Grégoire Berger: „Es reicht nicht, nur mit dem Gaumen zu genießen!“
Das Parfum der ersten Freundin. Das Gefühl jenes Moments, an dem man seinen Traumpartner getroffen hat. Oder der Augenblick, als Oma die Lieblingsspeise serviert. Wir alle haben solche, meist verschüttete, Erinnerungen, sagt Grégoire Berger. Und sieht seine Aufgabe als Chef darin, eben diese mit seinen Kochkünsten aus den Tiefen unseres Unterbewusstseins emporzuholen, um sie unserem Bewusstsein wieder zugänglich zu machen.
Das Parfum der ersten Freundin. Das Gefühl jenes Moments, an dem man seinen Traumpartner getroffen hat. Oder der Augenblick, als Oma die Lieblingsspeise serviert. Wir alle haben solche, meist verschüttete, Erinnerungen, sagt Grégoire Berger. Und sieht seine Aufgabe als Chef darin, eben diese mit seinen Kochkünsten aus den Tiefen unseres Unterbewusstseins emporzuholen, um sie unserem Bewusstsein wieder zugänglich zu machen.
Inwiefern dieses Sprachbild mit der Arbeitsstätte des 36-jährigen Chefs aus der Bretagne zu tun hat, lässt sich nicht restlos klären. Tatsache aber ist, dass Grégoire Berger seit inzwischen acht Jahren unter der Wasseroberfläche Gänge serviert, die regelmäßig international Wellen schlagen. Im Ossiano in Dubai beweist er Konstanz, Eleganz und vor allem ein besonderes Gespür für jene Produkte, die das ihn täglich umgebende Meer zu bieten hat. Viele gute Gründe also für Martin Klein, den Franzosen als Juli-Gastkoch in den Hangar-7 zu bitten. Zumal Berger bei der ersten Ausgabe des Guide Michelin Dubai auch gleich einen Stern einsammeln konnte.
Ich will bei den Gästen möglichst viele Sinne aktivieren.
Grégoire Berger über sein kulinarisches Ziel
Ein Stern mit Schattenseiten
Eine im Vergleich zu den eingangs erwähnten nostalgischen noch recht frische Erinnerung – die den Dekorierten selbst allerdings mehr wurmt als freut. „Klar, der Stern ist schön“, murrt er. „Aber wenn ich ehrlich bin, hab ich mir schon mehr erwartet.“ Eine Wahrnehmung, die offenbar auch seine Stammgäste teilen – in den sozialen Netzwerken wurde das dem Starkoch auch sehr eindrücklich kundgetan. Balsam auf der Seele, keine Frage. Und „meine Motivation, das nächste Mal eben den zweiten Stern zu holen“, sagt der Meisterkoch. Nachsatz: „Am Ende geht es mir doch bloß darum, meine Gäste glücklich zu machen. Ihnen Emotionen zu vermitteln.“
Am liebsten eben fast schon vergessene Empfindungen wieder hochkochen zu lassen. Ein Unterfangen, das dem Ossiano-Chef vor allem deshalb gelingt, weil er sich nicht bloß auf die Sinneswahrnehmung der Geschmackszellen verlässt. „Es reicht nicht, nur mit dem Gaumen zu genießen“, postuliert er. „Ich will, dass meine Gäste die Gerichte mit möglichst vielen ihrer Sinne erfassen können.“ Deshalb kommt etwa seine Langustine mit einem Meeressalatpesto und einer Kartoffel auf den Tisch, die einem Felsbrocken gleicht. „Wenn der Teller serviert wird, sieht man zuerst die Küste, dann kann man sie riechen und schließlich schmecken“, erzählt Berger voller Begeisterung von drei Sinnen, die allein so schon angesprochen werden.
Der vierte passiert im Unterwassertempel in Dubai schlichtweg durch die Location – man hört das Meer um sich herum rauschen. Apropos Gehör: Wie man Genuss ins Ohr bringt, treibt den Perfektionisten seit Jahren um. „Dabei geht es mir keineswegs darum, wie sich das Beißgeräusch anhört“, sagt er. Vielmehr versucht er Klangteppiche zu erzeugen, die seine Speisen buchstäblich untermalen. Extremstes Beispiel: Um ein Muschelgericht aus seiner französischen Heimat zu intensivieren, sammelte er Hunderte Sounds der Bretagne, mischte sie am Computer und servierte sie quasi als stimmungsvolle Beilage. Hintergrund der „sinn-vollen“ Zugaben: Je mehr Sensorien aktiviert werden, umso eher werden eben tief liegende Empfindungen und Erinnerungen an die Oberfläche gespült.
Wie geht Nachhaltigkeit in Dubai?
Doch Grégoire Berger geht es nicht nur in Sachen Erinnerungen um Nachhaltigkeit. Als Vater von zwei Töchtern ist es ihm naturgemäß wichtig, sich daran zu beteiligen, den beiden eine möglichst schöne Welt zu hinterlassen. Preisfrage: Wie soll das im künstlich angelegten Wüstenstaat Dubai möglich sein? Berger: „Man muss ganz ehrlich sagen: Dubai und Nachhaltigkeit? Das geht nicht zusammen. Das heißt aber für mich nicht, dass es nicht Wege gibt, sich dem Thema zu widmen!“ Abgesehen von Tellern, die aus reycelten Flaschen hergestellt werden, einer ambitionierten Zero-Waste-Politik in der Küche und möglichst nachhaltigem Einkauf von Produkten setzt der Spitzenkoch vor allem auf eine besondere Form der Bewusstseinsbildung.
„Wir servieren etwa eine Shrimp-Vorspeise auf einem durchsichtigen Würfel, der aus Plastik gemacht ist, das wir aus dem Meer gefischt haben“, erzählt Berger. Das Shrimp soll zudem daran erinnern, dass Mikroplastik ein echtes Problemthema ist – es wird vor allem von diesen Meerestieren aufgenommen. „Wir können vielleicht nicht so nachhaltig kochen wie in meiner Heimat, aber wir können das Thema in einer Region, in der es besonderes wichtig ist, dennoch auf den Teller bringen!“
Ein Thema, das für den gebürtigen Franzosen nicht ganz einfach ist, wie er auch selbst zugibt. Schließlich ist sein kulinarisches Gewissen in einem alten Steinhaus in der Bretagne verwurzelt. „Das Haus meiner Oma. Es ist meine persönliche nostalgische Erinnerung,“ sagt Grégoire Berger. Hier lehrte ihn seine Großmutter die Wertigkeit von Regionalität und lokalen Produkten.
„Sie hat mir als Wegweiser gedient, um Chef zu werden“, sagt ihr Enkel heute stolz. Das war zu einer Zeit, als das einmalige Konzept des Ikarus im Hangar-7 gerade erst das Licht der kulinarischen Welt erblickte. „Ich war 16 Jahre alt“, erinnert sich der heutige Gastkoch. „Dementsprechend stolz bin ich, von Martin Klein
eingeladen worden zu sein.“ Und nach einer Pause der Nachdenklichkeit fügt Berger an: „Das sind Dinge, für die ich dankbar bin. Dankbarkeit ist, glaube ich, die wichtigste Zutat in unserem Leben, um glücklich sein zu können.“
Nachhaltigkeit und Dubai? Das geht kaum zusammen.
Grégoire Berger über seine größte Herausforderung
Tiefgang abseits des Pass
Was abseits der wunderbaren Teller, die Grégoire Berger im Juli in Österreich serviert, offensichtlich wird: Der Mann hat nicht nur Essen im Kopf, sondern auch Tiefgang zu bieten. „Reflexion ist auch ein Aspekt, den ich den Menschen mitgeben möchte. Ich will ja, dass sie nicht nur alte Erinnerungen wieder entdecken, sondern dass sie über diese auch nachdenken!“ Kulinarik mit therapeutischem Ansatz also? Keineswegs, sagt Berger. Vielmehr die Möglichkeit zu inspirieren. Denn eben das ist genau das, worum es ihm geht. Schlusssatz: „Deshalb hätte ich genauso gut Autor oder Musiker werden können. Dass ich Koch wurde, war einfach nur Zufall. Denn am Ende ist es egal, wie ich meine Geschichten loswerde. Hauptsache, ich kann sie erzählen.“