Roland Mary: Macher mit Weitblick

Das Borchardt wird schlicht „Wohnzimmer der Republik“ genannt. Wie der Gegen-Den-Strom-Schwimmer eine Legende schuf und warum er Werbung misstraut.
Januar 19, 2016 | Text: Marion Wolf | Fotos: Monika Reiter, Restaurant Borchardt, Pâtisserie L’Oui, Café am Neuen See, Café-Restaurant Grosz

Legere Legende

Eigentlich bin ich stinkfaul“ – das von einem zu hören, dem das vielleicht bekannteste Restaurant der deutschen Hauptstadt gehört, verwundert. Doch sogleich relativiert Roland Mary: „Aber das kann man sich in der Gastronomie nicht leisten, und weil ich so ein Qualitätsfreak bin, verkneife ich mir dann immer die Faulheit und bin hinter der Qualität her. Das heißt am Ende des Tages doch andauernd arbeiten“, schmunzelt er.
Der gebürtige Saarländer ist der Erfinder des Borchardt und Architekt einer Institution, in der Schauspieler wie George Clooney, Politiker wie Barack Obama und sonstige VIPs aller Coleurs ein- und ausgehen …

 So bruzzelt es in Berlin:

Legere Legende

Eigentlich bin ich stinkfaul“ – das von einem zu hören, dem das vielleicht bekannteste Restaurant der deutschen Hauptstadt gehört, verwundert. Doch sogleich relativiert Roland Mary: „Aber das kann man sich in der Gastronomie nicht leisten, und weil ich so ein Qualitätsfreak bin, verkneife ich mir dann immer die Faulheit und bin hinter der Qualität her. Das heißt am Ende des Tages doch andauernd arbeiten“, schmunzelt er.
Der gebürtige Saarländer ist der Erfinder des Borchardt und Architekt einer Institution, in der Schauspieler wie George Clooney, Politiker wie Barack Obama und sonstige VIPs aller Coleurs ein- und ausgehen. Nicht nur zur Berlinale und Fashion Week, wenn absolute Hochzeit im Borchardt herrscht und die rund 100 Mitarbeiter an ihre Belastungsgrenze kommen. Als Promiwirt will Mary sich dennoch nicht sehen. „Wir gelten zwar als Prominentenlokal, aber ich mag das nicht so und ich würde auch nicht sagen, dass wir das sind. Wir sind ein ganz normales Lokal mit, glaube ich, guter Qualität. Wenn ein Gast bei uns nicht gut essen würde, käme er bestimmt nicht wieder – und wir haben sehr viele Stammgäste. Das sind 60 bis 70 Prozent.“ Ganz selten einmal seien unter den Gästen auch solche, die Promis ein Autogramm abschwatzen wollen. Die werden diskret in ihre Schranken gewiesen. Und was Mary besonders wichtig ist: Im Borchardt herrscht striktes Paparazzi-Verbot.

Diskretion und Zurückhaltung 

Welchen Status das Borchardt als das Wohnzimmer der Berliner Republik einmal erlangen würde, konnte Roland Mary, der als Quereinsteiger mit Ende 20 in der Gastronomie landet – „schuld“ war eine Frau, in die er sich verliebt hatte und die ein Café betrieb – nicht ahnen. „Ich hab ja alles Mögliche ausprobiert, ich hab eine Augenoptikerlehre gemacht und eine Kfz-Mechaniker-Lehre. Meine Mutter hat mich gezwungen. Drei Monate vor der Gesellenprüfung hab ich aufgehört. ‚Wer nichts wird, wird Wirt‘ trifft in meinem Fall wirklich zu.“ Weil er sah, welche Fehler die Frau im Café macht, sei er erst widerwillig eingestiegen, brennt aber seitdem für den Beruf. 1992 eröffnete er im von den Hugenotten erbauten Gründerzeithaus sein Restaurant Borchardt, dem Roland Mary auch in der Küchenausrichtung einen gewissen frankophilen Touch gab. Damals ist er einer der ersten am Gendarmenmarkt. Berlin-Mitte, die beste Lage für ein Restaurant seiner Klasse. „Borchardt am Gendarmenmarkt ist völlig wurscht, aber in Mitte muss es schon sein, sonst wird’s ein bisschen kieziger, da mischt sich nicht so viel“, weiß der Gastronom um den Glücksfall und Erfolgsgaranten Lage.
Drei- oder viermal im Monat übernimmt der Borchardt-Chef noch selbst die Restaurantleiterschicht, die berühmte Schnittstelle zwischen Küche und Service. Manchmal fühle er sich dabei wie ein Dompteur im Löwenkäfig, so beschreibt es Mary in seinem 2013 erschienenen Buch „Gefahrenzone. Geschichten aus dem Bauch eines Restaurants“. „Dompteur ist vielleicht eine dramatische Bezeichnung, man könnte es auch als Dirigent bezeichnen. Man ist dann als Restaurantleiter der wichtige Mann in einem Restaurant, in dem viel los ist, der muss das orchestrieren. Man kann es Dompteur oder Dirigent nennen, ohne den geht’s nicht. Das ist immer gut, das mal zu machen, wir haben aber ja ein sehr gutes Team.“

Roland Mary

Wichtige Vertraute und Stützen für Mary sind die beiden Geschäftsführer Ulf Klotz und Vassilis Almpanis. Egal, wie Roland Mary sein Borchardt – und seine insgesamt 500 Mitarbeiter in seinen weiteren Restaurants, wie dem Grosz am Kudamm oder dem Café am Neuen See, sowie im Catering – dirigiert, der Takt, das Tempo und die Harmonie scheinen zu stimmen.  Was die prominenten, aber auch die normalen Gäste zu schätzen wissen, sind seine Diskretion und seine Zurückhaltung als Gastgeber. Charaktereigenschaften, die der Multigastronom mit seinem Lokal teilt, 20 gemeinsame Jahre färben eben ab. „Das Borchardt ist klassisch, es ist zurückhaltend und es versucht, immer gute Leistung zu bringen. Ich würde mich schon als zurückhaltend bezeichnen. Ich bin Beobachter, nehme auch teil, aber dränge mich nicht auf, im Gegenteil.“
Der Mann, der im Hintergrund die Fäden zieht, der verantwortlich zeichnet für die gesamte Handschrift des Hauptstadt-Restaurants, das Konzept, die Speisenauswahl und das Personal. Der Promiwirt, der allen die Hand schüttelt und mit ihnen Fotos schießt, will er nicht sein. „Klar kenne ich viele Leute und rede auch mit denen, aber wenn ich abends reinkomme, mache ich nicht die Runde und grüße jeden, das wäre mir zu aufdringlich. Die wollen ja alle in Ruhe essen und ich glaube nicht, dass da wegen mir jemand kommt. Wir verkaufen ja in erster Linie Essen und Atmosphäre“, spielt Mary seine Rolle als Gastgeber herunter.
Leben und leben lassen, Teil der Philosophie auch von Roland Mary, der bewusst alle seine Gäste gleich behandelt. Man mag das Ambiente traditionell, gediegen oder auch etwas oldschool nennen. Wie sehr dieser Part zum Erfolgskonzept gehört und das Renommee des Berliner Wohnzimmers mitgeprägt hat, weiß der Inhaber zu gut. Fatal wäre es, die vertraute, seit 20 Jahren gleich gebliebene Atmosphäre nach außen hin zu verändern. „Das Borchardt ist noch genauso vom Design her, wie es war, trotzdem verändern wir das andauernd. Wir beziehen die Bezüge mit dem gleichen Stoff neu, dass es immer gepflegt ist. Aber nichts ist mehr so, wie es mal war. Alles ist im Laufe der Zeit ausgewechselt worden. Aber halt immer gleich. Die Leute mögen das.“ Stringent zieht sich die klassisch zurückhaltende Qualität durch, im Hintergrund strotzt das Restaurant vor Modernität.

Werbung ist kontraproduktiv 

Wenn es um die Zahlen geht, ist dem Chef nur eine wichtig und zwar die, die unter dem Strich steht. Die Anzahl der Gäste oder Couverts gehören nicht dazu. „Wenn ich mit einem Küchenchef ein Einstellungsgespräch habe, kenne ich unsere Zahlen nicht mal, weil es mich ehrlich gesagt nicht interessiert. Das ist mir manchmal auch unangenehm, da sitzt man dann wie so ein Volldepp.  Aber was mich interessiert, ist der Umsatz und dass der Laden voll ist“, beschränkt sich Mary auf das Wesentliche.
Auch 2015 konnte er wieder ein Umsatzplus verzeichnen. Das beste Jahr seit Bestehen des Borchardt – doch darüber redet er nicht. Nur an ein Jahr kann er sich erinnern, in dem es nicht nach oben ging – 2003, als die deutsche Wirtschaft allgemein schlecht dasteht und nur haarscharf an einer Rezession vorbeischrammt. Schon scheint Marys Flaggschiff ein Selbstläufer mit der Handschrift des ruhigen Dirigenten im Hintergrund zu sein.

Roland Mary
Nicht einmal Werbung braucht es, aber der steht der Hausherr sowieso skeptisch gegenüber. „Gerade in der Gastronomie misstraut der Gast oder der Mensch, ich auch. Man denkt wahrscheinlich: ‚Warum hat der denn das nötig zu werben?‘“, sieht Mary Werbung eher als kontraproduktiv an und hat sich bewusst dagegen entschieden. Vielmehr solle man sich auf sein Produkt und auf seine Qualität beschränken. „Werbung ist der Job, den man macht, und die Menschen akzeptieren es auch so. Mund zu Mund ist Werbung.“ Man kann es oldschool nennen oder einfach, dass da einer ist, der sich auf seine Werte als Gastronom und Gastgeber besinnt. 
Das ist eben Roland Mary, der Gegen-den-Strom-Schwimmer, und wem eines der bekanntesten Restaurants Deutschlands gehört, der hat nicht so viel falsch gemacht.  
www.borchardt-restaurant.de

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