Heinz Reitbauer: Aufrütteln für mehr Qualität

Steirereck-Küchenchef Heinz Reitbauer übt bei seiner CHEFDAYS-Präsentation vehemente Kritik an der industrialisierten Landwirtschaft.
Juni 9, 2016 | Text: Marion Wolf | Fotos: Monika Reiter

Heinz Reitbauer, Speaker bei den CHEFDAYS
Ihm geht es um die Qualität auf dem Teller und darum, wie sie durch die Landwirtschaft beeinflusst wird. Heinz Reitbauer hinterfragte bei seinem Auftritt bei den CHEFDAYS ein seit Generationen bestimmendes System am Beispiel des Rindes und hielt ein Plädoyer für die Wiederentdeckung der Wertschöpfung der Lebensmittel – verdeutlicht an einem Blick in die Geschichte und Entwicklung der Rinderzucht.

Ihm geht es um die Qualität auf dem Teller und darum, wie sie durch die Landwirtschaft beeinflusst wird. Heinz Reitbauer hinterfragte bei seinem Auftritt bei den CHEFDAYS ein seit Generationen bestimmendes System am Beispiel des Rindes und hielt ein Plädoyer für die Wiederentdeckung der Wertschöpfung der Lebensmittel – verdeutlicht an einem Blick in die Geschichte und Entwicklung der Rinderzucht.
Das Rind hat sich seit 8000 Jahren zum wichtigsten Haustier des Menschen entwickelt. Einst hatte eine Kuh ein Lebendgewicht von 250 bis 350 Kilogramm und eine jährliche Milchleistung von 1000 bis 1500 Kilogramm. Durch ex­treme züchterische Spezialisierung auf Leistungsmerkmale entwickelten sich hochselektionierte Hochleistungsrassen, „das verlangte nach mehr Futtereffizienz, denn Heu und Gras reichten schon lange nicht mehr aus. Man griff auf hochkonzentrierte Eiweiße, Soja, Zusatzstoffe oder Kraftfutter zurück“, beschreibt Reitbauer die Entwicklung, die die Landwirtschaft in den letzten 150 Jahren genommen hat und zu Jahresleistungen von 5000 bis 8000 Kilogramm Milch und mehr führte. Der 2-Sterne-Koch wirft einen detailgenauen Blick auf die Kälberzucht insbesondere von Milchkälbern – und fragt: „Wie sieht es heutzutage im Schnitzelland Österreich mit unserem Kalbfleisch aus?“ Ein Blick in die Statistik zeigt, 2014 wurden in Österreich 65.000 Kälber geschlachtet, vor zehn Jahren waren es noch über 100.000. 75 Prozent dieser heimischen Kälber gehen in den Handel zu Spar und Billa. Österreich importiert 85.000 ganze Kalbfleischschlachtkörper, zum größten Teil aus Holland, und eine nicht wirklich erfasste Menge an Spezialteilen wie Schnitzel und Rücken, wovon 80 Prozent in der Gastronomie verarbeitet werden.

Appell für Umdenken bei der Kälberzucht

Die Reitbauers selbst gehen mit ihrem Restaurant am Pogusch in der Steiermark mit angeschlossener Landwirtschaft ihren eigenen Weg, um hier eine Vorreiterrolle einzunehmen. „Wir beziehen am Pogusch wöchentlich ein bis zwei Kälber von den Nachbarn rund um uns und schlachten sie bei uns am Hof. Diese Kälber sind vier bis sechs Wochen alt und haben ein Lebendgewicht von 80 bis 100 Kilogramm. Sie wurden nur mit Milch und ein bis zwei Eiern täglich gefüttert, denn das Eiweiß verbessert die Gesundheit und beeinflusst die Fleischqualität positiv. Wir sind der Ansicht, dass bei der Kalb­aufzucht ein Umdenken stattfinden muss. Die Kälber müssen bei ihren Müttern bleiben können.“ Oft sieht es in der Realität jedoch ganz anders aus.
Die Kälber werden in der Regel im Alter von 22 bis 25 Wochen und einem Lebendgewicht von etwa 180 Kilogramm und dem Züchtungsziel einer möglichst hellen Fleischfarbe geschlachtet. Diese kann bei dem Alter und Gewicht nur über eine Eisenunterversorgung der Tiere erreicht werden, denn die Fütterung bestimmt letztendlich die Fleischqualität und die Farbe. Frisches Grünfutter besitzt den höchsten Eisenanteil, deshalb werden Mastkälber für helles Fleisch ausnahmslos im Stall gehalten. Vollmilch besitzt mit Abstand den geringsten Eisengehalt, ist aber trotz des aktuell niedrigen Milchpreises immer noch das teuerste Futter. 
Es erweckt fast  den Anschein, als wäre das Kalb ein Abfallprodukt der  Milchindustrie.
Heinz Reitbauer über die Methoden der Kälberaufzucht

Milchkalb ist am Markt kaum erhältlich

Deshalb wundert es nicht, dass das Milchkalb am Markt eigentlich so gut wie nicht erhältlich ist und auch in der Fleischvermarktung ein besonderes Image hat: Es habe ein wässriges Fleisch. „Das entsteht“, so kritisiert Reitbauer, „nur durch einen einzigen Umstand, nämlich dass die Kälber nicht mit der Milch, die für sie bestimmt ist, gefüttert werden, sondern mit billigen Milchaustauschern, trotz dieses Milchpreises.“ Idealerweise würde ein Kalb in den ersten vier bis sechs Wochen nur von der Muttermilch leben. Ein Kalb, das bei der Mutter bleibt, würde täglich mehrmals saugen und sechs bis acht Liter täglich zu sich nehmen, was 30 Prozent der täglichen Milchleistung entspricht, die das Muttertier hergibt. Aber dieses System lässt sich heute nicht mehr mit den automatisierten Milchständen der großen Milchbetriebe vereinbaren. Fazit: Milchkühe sind heute nicht zum Säugen ihrer Kälber da, sondern für die Milchproduktion. Deshalb werden die Kälber direkt nach der Geburt von der Mutter getrennt und mit Milchaustauschern aufgezogen. „Es erweckt für uns fast den Anschein, als wäre das Kalb ein Abfallprodukt der Milchindustrie“, klingt es fast resignierend und ist doch ein Appell, neue Qualitäten einzufordern, da es dem Landwirt in Zukunft nur durch eine neue Wertschätzung möglich sei, einen angemessenen Preis für die Lebensmittel zu erzielen.

Heinz Reitbauer, Speaker bei den CHEFDAYS

Kaum beachtete Teile vom Kalb

Wie Reitbauer selbst dem Tier die entsprechende Wertschätzung zukommen lässt, zeigte er bei seiner Cooking Demonstration anhand von verschiedenen Gerichten mit Kalbsteilen und Heumilch – wie „Kalbshirn mit Mispel, Senfgurke und Chupetinho“, „Artischocke und Kalbsniere mit Radicchio und Steinklee“, „Milchhaut mit Rohmilchrahm, Fenchelpollen und Pfefferblattöl“ sowie „Milch und Heu mit Rhabarber“.
Ein Teil, das Reitbauers Meinung nach mehr Beachtung verdient hat, ist das Kalbshirn. „Wir kennen alle die klassischen Zubereitungsmethoden. Was uns dabei immer gestört hat, ist, dass es sowohl in der niedrigen Garungstemperatur wie auch bei der höheren Temperatur immer so eine leicht schmierige, teilweise fast grießlige Konsistenz erlangt.“ Um dies zu umgehen, schmort der Spitzenkoch aus dem Steirereck den Kopf mit dem Hirn im Inneren als Ganzes ganz langsam über zwei bis drei Stunden und erhält dadurch beim Kalbshirn eine sehr homogene, fast gänseleberartige Konsistenz. „Dazu muss man den Kalbskopf vorher wässern und dann vorsichtig kochen oder schmoren. Wir haben ihn im Rohr geschmort und anschließend mit einem Kalbsfond ganz leicht glasiert“, beschreibt Reitbauer seine Vorgehensweise. Dazu reicht er einen Sud aus dem Kalbskopf mit gerösteten Mispelkernen, etwas Thymian und Nussbutter und ein Gemüse aus Senfgurken, Gänseschnabelpfefferoni und gedörrten Mispeln.
Durch langsames Schmoren  erhält das Kalbshirn eine  gänseleberähnliche Konsistenz.
Heinz Reitbauer über die richtige Garmethode
Mit seiner Präsentation verbindet Heinz Reitbauer einen Appell: „Unsere Küche wird immer ein Spiegelbild unserer Landschaft sein. Wir sind der Meinung, dass es nicht mehr ausreicht, sich nur auf die Qualitäten im eigenen Haus zu konzentrieren, wir müssen auch darüber hinaus bis zum Anfang schauen. Wir Köche haben eine Verantwortung und auch die Möglichkeit, Systeme zu hinterfragen und mitzuhelfen, diese zu verbessern.“ Dazu brauche man nicht auf den Gesetzgeber oder die EU zu warten. Nur der Konsument habe es in der Hand, diese Systeme zu verbessern und zu verändern.
Wie Heinz Reitbauer der Kalbsniere durch Steinklee eine waldmeisterartige Aromatik verleiht, erfährst du HIER. 
www.steirereck.at

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