Das große Restaurant ist ein Theater.
Die graue Eminenz. Der Meister aller Klassen. Der Mann, der die Kochkunst revolutionierte. Der wichtigste Koch des Jahrhunderts. Alles Attribute, die ihm eigen sind: Paul Bocuse im Interview mit Rolling Pin.
Einstein zeigte der klassischen Physik die Zunge. Freud unterzog die Psychologie einer Analyse. Kennedy mutierte zum trotzigen Berliner. Legenden des 20. Jahrhunderts. Ein Jahrhundert, in dem sich so manches wandelte. Nicht nur die Landkarte der Welt, das gesamte Denken. So wie Einstein, Freud und Kennedy Politik und Wissenschaft des 20. Jahrhunderts prägten, so sehr drückte Paul Bocuse der Kulinarik seinen Stempel auf. Der Erfinder der nouvelle cuisine gilt bis heute als Revolutionär der klassischen Küche und als Botschafter der modernen französischen Kochkunst.
Schreibt man einen Artikel über Paul Bocuse, so ist man anfangs immer geneigt, eine ehrfürchtige, leicht
Die graue Eminenz. Der Meister aller Klassen. Der Mann, der die Kochkunst revolutionierte. Der wichtigste Koch des Jahrhunderts. Alles Attribute, die ihm eigen sind: Paul Bocuse im Interview mit Rolling Pin.
Einstein zeigte der klassischen Physik die Zunge. Freud unterzog die Psychologie einer Analyse. Kennedy mutierte zum trotzigen Berliner. Legenden des 20. Jahrhunderts. Ein Jahrhundert, in dem sich so manches wandelte. Nicht nur die Landkarte der Welt, das gesamte Denken. So wie Einstein, Freud und Kennedy Politik und Wissenschaft des 20. Jahrhunderts prägten, so sehr drückte Paul Bocuse der Kulinarik seinen Stempel auf. Der Erfinder der nouvelle cuisine gilt bis heute als Revolutionär der klassischen Küche und als Botschafter der modernen französischen Kochkunst.
Schreibt man einen Artikel über Paul Bocuse, so ist man anfangs immer geneigt, eine ehrfürchtige, leicht gebückte, fast schon untertänige Haltung anzunehmen. Zu erdrückend sind die Lobeshymnen, die preisenden Worte, die fast schon religiöse Verehrung, die in den letzten 30 Jahren ihren Weg aufs Papier fanden. Besinnt man sich dann des journalistischen Gebotes der Objektivität und betrachtet das Phänomen Bocuse neutral, so erhält man das Bild eines Mannes, der kein Papst ist, erst recht kein Gott, aber jemand, der zur rechten Zeit am rechten Ort Großes geleistet hat – eine Eigenschaft, die ihn mit den Großen der Geschichte verbindet.
Seine kulinarische Karriere wurde Paul Bocuse schon in die Wiege gelegt. Er wurde am 11. Februar 1926 in Collonges-au Mont-d’Or als Sohn einer Familie großer Köche geboren. Seit dem 17. Jahrhundert war diese Tradition vom Vater zum Sohn weitergegeben worden. Nach der Lehre bei Claude Maret im Restaurant de la Soierie in Lyon meldete er sich 1944 als Freiwilliger zur französischen Armee und erhielt für seine Tapferkeit das französische Kriegsverdienstkreuz.
Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte er seine Lehre bei Mère Brazier in Col de la Luère fort, war dann acht lange Jahre bei Ferdinand, Point à Vienne, tätig und kehrte 1956 in den elterlichen Betrieb zurück. Nach dem Tod seines Vaters im Jahr 1959 führte er den Betrieb in seinem Geburtsort bei Lyon weiter und erkochte für die „Auberge Paul Bocuse“ prompt den ersten Michelin-Stern. Nachdem er 1961 beim „Concours du Meilleur Ouvrier de France“ („Bester Arbeiter Frankreichs“) in der Sparte der Köche reüssierte, folgte 1962 der zweite Michelin-Stern, und 1965 kam die endgültige Weihung: Der dritte Michelin-Stern krönte seine enorme Leistung.
VERHEIßUNG ODER MISSVERSTÄNDNIS?
Von da an stand dem ambitionierten Kochkünstler nichts mehr im Wege: 1975 wurde er vom Präsidenten der Republik, Giscard d`Estaing, zum Ritter der Ehrenlegion ernannt. Bocuse bedankte sich mit einem fünfgängigen Menü für den Präsidenten und dessen Gäste, bei dem er erstmals seine berühmte Trüffelsuppe servierte. Damals verkündete er auch sein Credo, das unter dem Namen „nouvelle cuisine“ Weltruhm erlangte. Bocuse bot leichte Kost mit viel Gemüse und Kräutern an – nicht mehr und nicht weniger. Schick, wie die Sache zu sein schien, wurde er alsbald kopiert – und nicht minder oft missverstanden. Die Portionen standen in indirekter Proportion zum Namen des Gerichts und zu dessen Preis, und Bocuse – ob dieses Irrweges verärgert – tat alsbald die berühmte Aussage, die nouvelle cuisine sei „Säuglingsnahrung für Esser ohne Appetit“.
Nichtsdestotrotz folgte 1982 die Eröffnung des „Pavillon de France“ im Epcot Center Orlando, USA, mit Roger Vergé und Gaston Lenôtre. Und von da an kannten die Ehrungen schier keine Grenzen mehr: 1987 wurde Paul Bocuse zum Offizier der Ehrenlegion ernannt, und 1989 folgte die Ernennung zum „Koch des Jahrhunderts“ durch Gault Millau. Sein Restaurant wurde 1989 und 1990 von „The Rich and Famous World’s Best“ als „Erstes Restaurant der Welt“ bewertet, und im selben Jahr wurde er Eurotoques-Präsident und Ehrenpräsident der Fachschule für Gastronomie und Hotellerie in Ecully. In seinem 1990 erschienenen Buch „Cuisine de France“ machte er nochmals deutlich, dass die ideale Küche eine bodenständige Küche sei, die sich auf frische Produkte vom Markt stütze, die sich nach den Jahreszeiten richte und regionale Traditionen hervorhebe. Damals fielen die letzten Jünger vom Glauben an die „nouvelle cuisine“ ab.
Die Auszeichnungen rissen aber auch weiterhin nicht ab: 1993 wurde er zum „Officier de mérite national“ ernannt, 1994 erhielt er die „Salute to Excellence Awards“ am Chicago College of Diplomates, und im Jahre 2000 wurde er „Commander of the National Merit“ von New York. Nach all diesen Ehrungen widmete sich Paul Bocuse der Eröffnung der „Brasserie Argenson“ in Gerland in Lyon (2002), der Brasserie „L’Ouest“ in Lyon (2003) – die logische Ergänzung der bestehenden Brasserien „Le Nord“, „Le Sud“ und „L´Est“ – sowie der Gründung der „Paul Bocuse Stiftung für die Weitergabe des kulinarischen Erbes und Fachwissens“ (2004). Ein bisschen Zeit blieb ihm auch noch, um am 10. Juni 2004 zum „Vorsitzenden der Ehrenlegion“ ernannt zu werden.
DAS VERMÄCHTNIS
„Ich mache weiter, bis ich 90 bin“, verkündete Bocuse anlässlich seines 75. Geburtstages im Jahre 2001. In zwei Jahren wird der Grandseigneur 80 Jahre alt, und wir wünschen ihm, dass dieser Wunsch in Erfüllung geht! Dennoch drängt sich die Frage auf: Was hat Paul Bocuse wirklich verändert? Paul Bocuse hat aus seinem kleinen Restaurant in der Nähe von Lyon ein kulinarisches Imperium geschaffen, das allein in Frankreich rund 235 Angestellte hat. Er ist nicht nur Autor zahlreicher erfolgreicher Bücher, die in 9 Sprachen und 14 Ländern veröffentlicht wurden – rund um den Globus tragen Restaurants, Delikatessenläden und Bäckereien seinen Namen. Senf, Obstschnäpse, Teekannen, Topflappen, Eierbecher und zahllose andere Produkte werden unter seinem Namen vermarktet. In Sachen Essen kommt an „Monsieur Paul“ niemand vorbei – dafür sorgt nicht zuletzt der ultimative Kochwettbewerb, der natürlich auch seinen Namen trägt: „Bocuse d’Or“.
Und sonst? Er hat zweifelsfrei Großes für das Ansehen des Kochberufs geleistet: Bevor Bocuse auftauchte, waren Köche banale Küchenangestellte – seit dieser Mann am Herd steht, hat die Gastronomie ihren eigenen Starkult. Selbst nimmt er den Kochlöffel allerdings nur noch selten in die Hand – längst lässt er andere für sich kochen. Für diesen Zweck hat er allein in seinem Gourmettempel in Collonges-au Mont-d’Or bei Lyon vier Küchenchefs, die allesamt ebenfalls schon Träger des Ehrentitels „Meilleur Ouvrier de France“ („Bester Arbeiter Frankreichs“) sind. Wer das Lokal besucht, das seit 1965 mit drei Michelin-Sternen ausgezeichnet ist und in dem die berühmte Trüffelsuppe über 70 Euro (!) kostet, bekommt eine Ahnung davon, was Starkult bedeutet: Nicht nur, dass der Gourmettempel permanent ausgebucht ist – er ist auch über und über voll mit des Meisters Konterfei, und auf dem Weg zur Toilette hängt sogar eine Version von Leonardo da Vincis „Letztem Abendmahl“ – die Fotomontage zeigt befreundete Küchenchefs, die sich um den Heiland gruppieren – und wer das ist, dürfte klar sein….
Paul Bocuse ist ein großer Freund des Champagners, wenngleich er bei weitem nicht so viel davon konsumiert wie sein einstiger Lehrherr, Fernand Point, der es auf mehrere Flaschen pro Tag gebracht haben soll. Er kümmert sich bis heute um den Einkauf für sein Lokal, schießt Wildenten auf seinen Jagdgütern oder schaut in seinem zwei Hektar großen Garten nach dem Gemüse, Kardonen beispielsweise – das sind Distelpflanzen, die mit den Artischocken verwandt sind. Er hat zwei Kinder, Francoise und Jérôme, und führt ansonsten ein „ganz normales“ Familienleben. Und in manchen Belangen gleichen auch die Großen der Geschichte uns Normalsterblichen: „Die nouvelle cuisine ist Babynahrung für Gäste ohne Appetit“, sagte er und gestand damit – im Gegensatz zum Vorbild auf dem Gemälde – einen Irrtum ein…
PAUL BOCUSE IM ORIGINAL
Rolling Pin: Seit vier Jahrzehnten halten Sie in Ihrem Restaurant in Collonges-au Mont-d’ Or drei Michelin-Sterne. Wie schaffen Sie das?
Paul Bocuse: Das ist kein Geheimnis. Wichtig sind eigentlich nur drei Faktoren: Strenge Disziplin, Topmitarbeiter und natürlich die besten Produkte.
RP: Sie sind der Pate der „nouvelle cuisine“. Welchen Einfluss hatte diese auf die heutige gehobene europäische Küche?
PB: Sicherlich einen nicht unbedeutenden. Und aufgrund meines Alters – ich bin bald 80 Jahre alt – kann ich noch viel von meiner beruflichen Erfahrung an die jüngeren Generationen weitergeben.
RP: Welchen Weg geht die französische Küche? In welche Richtung entwickelt sich die europäische Küche?
PB: Es gibt eine junge Generation von hochtalentierten Küchenchefs, die ihren Beitrag zur Qualität der französischen Küche leisten. Wir sollten unsere kulinarische und unsere kulturelle Identität einfach nicht verlieren. Die Idee, dass sich die Küche permanent weiterentwickelt, erfüllt mich mit Skeptik. Jean Troisgros, der ein äußerst kreativer Küchenchef ist, sagte einst, dass man sich wirklich glücklich schätzen kann, wenn man ein bis zwei Gerichte in seinem Leben kreiert hat.
Die Gäste erwarten sich immer mehr und mehr in den Restaurants, um ihre Ruhe zu finden und um dem Stressfaktor im täglichen Leben entgegenzuwirken. Diese Entwicklung alleine ist schon ausreichend für eine verstärkte Tendenz in Richtung einer klassischen Küche. Das gebe ich meinen Mitarbeitern immer wieder zu Verstehen.
RP: Wird es in 50 Jahren noch Nationalküchen geben?
PB: Ich bin weder ein Prophet noch Nostradamus! Unser Berufsstand wandelt sich, in aller Munde ist ja auch das Schlagwort „Wandel der Zeit“. In welche Richtung sich die gehobene Gastronomie entwickelt, kann ich auch nicht voraussehen.
RP: Ist die Brasserie das Restaurant der Zukunft?
PB: In den Vereinigten Staaten, wo ich regelmäßig bin, konnte ich feststellen, dass alle Luxusrestaurants Verschiedenes zu Mittag und am Abend anbieten, natürlich auch mit einem Preisunterschied. Der Mittagsgast sucht und findet ein einfaches, günstigeres und schnelleres Gericht. Ich glaube an die Brasserie, und mein Sohn, der in den Vereinigten Staaten arbeitet, wird dort die französische Brasserie bekannt machen, nicht aber die typischen Bocuse-Restaurants.
RP: Sie sind der unbestrittene Papst der abendländischen Küche. Welche Ziele hat man noch in dieser Position?
PB: Ich bin nicht nur eine Museumsfigur – und ich finde diesen Ausdruck keineswegs negativ besetzt –, sondern auch äußerst zukunftsorientiert. All meine Projekte, die zu meinem Restaurant in Collonges dazugekommen sind, all diese Ideen, die ich in den letzten Jahren verwirklichte und in nächster Zukunft noch plane, beanspruchen meine Zeit. All meine Unternehmungen entwickeln sich weiter und weiter und sind, mit einem Wort, „sehr lebendig“.
Mit meiner Mannschaft, die mir sehr wertvoll ist, habe ich die Brasserien Nord, Sud, Est und Ouest eröffnet, Restaurants mit völlig unterschiedlichem Charakter. Der Norden ist beispielsweise ein traditionelles Restaurant, während der Süden ein viel zeitgenössischeres und feminineres Lokal ist. Es gibt ja auch unterschiedliche Gäste. Insgesamt wurde mein Unternehmen ja um fünf Brasserien vergrößert, und demnächst eröffne ich ein Schnellrestaurant, in dem man für 8,- vorzüglich speisen kann.
RP: Führen Sie Ihre anderen Aktivitäten fort?
PB: Das Restaurant in Orlando läuft immer sehr gut, und in Japan haben wir 14 Bäckereien sowie zwei Restaurants, eines in Osaka und eines in Tokio. Der Vertrag, den ich mit Mum für sechs große Wohltätigkeitsbankette in den USA habe, erlaubt mir, die französische Küche zu fördern, besser: den Bekanntheitsgrad der französischen Küche zu erhöhen. Und meinen Vertrag mit Danone für die frische Küche erfülle ich gerne, denn schließlich unterstützt diese Firma die École d’ Ecully. Sie sehen: Mein Leben ist sehr abwechslungsreich, und so soll es auch in Zukunft bleiben!
DIE ERFOLGREICHSTEN BÜCHER:
Die Neue Küche. Das Kochkunstbuch vom König der Köche. (1979)
Bocuse à la carte. Französisch kochen mit dem Meister. (1985)
Bon Appétit. Mein Meisterwerk. (1988)
Kochen und Backen mit Paul Bocuse. (1990)
Paul Bocuse in Ihrer Küche (1991)
Das Paul Bocuse
Standard-Kochbuch. (1995)
DIE GRIFFIGSTEN ZITATE:
„Das große Restaurant ist ein Theater.“
„Kochen ist keine Kunst, sondern ein Handwerk, das man in harter Arbeit erlernt.“
„Die nouvelle cuisine ist Babynahrung für Gäste ohne Appetit.“
„Bei der nouvelle cuisine war nur viel auf der Rechnung und nichts auf dem Teller.“
„Erfunden haben die nouvelle cuisine eigentlich die Journalisten Henri Gault und Christian Millau, indem sie forderten jeden Tag etwas Neues zu essen.“
„Die ideale Küche ist eine bodenständige Küche, die sich auf frische Produkte vom Markt stützt, die sich nach den Jahreszeiten richtet und regionale Traditionen hervorhebt.“
„Beim Essen ist es wie bei der Musik – für alles gibt es ein Publikum.“