Alajmo-Brüder: Zwei außer Rand und Band

Durchgeknallte Italiener: Die Alajmo-Brüder ­erobern mit ihrer 3-Sterne-pizza Europa wie im Sturm und lassen die ­italienische Küche selbst in Paris zum Hype werden.
September 24, 2018 | Text: Georges Desrues | Fotos: Marco Peruzzo, Sergio Coimbra, beigestellt

Durchaus möglich, dass die alles andere als bezaubernde Lage ihres Stammhauses der Grund dafür ist, dass die Alajmo-Brüder anderenorts in Europa Lokale an grandiosen Orten und in prachtvollen Räumlichkeiten eröffnen. Tatsächlich liegt das 3-Sterne-Restaurant Le Calandre in einem ziemlich unattraktiven Vorort von Padua, umgeben von Einkaufszentren, Einrichtungshäusern und Baumärkten – und vor allem direkt an einer mehrspurigen und viel befahrenen Ausfallstraße.
Alajmo-Brüder
Doch das Restaurant war schon seit mehreren Generationen im Besitz der Familie, als Massimiliano Alajmo – genannt Max – im Jahr 1994 den Posten des Küchenchefs von seiner Mutter übernahm. Und gleichzeitig sein älterer Bruder Raffaele – genannt Raff – als Geschäftsführer antrat. Den ersten Michelin-Stern hatten bereits die Eltern der beiden erobert. Der zweite folgte unter der Führung der Brüder im Jahr 1997. Und der dritte schließlich 2002. Zu dem Zeitpunkt war Max gerade einmal 28 Jahre alt und der jüngste Koch überhaupt, der jemals die Höchstwertung im prestigereichsten unter den Lokalführern dieser Welt ergattern konnte.

Inzwischen haben die Brüder langsam, aber sicher ein kleines Gastro-Imperium aufgebaut, das aus neun Lokalen besteht, acht davon in Italien und eines in Frankreich. Bereits im Jahr 2011 wurde das geradezu mythische Traditionslokal Caffè Quadri am Markusplatz in Venedig erstanden. Und drei Jahre später eine ehemalige Druckerei in Paris, die man zu einem Café-Restaurant umbaute. Während sich das Stammhaus in Sarmeola di Rubano bei Padua wegen besagter unvorteilhafter Lage fensterlos und eher nach innen orientiert präsentiert, setzen die beiden Lokale in Paris und Venedig gekonnt ihre jeweils spektakuläre Location sowie ihr opulentes Interieur in Szene.

Hauptsache, es schmeckt

„Als wir das Quadri damals übernommen haben, hat man uns gesagt: Ihr seid doch verrückt – ein Lokal mitten am Markusplatz, das kann doch nicht gut gehen. Worauf ich dann immer antwortete: Na wir sind doch auch verrückt genug, ein 3-Sterne-Restaurant an einer Ausfallstraße in Rubano zu betreiben“, erzählt Küchenchef Max Alajmo und lacht. Genau wie im Fall des Cafés Stern in Paris wurde auch das Interieur des Quadri vom französischen Stardesigner Philippe Starck umgestaltet, der den beiden äußerst geschichtsträchtigen Räumlichkeiten ganz offensichtlich und bewusst eine surrealistische Atmosphäre verpassen wollte. Beim venezianischen Lokal war das erst im Frühjahr dieses Jahres der Fall, weswegen es im April zu einem Relaunch kam.

„Zu einer Renovierung des Quadri haben wir uns entschlossen, weil die Stuckatur im Erdgeschoss über die Jahre sehr gelitten hatte und wir der Auffassung waren, dass es an der Zeit wäre, den originalen Glanz des Ortes in einem zeitgenössischen Umfeld wiederherzustellen“, erklärt Raffaele Alajmo, der Geschäftsführer der Restaurantgruppe, der wegen seiner Körperfülle und seines dichten Vollbartes optisch stark an den verstorbenen Publikumsliebling Bud Spencer erinnert. Genau genommen unterteilt sich das Lokal in drei Bereiche. Nämlich in das elegante Ristorante Quadri im ersten Stock, in das einfachere Quadrino im Erdgeschoss und in das Grancaffè Quadri, welches die mächtige Café-Terrasse inmitten der Pracht des Markusplatzes sowie das Quadrino außerhalb der Küchenzeiten umfasst, wenn statt Speisen nur Kaffee und Kuchen, Drinks und Aperitif-Häppchen serviert werden.

Handchoped Piemontese Beef
Handchoped Piemontese Beef

Am ambitioniertesten zeigt sich die Küche Max Alajmos naturgemäß im ersten Stock. Diesen erreicht man über eine Treppe, über der ein ausgestopfter Löwe mit Flügeln hängt, der unschwer als Verweis auf das Wahrzeichen Venedigs zu erkennen ist, den gleichfalls beflügelten Markus-Löwen. Das Ambiente ist gediegen, die Murano-Lüster prachtvoll, der Ausblick auf den Platz geradezu atemberaubend. Der Küchenstil indessen versteht sich – genau wie jener der anderen Lokale der Alajmo-Brüder – als eine Neuinterpretation der traditionellen italienischen Küche. „Nur dass er stärker inspiriert ist von Venedig, das gewissermaßen den Rahmen bildet für das Lokal“, erklärt der Chefkoch, „hier bieten wir Gerichte an, die sich an den kulinarischen Traditionen dieser außergewöhnlichen Stadt orientieren, etwa an der Lagune, ihren Fischen und Meeresfrüchten, die täglich vom Rialto-Markt hergebracht werden.“

Fine-Dine in vier Akten

Am deutlichsten drückt sich das in dem Menü namens „Quattro Atti“, also „Vier Akte“, aus. Dieses besteht aus ebenso vielen Gängen, die sich aus verschiedenen Gerichten zusammensetzen, welche jedes Mal im Zentrum des Tisches platziert und von den Gästen geteilt werden. Darunter finden sich etwa die berühmten violetten Artischocken aus Sant’Erasmo, der Gemüseinsel Venedigs. Oder die breiten Paccheri-Nudeln mit Pistaziensauce sowie rohem Fisch und Muscheln aus der Lagune. Gelungene Referenzen an zwei der berühmtesten Spezialitäten der Stadt sind auch die Kalbsleber auf venezianische Art mit Balsam-Essig oder der Tintenfisch in seiner Tinte mit Polenta. Auch im Caffè Stern in Paris setzen die Alajmos vorwiegend auf neu interpretierte Klassiker der italienischen Küche, obgleich man meinen könnte, dass Letztgenannte hier eher unter die exotischen Kochstile zu zählen wäre.

„Das stimmt so nicht ganz“, sagt Giovanni Alajmo, Sohn von Raffaele und Geschäftsführer des Café-Restaurants, „italienische Restaurants haben in Paris eine sehr lange Tradition und sind hier zurzeit gerade, wie die italienische Küche im Allgemeinen, äußerst angesagt.“ Also betritt man auch in Paris ein prachtvoll gestaltetes Lokal, das in diesem Fall in den erhabenen Räumlichkeiten einer ehemaligen Kunstdruckerei untergebracht ist. Und sich in einer dieser stimmungsvollen überdachten Pariser Passagen aus dem 19. Jahrhundert befindet, von denen einige bis heute bestehen.
Spaß muss sein: ­Scarpetta al Pomodoro heißt übersetzt so viel wie Pantoffel mit Tomate.
Spaß muss sein: ­Scarpetta al Pomodoro heißt übersetzt so viel wie Pantoffel mit Tomate.
„Hier kann man bereits ab 9:30 Uhr einen gepflegten Cappuccino trinken, dazu ein Brioche essen und später auf einen Aperol-Spritz mit Cicchetti, also den typisch venezianischen Häppchen, zurückkehren“, erklärt der junge Geschäftsführer. Mittags wie abends indessen werden Gerichte aufgetischt wie beispielsweise Lasagne mit Wiesenkräutern, frischen Erbsen und Ragout vom Ziegenkitz. Oder Makkaroni alla puttanesca mit Ventresca vom Thunfisch. Das Ganze zubereitet von Küchenchef Denis Patuzzi, der zuvor im Le Calandre und im Quadri tätig war und somit für Einheit im Stil sorgt.

Durchaus möglich, dass die alles andere als bezaubernde Lage ihres Stammhauses der Grund dafür ist, dass die Alajmo-Brüder anderenorts in Europa Lokale an grandiosen Orten und in prachtvollen Räumlichkeiten eröffnen. Tatsächlich liegt das 3-Sterne-Restaurant Le Calandre in einem ziemlich unattraktiven Vorort von Padua, umgeben von Einkaufszentren, Einrichtungshäusern und Baumärkten – und vor allem direkt an einer mehrspurigen und viel befahrenen Ausfallstraße.
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Doch das Restaurant war schon seit mehreren Generationen im Besitz der Familie, als Massimiliano Alajmo – genannt Max – im Jahr 1994 den Posten des Küchenchefs von seiner Mutter übernahm. Und gleichzeitig sein älterer Bruder Raffaele – genannt Raff – als Geschäftsführer antrat. Den ersten Michelin-Stern hatten bereits die Eltern der beiden erobert. Der zweite folgte unter der Führung der Brüder im Jahr 1997. Und der dritte schließlich 2002. Zu dem Zeitpunkt war Max gerade einmal 28 Jahre alt und der jüngste Koch überhaupt, der jemals die Höchstwertung im prestigereichsten unter den Lokalführern dieser Welt ergattern konnte.

Inzwischen haben die Brüder langsam, aber sicher ein kleines Gastro-Imperium aufgebaut, das aus neun Lokalen besteht, acht davon in Italien und eines in Frankreich. Bereits im Jahr 2011 wurde das geradezu mythische Traditionslokal Caffè Quadri am Markusplatz in Venedig erstanden. Und drei Jahre später eine ehemalige Druckerei in Paris, die man zu einem Café-Restaurant umbaute. Während sich das Stammhaus in Sarmeola di Rubano bei Padua wegen besagter unvorteilhafter Lage fensterlos und eher nach innen orientiert präsentiert, setzen die beiden Lokale in Paris und Venedig gekonnt ihre jeweils spektakuläre Location sowie ihr opulentes Interieur in Szene.

Hauptsache, es schmeckt

„Als wir das Quadri damals übernommen haben, hat man uns gesagt: Ihr seid doch verrückt – ein Lokal mitten am Markusplatz, das kann doch nicht gut gehen. Worauf ich dann immer antwortete: Na wir sind doch auch verrückt genug, ein 3-Sterne-Restaurant an einer Ausfallstraße in Rubano zu betreiben“, erzählt Küchenchef Max Alajmo und lacht. Genau wie im Fall des Cafés Stern in Paris wurde auch das Interieur des Quadri vom französischen Stardesigner Philippe Starck umgestaltet, der den beiden äußerst geschichtsträchtigen Räumlichkeiten ganz offensichtlich und bewusst eine surrealistische Atmosphäre verpassen wollte. Beim venezianischen Lokal war das erst im Frühjahr dieses Jahres der Fall, weswegen es im April zu einem Relaunch kam.

„Zu einer Renovierung des Quadri haben wir uns entschlossen, weil die Stuckatur im Erdgeschoss über die Jahre sehr gelitten hatte und wir der Auffassung waren, dass es an der Zeit wäre, den originalen Glanz des Ortes in einem zeitgenössischen Umfeld wiederherzustellen“, erklärt Raffaele Alajmo, der Geschäftsführer der Restaurantgruppe, der wegen seiner Körperfülle und seines dichten Vollbartes optisch stark an den verstorbenen Publikumsliebling Bud Spencer erinnert. Genau genommen unterteilt sich das Lokal in drei Bereiche. Nämlich in das elegante Ristorante Quadri im ersten Stock, in das einfachere Quadrino im Erdgeschoss und in das Grancaffè Quadri, welches die mächtige Café-Terrasse inmitten der Pracht des Markusplatzes sowie das Quadrino außerhalb der Küchenzeiten umfasst, wenn statt Speisen nur Kaffee und Kuchen, Drinks und Aperitif-Häppchen serviert werden.
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Handchoped Piemontese Beef
Am ambitioniertesten zeigt sich die Küche Max Alajmos naturgemäß im ersten Stock. Diesen erreicht man über eine Treppe, über der ein ausgestopfter Löwe mit Flügeln hängt, der unschwer als Verweis auf das Wahrzeichen Venedigs zu erkennen ist, den gleichfalls beflügelten Markus-Löwen. Das Ambiente ist gediegen, die Murano-Lüster prachtvoll, der Ausblick auf den Platz geradezu atemberaubend. Der Küchenstil indessen versteht sich – genau wie jener der anderen Lokale der Alajmo-Brüder – als eine Neuinterpretation der traditionellen italienischen Küche. „Nur dass er stärker inspiriert ist von Venedig, das gewissermaßen den Rahmen bildet für das Lokal“, erklärt der Chefkoch, „hier bieten wir Gerichte an, die sich an den kulinarischen Traditionen dieser außergewöhnlichen Stadt orientieren, etwa an der Lagune, ihren Fischen und Meeresfrüchten, die täglich vom Rialto-Markt hergebracht werden.“

Fine-Dine in vier Akten

Am deutlichsten drückt sich das in dem Menü namens „Quattro Atti“, also „Vier Akte“, aus. Dieses besteht aus ebenso vielen Gängen, die sich aus verschiedenen Gerichten zusammensetzen, welche jedes Mal im Zentrum des Tisches platziert und von den Gästen geteilt werden. Darunter finden sich etwa die berühmten violetten Artischocken aus Sant’Erasmo, der Gemüseinsel Venedigs. Oder die breiten Paccheri-Nudeln mit Pistaziensauce sowie rohem Fisch und Muscheln aus der Lagune. Gelungene Referenzen an zwei der berühmtesten Spezialitäten der Stadt sind auch die Kalbsleber auf venezianische Art mit Balsam-Essig oder der Tintenfisch in seiner Tinte mit Polenta. Auch im Caffè Stern in Paris setzen die Alajmos vorwiegend auf neu interpretierte Klassiker der italienischen Küche, obgleich man meinen könnte, dass Letztgenannte hier eher unter die exotischen Kochstile zu zählen wäre.

„Das stimmt so nicht ganz“, sagt Giovanni Alajmo, Sohn von Raffaele und Geschäftsführer des Café-Restaurants, „italienische Restaurants haben in Paris eine sehr lange Tradition und sind hier zurzeit gerade, wie die italienische Küche im Allgemeinen, äußerst angesagt.“ Also betritt man auch in Paris ein prachtvoll gestaltetes Lokal, das in diesem Fall in den erhabenen Räumlichkeiten einer ehemaligen Kunstdruckerei untergebracht ist. Und sich in einer dieser stimmungsvollen überdachten Pariser Passagen aus dem 19. Jahrhundert befindet, von denen einige bis heute bestehen.

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Spaß muss sein: ­Scarpetta al Pomodoro heißt übersetzt so viel wie Pantoffel mit Tomate.

„Hier kann man bereits ab 9:30 Uhr einen gepflegten Cappuccino trinken, dazu ein Brioche essen und später auf einen Aperol-Spritz mit Cicchetti, also den typisch venezianischen Häppchen, zurückkehren“, erklärt der junge Geschäftsführer. Mittags wie abends indessen werden Gerichte aufgetischt wie beispielsweise Lasagne mit Wiesenkräutern, frischen Erbsen und Ragout vom Ziegenkitz. Oder Makkaroni alla puttanesca mit Ventresca vom Thunfisch. Das Ganze zubereitet von Küchenchef Denis Patuzzi, der zuvor im Le Calandre und im Quadri tätig war und somit für Einheit im Stil sorgt.

Über das Leitmotiv seiner Küche, das sich durch alle Lokale zieht, sagt Küchenchef Max Alajmo: „Als Koch verstehe ich mich als Diener der Zutaten, also auch ohne einen allzu technischen Zugang, der sich im Unterschied dazu der Zutaten nur bedienen würde. Ich verstehe meine Küche als leicht, als tiefgründig und fließend. Fließend in dem Sinn, dass jede Zutat eines Gerichts ihren Teil dazu beitragen muss, um einen harmonischen Eindruck eines fließenden Erlebnisses zu vermitteln.“ So versteht der Maestro auch eines seiner Signature-Dishes, nämlich die gedämpfte Pizza, deren aufwendig gebackener Teig derart leicht und luftig zu sein hat, dass er den Belag unterstützt, anstatt ihn zu unterdrücken.

„Die Pizza habe ich stets als eine der bedeutendsten Zubereitungsarten der großen italienischen Küche betrachtet“, fährt Alajmo fort, „vergleichbar etwa mit Sushi, Tofu oder Tempura in der japanischen Küche. Dort können diese Zubereitungsformen genauso gut alleine stehen, wie sie in eine harmonische Abfolge eines Kaiseki-Menüs integriert werden können. Gleiches mache ich mit der Pizza.“ Diese 3-Sterne-Pizza serviert er in dem vor einigen Jahren neu gestalteten Speisesaal des Le Calandre bei Padua. Während draußen die Autos vorbeiziehen, betritt man hier einen dunklen, aber durchaus einladenden Raum.

Es regiert ein zeitgenössischer und puristischer Stil, bei dem im Unterschied zu den beiden Lokalen in Paris und Venedig keinerlei Rücksicht genommen werden musste auf Vorhandenes oder Denkmalschutz. „Im Le Calandre haben wir versucht, eine Atmosphäre zu schaffen, die dem Gast das Gefühl vermittelt, zu Hause zu sein“, sagt Max Alajmo, „jedes vorhandene Element, vom Tisch über die Gläser, das Besteck, die Beleuchtung, trägt zu einem multisensorisches Erlebnis bei, das sich von der Küche bis hin zur Verkostung erstreckt.

Womit der Rahmen und der Speiseraum zu einem Teil dessen werden, was das Gericht ausmacht.“ Und das funktioniert offenbar ebenso gut im wenig charmanten Stammhaus in Rubano wie in den historischen Lokalen in Paris und Venedig. Und hoffentlich genauso in den beiden Lokalen, die die Brüder noch vor Ende des Jahres in Mailand und Marrakesch eröffnen werden. Wo genau die Lokale sein werden und in welchem Rahmen –­ das wird zurzeit allerdings noch geheim gehalten.
www.alajmo.it

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