Unbeugsam
Fotos: Fotos: Werner Krug
Ein paar Vorurteile über das schicke Wien-Döbling gefällig? Also: Hier ist die Brutstätte der Wiener Bourgeoisie, werden Ehepartner akademischer Würdenträger immer noch ganz selbstverständlich mit Herr und Frau Doktor angesprochen, und kulinarisch gesehen regieren immer noch Kaiser Franz und seine Sisi. So ist das angeblich in Döbling und deshalb probt man in einer Gegend wie dieser als Koch auch nicht leichtfertig den Aufstand – außer man heißt Martin Stein.
Im März 2010 sperrte der gebürtige Wiener in den Räumlichkeiten des ehemaligen Traditionsgasthauses Sammer in der Döblinger Hauptstraße sein erstes eigenes Lokal auf.
Und das ist auch gut so. Gut für Döbling, dem ohne…
Fotos: Fotos: Werner Krug
Ein paar Vorurteile über das schicke Wien-Döbling gefällig? Also: Hier ist die Brutstätte der Wiener Bourgeoisie, werden Ehepartner akademischer Würdenträger immer noch ganz selbstverständlich mit Herr und Frau Doktor angesprochen, und kulinarisch gesehen regieren immer noch Kaiser Franz und seine Sisi. So ist das angeblich in Döbling und deshalb probt man in einer Gegend wie dieser als Koch auch nicht leichtfertig den Aufstand – außer man heißt Martin Stein.
Im März 2010 sperrte der gebürtige Wiener in den Räumlichkeiten des ehemaligen Traditionsgasthauses Sammer in der Döblinger Hauptstraße sein erstes eigenes Lokal auf.
Und das ist auch gut so. Gut für Döbling, dem ohne das Martin Stein vielleicht immer noch der Ruf eines kulinarischen Ödlandes anhaften würde. Gut für Steins Gäste, die hier etwa erleben dürfen, welche geschmackliche Dimension ein 36 Stunden sous-vide-gegarter Schweinebauch erreichen kann. Und nicht zuletzt auch gut für Martin Stein selbst, der hier seine beiden größten Leidenschaften, Kochen und Naturwissenschaften, verbinden kann. In puncto Arbeitsphilosophie hält er es da nämlich mit einem seiner wichtigsten Mentoren, Thomas Seiler: „Der Tag, an dem ich ausschließlich für die Gäste und nicht mehr auch für mich selbst koche, ist der Tag, an dem ich es sein lasse.“
Vor diesem Tag muss sich allerdings niemand ernsthaft fürchten. Erstens hat Stein enorm viel Spaß an seiner Arbeit. Zweitens hat er für seine laut Eigendefinition „österreichisch benannte französische Küche“ bereits einen Bib Gourmand sowie zwei Hauben und 16 Punkte von Gault Millau in der Tasche. Und drittens ist der Mann Perfektionist. Das, was er am Vortag gekocht hat, so sagt er, will er am nächsten Tag halt immer noch ein bisschen besser machen. 14 Jahre hat Martin Stein sich quer durch die gehobene Gastronomie Frankreichs und Österreichs gekocht.
Thomas Seiler begeisterte ihn in seinem Elsässer Bistro bereits früh für die französische Küche, bald stand er im Au Crocodile in Straßburg und bei seinem Kindheitsidol Paul Bocuse am Herd. Von dort nahm er vor allem Selbstdisziplin mit. „Ohne die geht es einfach nicht, wenn man es nach oben schaffen will.“ Und es ging rasch nach oben für Martin Stein. Zurück in Wien kochte er bei Walter Bauer, im Ambassador, im Moulin Rouge, im Theatercafé, im Aubergine. Im niederösterreichischen Gmünd baute er in einem unscheinbaren Hotel am Hauptplatz ein viel beachtetes Restaurant auf. Kein Wirtshaus, wohlgemerkt, denn Wirtshausküche ist nun mal nichts für Martin Stein, „da können noch so viele Menschen danach rufen“.
Im Gepäck auf dem Weg zurück aus dem Waldviertel in die Stadt hatte Stein bereits die fixe Idee, gemeinsam mit seiner Frau Zoe ein eigenes Lokal zu eröffnen. Nach Döbling wollte er damit von Anfang an gehen, obwohl – oder besser gesagt gerade weil – in diesem Bezirk die klassische Wiener Küche dominiert. Als das Sammer zusperrte, zögerte er nicht lange, baute komplett um, schuf 35 Sitzplätze und verzichtete in puncto Interieur auf optische Effekthascherei. Dem Gast will er Entspannung fürs Auge bieten, damit der sich voll auf das, was am Teller und im Glas passiert, konzentrieren kann. „Ich mache da ungern Kompromisse, das Produkt steht immer im Vordergrund“, betont er.
Kompromisslosigkeit ist eine Eigenschaft, die Martin Stein zweifelsfrei eigen ist. Überdeutlich tritt selbige hervor, wenn es um seine Küche geht. Regel Nummer eins: Ist die Qualität des Grundproduktes nicht perfekt, wird es nicht verarbeitet. „Durch Sous Vide werden die Aromen des Ausgangsproduktes enorm verstärkt. Wenn die Basis nicht absolut top ist, dann ist auch das Ergebnis geschmacklich eine Katastrophe. Vielleicht wehren sich deshalb viele Köche immer noch gegen Sous Vide. Dabei ist der Wareneinsatz, wenn man ordentlich wirtschaftet, ja nicht höher, nur weil das Grundprodukt stimmt.“
Idealist auf Lebenszeit
Da wären wir auch schon bei Regel Nummer zwei: Tue alles, um das frischeste, beste Grundprodukt zur Verfügung zu haben. Steins Waldviertler Lieferantennetzwerk, von dem er bis zu 70 Prozent seiner Frischware bezieht, hilft enorm bei der Umsetzung dieses Mantras. Den Fleischer begleitet er gerne höchstpersönlich zur Fleischbeschau und ohne Waldviertler Freilandhuhn kann er sich das Leben sowieso nicht mehr vorstellen. „Eine Spezialität und ein sehr exklusives Produkt, das nur schwer zu bekommen ist. Es gibt Gäste, die kommen nur deswegen, aber wenn’s aus ist, dann ist es eben aus.“
Seine Lieferanten hat er sich übrigens noch nie nach Bio-Siegeln ausgesucht, von der Qualität überzeugt er sich immer persönlich. „Ob Bio auf irgendeinem Pickerl steht oder nicht, ist mir egal. Ich kenne meine Produzenten und weiß, wie sie arbeiten.“ Abgesehen davon seien Zertifizierungen für die Produzenten aufwendig und kostspielig. „Den kleineren Betrieben tut jeder Cent weh. Wenn die aber das beste Produkt haben, dann nehme ich das natürlich ab, auch wenn ich selbst dafür hinfahren muss.“ Er sei halt nicht nur Logistiker, Handwerker und Wirtschafter, sondern auch Idealist. Und das ist sozusagen in Stein gemeißelt.