Es ist fünf vor zwölf: Steht die Gastronomie vor dem Abgrund?
Es brennt. Und zwar so richtig. Die deutsche Gastronomie steht vor dem Zerfall und scheinbar kaum jemandem ist die momentane Situation mit ihren fatalen Folgen bewusst.
Meldungen von Restaurant-Schließungen sind der Alltag, den Fachkräftemangel nimmt man mittlerweile schulterzuckend hin und die Debatte um die Mehrwertsteuererhöhung ist längst vergessen. Es ist still, viel zu still um die deutsche Gastronomie geworden. Wie die Ruhe vor dem Sturm, der die Bevölkerung, die Politik und vor allem das Gastgewerbe bald einholen wird.
“Die Menschen sind müde geworden. Der Bevölkerung und der Politik ist gar nicht bewusst, was zur Zeit in der Branche abgeht”, sagt auch die leidenschaftliche Gastronomin Kerstin Rapp-Schwan, die sich seit mehr als 20 Jahren für die Gastronomie einsetzt.
Aber was ist da eigentlich los im Gastgewerbe?
Wir fassen uns kurz: Die Pandemie hat mit ihren Einschränkungen viele Gastronomen hart getroffen, weshalb die Politik die Mehrwertsteuer für Restaurants und Co. als Erleichterung von 19 auf sieben Prozent gesenkt hat. Und wie wir alle wissen, sind seit der Krise die Preise in jeglichen Sektoren gestiegen.
Das Drama scheint kein Ende zu nehmen. Lebensmittelpreise, Strompreise, Gaspreise, Mietpreise – egal wo Geld ausgegeben werden kann, der Preis ist höher geworden.
Aber die Gehälter steigen minimal bis gar nicht. Somit achten viele von uns vermehrt auf’s Geld. Und wo sparen die Deutschen am liebsten? Na beim Essen! Das ist der Grund, wieso momentan der Großteil der Bevölkerung seine Restaurantbesuche reduziert. Zum großen Nachteil für die Gastronomie.
Die große Preiskrise
Auch der Sternekoch und TV-Star Alexander Herrmann hat in seinem angesehenen Zwei-Sterne-Restaurant Aura stark mit den Folgen der Preiskrise zu kämpfen:
“Es geht für viele nicht mehr ums Leben, sondern ums Überleben”. Seine Gäste würden seltener ins Restaurant kommen und zunehmend auf Vorspeisen oder das zweite Glas Wein verzichten.
Dies habe zur Folge, dass die Einnahmen trotz gleichbleibender Preise sinken.
Die Gastro-Spezialistin Rapp-Schwan erklärt die Problematik folgendermaßen: “Den Leuten sind die Restaurantpreise heute einfach zu teuer. Aber wer in einem Restaurant etwas Vernünftiges auf dem Teller haben will, der muss mit angemessenen Preisen rechnen. Die Gastronomie hat neben den Lebensmitteln so viele andere Ausgaben, da müssen wir adäquate Preise verlangen, um nicht in die Insolvenz zu geraten.”
Genau das ist in der deutschen Gastro nämlich momentan Alltag: Insolvenzen. Im ersten Halbjahr dieses Jahres wurden über 550 Insolvenzanträge gestellt. Über 550! Und das umfasst nicht jene Lokalitäten, die vor einem solchen Antrag ihren Betrieb geschlossen haben.
Die Bedeutung der Insolvenzen für die Bevölkerung
Aber wie schlimm kann es schon sein, wenn ein paar Restaurants schließen? Sie gibt es doch ohnehin wie Sand am Meer? Das mag sich ein Außenstehender vielleicht denken. Doch die Branchen-Expertin klärt auf:
“Die Gastronomie ist ein Kulturgut, das sich gerade drastisch verringert. Früher galten Gastronomen hauptsächlich als Versorger. Heute haben sie eine zusätzliche Aufgabe: Viele Restaurants sind in den schönen historischen Innenstädten beheimatet und gelten für den Stadtkern als Frequenzbringer. Wir gehen heute eher für ein Erlebnis in die Stadt, nicht mehr, um einfach nur einzukaufen – das erledigt der Großteil übers Internet. Zu einem Stadt-Erlebnis zählt in den meisten Fällen der Restaurantbesuch, bei dem sich mit Freunden und Familie getroffen wird. Vielen Menschen ist glaube ich nicht bewusst, was es bedeutet, wenn dieses kulinarische Angebot fehlt oder viel weniger wird.”
Nächstes Problem: Wertschätzung
Vor allem die fehlende Wertschätzung sei neben der Kostenkrise ein großes Problem, dem ist sich auch die erfahrene Restaurantbetreiberin sicher:
“Die Gastronomie wird als selbstverständlich angesehen und nicht so geschätzt, wie sie es werden sollte.»
Kennen wir es nicht alle? Bekommt man keine Wertschätzung für harte Arbeit, vergeht einem die Lust daran. Niemand möchte mehr in der Küche oder im Service arbeiten, geschweige denn einen neuen Betrieb eröffnen, wenn die Arbeit als selbstverständlich angesehen wird. Das ist trostlos und unmotivierend.
Um die Branche wenigstens mitarbeitertechnisch zu stärken, appelliert Rapp-Schwan deshalb:
“Es braucht ein Verständnis der Gäste gegenüber den Mitarbeitern und der Restaurantleitung. Der Servicejob beispielsweise ist heutzutage so undankbar. Man nimmt Bestellungen auf, bekommt ständig Bestellwünsche zwischen reingeworfen, wird dann auch noch nach der Toilette und der Rechnung gefragt und bekommt Kritik, weil man einmal das falsche Getränk serviert. Ist doch klar, dass bei der wenigen Wertschätzung niemand mehr in den Beruf möchte. Harte Arbeit, die selten geschätzt wird, macht keiner gerne.”
Dem fügt sie hinzu: “Dabei gibt es im Grunde keine schönere Branche, in der man arbeiten kann.”
Die verrufene Branche
Zum einen ist die eben genannte geringe Wertschätzung Schuld am Personalmangel, zum anderen der schlechte Ruf. Jeder von uns hat schon einmal eines der Vorurteile gehört, die an der Gastronomie kleben wie eine Klette: Mitarbeiterausbeute, Schwarzgeld, 90-Stunden-Woche, rauer Ton, geworfene Teller usw.
“Seit Jahren haben wir mit einem schlechten Ruf zu kämpfen. Natürlich gibt es schwarze Schafe, bei denen so manch ein Vorurteil zutreffen mag, doch die gibt es in jeder Branche. Wir müssen diese Stereotypen beseitigen”, so die Gastronomin aus Leidenschaft.
Es ist selbsterklärend, dass keiner in die Branche möchte, wenn er hört, dass er unterbezahlt und angeschrien wird, wenn er sich einen Fehler erlaubt. Dieser Ruf hat sich durch Filme und ein paar Ausnahme-Betriebe in unseren Köpfen verfestigt, doch spiegelt nicht die Realität wider.
“Wer seine Mitarbeiter schlecht behandelt hat, den gibt es heute ohnehin nicht mehr. In Zeiten des Fachkräftemangels kann man einen schlechten Betrieb schnell wieder verlassen”, versichert Rapp-Schwan.
Ein kleiner Lichtblick
Das Fazit ist: Die Lage ist drastisch und zieht sich durch jegliche Sektoren des Gastgewerbes. Egal wie gut man im Jahr 2023 oder 2024 gewirtschaftet hat, man kann heutzutage nicht sagen, welchen Betrieb es 2025 noch geben wird.
Aber es gibt einige wenige Dinge, die man als Gastronom:in tun kann, um eine Insolvenz vorzubeugen. Die Expertin Kerstin Rapp-Schwan hat ihre wichtigsten Tipps mit uns geteilt:
“Jeder gut aufgestellte Gastronom sollte BWL-Grundkenntnisse, einen guten Steuerberater und ein vernünftiges Kassensystem besitzen. Alles, was im Hintergrund eines Betriebs abläuft, muss mit verschiedenen Tools professionalisiert werden, um in kein Chaos zu gelangen. Man darf außerdem keine Angst vor Veränderungen, besonders der Digitalisierung, haben: Die neue Technik muss man sich zum Freund machen und in jeglichen Bereichen einsetzen, um Abläufe zu optimieren.”
Natürlich klingt das aufwändig und vor allem zeit- und kostenintensiv. Aber niemand hat gesagt, dass das Führen eines Restaurants ein Spaziergang ist.
“Wehrt euch nicht gegen Digitalisierung! Kennt eure Zahlen, macht monatlich Inventuren!”
Wer das befolgt, wird nicht auf der Strecke bleiben und kann eine unnötige Insolvenz verhindern. Und dann gilt nur noch: Tun, was man liebt und mit Herz und Authentizität bei der Sache sein.
Abschließen wollen wir mit den emotionalen Worten einer Gastronomin, die ihre Branche nicht zugrunde gehen sehen möchte und mit voller Leidenschaft und Herzensblut für sie kämpft:
“Den Leuten muss bewusst werden, wie wichtig die Gastronomie ist und was auf dem Spiel steht, wenn diese zu Bruch geht.”