ende der Welt – nicht so recht weiß, was man bestellen soll, dann nimmt man eben ein Club Sandwich.
Das Interessante dabei: Diese vermeintlich simplen Allerweltsgerichte sind die allerschwierigsten überhaupt. Die Leute glauben, es ist einfach, ein Club Sandwich zu machen – dabei ist es vielleicht sogar das schwierigste Gericht gewesen, das wir fürs Menü entwickelt haben! Es ist immer so: Das scheinbar Einfachste ist das Komplexeste, Komplizierteste – das fängt ja schon bei Pasta mit Tomatensauce an. Aber das ist ein anderes Thema.
In einem Video auf Social Media hast du vor Kurzem den Servicekräften gehuldigt und gesagt, es gehe nicht nur um die Köche. Wird der Service zu wenig wertgeschätzt?
Bottura: Wir dürfen nie vergessen, dass die Hälfte der Erfahrung, die ein Gast in einem Restaurant macht – ganz gleich, um was für ein Restaurant es sich handelt – vom Service abhängt. Diese Menschen vertreten während der operativen Herausforderungen jedes Services gleichzeitig auch noch das Restaurant nach außen, sie erfüllen also zusätzlich Marketing- und Kommunikationsaufgaben – das wird oft unterschätzt. Ich wollte diese Tatsache einmal geraderücken – in einer Welt, in der man, wenn es um Gastronomie geht, immer nur über Köche spricht.
Aber daran hast du ja keinen unwesentlichen Anteil – du hast die Rolle des Kochs revolutioniert, indem du ihm einen ethisch engagierten Anspruch verliehen hast.
Bottura: Es ist so: Ich habe immer versucht, mit gutem Beispiel voranzugehen. Und manche Leute folgen diesem Beispiel, weil sie zuhören und meine Ideen auch für sie Sinn ergeben. Ich wollte nie jemanden zu irgendetwas überreden oder irgendwie zwingen, es wie ich zu tun. Jeder von uns hat schließlich seine eigenen Ideen, seine eigene Kultur, seine eigenen Perspektiven – das ist auch gut so. Wenn alle ständig dasselbe wie ich sagen würden, hätte ich keine eigene Sprache mehr und meine Worte hätten keine Bedeutung mehr. In diesem Sinn ist eine Biodiversität der einzelnen Ansätze elementar.
Nur: Es soll halt nicht irgendwas für avantgardistisch und zeitgemäß verkauft werden, das nur die Aufmerksamkeit sucht und eigentlich dumm ist. Es muss Substanz haben, in die Tiefe gehen, nachhaltig sein. Deswegen bin ich bis zum heutigen Tag überzeugt: Das Wichtigste für einen Koch ist die Kultur, nicht irgendwelche Techniken oder sonst etwas. Ich habe selbst bemerkt, wie sehr kulturelle Kenntnisse Köchen dabei helfen, besser zu werden, zum Innersten ihres eigenen Stils vorzudringen, Geschichten zu erzählen, die wichtig sind.
Ich möchte das wirklich jedem jungen Menschen, der Köchin oder Koch ist, mitgeben: Bildet euch kulturell immer weiter, und gebt euer kulturelles Wissen auch später der nächsten Generation weiter. Vergesst dabei trotz allem nie, was Picasso gesagt hat: Um wirklich gut werden, braucht es gerade einmal zehn Prozent Talent – und 90 Prozent harte Arbeit.
Kommen wir zu deinem Restaurant in der Casa Maria Luigia, das Al Gatto Verde. Du hast es als eines der nachhaltigsten Restaurants der Welt bezeichnet. Was bedeutet das für dich in einer Zeit, in der alles und jeder irgendwie nachhaltig sein soll?
Bottura: Ich verstehe den Begriff von Nachhaltigkeit in einem 360-Grad-Umfang. Natürlich geht’s beim Gatto Verde auch darum, mit Solarenergie Strom zu generieren, Regenwasser zu recyclen, keine Lebensmittelabfälle zu erzeugen oder mit dem Holzofen möglichst wenig CO2 zu emittieren.
Aber für mich geht es beim Thema Nachhaltigkeit um viel mehr. Es geht um so viele vermeintlich kleine Dinge, die du jeden Tag aufs Neue tust. Wie du zum Beispiel deine Mitarbeiter grüßt, wie du mit ihnen umgehst. Wie du ein Menü schreibst. All das sind Aspekte, mit denen es uns gelingt, ein wirklich nachhaltiges Restaurant zu erschaffen. Nehmen wir das Thema Wasser, das uns alle in Zukunft noch vor große Herausforderungen stellen wird. In Sizilien ist das schon heute ein riesiges Problem. Dort werden wegen Wasserknappheit Orangenplantagen durch Mango- und Ananasplantagen ersetzt, das ist eine große Sache dort.
Deswegen haben wir ein Pre-Dessert-Gericht kreiert, das sich genau dieser Thematik annimmt und diese Veränderungen auch kulinarisch reflektiert. Das Gericht heißt Pinapple-Pasta und besteht, vereinfacht gesagt, aus Spaghetti, die in sizilianischem Ananassaft geröstet werden. Was ich damit sagen will: Nachhaltigkeit ist Kopfsache, eine Art innerer Kompass, der immer im Zentrum unseres Tuns steht. Jessica Rosval, die Küchenchefin des Al Gatto Verde, zeigt das anhand so vieler Gerichte eindrucksvoll.
Neben Jessica Rosval hast du mit Karime Lopez in Florenz und neuerdings auch mit Vania Ghedini in Venedig weibliche Küchenchefinnen, die die Spitzengastronomie erobern. Ist das ein bewusster Schritt?
Bottura: Mir geht’s ums Talent, nicht darum, wer eine Frau oder ein Mann ist. Als ich über unser neues Restaurant in Venedig im Hotel Cipriani, das Oro, nachgedacht habe, wusste ich gleich, dass ich auf das Können von Vania Ghedini als Küchenchefin setzen wollte. Ich schätze ihren Zugang und ihre Küche sehr. Sie kochte zu dem Zeitpunkt zwar in Marokko und war noch dazu schwanger, aber auch sie wollte dieses Projekt unbedingt machen und nahm es als Gelegenheit, zurück nach Italien zu kommen. Ihr Mann ist ihr gefolgt, er ist im Cipriani nun für das Roomservice verantwortlich. Das schien zu Beginn alles unmöglich, aber gemeinsam können wir jetzt auch im Cipriani ein neues Kapitel aufschlagen, von dem man noch viel hören wird.
Man merkt: Du bist immer auf der Suche nach Neuem. Was planst du selbst für dich in naher Zukunft?
Bottura: Da gibt es einiges. Ich möchte ein neues Restaurant in Süditalien eröffnen, das ist ein Herzensprojekt von mir, über das ich aber noch nicht mehr sagen will. Außerdem denken wir intensiv über zukünftige Projekte in den Vereinigten Arabischen Emiraten nach. Der kulturellste Ort für mich dort ist Abu Dhabi, deswegen wird es in Zukunft vielleicht auch bald dort etwas Neues geben. Außerdem plane ich ein paar Änderungen in der Casa Maria Luigia, und Renovierungsarbeiten in einigen Restaurants stehen ebenso an.
Das Wichtigste für mich ist: Mein Ding zu machen. Und zwar so, wie ich will, und mit den Menschen, mit denen ich will und die ich liebe. Dann nämlich kommt das, was die Leute Erfolg nennen, ganz von alleine.
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Massimo Bottura
Geboren 1962 in Modena, eröffnete Bottura 1995 sein Restaurant Osteria Francescana, das heute weltweit das berühmteste Restaurant Italiens ist. Seit 2011 hält es drei Michelin-Sterne, war zwei Mal Nummer eins der World’s-50-Best-Liste – und hat die italienische Küche für immer verändert. Neben mehreren Restaurants in Florenz, Tokio, Dubai und Venedig setzt sich Bottura mit seiner NGO Food for Soul außerdem gegen Lebensmittelverschwendung ein und führt mehrere Refettorios – Kantinen für sozial Benachteiligte – auf der ganzen Welt. Im September 2023 eröffnete er in der Casa Maria Luigia in Modena das Al Gatto Verde – und hat noch vieles vor.