So definiert das Restaurant Einsunternull Berliner Küche neu
Berliner Befragungsgastronomie
Mit Berlin ist es ja so eine Sache. Nicht nur spitzengastronomisch, sondern überhaupt. Aber gut, bevor wir in eine kulturwisschenschaftliche Abhandlung über all die Widersprüche, Ambivalenzen und Eigenheiten der deutschen Bundeshauptstadt verfallen, belassen wir es bei Folgendem: Wohl kein Fleckchen Erde im deutschsprachigen Raum hat sich in den vergangenen Jahren unter kulinarischen Gesichtspunkten als so dynamisch erwiesen wie die berüchtigte „Arm, aber sexy“-Metropole. 24 Sternerestaurants darf sie ihr Eigen nennen. Vom klassischen Sterne-Chichi über das radikal regionale Hipster-Fine-Dine-aber-doch-nicht-Lokal bis hin zur furoremachenden Dessertbar ist eigentlich alles dabei, was Kenner-Gaumen kitzeln könnte.
Und dann ist da auch das Einsunternull.
Dass man es in diesem Zusammenhang eigens hervorstreicht, hat schon seinen Grund. Kein Restaurant ging jemals so eingehend, so ausführlich und gewissenhaft der Frage nach: Was ist eigentlich Berlin? Und wie könnte es schmecken?
Dass die Geschichte dieser kulinarischen Spurensuche ähnlich bewegt ist wie jene von Berlin selbst, zeigt, wie ernst es Ivo Ebert mit seinem Projekt ist. Aber wie genau hat alles begonnen? Wie steht es um die aktuelle Lage dieses genauso – im wahrsten Sinne des Wortes – bodenständigen wie hochtrabenden Unterfangens? Und geht das, Berlin auf einen Teller zu bringen?
Berliner Befragungsgastronomie
Mit Berlin ist es ja so eine Sache. Nicht nur spitzengastronomisch, sondern überhaupt. Aber gut, bevor wir in eine kulturwisschenschaftliche Abhandlung über all die Widersprüche, Ambivalenzen und Eigenheiten der deutschen Bundeshauptstadt verfallen, belassen wir es bei Folgendem: Wohl kein Fleckchen Erde im deutschsprachigen Raum hat sich in den vergangenen Jahren unter kulinarischen Gesichtspunkten als so dynamisch erwiesen wie die berüchtigte „Arm, aber sexy“-Metropole. 24 Sternerestaurants darf sie ihr Eigen nennen. Vom klassischen Sterne-Chichi über das radikal regionale Hipster-Fine-Dine-aber-doch-nicht-Lokal bis hin zur furoremachenden Dessertbar ist eigentlich alles dabei, was Kenner-Gaumen kitzeln könnte.
Und dann ist da auch das Einsunternull.
Dass man es in diesem Zusammenhang eigens hervorstreicht, hat schon seinen Grund. Kein Restaurant ging jemals so eingehend, so ausführlich und gewissenhaft der Frage nach: Was ist eigentlich Berlin? Und wie könnte es schmecken?
Dass die Geschichte dieser kulinarischen Spurensuche ähnlich bewegt ist wie jene von Berlin selbst, zeigt, wie ernst es Ivo Ebert mit seinem Projekt ist. Aber wie genau hat alles begonnen? Wie steht es um die aktuelle Lage dieses genauso – im wahrsten Sinne des Wortes – bodenständigen wie hochtrabenden Unterfangens? Und geht das, Berlin auf einen Teller zu bringen?
Einsunternull, die erste
Ende 2015 fing alles an. Zumindest offiziell. Hinter den Kulissen tüftelte Ivo Ebert schon länger an dem, was letztlich die erste Version des Einsunternull, quasi: Einsunternull 1.0 werden sollte. Wie man ein Restaurant auf die Beine stellt und welche Konzepte im hart umkämpften Berlin zumindest den Hauch einer Chance haben, das wusste Ebert nicht zuletzt dank dem Reinstoff. 2009 hatte er diese jahrelange Topadresse gemeinsam mit dem Spitzenkoch Daniel Achilles und Sabine Demel gegründet und es auf zwei Michelin-Sterne und 18 Punkte im Gault-Millau gebracht. Die Messlatte für sein neues Projekt: hoch.
Was Pfeufer und Eber im Einsunternull zusammenhält, das ist diese gnadenlose Arbeit an sich selbst.
Das Bedürfnis nach einer spitzeren Positionierung in Berlins Fine-Dining-Landschaft: noch höher. „Eins unter null“ also, der Name war Programm: „Unter null, also unter der Erde. Dort ist der Ursprung, dort beginnt die Natur zu wachsen“, so stand es in der damaligen Presseaussendung. Andreas Rieger setzte das Programm in die Praxis um. Eine eigenständige deutsche, ja warum nicht: berlinerische Küche sollte hier mit Produkten von kleinen, aber feinen Produzenten aus der Umgebung auf die Teller kommen. Das Rüstzeug hatte sich Rieger als Sous Chef bei Sebastian Frank im Horváth und bei Daniel Achilles im Reinstoff geholt – ideale Voraussetzungen also, um das Einsunternull aus seiner kulinarischen Taufe zu heben.
Das Berliner Terroir, das rein landwirtschaftlich ja eigentlich Brandenburg ist, traf also auf Riegers meisterliche Fähigkeiten: Grün- und Knollenzeug, Schilfrohr, Waldbeeren, Pilze, Fisch – Süßwasser, versteht sich –, Rinderinnereien wurden in puristischer Manier 2016 vom Guide Michelin mit einem Stern und 15 Punkten im Gault Millau ausgezeichntet. Dass der Gastraum sich im Untergeschoss befindet, spricht für die Konsequenz des Konzepts. Doch im Nachhinein – und wirklich nur im Nachhinein – stellt sich die Frage: Ab wann wird spitze Konzeptpositionierung zum einengenden Korsett? Ivo Ebert, dem diese Frage ab einem bestimmten Zeitpunkt offenbar keine Ruhe mehr ließ, beantwortete sie genauso mutig wie unbeirrt.
Silvio Pfeufer, der Neue
Wobei es zu Verwirrung kam. Im Januar vergangenen Jahres brodelte die Gerüchteküche ordentlich. Von Schließung war die Rede, von Verwerfungen et cetera. Doch Ebert beruhigte gerade noch zeitgerecht und teilte mit: Nein, keine Schließung. Dafür gebe es „zahlreiche Neuerungen“, und zwar ab März. Das Beeindruckende und vor allem Bezeichnende daran: Ebert ging es um nichts anderes als seine Ursprungsambition, nämlich die kulinarische Beantwortung dieser fast schon unzumutbaren Gretchenfrage: Was ist Berlin? Die theoretische oder zumindest sprachliche Antwort lautete folgendermaßen:
„Wir nehmen das Erlernte der letzten drei Jahre, das heißt vor allem die enge Zusammenarbeit mit den Bauern aus dem Umland, die Erzeugnisse aus unserem eigenen Garten sowie das Handwerk des Einweckens und erweitern es um die Vielfalt der Produkte aus aller Welt mit Berlin als Zentrum“, kurz: „Weg von der bedingungslosen Regionalität, hin zu mehr Berlin.“ Die kulinarische Antwort sollte nicht mehr Andreas Rieger – der sich aus privaten Gründen zurückzog –, sondern der Neue geben: Silvio Pfeufer.
Berlin statt Regionalität, oder: Einsunternull, die Zweite
„Bei mir ist es halt eher so“, erklärt Pfeufer, „ich koche aus dem Bauch raus. Ich finde das cool, ich war auch selbst bei Rieger essen und fand’s richtig geil. Aber das bin halt nicht ich. Und das habe ich Ivo bei unserem Kennenlernen auch so gesagt.“ Ebert dürfte genau diese unverkrampfte Haltung gefallen haben. Und Pfeufers Kompetenzen natürlich, für die sein bisheriger Werdegang bürgte. Der gebürtige Berliner machte seine Lehre in einem 3-Sterne-Hotel in Baden-Württemberg. „Ein echter Kulturschock, aber da habe ich viel gelernt. Dort wurde superregional gekocht, es gab eine eigene Forellenzucht, Pilze wurden selbst gesammelt, das hat schon alles ziemlich Bock gemacht.“
In Jens Rittmeyers Kai auf Sylt lernte der Lichtenberger dann die Sterneküche kennen – und leckte zum ersten Mal Gemüseblut. „Das war damals schon sehr modern und beeindruckend, was er mit Gemüse so gekocht hat“, erinnert sich Pfeufer. Dass in der Spitzengastronomie Netzwerk alles – oder zumindest: sehr, sehr viel – ist, zeigt Pfeufers darauffolgender Werdegang. Während des Urlaubs machte der rastlose Küchenbegeisterte ein Praktikum in der Küche von Sven Elverfelds Aqua. „Da habe ich Jan kennengelernt.“ Hartwig, wohlgemerkt, damals noch Elverfelds Sous Chef. „Das war im Januar 2014. Im März begann Jan dann als Küchenchef im Atelier in München.“
Pfeufers Plan, bei Elverfeld um eine fixe Stelle anzuheuern, klappte zwar nicht. Aber: „Nachdem ich bei Rittmeyer gekündigt hatte, sagte mir der: ‚Geh zu Jan. Du wirst sehen, der wird drei Sterne kochen.‘ Noch am selben Abend schrieb er Jan eine Mail. Am nächsten Morgen klingelte auch schon mein Telefon und Jan sagte mir: ,Komm, wenn du Bock hast.‘“ Hatte er – und kochte fast vier Jahre unter dem Münchner Herdkapazunder, der innerhalb von drei Jahren drei Sterne holte. Bis zum Junior Chef brachte es Pfeufer in Münchens erstem Dreisterner seit Eckart Witzigmanns Aubergine. Und bei aller Freiheit und kreativem Raum, den Hartwig ihm gab – Pfeufer schwärmt heute noch von seinem ehemaligen Chef –, die Zeit war reif für das nächste Kapitel.
Was Pfeufer und Eber im Einsunternull zusammenhält, das ist diese gnadenlose Arbeit an sich selbst. Es scheint, als wäre ihnen der Zustand des (Be-)Fragens wichtiger als der des definitiven Beantwortet-Habens. Zumindest, so viel steht fest, ist er bei den zweien von Einsunternull produktiver und stimulierender. „Ich glaube nicht“, gibt Pfeufer ganz unumwunden zu, „dass ich schon eine eigene Stilistik gefunden habe. Vielleicht brauche ich noch ein bisschen Zeit. Wobei ich glaube, dass es immer mehr in Richtung Gemüse geht. Wir hatten vor Kurzem einen Artischocken-Gang, zwar mit eingelegten Sardellen und Bottarga, aber im Zentrum stand eindeutig die Artischocke. Der Lardo steuerte lediglich die Würze bei. Nicht vegetarisch, aber vegetativer zu kochen, das finde ich schon extrem interessant.“ Vielleicht ist also die adäquateste Antwort auf die Frage „Wie schmeckt Berlin?“ genau dieses ebertsche-und-pfeufersche Fragezeichen. Und wer weiß, vielleicht kommt auch bald einmal die dritte Version des Einsunternull.
Hier geht’s zu Silvio Pfeufers Dessert-Rezept.