Joan Roca: Der Humanist

Titel, Ruhm und Ehre sind CHEFDAYS-Speaker Joan Roca nicht genug. Seine verantwortungsreiche Mission: Die Gastronomie menschlicher gestalten.
August 10, 2017 | Text: Mia Schlichtling | Fotos: El Celler de Can Roca, Joan Pujol-Creus, David Loftus

Einmal schnell die Welt retten

Wonach strebt man, wenn man schon alles erreicht hat? Joan Roca ruht sich nicht auf seinen Lorbeeren als einer der weltbesten Köche aus, sondern nutzt seine globale Bekanntheit, um neue Denkanstöße zu geben, in der Spitzengastronomie wie an heimischen Herden. Zusammen mit seinen Brüdern setzt er dabei im El Celler de Can Roca auf die neuesten Erkenntnisse der Forschung, authentische Gastfreundschaft und eine große Portion Menschlichkeit.

Joan Roca

Sie haben einige neue Projekte angekündigt. Was hat es damit auf sich?
Joan Roca: Wir arbeiten schon seit einer Weile an diesen Projekten. Die Schokoladenfabrik ist ein Traum, mit dem Jordi uns angesteckt hat, genauso wie es bei unserer Eisdiele Rocambolesc schon der Fall war. Das Konzept beruht auf hochqualitativem Kakao, den wir auf einer unserer Reisen durch Lateinamerika entdeckt haben. Wir haben Lust, dieses Produkt hier in unserer Heimatstadt Girona zu einer hochwertigen Schokolade zu verarbeiten. Vermutlich können wir schon ab Frühjahr 2018 in Produktion gehen. Was die Welt der Getränke angeht, haben wir eine kleine Destillerie gebaut und produzieren fermentierte Getränke und Schnäpse, die wir im Restaurant servieren, zum Beispiel Bier aus Bohnen oder anderen ungewöhnlichen Produkten.

Zudem beschäftigen Sie sich vertieft mit dem Thema Sensorik.
Roca: Genau, wir arbeiten mit dem Krankenhaus Vall d’Hebron in Barcelona zusammen, um unsere Kenntnisse bezüglich der Sensorik in der Gastronomie zu vertiefen. Wir wollen verstehen, wie das Essen sich nicht nur auf die Verdauung, sondern auch auf den Gemütszustand auswirkt. Nicht nur das Was, sondern auch das Wie spielt dabei eine Rolle. Wir haben etwa festgestellt, dass, wenn dir jemand auf eine bestimmte Art erklärt, was du isst, du es besser aufnehmen kannst.

Viele Spitzenköche haben inzwischen mehrere Restaurants überall auf der Welt. Sie reisen viel, haben aber zusammen mit Ihren Brüdern ein einziges Restaurant, El Celler de Can Roca.
Roca: Wir glauben, dass es unser einziges und ein einzigartiges Restaurant sein soll. Wir glauben an die Idee der Gastfreundschaft, die Authentizität, ein einziges Projekt zu führen, in das wir unsere Seele und unser Leben einfließen lassen. Wir könnten kein ähnliches Restaurant an einem anderen Ort führen. Viele Kollegen entscheiden sich zu diesem Schritt und ich bewundere sie dafür, aber wir haben uns zu diesem Weg entschlossen. Deswegen schließen wir auch das Restaurant für eineinhalb Monate, wenn wir verreisen, und nehmen unser gesamtes Team mit, um an einem anderen Fleck auf der Welt zu kochen. Das ist eine sehr interessante, bereichernde Erfahrung, weil wir viel lernen und auch zusammenleben, was zu mehr Teamzusammenhalt geführt hat. Es geht uns darum, auf andere Menschen zu achten. Zu sagen: Wenn wir gehen, gehen wir alle! Wir schließen das Restaurant, weil wir nicht wollen, dass jemand anderes sich um die Gäste kümmert, während wir abwesend sind.

Was fasziniert Sie am meisten auf Ihren Reisen?
Roca: Aus gastronomischer Sicht gibt es viele spannende Orte auf der Welt zu entdecken. Mexiko, Kolumbien, Peru und die Türkei haben uns sehr beeindruckt. Natürlich haben wir viele befreundete Köche überall auf der Welt und interessieren uns auch dafür, was die großen Küchenchefs eines Landes machen, aber uns fasziniert vor allem, was die Menschen tagtäglich zu Hause essen. In der heimischen Küche, auf der Straße, wo bescheiden und einfach gekocht wird, dort liegt die Essenz des Geschmacks eines Landes. Gerade dort kann man eine wundervolle Welt entdecken, insbesondere in Mexiko, wo das vielseitige Essen einer Religion gleichkommt.

Aktuell ist lateinamerikanisches Essen im Trend. Wo sehen Sie denn im Vergleich die spanische Küche in der globalen Wahrnehmung?
Roca: Die spanische Küche erlebt gerade die beste Phase ihrer Geschichte. In der spanischen und allgemein der mediterranen Gastronomie treibt eine neue Generation an Köchen, die viel von sich reden macht, eine Revolution voran. In unserem Land sind viele wichtige Dinge passiert, wie el Bulli. Inzwischen hat die Entwicklung einen gewissen Reifegrad erreicht und sich konsolidiert. Es gibt verschiedene Interpretationen dessen, was die Küche Spaniens ausmacht, verschiedene Stile und Identitäten sowie eine große Unruhe, was Innovationen anbelangt.

Die spanische Avantgardeküche ermöglichte es, die Wissenschaft verstärkt in die Küche zu integrieren. Außerdem spielt das Überraschungselement eine große Rolle. Wie sehen Sie das heute?
Roca: Heute ist die spanische Küche sehr ernst, sehr durchdacht und elaboriert, von unnötigen Elementen befreit. Es geht nicht mehr um Show, das war einmal. Vor einigen Jahren hatte das seine Bedeutung, aber heute stehen Authentizität und die Einfachheit des Außergewöhnlichen im Vordergrund. Wir alle suchen nach diesem Terroir, wie man vermitteln kann, dass man sich gerade in Girona, Barcelona, Málaga oder Asturien befindet. Die Idee, eine Region auf dem Teller darzustellen, hat jetzt mehr Bedeutung als je zuvor, aber wird heute mit neuen Techniken kombiniert. Techniken, die keine Hauptrolle spielen, die man also nicht bemerkt, aber die für das Endresultat sehr wichtig sind. Das ist heute viel wichtiger als das Showelement: die Essenz, die Wahrheit, die wir mit unserer Küche erzählen. Im Celler geht es uns nicht darum, mit den Aromen ein Feuerwerk zu entfachen. Es geht um etwas Ernstes, harte Arbeit kombiniert mit den Erkenntnissen der Wissenschaft und dann doch wieder um etwas, was im Grunde sehr einfach ist und das Herz berühren soll: unsere Gäste mit allen Mitteln glücklich zu machen, ohne dabei aufdringlich zu sein oder uns selbst in den Mittelpunkt zu stellen, um für sie die Erfahrung wirklich einzigartig machen.

Muss denn Ihrer Meinung nach ein guter Küchenchef heute mehr sein als ein Koch?
Roca: Das weiß ich nicht. Wir sind an erster Stelle Köche, Handwerker. Das ist ein sehr schöner und edler Beruf, denn es ist unser Ziel, Menschen glücklich zu machen. Die Gastronomie ist sehr mächtig und sobald du Visibilität und Anerkennung erlangst, kannst du dazu beitragen, dass den Menschen zu Hause bewusst wird, wie wichtig Kochen ist. Kochen heißt auf etwas achten. Deine Gesundheit, aber auch die des Planeten. Kochen geht weit darüber hinaus, dich zu ernähren. Ich denke, dass das die wichtigste Aufgabe der Köche heute ist, denn indem wir die Menschen zuhause zu einem verantwortungsbewussten Konsumverhalten bewegen, können wir die Welt verändern.

Koch ist ein sehr edler Beruf, denn es ist unser Ziel, Menschen glücklich zu machen.
Joan Roca über seine Motivation

„Kochen bedeutet auf andere achten“ ist eines Ihrer Leitthemen. Das bezieht sich natürlich auf Ihre Gäste, aber im Celler erstreckt sich diese Philosophie auch auf das Personal.
Roca: Ja, das ist sehr wichtig. Seit drei Monaten haben wir zwei Brigaden, eine für den Mittags- und die andere für den Abendservice. Dadurch sind die Arbeitszeiten vernünftiger und es ist leichter, den Beruf mit dem Privatleben zu vereinbaren. Die Gastronomie ist sehr hart, oft arbeiten wir, wenn andere feiern. Daher ist es unsere Verantwortung, den Beruf so menschlich wie möglich zu gestalten. Uns ist es wichtig, uns um unsere Mitarbeiter zu kümmern, dass sie sich anerkannt fühlen und angenehme Arbeitszeiten haben. Wir suchen nach Formeln, um es möglich zu machen. Wenn wir also von „menschlicher gestalten“ reden, geht es darum zu verhindern, dass unsere Angestellten aus der Branche aussteigen. Wir haben etwa die Entscheidung zur doppelten Brigade getroffen, als plötzlich fünf unserer Angestellten innerhalb von drei Monaten das erste Mal Eltern wurden. Uns wurde klar: Entweder ändern wir die Arbeitszeiten oder sie orientieren sich beruflich um. Dabei sind sie sehr gute Angestellte, sehr talentiert, und wir müssen alles tun, um sie zu halten. Daher haben wir beschlossen, die Arbeitszeiten gleich zugunsten des gesamten Teams anzupassen. Das hat ihr Leben verändert.

Welche Veränderungen mussten Sie dafür in die Wege leiten?
Roca: Die Ressourcen sehr gut organisieren, insbesondere die Teams. Natürlich ist es auch ein hoher Kostenfaktor für das Unternehmen, da wir mehr Personal einstellen mussten. Aber wenn man eine gewisse Konstanz hat im Restaurant und jeden Tag ausgebucht ist, wie es bei uns zum Glück der Fall ist, ist es möglich.

Welche anderen Maßnahmen wenden Sie an, um die Gastronomie, wie Sie sagen, „menschlicher“ zu gestalten?
Roca: Wir gehen sehr praktisch an das Thema heran, deshalb haben wir eine Arbeitsgruppe, die sich mit den Emotionen im Team befasst. Jeden Dienstag zur Mittagszeit, wenn das Restaurant geschlossen ist, widmen wir dem Team Zeit, hören zu, setzen uns mit den Emotionen auseinander. Wir haben eine Psychologin, die Expertin für die Arbeit in Gruppen ist. Ein lustiger Zufall: Sie betreut auch den FC Barcelona! Sie kümmert sich um das Konfliktmanagement, darum, die Motivation zu fördern und sorgt dafür, dass es den Mitarbeitern gut geht und sie sich auch so fühlen. Wir machen das schon seit dreieinhalb Jahren so und nehmen das sehr ernst. Wenn es einem Kellner nicht gut geht, könnte das ein Gast auch spüren und wir wollen nicht, dass diese Emotion sich am Tisch widerspiegelt. So arbeiten wir auf dem höchsten Niveau.

Was werden Sie denn aus Girona auf die CHEFDAYS mitbringen?
Roca: Ich werde die neuesten Themen aus dem Restaurant vorstellen. Es wird sicher um Destillation gehen, aber genauso um alte Techniken wie das Kochen im Holzofen. Lasst euch überraschen!
www.cellercanroca.com | www.chefdays.de

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