Ultraregionales Landei
Fotos: Wolfgang Hummer
Dranouter liegt am Arsch der Welt. Ein kleines, unscheinbares Kaff in Flandern direkt an der französischen Grenze. Auf dem Weg in die verschlafene 700-Einwohner-Gemeinde tuckert man an glücklich grasenden Rindern und wilden Brombeersträuchern vorbei. Dennoch hat es dieses charmante Kuhdorf mittlerweile zu weltweitem Ruhm geschafft: Zum einen rocken dort einmal jährlich Zigtausende Musikfans beim international beliebten Folkfestival Dranouter ab, zum anderen kocht hier Belgiens Küchen-Jesus Kobe Desramaults seine Jünger in Ekstase.
Dieser smarte mit Dreitagebart ausgestattete Typ bringt nicht nur offensichtliche Messias-Qualitäten mit, nein, er hat auch maßgeblich dazu beigetragen, die belgische Küche ins internationale Fine-Dining-Rampenlicht zu erlösen. Denn wenn man schon kategorisieren muss, dann gehört sein Restaurant In de Wulf definitiv in eine Reihe mit dem noma und dem Oud Sluis. „Das noma-Konzept war ein globaler Schlag ins kaviarverschmierte Gesicht der Gourmetwelt.
Wir haben doch alle die ganze Zeit immer auf französische Größen wie Michel Bras geschielt, aber nie überlegt, dass wir das doch ganz einfach auf unsere regionalen Gegebenheiten ummünzen müssen“, schildert Desramaults sein persönliches Schlüsselerlebnis. „Wenn man ehrlich ist, musste man doch noch vor zehn Jahren rund um die Welt den gleichen austauschbaren Haute-Cuisine-Fraß ordern…
Fotos: Wolfgang Hummer
Dranouter liegt am Arsch der Welt. Ein kleines, unscheinbares Kaff in Flandern direkt an der französischen Grenze. Auf dem Weg in die verschlafene 700-Einwohner-Gemeinde tuckert man an glücklich grasenden Rindern und wilden Brombeersträuchern vorbei. Dennoch hat es dieses charmante Kuhdorf mittlerweile zu weltweitem Ruhm geschafft: Zum einen rocken dort einmal jährlich Zigtausende Musikfans beim international beliebten Folkfestival Dranouter ab, zum anderen kocht hier Belgiens Küchen-Jesus Kobe Desramaults seine Jünger in Ekstase.
Dieser smarte mit Dreitagebart ausgestattete Typ bringt nicht nur offensichtliche Messias-Qualitäten mit, nein, er hat auch maßgeblich dazu beigetragen, die belgische Küche ins internationale Fine-Dining-Rampenlicht zu erlösen. Denn wenn man schon kategorisieren muss, dann gehört sein Restaurant In de Wulf definitiv in eine Reihe mit dem noma und dem Oud Sluis. „Das noma-Konzept war ein globaler Schlag ins kaviarverschmierte Gesicht der Gourmetwelt.
Wir haben doch alle die ganze Zeit immer auf französische Größen wie Michel Bras geschielt, aber nie überlegt, dass wir das doch ganz einfach auf unsere regionalen Gegebenheiten ummünzen müssen“, schildert Desramaults sein persönliches Schlüsselerlebnis. „Wenn man ehrlich ist, musste man doch noch vor zehn Jahren rund um die Welt den gleichen austauschbaren Haute-Cuisine-Fraß ordern. Redzepi hat das Gott sei Dank erkannt und somit Köche weltweit aufgerüttelt. Dadurch entsteht aktuell eine unglaubliche Vielfalt an unterschiedlichen Kochstilen und -philosophien, die es bis dato noch nicht gab.“
Desramaults Küche ist vielleicht nicht so durchkomponiert oder kompliziert aufgebaut wie die von seinem einstigen Lehrmeister Sergio Herman, aber sie ist bestimmt auch keine minimalistische, spontane Küche. Eher sehr komplex, dennoch findet man nie mehr als fünf Komponenten auf dem Teller. Oft wird seine Philosophie als ultraregionale Küche tituliert, sein Karriereweg hat ihm diesbezüglich jedoch gar keine andere Wahl gelassen.
alleine mit meinem Abwäscher gearbeitet.
Neo-Regio-Küchen-Karriere
Nach seiner Lehre bei einem kleinen Betrieb in der Nachbarschaft wechselte er direkt ins damals mit zwei Himmelskörpern bestirnte Oud Sluis zu Sergio Herman. Zwei Jahre ließ er sich vom wahnsinnigen Genie nicht nur anbrüllen, sondern vor allem inspirieren und entwickelte dort seine Leidenschaft zu fast manischem Produktfetischismus.
Zehn Monate jobbte er nach seiner Herman-Ära noch in Spanien bei Carles Abellan in dessen Comerç 24, ehe ihn 2003 mit nur 23 Jahren der Ruf in die Heimat ereilte: „Aufgerüttelt wurde ich, als ich gerade in Barcelona arbeitete und meine Mutter den ganzen Familienbetrieb verkaufen wollte. Ich konnte mir ganz einfach nicht vorstellen, dass meine Homebase einfach so verscherbelt werden sollte.“ Desramaults schaffte es, seine Mutter zu überzeugen, dass er mittlerweile das Zeug dazu hatte, den Laden zu übernehmen, und bekam von ihr ein Jahr Bewährungsfrist: „Der Anfang war echt beinhart, ich hab lange Zeit allein mit einem Tellerwäscher gearbeitet. Mit dem ersten Stern 2005 ging es dann letztendlich so richtig bergauf“, erinnert er sich an die ersten vor allem finanziell schwierigen Jahre zurück.
Heute machen sich hier zwölf Köche an riesigen Kabeljauköpfen zu schaffen, fermentieren Karotten oder entsaften Bärenklau. Die Küchencrew im In de Wulf spricht Englisch, es gibt Spanier, Briten, aber auch einen Türken und Italiener in der jungen Mannschaft. Sechs davon sind auf Stage bei Desramaults, der Rest gehört zum fixen Team. 22 Leute beschäftigt Belgiens tätowiertester Chef insgesamt.
„Aber bitte nennt mich nicht Rock-’n’-Roll-Chef! Unsere Ideen, unser Aussehen sowie die Projekte mögen für viele wie Rock ’n’ Roll wirken, das finde ich auch cool, aber eine professionelle Küche zu führen, erfordert Disziplin, Organisationstalent sowie Hingabe“, stellt Desramaults die Attitüde klar.
Auf der anderen Seite stören den flämischen Ausnahmekönner jedoch gewisse angestaubte Regeln wie Dogmen, die noch aus dem Mittelalter herrühren. Geht es nach Desramaults, ist der beste Weg, heutzutage ein Restaurant zu führen, Teamarbeit und innovatives Denken. Nur dann kann es auch eine Evolution geben. Für den Querdenker gibt es nur eine feine Linie zwischen Freidenkern und Rock ’n’ Rollern: „Marco Pierre White war der erste Chef, der als Rockchef gelabelt wurde. Er spielte damals aber in der kulinarischen Champions League und zeigte dem Rest der Welt auch, wie hart es in der Küche zugehen kann.“ Das belgische Unikat will sich also nicht auf irgendwelche Medienfloskeln
festnageln lassen und einfach sein Ding durchziehen.
„Wir versuchen hier Tag für Tag, ganz einfach mit all den Produkten, die wir so in unserer Region finden, kreativ zu sein. Wir haben dabei keine Hitliste, ob nun Fleisch, Fisch oder Gemüse der Star auf der Karte ist. Wir wollen aus jeder einzelnen Zutat einfach das Bestmögliche an Geschmack herausarbeiten“, erklärt Desramaults seinen paritätischen Ansatz. „Wir freuen uns eben wie kleine Kinder, wenn wir außergewöhnliche Qualität von Produzenten unseres Vertrauens bekommen.“
Saisonal regionale Limitationen
Rind, Geflügel oder Lamm holt sich Desramaults bei Farmern kurz nach der gerade fünf Kilometer entfernten Grenze zu Frankreich. Sonst versucht er, alles aus der umliegenden Nachbarschaft zu beziehen, auch aus dem eigenen Garten. Er rext ein und experimentiert. Jeden Tag und jede freie Minute.
Im Kühlhaus baumelt ein Stück Rindfleisch im Ganzen seit beachtlichen zwei Monaten, daneben hängen einige Hühner an langen Hälsen. „Da wir so saisonal arbeiten, sind wir natürlich extrem von den Jahreszeiten abhängig. Um ehrlich zu sein, hängen mir derzeit die Wintergemüsesorten schon wieder zum Halse raus“, macht der Spitzenkoch keinen Hehl über seinen Unmut ob der aktuell mangelnden Auswahlmöglichkeiten. Eine Zeit lang sei sich auf wenige Produkte zu fokussieren natürlich extrem spannend, aber aktuell freut sich das In-de-Wulf-Team schon wieder auf alles, was im Frühling so wächst und gedeiht, um neue Geschmacksüberraschungen auf die Speisekarte zu bringen.
Voller Ungeduld werden da etwa bereits Hopfensprossen erwartet. Irgendwo zwischen Mais und Spargel bewegt sich dieses Gemüse, das aus der Hopfenpflanze gewonnen wird. Einst als sogenanntes Arme-Leute-Gericht gering geschätzt, machen die Winzlinge seit einigen Jahren unter Feinschmeckern und ambitionierten Küchenchefs ungeahnte Karriere. Dabei ist ihre Ernte laut Desramaults mühselig und zeitaufwendig. Eine gute Stunde benötigt ein geübter Pflücker für ein Kilo, da die unterirdisch wachsenden Triebe von wenigen Zentimeter Länge mit der Hacke vorsichtig vom Erdreich befreit und an der richtigen Stelle mit Daumen und Zeigefinger behutsam gebrochen werden müssen. „Der große Aufwand relativiert sich durch den genialen Geschmack, denn diese Sprossen ergeben ein echt geiles pfeffrig knuspriges
war ein Schlag ins
kaviarverschmierte
Gesicht der Gourmetwelt.
Gaumengefühl“, beschreibt der Küchenchef seine neue Leidenschaft.
Handwerk vs. Philosophie
Etwas verschnupft reagiert Desramaults auf die Frage nach dem In-de-Wulf-Küchenstil: „Es klingt immer so abgedroschen, wenn man in der heutigen Zeit erklärt, dass man mit regionalen Zutaten kocht. Aber es ist nun mal so. Wir wollen so autark wie möglich sein und versuchen, permanent unser Netzwerk an qualitativ hochwertigen Produzenten auszubauen.“ Punkt. Warum auch über Philosophien sprechen, wenn das Handwerk an erster Stelle steht. Beim flämischen Ausnahmekoch ist der Arbeitsprozess an sich nämlich genauso wichtig wie das Ergebnis selbst.
Daher stört es den 34-Jährigen auch ganz und gar nicht, von frühmorgens bis spät in die Nacht in der Küche zu stehen, um an neuen Gerichten zu tüfteln. „Gerade erst haben wir ein Gericht aus frischem Topinambur kreiert. Der wird ganz einfach geröstet und dann in fantastischer selbst hergestellter Butter für vier Stunden gekocht. Zum Schluss ist da keine Butter drinnen, aber der Inhalt schmeckt wie eine Gemüse-Foie-gras.“ Desramaults stellt immer wieder fest, wie Gerichte wie diese die Einstellung seiner Gäste gegenüber Luxusprodukten verändern: „Und dabei ist so ein Gericht noch nicht einmal technisch extrem verrückt! Es braucht ganz einfach etwas Geduld und Zeit.“
Doch Zeit wird beim umtriebigen Küchenchef immer mehr zur Mangelware, denn neben regelmäßigen Gourmetfestival-Auftritten und internationalen Presseterminen betreibt er auch noch ein Zweitrestaurant in Gent. De Vitrine ist eine Brasserie in einer ehemaligen Fleischhauerei. Desramaults sorgt dafür, dass die Leute aus seinem In-de-Wulf-Team regelmäßig auch dort kochen, weil es zum einen eine andere Küchenlinie ist, aber er zum anderen auch will, dass sie viel sehen und nicht in Dranouter festkleben.
Er selbst will sich von der Landidylle so schnell nicht mehr verabschieden: „Ich habe doch bereits meine Jugend auf den Wiesen dieser Gegend verbracht, daher macht dieser Fleck Erde den größten Teil meiner Persönlichkeit aus. Zudem machen wir erst seit zwei Jahren Profit, also werde ich In de Wulf und Darnouter doch noch für einige Zeit treu bleiben.“