Wenn die Küche zum Labor wird…
In der kleinen Ortschaft Bray-on-Thames befindet sich eines der Aufsehen erregendsten Restaurants der Welt. Wo das liegt? In der Nähe von Maidenhead in der englischen Grafschaft Berkshire, knapp 40 Kilometer westlich von London. Wer es genauer wissen will, dem ist vielleicht mit dem Hinweis gedient, dass Windsor mit dem königlichen Stammschloss, Eton mit seiner berühmten Internatsschule und Runnymede als Ort der Unterzeichnung der Magna Charta nicht weit entfernt sind. Erwähnt sei auch Ascot, wo alljährlich prominente Damen mit ihrem exzentrischen Hutschmuck gegen die Leistungen der Rennpferde wetteifern. Im Gegensatz zu diesen Fixpunkten eines Englandaufenthaltes wäre das Rentnerdorf Bray eigentlich keinen Besuch wert, gäbe es da nicht zwei kulinarische Adressen der Spitzenklasse: Da ist einerseits das seit Jahren mit drei Sternen dekorierte „Waterside Inn“ von
In der kleinen Ortschaft Bray-on-Thames befindet sich eines der Aufsehen erregendsten Restaurants der Welt. Wo das liegt? In der Nähe von Maidenhead in der englischen Grafschaft Berkshire, knapp 40 Kilometer westlich von London. Wer es genauer wissen will, dem ist vielleicht mit dem Hinweis gedient, dass Windsor mit dem königlichen Stammschloss, Eton mit seiner berühmten Internatsschule und Runnymede als Ort der Unterzeichnung der Magna Charta nicht weit entfernt sind. Erwähnt sei auch Ascot, wo alljährlich prominente Damen mit ihrem exzentrischen Hutschmuck gegen die Leistungen der Rennpferde wetteifern. Im Gegensatz zu diesen Fixpunkten eines Englandaufenthaltes wäre das Rentnerdorf Bray eigentlich keinen Besuch wert, gäbe es da nicht zwei kulinarische Adressen der Spitzenklasse: Da ist einerseits das seit Jahren mit drei Sternen dekorierte „Waterside Inn“ von Michel Roux und andererseits das inzwischen weltberühmte Restaurant „The Fat Duck“ von Shootingstar Heston Blumenthal.
Dabei wirkt die „Fette Ente“ mit ihren 45 Sitzplätzen und insgesamt 18 Mitarbeitern auf den ersten Blick so gar nicht wie ein Gourmettempel. Eine kleine, unscheinbare Holztür markiert den Eingang, eine Notiz darüber klärt den Gast auf, dass in diesem Lokal Bier, Wein und Spirituosen ausgeschenkt werden dürfen, und kaum hat man die Schwelle überschritten, wird man davor gewarnt, sich nicht den Kopf am niedrigen Plafond anzuschlagen. Die unlackierten Deckenbalken, die blauen Teppiche, die winzige Küche und die hemdsärmeligen Servicekräfte verleihen dem Lokal den Charakter einer etwas rustikalen französischen Brasserie und lassen trotz der modernen Kunstwerke auf den ersten Blick nicht erahnen, dass es sich hier um das vielleicht aufregendste Restaurant der Welt handelt.
Aufregend ist das Fat Duck allemal. Das Restaurant wurde 1995 eröffnet und erhielt fünf Jahre später seinen ersten Stern. Innerhalb von bloß vier weiteren Jahren (!) hatte sich die Zahl der Sterne verdreifacht – und der gestrenge Guide Michelin überschlug sich förmlich vor Lob: „Kulinarik und Wissenschaft verbinden sich in einer innovativen Alchimie von kontrastreichen Aromen und Geschmacksrichtungen.“ Doch auch die Konkurrenz wusste das Fat Duck zu schätzen: Der ehrwürdige Gault Millau belohnte den gastronomischen Wagemut nicht nur mit vier Hauben, sondern auch mit der De-facto-Höchstnote von 19 Punkten – 20 wurden seit Bestehen des Restaurantführers bekanntlich noch nie vergeben. Auch der britische Good Food Guide urteilte mit 9 von 10 Punkten, und der deutsche Feinschmecker würdigte die kreative Küche mit der höchsten Wertung.
Und dann kam der Mai 2005, der den bisherigen Höhepunkt in der Erfolgsgeschichte des Fat Duck markierte. Das britische Magazin „Restaurant“ publiziert alljährlich eine Liste der 50 besten Restaurants der Welt, und im Vorjahr hatte sich das Lokal in der englischen Provinz bereits auf den zweiten Platz vorgearbeitet. Heuer war es nun so weit: Das Fat Duck wurde zum „Best Restaurant in the World“ gekürt. Bedenkt man, dass die Rangliste von nicht weniger als 600 prominenten Küchenchefs, Restaurantbetreibern und Gastronomiekritikern aus aller Welt erstellt wird, so versteht man, was diese Auszeichnung wert ist!
„Ich wundere mich jedes Mal von neuem. Wir haben unser ultimatives Ziel so gut wie erreicht, und das kommt mir fast etwas zu früh vor. Obwohl das Restaurant vor 10 Jahren eröffnet wurde, fühlen wir uns noch so jung und haben noch so viel Energie,“ kommentierte Patron und Küchenchef Heston Blumenthal seinen Erfolg bei der Preisverleihung in der Londoner Börse. „Ich befürchte jedes Mal, wenn die Tür aufgeht, dass die Gäste nicht verstehen werden, was ich da mache. Diese Auszeichnung bestätigt mir, dass sie es verstehen,“ fügte er bei einer anderen Gelegenheit hinzu. Den zahlenden Gästen, die zurzeit das Glück haben, einen Tisch im Fat Duck zu bekommen – die Reservierungshotline brach in den ersten Tagen nach der Bekanntgabe der Rangliste völlig zusammen – sollten jedenfalls nicht engstirnig sein und ein gewisses Maß an Abenteuerlust mitbringen…
Vom Amateur zum Spitzenkoch
Der Erfolg des Fat Duck ist untrennbar mit dem Namen seines Patrons und Küchenchefs, Heston Blumenthal, verbunden, der auf eine recht untypische gastronomische Karriere zurückblicken kann. Begonnen hat alles damit, dass Heston Blumenthal im Jahre 1966 in High Wycombe bei London geboren wurde. Er verließ die Schule mit sechs „O-Levels“, was etwa der mittleren Reife entspricht, und war in den folgenden Jahren in recht unterschiedlichen Berufen tätig. Die Gastronomie war ihm jedenfalls keineswegs in die Wiege gelegt worden, und kaum etwas deutete damals darauf hin, dass sie noch eine derart gewichtige Rolle in seinem Leben spielen würde.
Dabei wurde er mit dem Virus der Kochleidenschaft bereits im zarten Alter von 16 infiziert, einer „Krankheit“, die ihn nie mehr loslassen sollte. Damals, im Jahre 1982, verbrachte die Familie Blumenthal einen Urlaub in Südfrankreich und reservierte eines Abends einen Tisch im bekannten Zwei-Sterne-Restaurant „L’Oustau de Baumaniere“. Blumenthal kam aus dem Staunen nicht mehr heraus: Das Ambiente, das Servicepersonal und vor allem die Köstlichkeiten beeindruckten ihn derart, dass er zu dem Schluss kam, die Gastronomie sei genau das Richtige für ihn.
Noch in der Schule schrieb er Toprestaurants in ganz Großbritannien an, doch nur ein einziges antwortete auf seine Bewerbungen: Im Herbst 1983 begann er eine Kochlehre im „Le Manoir“ von Raymond Blanc in der Grafschaft Oxfordshire. „Ein Typ dort ist mir aufgesessen, und so habe ich ihm eine Ohrfeige angedroht“, kommentiert Blumenthal heute das frühe Ende seiner „ersten Kochkarriere“. Ein junger Chef de Partie habe damals noch versucht, seinen Hals zu retten, doch auch dies habe ihn nicht davor bewahrt, nach nur einer Woche dem „Le Manoir“ und damit vorerst auch der gesamten Gastronomie Lebewohl sagen zu müssen. Der junge Chef de Partie war übrigens niemand Geringerer als Marco Pierre White, heute einer der prominentesten Küchenchefs Großbritanniens und Eigentümer von 14 Restaurants in London und Manchester. Mit ihm verbindet Blumenthal noch heute eine enge Freundschaft – die einzige aus der
Gastronomiebranche …
Die paar Tage im Le Manoir sollten jedenfalls die einzige einschlägige Berufsausbildung für Blumenthal bleiben. Er arbeitete in den folgenden Jahren als Gehilfe eines Architekten, als Kameramann, als Vertreter für Fotokopiergeräte und zuletzt als Inkassobeauftragter für das Unternehmen seines Vaters – bei letzterem kamen ihm ohne Zweifel seine beachtliche Körpergröße und seine Kickboxfertigkeiten zugute. Doch keine dieser Tätigkeiten konnte ihn wirklich befriedigen. Stattdessen gab er den Großteil seines Einkommens für Restaurantbesuche mit seiner damaligen Freundin und heutigen Ehefrau Susanna aus, die seine Leidenschaft für gutes Essen mit ihm teilt. Und wenn Blumenthal heute sagt, er habe sein ganzes Geld für das Essen ausgeben müssen, dann heißt das nicht, dass die beiden so arm waren, sondern dass sie vorzugsweise Drei-Sterne-Häuser besuchten!
In all diesen Jahren verschlang Blumenthal klassische Kochbücher, vor allem Werke über die französische Küche, probierte am heimischen Herd neue Rezepte aus und vertiefte seine Fähigkeiten nach und nach so sehr, dass er irgendwann die Grenze vom Amateur zum Profi überschritt. Im Jahre 1995 wagte der mittlerweile zweifache Familienvater den Sprung ins kalte Wasser: Er kratzte genug Geld zusammen, um ein 450 Jahre altes, etwas heruntergekommenes Pub in Bray-on-Thames zu kaufen und im französischen Brasserie-Stil zu gestalten. Die Toilette des Fat Duck, wie das Restaurant heißen sollte, war ursprünglich noch außen, und eine massive Bar beherrschte die Mitte des Raumes. Auch die Speisekarte war in der Anfangszeit noch anders: Von A bis Z regierte die klassische französische Küche. Bald aber schon sollten immer mutigere Experimente den Charakter des Angebotes zusehends verändern…
Vom Patron zum Molekulargastronomen
Doch wie kam es eigentlich dazu? Was brachte den kreativen Geist Blumenthal auf die Idee, Kochkunst und Wissenschaft zu verschmelzen? Bereits im Jahre 1986 war Blumenthal auf ein Buch mit dem Titel „On Food and Cooking“ des amerikanischen Wissenschafters Harold McGee gestoßen, das sein gesamtes kulinarisches Weltbild verändern sollte. Nach und nach fing er an, Vorlesungen von namhaften Forschern zu besuchen und sich mit jener Materie vertraut zu machen, die in den folgenden Jahren unter dem Namen „Molekulargastronomie“ für Furore sorgen sollte. Er nahm Kontakt zu Harold McGee auf, der nach „On Food and Cooking“ auch mit dem Werk „Science and Lore of the Kitchen“ reüssieren konnte und sich mit der Analyse der physikalischen Eigenschaften von Nahrungsmitteln sowie den chemischen Prozessen beim Kochvorgang einen Namen machte.
Ebenso arbeitete er mit dem Physiker Prof. Nicholas Kurti zusammen, der mit der Aussage für Aufsehen sorgte, dass es ein Armutszeugnis für unsere Zivilisation sei, dass man zwar die Atmosphärentemperatur der Venus messen könne, jedoch keine Ahnung habe, was in einem Soufflé vorgehe. Nach dem Tode Kurtis wandte sich Blumenthal an Dr. Peter Barham, Lektor für Physik an der Universität von Bristol und Autor des Buches „The Science of Cooking“, sowie Dr. Charles Spence, Professor für Experimentalpsychologie an der Universität von Oxford. Als wertvoll erwies sich auch die Verbindung zu Dr. Anthony Blake, dem Vizepräsidenten der Forschungsabteilung von Firmenich, dem weltgrößten Konzern für Aromastoffe.
Das Interesse Blumenthals an den Vorgängen beim Kochen lag aber nicht nur in einem bloßen Forscherdrang begründet, sondern wurde auch durch die Hoffnung genährt, dass ihm das Verständnis für den Ablauf der Dinge helfen würde, seine berufliche Tätigkeit zu erleichtern. „Kochlehrlinge lernen seit Generationen, dass man Fisolen kocht, indem man einen Topf mit Wasser füllt, dieses zum Kochen bringt, dann Salz und danach erst die Bohnen hinzu gibt. Er verstand nicht, warum man das Salz hinzufügte, obwohl dies seiner Erfahrung nach weder Geschmack noch Aussehen der Fisolen veränderte,“ erinnert sich Dr. Peter Barham an das erste Telefonat mit Blumenthal. „Durch die Beigabe von Salz steigt der Siedepunkt des Wassers um 0,5° C – was keinen Einfluss auf die Fisolen hat. Es ist immer wieder spannend, seit Generationen tradierte, aber völlig haltlose Anleitungen in Kochbüchern zu entlarven“. Blumenthal lud Barham ins Fat Duck ein, die beiden tauschten Notizen aus, und Barham versorgte seinen „Schüler“ fortan mit allerlei einschlägiger Fachlektüre. Es folgten Jahre fruchtbarer Zusammenarbeit. Man entdeckte etwa, dass die Thermostate der meisten Herde nur sehr ungenau arbeiteten und die angegebenen Werte um bis zu 10° C von den tatsächlichen Temperaturen abwichen – ein Grund, warum Blumenthal einen erheblichen Teil seiner Gerichte in wissenschaftlichen Wasserbädern zubereitet, die bis auf 0,1° C exakt arbeiten.
Auch die psychischen Vorgänge beim Essen waren für Blumenthal von großem Interesse. So lag es nahe, mit dem Experimentalpsychologen Dr. Charles Spence in Verbindung zu treten, mit dem er unter anderem den Einsatz von Kopfhörern während des Essens testete. Die Geräusche, die unterschiedliche Speisen beim Verzehr erzeugen und deren scheinbarer Einfluss auf den Geschmack waren ebenso Gegenstand von Untersuchungen wie die Bedeutung unterschiedlicher Farben für die Wahrnehmung von Lebensmitteln – so konnte man so manchen Weinkenner in die Irre führen, wenn man Weißwein mit absolut geschmacksneutraler Lebensmittelfarbe rot färbte…
Als ebenso lehr- wie erfolgreich sollte sich auch die Zusammenarbeit mit Dr. Anthony Blake vom Aromastoffhersteller Firmenich erweisen. Bei einem Besuch in Genf fand Blumenthal heraus, dass sehr unterschiedliche Chemikalien sehr ähnliche Aromen besitzen können – zum Beispiel Leber und Jasminblüten. Das inspirierte Blumenthal, ein Gänselebergericht mit Jasminsauce zu servieren. Der Einsatz eines Vakuumentfeuchters, um besonders knusprigere Bratkartoffeln zu erzielen, ist ein weiteres Produkt dieser Kooperation. Obwohl einige der typischsten Gerichte des Fat Duck auf diese Weise das Licht der Welt erblickten, übt sich Dr. Blake in Bescheidenheit und versucht, seinen Anteil am Erfolg herunterzuspielen: „Ich bin nur derjenige, der dem Maler die Farbe liefert!“
Vom Avantgardisten zum Superstar
Heston Blumenthal wandelt mittlerweile auch auf Jamie Olivers Spuren und kümmert sich um den Nachwuchs: Gemeinsam mit der Royal Society of Chemistry hat er eine Sendung mit dem Titel „Kitchen Chemistry“ aufgezeichnet, die an alle britischen Schulen versandt werden und als Ergänzung zum Unterricht Einblicke ins Labor – Pardon: in die Küche – des Meisters geben soll. Langsam aber sicher drängt sich somit die Frage auf, was den Gast nun tatsächlich im Fat Duck erwartet? Eines vielleicht gleich vorweg: Es ist nicht ganz einfach, einen freien Tisch zu bekommen! Sollte dies mit viel Geduld und ein wenig Demut gelingen, so muss man gefasst sein, dass das Vergnügen nicht ganz billig wird.
Für das Degustationsmenü muss der interessierte Gourmet immerhin 97,50 Pfund (rund 141,- Euro) berappen, für die entsprechende Weinbegleitung weitere 90,- Pfund (etwa 130,- Euro). Dafür gibt es aber immerhin stolze elf Gänge, darunter „Nitro Green Tea and Lime Mousse“ (Grüntee- und Limettenschaum in Stickstoff), „Snail Porridge, Jabugo Ham, Shaved Fennel“ (Schneckengrütze mit Jabugoschinken und Fenchel), „Roast Foie Gras, Almond Fluid Gel, Cherry and Chamomile“ (Geröstete Gänseleberpastete, Mandelgelee, Kirsche und Kamille), „White Chocolate and Caviar“ (Weiße Schokolade und Kaviar) oder „Smoked Bacon and Egg Ice Cream“ (Eiskrem aus Räucherspeck und Eiern). Für den Grüntee- und Limettenschaum erscheint der Kellner mit einem Kessel, aus dem Schwaden flüssigen Stickstoffs entweichen und in den er einen Löffel mit dem Schaum taucht, um diesen schockzukühlen. Dies verhindert das Entstehen unerwünschter Kristalle und versetzt die Gäste stets von neuem in Staunen.
Deutlich günstiger gibt es original Blumenthal-Kreationen in Gestalt eines dreigängigen Mittagsmenüs, das immerhin schon um 37,50 Pfund (rund 54,- Euro) erhältlich ist – natürlich ohne Getränke – und Gerichte umfasst, die vielleicht nicht ganz so spektakulär wie jene des Degustationsmenüs sind, aber allemal für eine Überraschung gut sind. Die „goldene Mitte“ bildet ein ebenfalls dreigängiges Abendmenü, das sich zwar mit 67,50 Pfund (etwa 98,- Euro) zu Buche schlägt, dafür aber mehr Variationsmöglichkeiten und opulentere Speisen bietet als das Mittagsmenü. Auf sämtliche Preise wird übrigens automatisch ein Trinkgeld aufgeschlagen, das als „service charge“ bezeichnet wird und 12,5 Prozent der Rechnung ausmacht. Offen bleiben muss die Frage, warum man bei solch stattlichen Preisen nicht auf ganze Pfundbeträge aufrundet…
Die Speisekarte steckt auch sonst voller kleiner Scherzchen: Allein die Sprache ist eine nähere Betrachtung wert. Blumenthal hat Humor – das steht außer Zweifel. Warum sonst sollte er ein Gericht schlicht und einfach „Snail Porridge“ (Schneckengrütze) nennen, statt wie vermutlich die meisten seiner Kollegen die französische Sprache zu bemühen und ein wesentlich appetitlicheres „Pürée d’escargot“ daraus zu machen? Diese betonte Schlichtheit, dieses britische Understatement zieht sich durch die gesamte Karte und ist anscheinend Teil des kulinarischen Gesamtkonzeptes.
Egal, wie er seine Kreationen auch ankündigt – etwas Besonderes sind sie auf jeden Fall. Dafür sorgen nicht nur das technische Know-how und der Erfindungsreichtum Heston Blumenthals, sondern auch sein enormer Fundus an ausgefallenen Zutaten. Gelagert werden diese Schätze hinter dem Haus, da die Küche des Fat Duck viel zu klein wäre. Im Garten stehen mehrere Reihen von Gartenhäuschen, die als Vorratsspeicher dienen. In vielen davon bewahrt der Küchenchef Krüge und Töpfe mit Essenzen, Extrakten und Aromastoffen auf, die von Leder bis hin zu Eiche reichen. Rund 3.500 sind es im Laufe der Zeit geworden, merkt Blumenthal nicht ohne Stolz an.
Von Begeisterung bis Kopfschütteln
Für Blumenthal ist die Molekulargastronomie eine kulinarische Revolution von ähnlicher Tragweite wie einst die Nouvelle Cuisine. „Das Schönste an meinem Beruf ist das Kochen an sich und das Gespräch mit den Gästen. Das Schlimmste sind ignorante Kollegen, die hinter meinem Rücken über mich schimpfen, aber nicht den Mut haben, mir das ins Gesicht zu sagen“, urteilte er einmal scharf. Damit bewies er, dass ihm der Ruhm noch keinerlei Realitätsverlust beschied: Tatsächlich sind die Meinungen der Gäste zu diesem kulinarischen Experimentierfeld ebenso gespalten wie jene seiner Kollegen – die einen sind grenzenlos begeistert, während die anderen Blumenthals Küche mit äußerster Ablehnung gegenüberstehen.
Wer solch ausgefallene Kreationen auf den Teller bringt, muss eben auch Kritik vertragen können – Kritik, die bisweilen durchaus in Hohn und Spott ausartet. Viele Leute finden eben die Stickstoff-Performance, die Kombination von Schokolade und Kaviar und die drei Tage dauernde Zubereitung von Bratkartoffeln einfach zu bizarr, zu abgehoben. Ein ansonsten zufriedener Gast zeigte sich höchst erfreut, dass der Kellner ihn vor dem Genuss der Mahlzeit in den Umgang mit gefrorenem Stickstoff unterwies, was ihn davor bewahrte, dass ihm seine Finger abfielen…
Bisweilen ist auch von zu langen Wartenzeiten nach der Bestellung zu hören. Dies beanstandete auch der deutsche Spitzenkoch Wolfram Siebeck in einem Artikel für „Die Zeit“: „Beim Eintritt wird man freundlichst davor gewarnt, sich den Kopf nicht an den niedrigen Deckenbalken einzuschlagen. Die nächste Freundlichkeit ereignete sich erst vierzig Minuten später, als unser Tisch endlich eingedeckt wurde. In der Zwischenzeit erinnerte ich mich an all die Restaurants mit drei Sternen, wo der Service überaus aufmerksam war…“ All das wird aber von den meisten Gästen zu Gunsten des kulinarischen Abenteuers in Kauf genommen.
Und eines sollte auch klar sein: Allen Unkenrufen zum Trotz gehört auch die Mehrzahl der Kritiker zu den Fans Blumenthals. „Wir bemühen uns, Fehler zu beheben und Mängel zu beseitigen,“ zeigt sich Heston Blumenthal konstruktiver Kritik gegenüber durchaus aufgeschlossen. Auch die Speisekarte unterliegt einem permanenten Entwicklungsprozess. Demnächst möchte Blumenthal Klassiker aus der Ära Escoffiers auf die ihm ganz eigene Weise interpretieren. Seine besonders exzentrischen Gerichte sollen dann dem Degustationsmenü vorbehalten bleiben. An der Grundkonzeption, der Molekularküche, soll sich aber vorerst nichts ändern – warum auch? Nicht viel verändert hat sich auch in seinem Privatleben – trotz des enormen Erfolges der vergangenen Jahre.
Er bedauert, dass er seine mittlerweile drei Kinder nicht öfter sehen kann, und er ist sehr dankbar dafür, dass seine Frau Susanna so viel Verständnis für seinen Beruf – und seine Berufung – aufbringt. „Ich möchte nur, dass meine Gäste die Speisen bewusst schmecken und Spaß beim Essen haben“, erklärte Blumenthal einmal seine kulinarische Philosophie. Das haben sie ganz bestimmt.
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The Fat Duck
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