Warum Jaime Lieberman und Jon Giraldo das Spoonik in ihrem Wohnzimmer eröffneten

Jon Giraldo und Jaime Lieberman definieren die Erlebnis­gastronomie neu: Ihr Menü kommt mit außergewöhnlichen Kreationen, Musikbegleitung und Live-Performance.
Juli 4, 2019 | Text: Alexandra Polic | Fotos: Lukas Kirchgasser, Gregor Grininger

Der Kolumbianer Jon Giraldo und der Mexikaner Jaime Lieberman haben zwei Dinge gemeinsam: Erstens waren beide nicht immer schon Köche. Zweitens besitzen beide heute ein Res­taurant – und zwar gemeinsam. Ihr Restaurant in Barcelona gehört zu den Rising Stars der europäischen Gastroszene. „Wir glauben, dass Gastronomie viel mehr als die Zubereitung eines Gerichtes ist. Wir können an einem Ort eine Gesamtatmosphäre kreieren – und so nicht nur essen, sondern auch erleben“, sagt Giraldo. Im Spoonik versetzen die beiden Küchenchefs ihre Gäste in einen regelrechten Sinnesrausch.
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Jon Giraldo stammt aus Kolumbien, Jaime Lieberman aus Mexiko. Aber gefunden haben sie sich in Spanien. Die beiden verbindet: die Liebe zu außergewöhnlicher Kulinarik.
Je nach Herkunft ihres Ganges dämmen sie das Licht, ändern die Hintergrundmusik und die Farbe des Raumes. 2017 erhielten sie dafür den Nationalen Innovationspreis von der

Der Kolumbianer Jon Giraldo und der Mexikaner Jaime Lieberman haben zwei Dinge gemeinsam: Erstens waren beide nicht immer schon Köche. Zweitens besitzen beide heute ein Res­taurant – und zwar gemeinsam. Ihr Restaurant in Barcelona gehört zu den Rising Stars der europäischen Gastroszene. „Wir glauben, dass Gastronomie viel mehr als die Zubereitung eines Gerichtes ist. Wir können an einem Ort eine Gesamtatmosphäre kreieren – und so nicht nur essen, sondern auch erleben“, sagt Giraldo. Im Spoonik versetzen die beiden Küchenchefs ihre Gäste in einen regelrechten Sinnesrausch.
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Jon Giraldo stammt aus Kolumbien, Jaime Lieberman aus Mexiko. Aber gefunden haben sie sich in Spanien. Die beiden verbindet: die Liebe zu außergewöhnlicher Kulinarik.
Je nach Herkunft ihres Ganges dämmen sie das Licht, ändern die Hintergrundmusik und die Farbe des Raumes. 2017 erhielten sie dafür den Nationalen Innovationspreis von der spanischen Hotellerievereinigung. Der wurde damit zum ersten Mal an Nicht-Spanier vergeben. Giraldo und Lieberman sprengen eben gerne Grenzen: des Landes und der Kulinarik. Für die Zuschauer werden die beiden an diesem Tag drei typische Spoonik-Gerichte kochen: Maissuppe, Ceviche und Panucho. Am Herd steht bereits Sous Chef José Gomez.

Maissuppe nach Uromas

Rezept „Unsere Küche hat ihren Ursprung in Lateinamerika“, erzählt Lieberman, „wir haben zwar in Europa gelernt zu kochen, aber wir arbeiten mit Rezepten und Zutaten aus unseren Heimatländern.“ Das Originalrezept für das erste Gericht, eine Maissuppe, stammt aus Giraldos Familie: Seine Urgroßmutter hat es vor hundert Jahren geschrieben – und später auch mit ihm gekocht.
Das Geheimnis? „Wir haben keines“, sagt Giraldo. Die Basis bildet – wie schon vor vier Generationen – gekochter Mais mit einer Gemüsesuppe aus Karotten, Zwiebeln, Sellerie und Gewürzen. Es sind leichte Geschmäcke, die sich vermischen: damit der Mais präsent bleibt. Das Ganze wird zwei Stunden lang mit Fino gekocht – ein gespriteter Wein, der vor allem in Andalusien beliebt ist.
Als wir Angefangen haben, hatten wir nicht genug Geld, um ein Restaurant zu eröffnen. Also haben wir die Gerichte einfach in unserem Wohnzimmer serviert.
Jaime Lieberman bringt High End in sein Zuhause
Beim Originalrezept bleibt es aber nicht. „Wir haben alles ein bisschen aufgepeppt“, sagt Giraldo. Zu der Suppe servieren sie Espuma, Eiscreme und ein Popcorn-Pulver. Die Basis für alle Komponenten bildet der Mais. Im Gericht sollen die Gäste das wichtigste Getreide Lateinamerikas in verschiedenen Texturen und Temperaturen erleben.
Und während die Suppe einen Teil der Familiengeschichte von Giraldo erzählt, erzählt Lieberman die Geschichte ihres Restaurants, des Spoonik: „Als wir angefangen haben zu kochen, hatten wir nicht genug Geld, um ein richtiges Restaurant zu eröffnen. Also haben wir das Essen einfach in unserem eigenen Haus serviert.“ Vielleicht gerade weil das Ambiente kein Restaurant, sondern ein Wohnzimmer ist, machen die beiden aus den Besuchen ein richtiges Erlebnis. Es ist eine Mischung aus Wohnzimmer-High-End und Private-Dining-Charakter, den sie kredenzen. Dabei genauso wichtig wie das Essen: die Performance.
„Ich glaube, dass oft missverstanden wird, welche Musik man in einem Restaurant spielen sollte“, sagt Lieberman. Denn Musik und Sound macht er zu einer weiteren Zutat der Gerichte. „Es ist eine vollkommenere Erfahrung.“ Im Spoonik genießen Gäste die Maissuppe zu kolumbianischer Musik. „Auf diese Art und Weise können wir mit mehreren Sinnen verreisen“, sagt Lieberman. Die nächste Reise führt die Zuschauer nach Peru.

Ceviche in den peruanischen Anden

Eine Anerkennung gibt es gleich zu Beginn des nächsten Ganges: Das beste Ceviche der Welt kommt aus einer peruanischen Küche. Was aber nur wenige wissen: Jedes Land in Lateinamerika, das Zugang zum Meer hat, macht Ceviche – und offenbar finden auch jene Wege, die keinen haben. „Ich komme aus den kolumbianischen Bergen“, erzählt Giraldo. Seine Heimatstadt liegt 2500 Meter über dem Meeresspiegel. „Wir haben keinen Ozean. Aber wir haben Forellen.“
Die entscheidende Zutat ist immer Tigermilch. Sie gibt dem Ceviche seinen Charakter. Mit der Tigermilch verändert auch das Ceviche seinen Geschmack. „In Mexiko marinieren wir Ceviche für eine sehr lange Zeit: Wir beginnen damit am Morgen und essen den Fisch erst am Nachmittag. In Peru hingegen sind mehr als drei Minuten schon zu lange“, sagt Lieberman. In die Spoonik-Tigermilch kommen Limettensaft, Sellerie, Knoblauch, Zwiebel, Ingwer, Baumchili-Paste und Kurkuma. Zum Gericht geben die Spoonik-Küchenchefs außerdem noch Aclla-Kresse und Chili-Kaviar.
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Jaime Lieberman und Jon Giraldo servieren Ceviche aus den Anden.
Aber ihre Kreationen sind den beiden noch lange nicht genug. „Wir haben uns gefragt: Wie können wir mit einem Gast in Verbindung treten, der noch nie in Kolumbien oder in den Anden war? Wir haben die Antwort in Musik und Performances gefunden“, erzählt Giraldo. In der Halle ertönen bereits Panflöten-Klänge aus den Anden. „Das ist unsere Art, ein Gericht im Spoonik zu kommunizieren.“
Dort ändern sich je nach Gericht auch die Farben des Raumes: Während des Ceviche hin zu jenen Farben, die das Bergleben widerspiegeln. Immerhin sei der Mensch eine biologische Maschine, die dafür gemacht sei, Emotionen zu entdecken. Was Spoonik mit seinem Programm bewirken will, ist die Stimulation auf mehreren Ebenen. Das sollen nun auch die Zuschauer erleben: Vier von ihnen dürfen das Ceviche nun zu traditionell peruanischer Musik verkosten. Danach wechselt die Musik. Der nächste Gang kommt aus Mexiko.

Panucho wie in Mexiko

Das ganze Land liebt dieses Gericht: Panucho, die klassische Mais-Tortilla. „In Mexiko nutzen wir für die Zubereitung eine Technik, die aus der Zeit der Azteken stammt“, beginnt Lieberman. Sie nennt sich Nixtamalisation. „Das heißt, wir kochen den Mais mit etwas Kalk.“ Das macht Proteine und Vitamine leichter zugänglich, erhöht den Kalziumgehalt und erleichtert die Verdauung.
„Was wir jetzt verwenden, ist in Mexiko der letzte Schrei“, sagt der Küchenchef und schmunzelt, „immerhin hat die Technologie 2000 Jahre lang gut funktioniert“. Er zeigt eine Gerätschaft, die ein wenig an ein Waffeleisen erinnert – bloß flach, ohne die typischen Einkerbungen, die den Waffeln ihre Form geben. Denn die Tortilla soll glatt werden.
„Wir verwenden ein Produkt aus Eisen, aber es gibt auch Modelle aus Holz“, erklärt der Kolumbianer. Auf die beiden Platten legt er Plastikfolie, damit die Tortilla am Ende nicht festklebt. Den Teig mischt er bloß mit Wasser und Salz. Hat er eine Konsistenz wie Plastilin, ist er genau richtig. Nachahmer dürfen sich freuen: „Es ist sehr einfach, die perfekte Textur hinzubekommen.“

Wer aus dem Teig mit den Händen Tortillas formen kann, ist bereit zu heiraten, heißt es in Mexiko. „Ich werde wohl niemals heiraten“, sagt Lieberman und nimmt seine Metallpresse in die Hand. Er presst, bis das Kügelchen zu einer runden Fläche mutiert. Etwa fünf Zentimeter Durchmesser hat seine Tortilla – prinzipiell kann man sie aber auch um einiges größer machen.
Giraldo brät sie in heißem Öl. Der Teig poppt darin auf. Und auch wenn der immer der gleiche ist, bei dessen Füllung sind den Köchen dieser Welt keine Grenzen gesetzt. Denn der Geschmack des Mais in der Tortilla wird bei der Zubereitung so leicht, dass er den Inhalt respektiert.
Eigentlich ist Huitlacoche fauler Mais. Aber wir lieben es. Für uns ist das die mexikanische Trüffel.
Jaime Lieberman über Spezialitäten aus seinem Heimatland
Lieberman und Giraldo bleiben dabei ihrer Linie treu und kredenzen einen weiteren lateinamerikanischen Klassiker: die Avocado. Daraus machen sie – ebenfalls ganz klassisch – Guacamole. Die nächste Zutat ist dann schon etwas außergewöhnlicher. Lieberman hält eine Schüssel voller Pilze in die Kamera: Huitlacoche. Eine Spezialität, die aus von einem Pilz befallenen Mais besteht. „Eigentlich ist es wie fauler Mais“, scherzt der Mexikaner, „aber wir lieben es, für uns ist das die mexikanische Trüffel.“ Dazu kommen karamellisierte Zwiebeln: Fertig ist die Delikatesse.

Perfekt abgestimmt

Zum Schluss geht Giraldo noch einmal darauf ein, wie so eine Sinneserfahrung im Spoonik entsteht: „Zuerst überlegen wir uns, welche Gerichte wir kochen wollen. Dann sprechen wir über die Atmosphäre.“ Es gibt ein eigenes Team, das den Soundtrack kreiert. Ein anderes sorgt für den artistischen Moment. Und dann gibt es noch ein drittes Team, das für die Gesamtregie verantwortlich ist. Hier wird einfach alles abgestimmt.

Eine Achterbahnfahrt der Sinne können Gäste nun auch an einem weiteren Ort in Barcelona erleben. Ihr nächster Streich heißt Ovnew: In der Kuppel eines Hotels haben die beiden einen sensorischen Speisesaal entwickelt: Dort begleiten 3D-Sound und LED-Beleuchtung das Essen, das damit wohl endgültig alle Sinne erfasst.
www.spoonik.com Hier geht’s zum Rezept für das Ceviche aus den Anden

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