Tim Raue intim
Mehr geht fast nicht: die letzten Jahre in Tim Raues Leben waren extrem erfolgreich. Mit mehreren Restaurants in ganz Deutschland und internationalen Projekten fliegt der 2-Sterne-koch so hoch wie nie zuvor. In einem sehr ehrlichen Interview spricht Raue aber auch über Misserfolge, darüber, Wohin die Reise noch gehen soll, und heiß umstrittene TV-Auftritte.
Erfolgsverwöhnt
Mehr geht fast nicht: die letzten Jahre in Tim Raues Leben waren extrem erfolgreich. Mit mehreren Restaurants in ganz Deutschland und internationalen Projekten fliegt der 2-Sterne-Koch so hoch wie nie zuvor. In einem sehr ehrlichen Interview spricht Raue aber auch über Misserfolge, darüber, wohin die Reise noch gehen soll, und heiß umstrittene TV-Auftritte.
Ihr Netflix-Auftritt wurde viel diskutiert. Viele glauben jetzt, den wahren Tim Raue zu kennen. Wie sehen Sie das selbst: Waren Sie mit Ihrer „Chef’sTable“-Episode zufrieden?
Tim Raue: Im Vorfeld habe ich noch gesagt: „Mir ist egal, was die drehen und wie sie mich darstellen, Hauptsache, ich bin dabei.“ Aber schon bei den Dreharbeiten hatten wir unterschiedliche Sichtweisen auf mich und den Film. Ich persönlich finde, dass all die Menschen um mich herum viel zu kurz kommen. Angefangen bei Marie, mit der ich nun immerhin seit 24 Jahren zusammenarbeite, mit der ich zwei Jahrzehnte liiert war und die bis heute meine Geschäftspartnerin ist. Wir haben das alles zusammen erschaffen. Das muss man ganz klar sagen. Nicht ich alleine. Bis hin zu André Macionga, unserem Restaurantmanager und Küchenchef Christian Singer, ohne die wir die letzten Jahre nie so hinbekommen hätten. Die wurden alle interviewt, aber beinhart rausgeschnitten. Es wurde ein Bild von mir gezeichnet, das so einfach nicht stimmig ist und die Menschen, die mich kennen, auch nicht unterschreiben würden. Ich bin nicht der absolute Egomane. Ich bin jemand, der im Team arbeitet, einer, der seine Führungskräfte permanent unterstützt und das Team fördert und fordert. Ich glaube auch nicht, dass ich ein Superstar bin, denn ich stelle die höchsten Ansprüche zuerst einmal an mich selbst und dann erst an die anderen. Kurz: Es war eine amerikanische Sichtweise und ich kann damit leben. Aber es ist ein überzeichnetes Ego-Bild von mir.
Können Sie sich selbst im Fernsehen anschauen?
Raue: Cool finde ich es nicht, da ich extrem selbstkritisch bin. „Kitchen Impossible“ kann ich zum Beispiel problemlos anschauen. Das ist authentisch. Das zeigt, wie ich wirklich bin. Bei „Chef’s Table“ haben sie ganze elf Tage lang bis zu 20 Stunden gedreht und dann einen kleinen Ausschnitt davon gezeigt. Ich bin aber auf solche Geschichten nicht unbedingt heiß.
Mehr geht fast nicht: die letzten Jahre in Tim Raues Leben waren extrem erfolgreich. Mit mehreren Restaurants in ganz Deutschland und internationalen Projekten fliegt der 2-Sterne-koch so hoch wie nie zuvor. In einem sehr ehrlichen Interview spricht Raue aber auch über Misserfolge, darüber, Wohin die Reise noch gehen soll, und heiß umstrittene TV-Auftritte.
Erfolgsverwöhnt
Mehr geht fast nicht: die letzten Jahre in Tim Raues Leben waren extrem erfolgreich. Mit mehreren Restaurants in ganz Deutschland und internationalen Projekten fliegt der 2-Sterne-Koch so hoch wie nie zuvor. In einem sehr ehrlichen Interview spricht Raue aber auch über Misserfolge, darüber, wohin die Reise noch gehen soll, und heiß umstrittene TV-Auftritte.
Ihr Netflix-Auftritt wurde viel diskutiert. Viele glauben jetzt, den wahren Tim Raue zu kennen. Wie sehen Sie das selbst: Waren Sie mit Ihrer „Chef’sTable“-Episode zufrieden?
Tim Raue: Im Vorfeld habe ich noch gesagt: „Mir ist egal, was die drehen und wie sie mich darstellen, Hauptsache, ich bin dabei.“ Aber schon bei den Dreharbeiten hatten wir unterschiedliche Sichtweisen auf mich und den Film. Ich persönlich finde, dass all die Menschen um mich herum viel zu kurz kommen. Angefangen bei Marie, mit der ich nun immerhin seit 24 Jahren zusammenarbeite, mit der ich zwei Jahrzehnte liiert war und die bis heute meine Geschäftspartnerin ist. Wir haben das alles zusammen erschaffen. Das muss man ganz klar sagen. Nicht ich alleine. Bis hin zu André Macionga, unserem Restaurantmanager und Küchenchef Christian Singer, ohne die wir die letzten Jahre nie so hinbekommen hätten. Die wurden alle interviewt, aber beinhart rausgeschnitten. Es wurde ein Bild von mir gezeichnet, das so einfach nicht stimmig ist und die Menschen, die mich kennen, auch nicht unterschreiben würden. Ich bin nicht der absolute Egomane. Ich bin jemand, der im Team arbeitet, einer, der seine Führungskräfte permanent unterstützt und das Team fördert und fordert. Ich glaube auch nicht, dass ich ein Superstar bin, denn ich stelle die höchsten Ansprüche zuerst einmal an mich selbst und dann erst an die anderen. Kurz: Es war eine amerikanische Sichtweise und ich kann damit leben. Aber es ist ein überzeichnetes Ego-Bild von mir.
Können Sie sich selbst im Fernsehen anschauen?
Raue: Cool finde ich es nicht, da ich extrem selbstkritisch bin. „Kitchen Impossible“ kann ich zum Beispiel problemlos anschauen. Das ist authentisch. Das zeigt, wie ich wirklich bin. Bei „Chef’s Table“ haben sie ganze elf Tage lang bis zu 20 Stunden gedreht und dann einen kleinen Ausschnitt davon gezeigt. Ich bin aber auf solche Geschichten nicht unbedingt heiß.
Gibt es da immer wieder Anfragen?
Raue: Schon. Das Thema ist immer präsent und ehrlich gesagt auch für mich nicht unwichtig. Das Problem ist aber, dass ich für mich definiert habe, dass ich im Fernsehen nicht kochen möchte. Noch wichtiger: über andere nicht urteilen möchte. Das bedeutet, dass ich keine Kochshow mache, wo ich vorkoche und sage: „Hier, das können Sie zu Hause nachkochen!“ Ich weiß, dass das nicht funktioniert, weil alleine schon unsere Zutaten nicht massenkompatibel sind. Und was ich schon gar nicht abkann, ist, über die Leistung anderer zu urteilen. Das habe ich einmal gemacht, aber das möchte ich nicht mehr. Ich will nicht über andere sprechen, vor allem möchte ich nicht schlecht über sie sprechen. Ich mag diese ganzen Bewertungsshows nicht. Dementsprechend lehne ich 99,9 Prozent der Anfragen ab. „Kitchen Impossible“ ist jedoch ein Format, das mir Spaß macht, und wir warten da jetzt einmal ab, was aus diesem Ding noch erwachsen kann. „Kerners Köche“ oder „Küchenschlacht“ kommt für mich einfach nicht infrage. Hin und wieder gehe ich in Talkshows, um auf Missstände aufmerksam zu machen und darüber zu sprechen. Gewalt an Kindern zum Beispiel. Da will ich mich in Zukunft noch stärker engagieren. Wir sind jetzt dabei, eine Stiftung zu gründen, die wir 2018 realisieren möchten, wo es darum gehen soll, Jugendliche, die aus sozialen Brennpunkten stammen, zu unterstützen und sie ins Erwachsenenleben zu begleiten.
„Kerners Köche“ oder „Küchenschlacht“ kommt für mich einfach nicht infrage.
Tim Raue über mögliche TV-Angebote
Nur, dass ich einen Überblick habe: Wie viele Projekte sind es jetzt? Restaurant Tim Raue, Sra Bua, drei Mal Colette, Dragonfly in Dubai, Cruiseship, STUDIO tim raue im Olympiastadion – noch etwas?
Raue: La Soupe Populaire. Da sind wir nämlich wieder dran. Es schaut sehr gut aus, dass wir da zum Jahreswechsel wieder eröffnen werden.
Da werden sich viele bestimmt sehr freuen.
Raue: Ja, am meisten aber Michael Jaeger, der ja unser Küchenchef im alten La Soupe Populaire war. Und dann komme aber auch gleich ich, denn das ist ein Projekt, das ich sehr vermisst habe. Da hat sich leider die Bauphase in der ehemaligen Bötzow-Brauerei extrem hinausgezögert. Hätten wir das damals schon gewusst, dann hätten wir uns sofort etwas Neues gesucht. Aber wie das so ist im Leben: You never know!
Wie mit dem Dragonfly in Dubai. Was waren denn die Erfahrungen, die Sie bis jetzt auf dem internationalen Markt sammeln konnten?
Raue: Spannend. Es macht schon Spaß. Es hat mir aber auch klargemacht, dass ich mich doch ganz deutlich auf meine Heimatstadt fokussieren möchte. Doch nichtsdestotrotz: Die drei Colettes funktionieren auch wunderbar und was ganz stark angewachsen ist, ist das Hanami-Konzept auf den TUI-Schiffen. Wir sind da mittlerweile jetzt schon auf vier Cruiselinern. Das ist natürlich herausfordernd, macht aber auch richtig Spaß. Was ich dabei aber herausgefunden habe, ist, dass ich nicht mehr zu viele Konzepte realisieren möchte, sondern maximal eine Handvoll verschiedener Konzepte haben will, die dann aber multipliziert werden.
Gibt es im Restaurant Tim Raue eigentlich noch einen richtigen Küchenchef, wie damals Christian Singer?
Raue: Christian war der Küchenchef, bleibt der Küchenchef und wird auch in Zukunft der Küchenchef sein. Dubai war von Anfang an für ihn als Projekt ausgelegt, es war nie gedacht, dass er dort alt wird. Wir haben in Dubai jetzt ein Team aufgebaut, das das Restaurant auch alleine im Tagesgeschäft führen kann, und Christian erwarte ich ehrlich gesagt im Restaurant Tim Raue bis zum Jahresende wieder zurück.
Wird das Dragonfly auch noch danach weiterbestehen?
Raue: Dubai ist ein ganz spezielles Pflaster. Ich kann jedem nur raten, der in Dubai etwas Ähnliches im kulinarischen Bereich vorhat, dass er wirklich vorher für mindestens mehrere Wochen vor Ort ist und dort erlebt, wie es da unten abgeht. In diesem Markt ist nämlich Kulinarik sekundär und Entertainment sowie Design haben absolute Priorität. Das haben wir erst verstehen lernen müssen, so etwas war uns einfach komplett neu.
Sie waren bei unserem letzten Interview noch geflasht von multisensorischen Erlebnissen à la Paul Pairets Ultraviolet. Wie hat sich das bei Ihnen manifestiert?
Raue: Wir haben versucht, so etwas auf die Beine zu stellen, ich muss aber ganz ehrlich zugeben, dass wir es nicht geschafft haben, das finanziell auf die Reihe zu bekommen. Das hat ein Investitionsvolumen von mindestens fünf Millionen Euro. Die Schwierigkeit für ein 20-Sitzplätze-Restaurant mit der einhergehenden Auslastung ließ sich nicht in Dubai realisieren, schon gar nicht in Berlin. Ich habe dann also festgestellt, dass das definitiv zu weit weg ist. Ich habe ja auch das Glück, seit ein paar Jahren in der 50-Best-Restaurants-Liste vertreten zu sein, wo ich mich mit den anderen Köchen austauschen kann. War mit Massimo Bottura noch der Typ Genie die Nummer eins, sind jetzt mit Daniel Humm und Will Guidara Gastronomen ganz vorne. So sehe ich uns auch. So wie das Eleven Madison Park wollen wir uns auch als Gesamterlebnis positionieren. Wir hinterfragen uns regelmäßig und denken darüber nach, wohin unser Weg gehen könnte. Wir sind aber auf jeden Fall ein Ort, wo Menschen hingehen können, sich wohlfühlen und grandios essen. Und natürlich hat eine technische Komponente wie die von Paul Pairet einen enormen Reiz, aber wir sind nicht die Meister darin. Dementsprechend halte ich es heute für hirnrissig, eine absurd hohe Summe als Wette für die Zukunft aufzuwenden, ohne zu wissen, wie lange das dann auch wirklich funktioniert.
Wir wollen nichts aufmachen, was zwei Jahre hip und chic ist, sondern Dinge schaffen, die über viele Jahre hinweg funktionieren!
Tim Raue über seine Abkehr von Trends
Das klingt nach einer kompletten Abkehr von Trends?
Raue: Richtig. Das haben wir auch exakt so für uns definiert. Wir wollen weg von Trends. Wir wollen also nichts aufmachen, was zwei Jahre hip und chic ist, sondern Dinge schaffen, die über viele Jahre hinweg funktionieren und die unabhängig davon funktionieren, ob ich oder einer meiner engsten Mitarbeiter vor Ort sind. Da soll dann einfach der Name Tim Raue für Qualität stehen und das Preis-Leistungs-Verhältnis immer noch passen. Damit die Gäste auch weiterhin kommen und wo ganz klar definiert ist, dass ich das auch weit über meine aktive Zeit halten und leben kann. Ich werde nämlich nicht, bis ich 65 bin, am Herd stehen.
Das sagen Sie immer wieder. Wird das aber tatsächlich so sein?
Raue: Ich merke natürlich auch, dass die Entwicklung schon jetzt dahin geht, dass ich natürlich immer weniger Zeit arbeitend in der Küche verbringe und mich immer mehr in die Rolle des Restaurateurs entwickle. Das aber alles nach wie vor nach dem Trial-and-Error-Prinzip. Das ist am deutschen Markt aber schwierig weiterzugeben. In dem Moment, wo man etwas zumacht, heißt es gleich immer schadenfroh: „Haha, das hat nicht funktioniert!“ Unternehmer sein heißt doch aber auch, einmal ein Risiko einzugehen, oder? Das läuft in den USA komplett anders, da gibt es noch eine richtige Start-up-Kultur. Wenn da etwa Geld in ein Projekt gesteckt wird, das nach einem halben Jahr wieder schließen muss, aber man dadurch seine Lehren gezogen hat, dann ist das nicht verkehrt.
Wie zum Beispiel mit dem Studio, oder?
Raue: Genau. Da haben wir gedacht, dass wir in dieser Welt der Start-up-Leute kulinarisch präsent sein können. Die hatten dort aber eher Bock auf vegetarische und vegane Küche. Das ist aber etwas, wofür ich keine Leidenschaft habe, wofür mein Herz nicht brennt. Ergo habe ich es auch nicht geschafft, mein Team so darauf einzuschwören, dass das funktioniert. Was letztendlich dabei geschehen ist, war, dass es keiner so richtig mit Liebe und Leidenschaft gelebt hat, und so kam es, dass wir da nach 18 Monaten raus sind.
War das Studio jetzt nur für Sie persönlich vom Spirit her nicht erfolgreich oder hat es auch wirtschaftlich nicht funktioniert?
Raue: Das eine bedingt das andere. Wir haben gemerkt, dass wir für die Zielgruppe nicht wirklich da sein konnten, wollten noch modifizieren, haben es aber nicht so durchgängig geschafft, unser Herzblut reinzustecken, und dann beschlossen, dass wir das Kapitel besser beenden. Veggieburger und veganes Happi-Happi sind und waren ganz einfach nicht unser Ding.
Berliner Schnauze
Sie sind ja für Ihren eigenen Stil, die unverwechselbare Raue-Handschrift bekannt. Das ist in der heutigen Zeit aber sehr selten, oder?
Raue: Der große Unterschied, den wir als Möglichkeit haben, ist der, dass wir unsere eigene Persönlichkeit reflektieren. Also was wir gerne haben, welche Farben, die Klamotten, Kunst oder auch Musik, und daraus ein Bild von uns selbst schaffen, das wir dann als Gastronomen in Restaurants und Tellern umsetzen. Dafür muss man eben sein Profil schärfen, denn was den Unterschied ausmacht, ist nun mal das Authentische. Gäste möchten einen ganz klaren Stil, das wird geschätzt. Und somit ist es auch sinnvoller, ein Stück weit zu polarisieren, als sich der Belanglosigkeit hinzugeben. Ich scheue mich mittlerweile auch davor, über Gourmetrestaurants oder Fine-Dining-Restaurants zu sprechen, da finde ich die Begrifflichkeit „Destination-Restaurants“ besser. Also Restaurants, die man bewusst aufsucht, wo man unbedingt hinwill und einen Tisch im Voraus reserviert, weil man sonst keinen bekommt.
Das sind auch Restaurants, wo man ein besonderes Erlebnis erwartet.
Raue: Genau. Und das muss jetzt nicht unbedingt ein michelinbesterntes Restaurant sein. Das heißt einfach, dass es einzigartig ist. Und dafür sind Authentizität sowie eigene Handschrift unablässlich, da diese über Erfolg oder Misserfolg entscheiden. Ich finde, dass wir da bei uns in den deutschsprachigen Ländern aber eine sehr gute Entwicklung haben, was diese Art von Gastronomie angeht. Die Typen und Stilistiken sind doch sehr individuell. Darum wird auch Berlin als kulinarisch so wertvoll wahrgenommen. Wenn man etwa ins Reinstoff, Horvath, Lorenz Adlon oder in unser Restaurant geht, dann bekommt man jedes Mal ein komplett anderes kulinarisches Erlebnis. Ich habe da bei mir im Büro ein wunderbares Schild, auf dem steht: „Life isn’t about finding yourself. Life is about creating yourself.“ Das ist etwas, was ich unheimlich wichtig finde. Dass man etwas aus dem, was man ist, kreiert. Wenn man versucht, ein Rock ’n’ Roller zu sein, ist aber, so wie ich, ein Spießer, dann wird das natürlich nie funktionieren. Das muss man sich aber auch zugestehen. Ich bin auch kein kulinarisches Genie wie Massimo Bottura, werde ich auch nie sein. Ich bin jemand, der einen ganz eigenen Geschmack hat, den er auch umsetzen kann.
Wie viel Zeit finden Sie eigentlich noch, um neue Gerichte zu erschaffen?
Raue: Ganz ehrlich? Je erfolgreicher das Restaurant in den letzten Jahren wurde, umso schwerer ist es mir gefallen, neue Gerichte zu erarbeiten. Weil natürlich diese Gerichte, mit denen wir es an die Spitze geschafft haben, so gut sind, dass ich alles daran messen muss. Ich habe seitdem bestimmt so viel verworfen wie noch nie zuvor in meinem Leben. Und dann saß ich jetzt bei diesem 50-Best-Panel in Barcelona und da haben sie Daniel Humm gefragt, was sich denn verändert habe, seit er die Nummer eins der Welt ist. Die einzige Antwort, die er dazu gegeben hat, war: „Früher haben wir Gerichte auf die Karte genommen und durch das Feedback der Gäste noch modifiziert. Das kann ich heute nicht mehr machen!“ Danach habe ich ihn gefragt: „Wie viele neue Gerichte hast du denn auf die Karte genommen, seitdem du Nummer eins bist?“ Dann hat er einige Augenblicke nachgedacht und ich wusste schon, was die Antwort ist. Der Druck ist einfach enorm. Ich merke es bei mir selbst. Bevor ich ein neues Gericht auf die Karte nehme, muss wirklich etwas ganz Großartiges passieren. Konnten wir früher noch 30 Gerichte auf der Karte neu definieren, haben wir in letzter Zeit vielleicht zehn Gerichte im Jahr geschafft. Was man dabei aber nicht vergessen darf: Ist man einmal auf so einer Liste, kommt auch der Gourmettourismus. Die kommen also nur einmal zu dir essen, sehen zuvor vielleicht noch „Chef’s Table“ auf Netflix und wollen dann alle nur den Wasabi-Kaisergranat essen. Den kann man einfach nicht von der Karte nehmen. Man muss diese Klassiker drauflassen.
Ganz ehrlich? Je erfolgreicher das Restaurant in den letzten Jahren wurde, umso schwerer ist es mir gefallen, neue Gerichte zu erarbeiten.
Tim Raue über die Schwierigkeit ständig Jahrhundertgerichte zu kreieren
Wie ist eigentlich das Feedback, wenn Sie sich ganz klar hinter starke Partner wie Metro stellen?
Raue: Ich höre das schon, über zwei oder drei Ecken, dass jemand über mich ablästert und fragt, warum ich denn da bei Metro mitmache. Ich kann da immer nur ganz offen und ehrlich antworten: Für mich ist das so etwas wie eine Zukunftsperspektive. Unter dem Gesichtspunkt, dass ich nicht nur Koch bin, habe ich bei Metro den Vorteil, dass ich völlig unterschiedliche Gastronomiemodelle betreibe. Seniorenresidenzen, Schiff, Hotel, selbständige Gastronomie. Ich decke im Endeffekt alle Kundensegmente ab. Metro hat für sich definiert, die Nummer eins unter den Gastronomielieferanten zu werden, und das, was sie dafür brauchen, ist eine Expertise und jemanden, mit dem sie sich austauschen können. Das mache ich sehr gerne und macht große Freude. Wenn da jetzt aber Kollegen schimpfen und sagen: „Der Raue verkauft sich!“, kann ich nur entgegnen: Ich habe meinen Beruf noch nie ideell wahrgenommen. Das Restaurant Tim Raue ist der Herzschlag all unserer Unternehmungen, das ist das, wo wir kulturell unterwegs sind, aber auch am wenigsten Geld damit verdienen. Aber das ist nicht das wahre Leben, das ist nicht das Business. Hanami auf den Schiffen oder die Colettes: Das ist Business.
Jetzt ist es in der 50-Best-Liste wieder etwas runtergegangen. Sie sagen ja immer: Hauptsache, man ist drauf. Was ist Ihnen am wichtigsten: Guide Michelin, Gault Millau oder 50 Best?
Raue: Alles imminent wichtig. Ohne die Guides gibt es keine Aufmerksamkeit, ohne Aufmerksamkeit gibt es keine Gäste. Ohne den Gault Millau hätte es uns sehr schnell nicht mehr gegeben. Bereits 1997 bei meiner ersten Küchenchefstelle war der da und hat uns gut bewertet. Es hat dann noch bis 2006 gedauert, bis ich meinen ersten Stern bekommen habe. Da war ich aber bei Gault Millau schon 2005 „Aufsteiger des Jahres“. Aber auch der erste Stern hat uns international enorm geholfen. Und auch die 50-Best-Liste war wiederum ein enormer Schub. Alles kam also anscheinend irgendwie genau richtig zur passenden Zeit. Aber einfach in der Liste zu sein, ist schon spitze. Egal ob man da jetzt ein paar Plätze rauf- oder runterrutscht. Außer die Top 10. Da ist der Zulauf vielleicht noch überproportional größer. Aber wenn man unter den besten 50 ist, heißt das tatsächlich, dass man über drei Monate im Voraus ausgebucht ist. Das ist wirtschaftlich natürlich der absolute Wahnsinn.
Kann man da aktiv etwas tun, um im Ranking nach oben zu kommen?
Raue: Nein. Es ist wahrscheinlich von Vorteil, wenn man auf internationalen Events kocht. Südkorea, Singapur oder Hongkong. Da trifft man natürlich Köche oder Journalisten, für die es schwierig ist, einfach so einmal für ein Essen nach Deutschland zu kommen. Die bekommen dann vor Ort einen Eindruck, wie denn mein Essen ist, und das schlägt sich vielleicht auch auf eine Bewertung nieder. Grundsätzlich ist es aber so, dass da rund 1000 Leute voten, die kulinarische Welt dreht sich aber immer weiter und deshalb ist es auch ganz logisch, dass auch diese Liste sich immer wieder erneuert. Die Macher der 50-Best-Liste haben einmal eine Statistik herausgebracht, wie lange denn die durchschnittliche Verweildauer ist. Das sind im Schnitt vier Jahre, weil dann halt schon die nächsten geilen Restaurants auftauchen. Sollten wir im nächsten Jahr rausfliegen, dann ist es halt so. Ich werde da auch bestimmt ein Tränchen aus dem Augenlid wischen. Die Schwierigkeit an dem Ganzen ist halt nur: Hochkommen ist eines. Das Level zu halten, schon viel schwieriger. Und dann kann es natürlich auch sein, dass man wieder runterfällt. Ich habe mich da mit Peter Goosens und Jonnie Boer unterhalten, die aus der Liste gefallen sind, aber auch wieder reingekommen sind, und beide meinten: „Die Gäste kommen trotzdem weiter!“ Es ist also nicht so, dass man den Laden am nächsten Tag zumachen muss. Das hallt schon auch noch nach.
Wenn Sie in die kommenden fünf Jahre blicken, was soll da geschehen?
Raue: Die Frage ist mit Sicherheit berechtigt. Bei mir ist es nur so, dass ich immer nur von Jahr zu Jahr lebe. Für mich ist ganz klar, dass ich das, was ich gerade mache, konsolidieren möchte. Dabei geht es nicht um Wachstum, sondern darum, dass wir die Konzepte, die wir haben, erweitern. Aber was weiß ich: Vor fünf Jahren hatte ich all das, was wir jetzt betreiben, noch gar nicht. Außer das Restaurant Tim Raue natürlich. Ich kann also wirklich nicht sagen, was in fünf Jahren sein wird. Primär will ich einfach versuchen, auch weiterhin das Ohr am Gast zu haben, aber nicht trendy zu sein.
www.tim-raue.com