Avantgarde Entrümpler
Fotos: Wolfgang Hummer, Shutterstock
Dass der gemeine Homo sapiens sich zeit seines Lebens von einem Vorurteil zum nächsten hantelt, ist keineswegs eine evolutionäre Laune oder, schlimmer noch, eine schlicht fiese charakterliche Ausprägung. Objekte, Ereignisse und Vorstellungen in Kategorien zu stecken, hilft uns vielmehr dabei, die Welt zu ordnen. Die Orientierung zu behalten. Danach strebt ein Großteil der Menschheit, weil er wohl im tiefsten Grunde seines Herzens gar nicht so wahnsinnig auf Überraschungen steht. Ein gewisses Maß an kategorischer Verwirrung muss jedenfalls in Kauf nehmen, wer herausfinden möchte, was ein 22-Jähriger namens Harald Irka da an einer der Gourmetjournaille durchaus bekannten südoststeirischen Adresse wirklich treibt. Konkret am von sämtlichen Gourmetkritikern schonungslos abgefeierten Herd der Saziani Stub’n in Straden.
An Mythen, die sich um seine galaktische Performance ebenda rankten, mangelte es ja in den vergangenen zwölf Monaten nicht. Österreichs Antwort auf René Redzepi sei Irka, ließ irgendjemand mal die Öffentlichkeit wissen. Unweigerlich taten sich diffuse Bilder von zähen Tannenwipfeln, in die man seine Zähne würde schlagen müssen, auf. Von bis zur Unkenntlichkeit reduziert angerichteten Tellern, leicht angekokelten Wiesenkräutern, rohen fermentierten Hühnermägen. Sonderlich gesprächig sei er auch nicht, ein bisschen…
Fotos: Wolfgang Hummer, Shutterstock
Dass der gemeine Homo sapiens sich zeit seines Lebens von einem Vorurteil zum nächsten hantelt, ist keineswegs eine evolutionäre Laune oder, schlimmer noch, eine schlicht fiese charakterliche Ausprägung. Objekte, Ereignisse und Vorstellungen in Kategorien zu stecken, hilft uns vielmehr dabei, die Welt zu ordnen. Die Orientierung zu behalten. Danach strebt ein Großteil der Menschheit, weil er wohl im tiefsten Grunde seines Herzens gar nicht so wahnsinnig auf Überraschungen steht. Ein gewisses Maß an kategorischer Verwirrung muss jedenfalls in Kauf nehmen, wer herausfinden möchte, was ein 22-Jähriger namens Harald Irka da an einer der Gourmetjournaille durchaus bekannten südoststeirischen Adresse wirklich treibt. Konkret am von sämtlichen Gourmetkritikern schonungslos abgefeierten Herd der Saziani Stub’n in Straden.
An Mythen, die sich um seine galaktische Performance ebenda rankten, mangelte es ja in den vergangenen zwölf Monaten nicht. Österreichs Antwort auf René Redzepi sei Irka, ließ irgendjemand mal die Öffentlichkeit wissen. Unweigerlich taten sich diffuse Bilder von zähen Tannenwipfeln, in die man seine Zähne würde schlagen müssen, auf. Von bis zur Unkenntlichkeit reduziert angerichteten Tellern, leicht angekokelten Wiesenkräutern, rohen fermentierten Hühnermägen. Sonderlich gesprächig sei er auch nicht, ein bisschen sehr schüchtern, mit einem Kapperl-Tick und Emo-Frisur. Und immer wieder die Frage: Kann ein 20-Jähriger, der von Saziani-Patron Albert Neumeister frisch von der Hotelfachschule Bad Leonfelden eingefangen wurde und innerhalb eines Jahres vom Commis zum Sous Chef zum Küchenchef aufsteigt, wirklich schon eine reife, ausgegorene Leistung auf den Teller bringen?
Er kann. Aber wie? „Jedenfalls nicht so wie René Redzepi“, betont Irka. Mit dem Vergleich, sagt der gebürtige Oberösterreicher, konnte er nie sonderlich viel anfangen. Eigenständigkeit sei ihm wichtig, und für die totale Reduktion auf dem Teller sei er außerdem ein wenig zu verspielt drauf. Frei nach dem Motto: Es tut nicht weh, wenn’s schön ist. Wenn man diese ganz eigene Idee wirklich guten Essens, die Harald Irka entwickelt hat, verstehen will, muss man in erster Linie verstehen, dass hier ein junger Mann am Werk ist, der in vielerlei Hinsicht ein bisschen aus dem Rahmen fällt.
Daran ist nichts sonderlich Mystisches, es ist einfach eine Tatsache. Irka, der die Hotelfachschule in der zweiten Klasse eigentlich „gerne geschmissen hätte, weil die Arbeitszeiten und dieses ganze Hotelfach mich eher abgeschreckt haben“, verfügt schlicht und ergreifend über ein Set an Eigenschaften, das in der Gastronomie Seltenheitswert besitzt. Insbesondere eine außerordentliche Portion Mut. Nicht nur, aber auch, weil er den Posten, dem ihm Albert Neumeister angesichts des nahenden Abgangs des damaligen Saziani-Küchenchefs Nikolaas Sillem anbot, angenommen hat. „Ich hab sehr lange darüber nachgedacht, um ehrlich zu sein“, gesteht Irka, „aber weniger aufgrund meines damaligen Alters, sondern weil ich ein eher ruhiger Typ bin, und ich war nicht sicher, wie sich das mit dieser Position vertragen würde. Aber na ja, dann hab ich es halt einfach gemacht.“
Putz und Stingl, Herz und Nieren
Was Irka macht – und auch das erfordert in der österreichischen Spitzengastronomielandschaft durchaus ein wenig Chuzpe – ist, Innereien, Milchprodukten und Gemüse einen fast gleichwertig hohen Stellenwert auf der Saziani-Karte einzuräumen. Geräuchertes, geschäumtes Schweinehirn erreicht einen da ganz selbstverständlich als Gruß aus der Küche, auch beim Gemüse setzt Irka auf nose-to-tail, besser gesagt leaf-to-stem. So ist kein Teil der Brunnenkresse in Irkas Küche vor Verwertung sicher, Stängel wie Blätter finden als Öl, Saft, Pesto oder Eis ihre kulinarische Bestimmung. Seine Sicherheit im Umgang mit stilistischen Zitaten ist bemerkenswert, das Kreativpotenzial des Quasi-Autodidakten Irka scheint unerschöpflich. Gefühlte 1000 Arten, etwas so vermeintlich Einfaches wie Schafsjoghurt in Form zu bringen oder die ganz und gar nicht bescheidenen Möglichkeiten einer Schwarzwurzel auszuloten, hat der von einer beneidenswerten spielerischen Freude am Werk Geprägte in seinem Repertoire.
In seinen Entscheidungen, was und wie er kocht, ist der jüngste 2-Hauben-Koch Österreichs übrigens völlig autark. „Dem Herrn Neumeister ist nur wichtig, dass am Ende des Monats der Wareneinsatz stimmt, sonst habe ich total freie Hand.“ Und so nimmt er auch ganz selbstverständlich davon Abstand, lokale kulinarische Aushängeschilder à la Vulcano-Schinken, Mangalica-Schwein oder steirisches Kürbiskernöl in seine Kreationen einzubringen. „Das gibt es hier an jeder Ecke“, meint Irka, „ich sehe also keinen Grund, auch mit diesen Produkten zu arbeiten.“ Das sei allerdings nicht so zu verstehen, dass er regionalem Produkt-Sourcing nichts abgewinnen könne, setzt er nach. „Wenn ich ein Produkt in der Umgebung bekommen kann und weiß, dass die Qualität stimmt, etwa bei Obst und Gemüse, bevorzuge ich das natürlich. Wir versuchen, so gut wie alle Basisprodukte zumindest aus Österreich zu beziehen, und das gelingt ganz gut.“
Regionalität und Saisonalität seien es auch, die ihn an der skandinavischen Küche faszinieren, erzählt er, aber wenn man ihn fragt, welcher internationale Koch ihn denn nun wirklich am meisten beeindruckt, antwortet er, ohne zu zögern: „Michel Bras. Und die Wahrheit ist doch, dass Redzepi oder Magnus Nilsson ja auch auf dem aufgebaut haben und aufbauen, was Michel Bras in Gang gesetzt hat.“ Mit Magnus Nilsson weilte Irka übrigens gerade eine Woche lang auf den Färöer-Inseln, „so eine Cook-it-raw-Geschichte, wo es vor allem um Fermentationstechniken ging, die auf den Inseln eine große Tradition haben“, schwärmt er von seiner etwas anderen Stage. Räuchern, Fermentieren, Grillen – in der Küche der Saziani Stub’n lässt der Wunderknabe nichts aus, was der Geschmackssache zuträglich ist. Fermentierte Zwetschken sind aktuell im Programm.
Dass es jedenfalls auch sehr viel tollkühner geht, bewies Irka einst mit fermentiertem Lammbauch. „Den habe ich faschiert, und durch den Fermentationsprozess hat er dann die Konsistenz von Leberkäse bekommen. Dann hab ich ihn über Holzkohle gegrillt und fertig!“ Dass es diese Sturm-und-Drang-Kreation nicht ganz nach oben in der Gunst der Gäste geschafft hat, nimmt Irka locker. Es gebe halt immer noch die eine oder andere Hemmschwelle, die zu überwinden er seinen Gästen helfen möchte, sagt er. Angesichts der Furchtlosigkeit davor, den Begriff der Avantgarde von ihrem Mief zu befreien und ihm eine leichtfüßige, neue Bedeutung zu geben sowie der Fähigkeiten, mit denen Harald Irka ausgestattet ist, darf man sich entspannt zurücklehnen. Wem, wenn nicht ihm, sollte das gelingen …