Ferran Adrià – Bullen Power
Fotos: Werner Krug, Francesc Guillamet (1) Maribel Ruiz de Erenchun (2), elBulli, KK
Und als nächsten Gang Hasenhirn mit Seeanemonen. Das Hirn mit blutigen Linien durchzogen, die Seeanemonen schwarz-grün und schleimig. Ein Schocker für Normalverbraucher, und selbst für Köche kein Gang, der extrem leicht hinunterrutscht. Aufführungsort: elBulli in Roses, für viele das beste Restaurant der Welt. Zeit: August 2008. Inhalt: 36 Gänge – 36 kleine Theaterakte mit Geschmacksexplosionen, die auch heuer wieder neu im Zirkus Ferran Adrià erschaffen wurden.
Zischende Dämpfe, feurige Blitze oder wenigstens Unmengen von Schaum – typische Bilder zucken durch das Gehirn, wenn man nach einer kleinen Odyssee durch halb Europa endlich vor dem elBulli steht. Bulliwood, das Geschmackszentrum fast am Ende der Welt. Und was passiert? Nichts.
Zumindest wird man nicht mit Stickstoff eingenebelt, auch Espumas schäumen nicht mehr. Alchemist Ferran Adrià forschte nach neuen Welten und Produkten. Karamellisierte, knusprige Hasenohren werden serviert, Meeresschwammkuchen mit Sesam und Miso oder Ferkelschwänze, übrigens das einzige Stück Fleisch in der ganzen Show, dafür superknusprig, kombiniert mit einer fruchtigen Melonen-Blüten-Suppe – ein feines Salzig-fruchtig-Spiel. „Molekularküche? Das ist doch Quatsch. Die gibt es gar nicht, nur die Ferran-Küche“, diktiert Ferran in das Aufnahmegerät. Ferran ist wie immer mehrere Schritte voraus. „Man muss sich auf ihn einlassen“, sagt unser Trendscout und Koch Christof Widakovich, „für Laien ist die Küche schwer verständlich, jeder Gang ist zu 100 Prozent ausgeklügelt und mit dem nächsten verbunden.“ „Kann man einen Sonnenaufgang verstehen?“, fragt Adrià lächelnd. Meeresfrüchte, vor allem Muscheln, stehen derzeit im Spotlight, auch Verkapselungen – wie bei den Trüffelgnocchi. Außen als Hülle leicht gelierter Kartoffelteig, innen flüssige Trüffel.
Wer ist der Máximo Líder der Avantgarde? Ein Genie, Surrealist, Handwerker oder ein Besessener? So viel ist über Ferran und seine Magie geschrieben worden, wenn man ihm jetzt die kräftige Hand schüttelt, hat man das Gefühl, Gandalf gegenüberzustehen. Die mystischen Magierblicke auf zahlreichen…
Fotos: Werner Krug, Francesc Guillamet (1) Maribel Ruiz de Erenchun (2), elBulli, KK
Und als nächsten Gang Hasenhirn mit Seeanemonen. Das Hirn mit blutigen Linien durchzogen, die Seeanemonen schwarz-grün und schleimig. Ein Schocker für Normalverbraucher, und selbst für Köche kein Gang, der extrem leicht hinunterrutscht. Aufführungsort: elBulli in Roses, für viele das beste Restaurant der Welt. Zeit: August 2008. Inhalt: 36 Gänge – 36 kleine Theaterakte mit Geschmacksexplosionen, die auch heuer wieder neu im Zirkus Ferran Adrià erschaffen wurden.
Zischende Dämpfe, feurige Blitze oder wenigstens Unmengen von Schaum – typische Bilder zucken durch das Gehirn, wenn man nach einer kleinen Odyssee durch halb Europa endlich vor dem elBulli steht. Bulliwood, das Geschmackszentrum fast am Ende der Welt. Und was passiert? Nichts.
Zumindest wird man nicht mit Stickstoff eingenebelt, auch Espumas schäumen nicht mehr. Alchemist Ferran Adrià forschte nach neuen Welten und Produkten. Karamellisierte, knusprige Hasenohren werden serviert, Meeresschwammkuchen mit Sesam und Miso oder Ferkelschwänze, übrigens das einzige Stück Fleisch in der ganzen Show, dafür superknusprig, kombiniert mit einer fruchtigen Melonen-Blüten-Suppe – ein feines Salzig-fruchtig-Spiel. „Molekularküche? Das ist doch Quatsch. Die gibt es gar nicht, nur die Ferran-Küche“, diktiert Ferran in das Aufnahmegerät. Ferran ist wie immer mehrere Schritte voraus. „Man muss sich auf ihn einlassen“, sagt unser Trendscout und Koch Christof Widakovich, „für Laien ist die Küche schwer verständlich, jeder Gang ist zu 100 Prozent ausgeklügelt und mit dem nächsten verbunden.“ „Kann man einen Sonnenaufgang verstehen?“, fragt Adrià lächelnd. Meeresfrüchte, vor allem Muscheln, stehen derzeit im Spotlight, auch Verkapselungen – wie bei den Trüffelgnocchi. Außen als Hülle leicht gelierter Kartoffelteig, innen flüssige Trüffel.
Wer ist der Máximo Líder der Avantgarde? Ein Genie, Surrealist, Handwerker oder ein Besessener? So viel ist über Ferran und seine Magie geschrieben worden, wenn man ihm jetzt die kräftige Hand schüttelt, hat man das Gefühl, Gandalf gegenüberzustehen. Die mystischen Magierblicke auf zahlreichen …
… Covers schießen in das Gedächtnis, aber Ferran schenkt uns ganz unerwartet ein amikales Lächeln. Jekyll und Hyde, böse und gut in einer Person. Klein, energisch stehender Haarschopf, mit weißer Kochjacke, ausgebeulten schwarzen Jeans und festen Bergschuhen.
Ferran dreht Geschmackskonventionen liebend gerne völlig um. Wenn man schockgefrorenes, fein gehobeltes Gänseleberfett kostet, wird man zum Kind, das erste Gehversuche unternimmt und auch stolpert. Er weckt Erwartungen, um sie dann in sich zusammenfallen zu lassen wie ein Soufflé. Kein Gang ist das, was er zu sein scheint – genauso wie Adrià selbst. Das ist seine Auffassung von Provokation, zum Beispiel, wenn er Basilikumblätter serviert, die gar keine sind. Aus dekonstruiertem Basilikum und neu zusammengesetzt – noch perfekter als ein echtes Blatt. Adrià als Schöpfer. Die demonstrativste Provokation wäre es, sich nackt in das Restaurant zu stellen, sagt er. Stattdessen lässt er bei seinem Menü einfach nur Brot und Butter weg. „Provokativer als manches, was viele dafür halten.“
Das Restaurant „glänzt“ mit niedrigen Decken, dunklem Holz, gekalkten Wänden, Trödel und Plüsch. Das Logo des Hauses, eine Bulldogge, starrt in Form von Bronzestatuen oder Bildern auf die Zuschauer. „Sehr schlechte Architektur, ein bisschen wie auf Ibiza“, meint Ferran. Die krasse Gegenwelt zum Ibiza-Kitsch wartet in der Küche. Ein magischer Ort wie Raumschiff Enterprise next Generation. Ferran Adrià sitzt an einem ausladenden Arbeitstisch und brütet über seinen Kreationen. Mit peniblen Zeichnungen hält er die Kompositionen fest. An zwei langen Holztischen arbeiten die Köche in weißen Monturen Schulter an Schulter. Kaum einer traut sich zu sprechen oder gar zu lächeln, kompakte Energie schwingt. Disziplin ist heiliges Prinzip, sogar Klo- und Rauchpausen sind festgelegt.
1500 Bewerber hat Adrià pro Jahr, nur wenige werden in die rund 40 Mann große Crew aufgenommen, darunter viele Sterneköche, die alle gratis arbeiten. Nur ein paar wenige Fixköche werden bezahlt. Immerhin bekommen sie einmal pro Tag Personalessen. Durchschnittsgerichte, die auch Ferran isst – „schließlich fährt auch Michael Schumacher im Privatleben keinen Formel-1-Wagen“.
Der Druck, seine Daseinsberechtigung im Team täglich zu bestätigen, ist enorm groß und manche, die es nicht schaffen, werden Schlümpfe genannt. Ferran Adrià strahlt die Autorität eines Feldherrn aus. Seine Anweisungen sind knapp und zackig, die Vergangenheit als Koch beim Militär ist nicht zu überhören. Adrià kann allerdings auch charmanter Plauderer sein. Wenn er über seine „passiòn“, das Kochen, spricht, leuchtet sein Gesicht und er setzt ein spitzbübisches Jungenlächeln auf. Ihn zu verstehen, ist allerdings eine Kunst. Sein Katalanisch klingt so schnell und hart, als ob er streitet, außerdem verschluckt er die halben Silben. Ohne Dolmetsch wäre man ein armer Bulli, sprich: ein armer Hund.
Nach der Franco-Diktatur habe sich das soziale Klima extrem positiv verändert. „Nur ein Beispiel: In Spanien ist die Ehe zwischen Homosexuellen erlaubt. Diese Offenheit der Gesellschaft vergrößert auch die Freiheit für Vorwärtsdenker.“ Dass man ihn mit einem anderen Freidenker, Salvador Dalí, vergleicht, wischt er vom Tisch. Immerhin ist Roses von Cadaques, Dalís damaligem Wohnort, nicht weit entfernt. Für Adrià purer geografischer Zufall. Süffisanter Nachsatz: „Hier nennen sie mich Dalí, in Barcelona Gaudí und in New York sogar Picasso.“
Die Voraussetzungen für die Erfolgsstory waren nicht unbedingt brillant. Manager Juli Soler verscherbelte Popmusik, die unter Franco verboten war, bis er 1983 das Management im elBulli übernahm. Zwei Jahre später machte er den blutjungen Ferran Adrià zum Küchenchef, der nur auf eine sehr simple Ausbildung zurückblickte und eigentlich nur in der Küche begonnen hatte, weil er einen Urlaub auf Ibiza finanzieren wollte. Ferrans Bruder Albert hatte mit seiner Meeresfrüchteallergie auch nicht die beste Basis. Ein illustres Team, das ein unscheinbares Lokal an einem unmöglichen Ort zum besten Restaurant der Welt formte.
Warum bewerben sich jährlich eine Million Geschmacksjunkies, nur um an der Lotterie für 8000 Plätze pro Saison teilzunehmen? Weil Ferran mit seinen rund 30 Gängen alle bisher bekannten Geschmacksempfindungen erschüttert. Er serviert Spaghetti Carbonara in drei Gängen: zuerst sahnige Marshmallows, verkapseltes Schinken-Räucher-Elixier und lauwarmen Eidotter mit knusprigen Speckwürfeln oder er lässt Milch mit Hilfe einer Pfefferblüte im Gaumen quasi elektrisch explodieren. Ständig werden neue Zutaten gesucht, über 700 Gewürze hortet er in seinem Labor in Barcelona. Eine Unzahl an verschiedenen Algen wird getestet – und Öl, das wie Stein schmeckt. Aber auch ganz einfache Zutaten wie Makrelenbäckchen, Sardinengräten oder Fisherman’s Friends feiern Auferstehung. Adrià schätzt, dass pro Saison von 5000 Experimenten 500 Gerichte übrig bleiben, 25 bis 50 fließen schließlich in das Menü ein. Ein derartiger Aufwand für eine bloß sechsmonatige Saison, ein ökonomischer Wahnsinn. Das Menü kostet 215 Euro, „dabei könnte ich 1000 Euro verlangen, aber wir haben damit begonnen, für die Fischer zu kochen. Und auch heute noch soll das Essen leistbar bleiben.“ Für die wirtschaftliche Freiheit sorgen zahlreiche Projekte wie sein elBulli-Hotel, die Fast-Good-Restaurants für anspruchsvolle Burger-Fans, Bulli-Öle und -Haushaltsgeräte, Caterings, Bücher etc.
Seine Gerichte sind bereits die Zukunft. Ein Jahr Auszeit würde ihm in dieser Zukunft vorschweben, „aber ich weiß weder wann noch wo, noch wie“. Ein hartnäckiges Gerücht wischt er vom Tisch: „Auch in den nächsten fünf Jahren bleibt das elBulli geöffnet. Ich will aber nicht mehr so viele Geschäfte machen, will mehr Zeit haben zum Kochen, für meine Familie und will noch glücklicher sein.“ Forscher in neuen Welten wird er immer bleiben. „In zehn Jahren werde ich vielleicht nur noch forschen und habe kein Restaurant mehr. Das hängt alles von der ökonomischen Freiheit ab.“
Im Zeitraffer
Ferran Adrià wird am 14. Mai 1962 in der Provinz Barcelona geboren.
1980–1982 begann er als Tellerwäscher und lernte in verschiedenen Restaurants die klassische spanische Küche kennen.
1983 kommt er zu einem Praktikum ins elBulli. Innerhalb kürzester Zeit entwickelt er als Küchenchef mit Manager Juli Soler eine eigene elBulli-Philosophie.
1997 erhält das elBulli seinen dritten Michelinstern.
2003 ist Ferran Adrià erster Spanier auf dem Cover des New York Time Magazine.
2007 wird Adrià als erster Koch auf die documenta in Kassel eingeladen. Der Run auf das elBulli ist ungebrochen. Pro Jahr werden unter rund 1 Million Anfragen 8000 Gäste ausgewählt.
Im Wort
Sind Ihre Gerichte Genieblitze?
Die Ferran-Küche ist das Ergebnis täglicher harter Arbeit. Die Ideen sind nicht einfach nur Erleuchtungen.
Wo liegen die Grenzen?
Es gibt keine, die Grenzen sind die Menschen selbst.
Macht gutes Essen glücklich?
Gutes Essen nährt die Seele. Man muss nicht nur mit Provokation glücklich machen.
Was essen Sie privat?
Normale Dinge. Was ich hier koche, hat nichts mit meinem Privatleben zu tun. Michael Schumacher fährt auch nicht mit einem Formel-1-Auto auf der Autobahn.
Wie groß ist der Druck, innovativ zu sein?
Wenn der Druck nicht da ist, gibt es keine Kreativität.
Muss ein Koch leidenschaftlich sein?
Ich bin absolut leidenschaftlich, ein Kreativer muss das sein.
Sind Autos eine Leidenschaft?
Ich habe keines. Entweder borge ich mir ein Auto oder ich fahre mit dem Taxi. Das ist mein Luxus.
Kontakt
Cala Montjoi, Ap. 30, Roses
Tel.: +34 972/15 04 57
www.elbulli.com
April bis Oktober offen
Reservierungen für das jeweils nächste Jahr Mitte Oktober an bulli@elbulli.com