Captain Future
Fotos: Wolfgang Hummer
Vom Essen im Flugzeug mag man halten, was man möchte. Aber eines ist sicher: Besser essen lässt es sich definitiv mit Blick auf die Flugzeuge. Vor allem in Stuttgart. Denn dort befindet sich Europas einziges Flughafen-Sternerestaurant. Und das bereits seit 20 Jahren. Die Hälfte davon, also seit mittlerweile zehn Jahren, sitzt Claudio Urru als Chef de Cui-sine am kulinarischen Schalthebel des restaurants top air.
1984 eröffnet und 1991 in den neu gebauten Terminal 1 integriert, steht der gebürtige Esslinger mit italienisch-griechischen Wurzeln, Claudio Urru, das erste Mal 1995 als Chef de Partie im top air am Herd. Unter Rainer Sigg arbeitet er sich in drei Jahren zum Souschef hin-auf und übernimmt schließlich 2002 selbst das Ruder. Es sind sein Biss und das Immer-einen-Schritt-Weiterdenken, die Unternehmer Claus Wöllhaf, einer der größten Dienstleister auf deutschen Flughäfen und Betreiber des top air, überzeugen, dem noch unbekannten Talent die Chance zu geben, an die Michelin-Erfolgsgeschichte seiner drei Vorgänger anzuknüpfen. Urru begeistert und hält den Stern.
Am Anfang noch etwas verschwommen…
Fotos: Wolfgang Hummer
Vom Essen im Flugzeug mag man halten, was man möchte. Aber eines ist sicher: Besser essen lässt es sich definitiv mit Blick auf die Flugzeuge. Vor allem in Stuttgart. Denn dort befindet sich Europas einziges Flughafen-Sternerestaurant. Und das bereits seit 20 Jahren. Die Hälfte davon, also seit mittlerweile zehn Jahren, sitzt Claudio Urru als Chef de Cui-sine am kulinarischen Schalthebel des restaurants top air.
1984 eröffnet und 1991 in den neu gebauten Terminal 1 integriert, steht der gebürtige Esslinger mit italienisch-griechischen Wurzeln, Claudio Urru, das erste Mal 1995 als Chef de Partie im top air am Herd. Unter Rainer Sigg arbeitet er sich in drei Jahren zum Souschef hin-auf und übernimmt schließlich 2002 selbst das Ruder. Es sind sein Biss und das Immer-einen-Schritt-Weiterdenken, die Unternehmer Claus Wöllhaf, einer der größten Dienstleister auf deutschen Flughäfen und Betreiber des top air, überzeugen, dem noch unbekannten Talent die Chance zu geben, an die Michelin-Erfolgsgeschichte seiner drei Vorgänger anzuknüpfen. Urru begeistert und hält den Stern.
Am Anfang noch etwas verschwommen, doch mit der Zeit nimmt die Handschrift den so typischen Stil des heute 40-Jährigen an: Vorwiegend im Mediterranen angesiedelt, spielt Urru mit Konsistenzen, Texturen und kombiniert Klassiker mit einem ungewohnten Aromenspiel. So setzt er gerade den klassischen Schweinsbraten als Amuse-Gueule komplett neu zusammen: Schweinekinn wird mit Kümmel und anderen Gewürzen sous-vide-gegart, Dunkelbier dehydriert und als zusätzliche Textur serviert er getrockneten Bierschaum in einer Konsistenz, die am ehesten mit knusprigem Zwieback zu vergleichen ist. Leicht süß-salziges Kümmelkrokant und eine Karottencreme mit Buttermilch und Kümmel runden diese Neu-Positionierung eines Klassikers ab. „Die Dosierung der Komponenten ist das, was mich reizt. Herauszubekommen, welche Produkte gut harmonisieren, ist nicht die Schwierigkeit.
Dass Kirschen, Pfeffer und Salbei zu Reh und Leber passen zum Beispiel oder Heilbutt zu Kohlrabi und Litschi. Die Kunst ist, die Portionierung am Teller so hinzubekommen, dass es im Gesamten wirklich Sinn ergibt.“ Nach Schichtende, wenn seine Frau und Kinder im Bett sind, beginnt für Urru der eigentliche Kreativprozess. Das Equipment dazu: die iTunes-Playlist mit Linkin Park und auf dem Tisch jede Menge Kochbücher. „Ich lese einfach.
Manchmal braucht es Tage, bis aus einer spontanen Eingebung ein gedanklich fundiertes Gerüst entsteht.“ Bis die Idee dann aber schlussendlich den Weg auf die Karte findet, vergeht einige Zeit. So wie bei der Kombination aus Entenleber und Schokolade. „Jetzt serviere ich sie mit tasmanischem Pfeffer und einer Grand-Cru-Schokolade. Die findet sich dann auch als salziges Schokogelee im Gericht wieder.“ Mit seiner drei Mann starken Brigade geht Urru jedes Gericht Handgriff für Handgriff durch, bespricht und tüftelt. Bis die perfekte Zutat gefunden wird, in diesem Fall Alpaco, eine dunkle Kuvertüre mit 66 Prozent Kakaoanteil von Valrhona.
Trotz immensen Ideenpools steht für Urru allerdings eine Sache im Vordergrund: „Man darf den Gast bei aller Kreativität und Enthusiasmus nicht überfordern. Er muss verstehen, was ich da auf den Teller bringe. Zu kochen, um mich damit selbst zu beweihräuchern, wäre aus unternehmerischer Sicht Selbstmord.“ Was Urru hingegen fordert, ist back to basic: „Das Geilste ist immer die Natur.
Ich will keine Es in meiner Küche. Womit ich im Moment echt gerne arbeite, ist eine Paste aus dem Weißen der Zitrone, das gemeinsam mit Wasser zu einem geschmacksneutralen Bindemittel wird.“ Denn das spielt in eine Leidenschaft von Urru: Pürees. „Ich mag das, wenn ich eine abartig gute Konsistenz hinbekomme und dabei die Reinheit des Geschmackes nicht verfälscht wird.“ Ein weiteres Steckenpferd von Urru sind Garmethoden. „Klar, Sous-vide koche ich auch, aber alles in einen Beutel zu schmeißen, kann nicht die Quintessenz sein.“ Auch für die beigelegten Tabellenangaben für Temperatur und Zeit hat Urru wenig Verständnis. „Man muss sich doch auskennen und wissen, wie hoch der Kollagenanteil im Fleisch ist.
Wer das auf die konventionelle Art nicht schafft, hat definitiv Nachholbedarf.“ Dass Urru die klassischen Kochtechniken auf Autopilot hinbekommt, liegt an seiner ebenso klassischen, fundierten, jedoch wenig aufregenden Lehrzeit. Die absolvierte er im Hotel am Schinderbuckel in Filderstadt, machte Station in der Alten Stadtmühle in Lörrach, aber auch auf der Wielandshöhe bei Vincent Klink (Wielandshöhe) und unter Martin Öxle in der Speisemeisterei in Stuttgart Halt. Nur, bei den ganz großen Namen war er nie. „Bei einer Neuausschreibung würde ich am Papier wohl gegen Leute, die Wissler, Bau oder Wohlfahrt im CV haben, verlieren. Aber ich habe den großen Vorteil, dass ich mir das meiste selbst erarbeitet habe. Außerdem punkte ich menschlich.“
Nicht, dass Urru vorhätte, das top air zu verlassen, im Gegenteil, der Vater zweier Söhne sieht noch Ausbaumöglichkeiten im Sterne-Restaurant. Vor allem beim Mittagsgeschäft ist seiner Meinung nach noch Platz nach oben. Am Abend ist das Flughafenrestaurant mit 45 Plätzen gut gebucht. „Warum es auf großen Flughäfen nicht mehr Restaurants gibt, die den Michelin-Stern in Angriff nehmen, verstehe ich nicht. Mit der richtigen Konzeption ist dieses Ziel erreichbar. Aber eigentlich bin ich froh, denn so hat das top air ein ganz besonderes Standing in Europa.“
WORDRAP
Persönliche Fragen, kurz und bündig beantwortet. Hier verrät Claudio Urru, dass er auf Geschwindigkeit steht – und auf die Lasagne seiner Mama.
Doch die einzigartige Lage des Restaurants im Non-Aviation-Bereich eines Flughafens birgt auch Risiko-Pozential: Denn obwohl jährlich über neun Millionen Passagiere in Stuttgart befördert werden und somit die Zahl der potenziellen Laufkundschaft täglich bei knapp 25.000 liegt, braucht es Stammpublikum. Deswegen ist Urru auch darauf bedacht, im Restaurant präsent zu sein, sich selbst als Marke zu positionieren. „Gäste bindet man nur durch eine persönliche Beziehung. Deswegen bin ich auch einer zum Anfassen, bin sehr viel präsent und widme jedem Tisch genügend Aufmerksamkeit.
Das ist Teil des Business und davon lebe ich.“ Wer Stammgast ist, der bekommt die Speisekarte nur pro forma an den Tisch gebracht, denn für bekannte und bekennende Wiederholungstäter gibt es eigentlich keine Karte. „Christian Bau hat das Carte Blanche genannt, bei mir funktioniert dieses Schema genau gleich. Ich frage nach Unverträglichkeiten und Abneigungen – und dann koche ich mit den Produkten, die gerade am besten sind.“ Eine Philosophie, die Urru noch tiefer aufgreifen möchte und die aufgeht: Ein Stammgast hat sich mit der Vergoldung eines gravierten Löffels bei Urru bedankt.
Kerosin liegt am Stuttgarter Flughafen nicht nur in der Luft, auch durch die Adern von dem selbst ernannten Geschwindigkeitsjunkie fließt Treibstoff. Keine Minute vergeht, in der er sich nicht zu verbessern versucht. Stillstand kennt er nicht, wenn er etwas erreichen möchte, dann bekommt er es auch. Nicht, weil Urru mit dem Kopf durch die Wand brettert, sondern weil er Überzeugungsarbeitet leistet. Konstant, auf hoher Flamme und ohne dabei abzuheben. Das machen schon die Gäste im restaurant top air.
Jahr der Jubiläen
Gefeiert wird immer
Das restaurant top air ist das einzige Restaurant in Europa, das im Non-Aviation-Bereich eines Flughafens auf Sterneniveau operiert. Gerade erhielt Claudio Urru für seine Leistung das zehnte Mal in Folge die begehrte Auszeichnug des Guide Michelin, und das kurz vor seinem 40 Geburtstag. Für das top air war es insgesamt das zwanzigste Mal in Folge, dass ihm diese Auszeichnung verliehen wurde. Nicht nur das Essen ist hier einzigartig, auch der Ausblick: Vom Gastraum hat man direkten Blick auf die Start- und Landebahn sowie die Schwäbische Alb.
Restaurant top air
D-70629 Stuttgart Airport
Tel.: +49 (0) 711/948 21 37
info@restaurant-top-air.de
www.restaurant-top-air.de