Gault&Millau-Chef rügt Spitzen-Restaurants für «Gier und Geiz»

Mit scharfer Kritik gestiegenen Preisen in der Spitzengastronomie sorgt der Gault&Millau-Chef für Aufsehen.
September 11, 2024 | Text: NIZ

Es ist einige Monate her, seitdem ein fieser Rechtsstreit zwischen dem Inhaber der Marke Gault&Millau International und ihrem deutschen Lizenznehmer Henris Edition entbrannte. Wir erinnern uns: Um ein Haar wären dem Verlag die Lizenzrechte entzogen worden, hätte das OLG Düsseldorf nicht zugunsten der Henris Edition entschieden.

Nachdem die Muttermarke mit Sitz in Genf angekündigt hatte, den Konflikt in der Schweiz fortzuführen, hörte man nicht mehr viel von den Lizenzproblemen. Was nicht zwingend bedeutet, dass die Henris Edition nicht immer noch in stürmischen Gewässern navigiert. Trotzdem steuert sie unbeirrt auf die Veröffentlichung des neuen Guides im Herbst zu.

Ein guter Zeitpunkt also für den derzeitigen Herausgeber des heimischen Gault&Millau, Jochen Rädeker, nach Sympathie aus den Reihen der Spitzengastronom:innen zu angeln. Könnte man meinen. Stattdessen sorgte der studierte Grafikdesigner und Hochschuldozent Ende August mit knallharten Aussagen zum empfindlichen Thema der Preisentwicklung für Aufsehen.

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Die Abwanderung der Kundschaft in billigere Restaurants sei «eine Gefahr für die gute Küche», sagt Gault&Millau-Chef Jochen Rädeker

Es ist einige Monate her, seitdem ein fieser Rechtsstreit zwischen dem Inhaber der Marke Gault&Millau International und ihrem deutschen Lizenznehmer Henris Edition entbrannte. Wir erinnern uns: Um ein Haar wären dem Verlag die Lizenzrechte entzogen worden, hätte das OLG Düsseldorf nicht zugunsten der Henris Edition entschieden.

Nachdem die Muttermarke mit Sitz in Genf angekündigt hatte, den Konflikt in der Schweiz fortzuführen, hörte man nicht mehr viel von den Lizenzproblemen. Was nicht zwingend bedeutet, dass die Henris Edition nicht immer noch in stürmischen Gewässern navigiert. Trotzdem steuert sie unbeirrt auf die Veröffentlichung des neuen Guides im Herbst zu.

Ein guter Zeitpunkt also für den derzeitigen Herausgeber des heimischen Gault&Millau, Jochen Rädeker, nach Sympathie aus den Reihen der Spitzengastronom:innen zu angeln. Könnte man meinen. Stattdessen sorgte der studierte Grafikdesigner und Hochschuldozent Ende August mit knallharten Aussagen zum empfindlichen Thema der Preisentwicklung für Aufsehen.

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Die Abwanderung der Kundschaft in billigere Restaurants sei «eine Gefahr für die gute Küche», sagt Gault&Millau-Chef Jochen Rädeker

Gault&Millau-Studie über Preissteigerungen

Der Restaurantführer hatte eine Studie zur Preisentwicklung in 1000 deutschen Restaurants durchgeführt, die in den vergangenen drei Jahren von den Gault&Millau-Testern besucht worden waren.

«Ich hatte bemerkt, dass selbst unsere Tester zuletzt immer häufiger frustriert aus dem Restaurant kamen. Auch deswegen haben wir die Studie gemacht», erklärte Rädeker im Interview mit der Süddeutschen Zeitung.

Nach Auswertung der Daten kamen er und seine Co-Autorin, Verlags-Geschäftsführerin Hannah Fink-Eder, zu einem, auf den ersten Blick, niederschmetternden Ergebnis: Während der Verbraucherpreisindex im Messzeitraum um 19 Prozent gestiegen sei, haben die untersuchten Restaurants ihre Preise um durchschnittlich 53 Prozent erhöht. In etwa zwei Dutzend Restaurants seien die Preise um mehr als 100 Prozent gestiegen. Für Rädeker eine alarmierende Diskrepanz mit schwerwiegenden Folgen.

«Gefahr für die gute Küche»

Gäste würden regelrecht «abgezockt» werden, man dürfe sich «nicht wundern, wenn [sie] wegbleiben», sagt er. Weiters: Die Abwanderung der Kundschaft in billigere Restaurants sei «eine Gefahr für die gute Küche.»

Starke Ansagen, die nicht lange auf erste Reaktionen warten ließen. Gastronom und Autor Christian Mook: «Branchenfremde Zivilisten könnten aus dieser Aussage durchaus schlussfolgern, dass Gastronomen ihre Preise tatsächlich überproportional erhöht haben.» Die für die Gastronomie wichtigsten Preistreiber (Lebensmittel und Energie) seien aber, im Vergleich zum allgemeinen Verbraucherpreisindex, extrem überdurchschnittlich gestiegen, wirft Mook via Blogbeitrag ein. Zusätzlich müsse man unter anderem berücksichtigen, dass die Mehrwertsteuer Anfang 2024 wieder erhöht wurde. Es sei davon auszugehen, dass «die allermeisten seriös arbeitenden Gastronomen ihre explodierenden Mehrkosten […] nicht in vollem Umfang an ihre Gäste durchgereicht haben.»

Außerdem habe der Gault&Millau die Preisunterschiede zu anderen Ländern nicht untersucht. In Frankreich seien die Preise in vergleichbaren Spitzenrestaurants höher, obwohl die Steuerlast auf Gastronomen geringer sei.

Dass der Verbraucherpreisindex die Steigerung der Lebensmittelpreise nicht genügend berücksichtigt, weiß auch Rädeker. «Aber selbst das erklärt die Aufschläge höchstens zum Teil», sagt er im besagten Interview. Er kritisiert weiters das Preis-Leistungs-Verhältnis von Spitzenrestaurant in Bezug auf die Margen bei alkoholischen Getränken. Insbesondere Tohru Nakamuras Schreiberei, Marco Müllers Rutz und sogar Billy Wagners Nobelhart & Schmutzig kommen in seiner Einschätzung nicht gut weg und werden als Negativbeispiele genannt. Lob hat er hingegen für Simon Tress von der Schwäbischen Alb oder Vincent Klink in Stuttgart übrig.

Zwischen Gier und Insolvenzen

Bei all den Überlegungen und pointierten Aussagen bleibt die Preisgestaltung in der Gastronomie ein komplexes und streitbares Thema. Das Spannungsfeld zwischen wirtschaftlicher Notwendigkeit und Gästewahrnehmung könnte langfristig entscheidend für die Zukunft der Spitzengastronomie sein.

Aktuell sind die Auswirkungen in der Branche klar spürbar: Für 2024 prognostiziert der Informationsdienstleitster CRIF rund 1.190 Insolvenzen in der Gastronomie; ein Anstieg von mehr als 30 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

«Den Leuten sind die Restaurantpreise heute einfach zu teuer», bestätigte Gastronomin Kerstin Rapp-Schwan kürzlich im Rolling Pin-Interview. «Aber wer in einem Restaurant etwas Vernünftiges auf dem Teller haben will, der muss mit angemessenen Preisen rechnen.»

Nur, was angemessen ist, darüber scheiden sich die Geister. «Aber einfach mit den Preisen runterzugehen oder aus einem Fine-Dine-­Konzept etwas Einfacheres zu machen, ist in den wenigsten Fällen eine nachhaltige Lösung», meint Tohru Nakamura (hier zum ganzen Interview).

Fest steht, dass die gehobene Gastronomie vor einer Zeit des Wandels steht. Aber auch, dass man sich unter krisengeplagten Gastronom:innen keine Freunde macht, wenn man sie als gierig oder geizig bezeichnet. Auch, wenn das in manchen, besonderen Fällen stimmen mag.

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