Aufschrei im hohen Norden – Skandinaviens Kochgötter
Fotos: Michael Bang, Ricky John Molloy, noma, Jens Hoejberg, Magnus Skoglöf, Mathias Dahlgren Grand Hôtel Stockholm, Bocuse d‘Or, beigestellt
Es hat sich abgezeichnet. Am deutlichsten bereits 2008 bei der Europa-Ausscheidung zum weltgrößten Kochwettbewerb, dem „Bocuse d’Or“, in Stavanger: Fünf skandinavische Länder unter den Top-6-Nationen. Die Großmacht Frankreich geschlagen auf Platz vier hinter dem Sieger Norwegen (Geir Skeie, Mathuset Solvold), Dänemark (Jasper Kure, Catering Company VIP) und Schweden (Jonas Lundgren, Bagatelle).
In dieser Schlagart ging es weiter: Norwegen stürzte die stolzen Franzosen auch im „Bocuse d’Or“-Finale in Lyon 2009 von Platz 1. In diesem Jahr setzte sich…
Fotos: Michael Bang, Ricky John Molloy, noma, Jens Hoejberg, Magnus Skoglöf, Mathias Dahlgren Grand Hôtel Stockholm, Bocuse d‘Or, beigestellt
Es hat sich abgezeichnet. Am deutlichsten bereits 2008 bei der Europa-Ausscheidung zum weltgrößten Kochwettbewerb, dem „Bocuse d’Or“, in Stavanger: Fünf skandinavische Länder unter den Top-6-Nationen. Die Großmacht Frankreich geschlagen auf Platz vier hinter dem Sieger Norwegen (Geir Skeie, Mathuset Solvold), Dänemark (Jasper Kure, Catering Company VIP) und Schweden (Jonas Lundgren, Bagatelle).
In dieser Schlagart ging es weiter: Norwegen stürzte die stolzen Franzosen auch im „Bocuse d’Or“-Finale in Lyon 2009 von Platz 1. In diesem Jahr setzte sich Dänemark bei der Europa-Ausscheidung in Genf an die Spitze. Der endgültige Beweis der skandinavischem Machtdemonstration: sechs nordische Nationen unter den besten acht. Fast zeitgleich löste der Kopenhagener René Redzepi den Spanier Ferran Adrià in der renommierten „San Pellegrino Liste“ von Platz 1 ab.
Der Vorreiter
Thomas Rode Andersen
Der 42-jährige Kopenhagener Sternekoch ist nicht nur der Lehrherr von René Redzepi, sondern auch der heimliche Anführer der nordischen Küchenbewegung. Thomas Rode Andersen will keinen internationalen Trends hinterherhecheln und lebt die nordische Revolution, indem er eigene Trends setzt. In seinem Restaurant „Kong Hans Kælder“, dem „hottest place in town“, bastelt der smarte Däne an immer neuen Kreationen. Seit Neuestem versucht sich Andersen auch als Autor und schrieb ein Kochbuch mit dem originellen Titel „En Kogebog“, übersetzt: „Ein Kochbuch“.
www.konghans.dk
Kein kulinarisches Bewusstsein
Die Stärke der Skandinavier: Im Vergleich zu den Franzosen hatten sie kein eigenes kulinarisches Bewusstsein. Dieses Faktum bestätigt auch Thomas Rode Andersen, Sternekoch im Kopenhagener Restaurant „Kong Hans Kælder“ und Lehrherr von René Redzepi: „Nicht nur Frankreich, auch Ungarn oder Italien haben eine gas-tronomische Kultur, die eng mit ihrem Land verbunden ist. Diese mussten wir uns erst anlernen.“ Andersen gilt mit seinen erst 42 Jahren als heimlicher Anführer dieser Bewegung, die nicht mehr länger internationalen Trends hinterherhecheln wollte. „Ja, es ist wahr. Wir erleben eine schöne, kleine Revolution“. Das sagt auch Erwin Lauterbach, 2006 zum „Koch der Köche“ Dänemarks gewählt. „Godfather“ nennen ihn die jungen Wilden um Redzepi. Weil der „Pate“ der Erste war, der sich traute, von einer „neuen nordischen Küche“ zu predigen, als es sie noch gar nicht gab. „Die Jungen bringen uns zurück zu unseren Wurzeln. Wir lernen wieder, was Geschmack ist.“
Auch Redzepi sagt heute: „Wenn in Restaurants nur noch Physalis aus Venezuela oder Kobe-Rind aus Japan auf die Teller kommt, vergisst man leicht, was bei uns vor der Haustüre wächst und wie man es zubereitet.“
Zwölf Köche aus sechs nordischen Nationen forderten 2003 eine neue, regional orientierte Küche. Rein sollte sie sein, frisch und einfach. Ausschließlich Rohwaren aus Skandinavien verwenden und, wenn möglich, Altes mit Neuem verbinden. Und wieder Lust machen auf Essen. Auf das Abenteuer Geschmack. Das „Manifest für eine neue nordische Küche“, eine Art Geburtsurkunde war geboren. Der Ausgangspunkt der kulinarischen Revolution. So konnte etwas völlig Neues entstehen. Ganz einfach deshalb, weil es keine Altlasten gab.
Der Kreativ-Junky
Mads Refslund
In den letzten zehn Jahren erarbeitete sich Mads Refslund den Ruf als einer der besten Köche des Nordens. In seinem Restaurant „MR“, das über dem ältesten Pub Kopenhagens liegt, verzaubert er verwöhnte Gaumen immer wieder aufs Neue. Mit René Redzepi verbindet ihn nicht nur eine enge Freundschaft, sondern auch der Wille, die nordische Küche wiederzubeleben und zur Gourmetküche schlechthin zu machen.
www.mr-restaurant.dk
Deutschlands Gourmetkritiker Jürgen Dollase prägte dazu den Begriff der „Nova Regio Küche“. Wie Andersen in Dänemark reizten etwa Magnus Ek (Oaxen Krog) in Schweden oder 2-Sterne-Koch Hans Välimäki (Chez Dominique) in Finnland diesen Stil immer weiter aus. Bei Välimäki zum Beispiel spielt die geographische Nähe zu Russland bereits eine wesentliche Rolle in seiner Küche: Elch, Rentier, Bär, Fisch und allerlei Beeren der Tundra finden sich auf seiner Karte wieder. Välimäki, Ek und Redzepi sprechen im Oktober anlässlich des Symposiums „CHEF-SACHE“ (24. und 25. Oktober, Köln) zur visionären skandinavischen Avantgarde.
Der Bocuse d’Or-Sieger
Geir Skeie
Mit seinen gerade mal 30 Jahren gewann der Norweger Geir Skeie den bedeutendsten Kochwettbewerb weltweit: den Bocuse d’Or. Mit seiner innovative Küche reiht er sich nahtlos in den Olymp der großen nordischen Küchengötter ein. Sein vor Kurzem veröffentlichtes Kochbuch erzählt von seiner Liebe zur nordischen Küche und seinem Ehrgeiz, immer besser zu werden. Im November 2010 will er schließlich auch sein eigenes Restaurant namens „Brygga 11“ eröffnen.
www.geirskeie.no
Welch kulinarische Kraft man in Zukunft aus dem hohen Norden noch erwarten darf, zeigt, dass die Jungen um René Redzepi längst nachrücken. Thomas Herman ist so ein Typ, von dem man noch einiges hören wird. Auch er hat seine Zelte in Kopenhagen aufgeschlagen und serviert in seinem Restaurant „The Herman“ zum Beispiel Jakobsmuscheln mit Eierschwammerln samt aromatisiertem Kamille-Nebel.
Der Top-Star
René Redzepi
Der 1977 geborene Kopenhagener ist Herr über die Küche des weltweit besten Restaurants. Das „noma“ belegt den ehrwürdigen Platz 1 in der renommierten „The World’s Best 50 Restaurants“-Liste und verdrängt somit niemand Geringeren als Ferran Adrià, Patron des „elBulli“ von der Spitze. Redzepi gilt als Speerspitze einer neuen Generation von Köchen, die sich der nordischen Küche voll und ganz verschrieben hat.
www.noma.dk
Als einer der kreativsten Köpfe gilt auch Mads Refslund. Wieder einer aus Kopenhagen. Gemeinsam mit Redzepi hat er das „noma“ erdacht. Unter Insidern gilt Refslund als das kulinarische Hirn in Redzepis „noma“. Nun machte sich der Jungspund aber mit seinem „MA“ selbstständig und heimste wie selbstverständlich den ersten Michelinstern ein. Obwohl: Mit dem wichtigsten aller Gourmetführer haben die Skandinavier noch eine Rechnung offen. Obwohl das „noma“ international als das beste Restaurant der Welt gehandelt wird und die nordische Küche als revolutionär gilt, wartet man vergebens auf das erste 3-Sterne-Restaurant. „Dieser Meilenstein wird aber unvermeidlich sein. In spätestens ein bis zwei Jahren ist es soweit“, meint Andersen.
Schwedens Nummer 1
Mathias Dahlgren
Von Brot und Butter inspiriert, hat sich der 1969 in Schweden geborene Bauernsohn in die Riege der besten Küchenmeister gekocht. Sein 2007 eröffnetes Restaurant „Mathias Dahlgren“ im Grand Hôtel Stockholm darf sich bereits mit zwei Michelin-Sternen schmücken und ist somit das erst zweite schwedische Restaurant, dem diese Auszeichnung zuteil wird. Seine Küche präsentiert die schwedischen Grundprodukte in einem ganz neuen Licht.
www.mathiasdahlgren.com
Millionenschwere PR
Natürlich sind sich die Skandinavier bewusst darüber, dass visionär kochen allein nicht genügt, sondern dass weltweit auch die PR-Maschinerie ausgefahren werden muss, um auf sich aufmerksam zu machen. Investiert wird vor allem in den „Bocuse d’Or“, für den eine Nation wie Schweden oder Norwegen ein Millionen-Budget springen lässt. Die Sponsoren dahinter sind zum einen der Staat und zum anderen Produzenten, die um die große Chance wissen Ihre Produkte so international vermarkten zu können. Die „Bocuse d‘Or“-Teilnehmer können sich mit Sponsorengeldern monatelang auf den Wettbewerb in aller Professionalität vorbereiten. Dem letztjährigen Sieger Geir Skeie baute man sogar einen eigenen Wohnwagen mit Original-Wettbewerbsküche, damit er auf Reisen trainieren kann.