Wie Jaime Lieberman und Jon Giraldo Barcelona aufwirbeln

Vor wenigen Jahren haben Jaime Lieberman und Jon Giraldo noch Unterwäsche verkauft. Jetzt spielen sie mit anderen Reizen: In Barcelona mischen die Shootingstars aus dem Spoonik die Gastro-Szene mit Ideen auf, die alle fünf Sinne erfassen.
August 2, 2019 | Text: Alexandra Polic | Fotos: Raphael Gabauer, Spoonik, Ovnew Restaurant
Jaime Lieberman und Jon Giraldo sind die Kapitäne unseres Raumschiffes. Sie werden dich durch die Urküche der fünf Kontinente führen“, verkünden die Macher von Ovnew, einem neuen Lokal in Barcelona, das mehr einem Raumschiff als einem Restaurant ähnelt. Das Konzept ist aber auch ein wenig abgespaced: Gäste speisen hier in einer Kuppel hundert Meter über dem Boden.
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Partners in Crime: Jaime Lieberman und Jon Giraldo lassen es in Barcelona kulinarisch krachen.

In einer Skulptur, die Algen simuliert, essen die Besucher einen geräucherten Fisch, der in Bananenblätter gewickelt und in Holzkohle gekocht wird. Im Hintergrund hört man den Fluss, die Vögel, die Brise zwischen den Bäumen. Indianer singen dem Regen zu, und der Geist des Waldes tanzt um sie herum. Die Lichter werden grün wie die Dschungelwelt. Die Gäste, die längst in diese ganz andere Welt eingetaucht sind, essen den Fisch mit ihren bloßen

Jaime Lieberman und Jon Giraldo sind die Kapitäne unseres Raumschiffes. Sie werden dich durch die Urküche der fünf Kontinente führen“, verkünden die Macher von Ovnew, einem neuen Lokal in Barcelona, das mehr einem Raumschiff als einem Restaurant ähnelt. Das Konzept ist aber auch ein wenig abgespaced: Gäste speisen hier in einer Kuppel hundert Meter über dem Boden.
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Partners in Crime: Jaime Lieberman und Jon Giraldo lassen es in Barcelona kulinarisch krachen.
In einer Skulptur, die Algen simuliert, essen die Besucher einen geräucherten Fisch, der in Bananenblätter gewickelt und in Holzkohle gekocht wird. Im Hintergrund hört man den Fluss, die Vögel, die Brise zwischen den Bäumen. Indianer singen dem Regen zu, und der Geist des Waldes tanzt um sie herum. Die Lichter werden grün wie die Dschungelwelt. Die Gäste, die längst in diese ganz andere Welt eingetaucht sind, essen den Fisch mit ihren bloßen Händen, von denen Amazonas-Fruchtsaucen tropfen. Das Ovnew wird zum Amazonas. Jeder Zentimeter des Lokals, jeder einzelne Mensch scheint eine eigene Aufgabe zu haben.

Wir wussten, dass wir in unserem Wohnzimmer keine Auszeichnungen bekommen würden.
Das Spoonik entsteht in Giraldos Haus – und deswegen frei von Vorgaben der Kritiker

Hinter dem Spektakel stecken die beiden anfangs vorgestellten Kapitäne Lieberman und Giraldo. Sie tragen weiße Kochjacken und Kunststoffbrillen, die fluoreszieren. Wie in Trance blicken sie starr aus ihrem Raumschiff, das mittlerweile leer ist, wie angefesselt harren sie aus. Viel sieht man ihnen nicht mehr an von dem Leben, das sie einst führten.

Wirklich einzigartig

Jaime Lieberman kommt aus Kolumbien, eigentlich ist er gelernter Fotograf. Jon Giraldo, ein Kolumbianer, wollte sein Geld früher als Anwalt verdienen. Aber in der Gerechtigkeitsliga findet er keinen Job, dafür findet er Lieberman. Im Dezember 2003 lernen sie sich bei einer Party in Barcelona kennen. 19 und 20 Jahre alt sind sie damals. Giraldo war gerade nach Spanien gekommen, Lieberman schon zwei Jahre da.
Schon kurz darauf entsteht ihre erste Geschäftsidee. Damals ging es allerdings noch um Unterwäsche. In Südamerika gibt es da nämlich eine Marke, die sich „Único“ nennt: einzigartig. Ihre Gründer haben erkannt, dass nicht jeder Mann gleich geschnitten ist. Mit der Produktion von passgerechte(re)n Boxern & Co hat das Unternehmen einen offenbar gigantisch großen Nischenmarkt entdeckt – und gefüllt.
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Das verrückte Küchen-Duo Lieberman und Giraldo lebt in einer ganz eigenen Gastro-Welt – und das höchst erfolgreich.
Giraldo besaß bereits einige Modelle, Lieberman wollte welche haben. „Also haben wir bei der Firma angerufen, um zum bestmöglichen Preis einzukaufen“, erzählt er. „Als wir gefragt haben, wer die Unterwäsche in Europa vertreibt, haben sie uns angeboten, dass wir das machen könnten.“ Die beiden überlegten nicht lange und begannen, Unmengen an Männerunterhosen aus Kolumbien zu importieren. Damit machten sie ein kleines Vermögen: So viel Geld verdienten sie, dass sie nach ein paar Jahren beschlossen, ihr Leben mit dem Ersparten noch einmal komplett umzukrempeln. 2008 verkauften sie die Firma. „Wir konnten endlich tun, was wir uns erträumt hatten – beruflich und privat“, sagt Lieberman.

Ein Baby im Wohnzimmer

Fünf Jahre Kochausbildung finanzieren sie sich mit dem Gewinn. Bloß für ein eigenes Restaurant reicht es danach nicht mehr. So kochen die beiden vorerst nur zu Hause für ihre Freunde und lösen das Problem am Ende ganz pragmatisch: „Spoonik wurde vor fünf Jahren in meinem Wohnzimmer geboren“, sagt Giraldo. Von seinem ersten Restaurant, das anfangs rechtlich gesehen noch gar keines war, spricht er, als wäre es sein Baby.
Und Lieberman ergänzt: „Wir haben gewusst, dass wir in unserem Haus keine Preise und Auszeichnungen bekommen würden und dass uns keine Kritiker besuchen würden. Also haben wir einfach die Angst verloren, Dinge zu machen, die in einem normalen Restaurant komplett abwegig wären.“ Das Dessert ihres allerersten Abendessens begleitet eine Freundin der beiden Köche mit Operngesang. Sie singt die Arie „Casta Diva“. Dazu servieren Lieberman und Giraldo ein Gericht, dessen Zutaten die Elemente der Oper auf dem Teller vereinen.
Zweieinhalb Jahre später existiert das Restaurant Spoonik auch auf dem Papier. Und während anfangs noch viel nach Intuition kombiniert wurde, kümmert sich heute eine ganze Mannschaft um die Gesamtperformance eines Ganges. Sie experimentiert mit Musik- und Lichteffekten und künstlerischen Akten.

Alles außer gewöhnlich

Mittlerweile haben die beiden neben dem Spoonik auch noch zwei weitere Konzepte entwickelt: das Anormal und das Ovnew. Eigentümliche Namen für zwei einzigartige Lokale. „Im Anormal servieren wir Street Food aus Mexiko, Kolumbien und Peru“, erklärt Lieberman. Dass Leuchtreklame dort nicht nur Essen, sondern auch Totenköpfe zeigt, scheint in Anbetracht des Hintergrundes der beiden Kreativgenies fast schon unauffällig.
Der Service war ein Desaster. Alles lief schief.
Lieberman und Geraldo sichern sich trotzdem ein Angebot aus dem Hesperia Tower

Auffallen wollte zuerst auch jener Investor nicht, der schlussendlich den Anstoß zum Ovnew gab. „Im Frühling 2018 kam ein junger Mann, um die 30 und schüchtern, mit einer elegant gekleideten Frau ins Spoonik“, erinnert sich der Mexikaner. „Der Service war ein Desaster. Alles lief schief, aber sie haben davon nichts mitbekommen.“ Eine Woche später rief er an – er war der Besitzer des Hesperia-Hotels. „Er schlug uns vor, unser Restaurant in sein Hotel zu verlegen.“ Und nicht nur in sein Hotel: Es ging um die Kuppel des Hesperia Towers, der zur Hyatt-Gruppe gehört. Um die sinn­übergreifenden Ideen der Spitzenköche zu verwirklichen, ließen die Be­sitzer das Restaurant für mehr als eine halbe Million Euro umbauen. „Wir konnten an der Gestaltung des Interieurs mitwirken – und natürlich haben wir das auch getan!“, sagt Lieberman begeistert. Das Ovnew, das im März eröffnet wurde, bespielt nun aber auch wirklich alle Sinnesregister.

Neue Sinneswelten

Was ihre Gäste während des Essens erleben, nennen Lieberman und Giraldo Neuro-Gastronomie: ein kulinarisches Feuerwerk, das nicht nur am Gaumen explodiert. Es soll ein Erlebnis mit mehreren Sinnen verbinden: eine Idee, die nicht nur im Ovnew, sondern auch in der Natur existiert. Sie heißt Synästhesie und bezeichnet die Kopplung mehrerer Sinne, die normalerweise unabhängig voneinander reagieren. Das heißt, dass bei manchen Menschen ein Sinnesreiz mehrere Sinneswahrnehmungen auslöst.
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Ode an den Mais: Maiscreme | Maiseis | Popcorn-Pulver | Mais in verschiedenen Texturen

„Wir glauben, dass jeder bis zu einem gewissen Grad eine leichte Form von Synästhesie hat“, sagt Lieberman. Auf dieses Phänomen sind die beiden Spitzenköche aber gar nicht angewiesen, sie haben es sich bloß zum Vorbild genommen. Eine Erfahrung dieser Art kann deswegen jeder einzelne Gast des Ovnew – oder des Spoonik, das am Wochenende noch immer öffnet – erleben. „Die Gastronomie ist die achte Kunst“, sagt Lieberman. „Wir spielen mit Erwartungen und Überraschung.“ Dabei arbeiten sie vor allem mit Musik, die für die beiden ein tragendes Element ihrer kulinarischen Reise ist. „Das ist unsere Art, mit einem Gast in Verbindung zu treten. Wir können so nicht nur essen, sondern auch erleben“, erklärt Giraldo.
Die Gastronomie ist die achte Kunst.
Jaime Lieberman will die Gastronomie mit mehreren Sinneserfahrungen bereichern
Wer glaubt, dass die Rising Stars aus Barcelona damit bereits alle Hände voll zu tun hätten, der hat die Rechnung ohne deren rastlose Gemüter gemacht:  Aktuell steht eine Expansion des Anormal-Konzeptes an. „Wir sind gerade dabei, das zweite Lokal zu eröffnen. Die Pläne für das dritte und das vierte haben wir bereits fertig“, verkündet Lieberman, der am Ende eines langen Tages gemeinsam mit Giraldo immer noch mühelos sein Raumschiff lenken kann.
Hier geht’s zum Rezept für die Mais-Symphonie aus dem Spoonik!
www.theovnew.com
www.spoonik.com

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