David Zilber: Das Fermentationsgenie aus dem Noma

Fermentation macht aus Eingeweiden flüssiges Gold und aus Pflaumenschalen das beste Steak-Gewürz auf Erden. Was die uralte Kulturtechnik in René Redzepis Noma heute alles kann – und warum es ohne Rülpser nicht funktioniert.
März 18, 2019 | Text: Lucas Palm | Fotos: Evan Sung, Das Noma-Handbuch Fermentation, Kunstmann Verlag, beigestellt

Was ist Fermentation?

Fermentation ist das Leben ohne Luft“, meinte einst der große Mikrobiologe Louis Pasteur. So knackig die Definition auch klingen mag – streng genommen ist sie abgelaufen. Denn bei Fermentation geht es weniger um den Entzug von Sauerstoff als vielmehr um die „Umwandlung von Lebensmitteln durch Mikroorganismen – seien es Bakterien, Hefen oder Schimmelpilze“. So steht es in der neuen Fermentationsbibel „Das Noma-Handbuch Fermentation“, das René Redzepi zusammen mit dem Noma-Head-of-Fermentation David Zilber geschrieben hat.
Doch Sauerstoff hin oder her: Über Fermentation im Allgemeinen zu sprechen, klingt immer viel zu abstrakt. Zumindest, wenn man nicht gerade zu jenen Menschen gehört, die ihre Zeit in chemischen Laboren oder naturwissenschaftlichen Instituten verbringen. Wer verstehen will, was Fermentation konkret bedeutet und in der Praxis mit sich bringt, kann – ja muss! – das am besten anhand einzelner Beispiele entdecken. Eines sei gleich verraten: Fermentierte Produkte sind bei Weitem nicht so exotisch wie das Beherrschen der Fermentationstechniken an sich.
Es gibt Studien, die davon ausgehen, dass rund ein Drittel unserer täglich konsumierten Lebensmittel fermentiert ist. Wer beim Lesen dieses Satzes gerade den Kopf schüttelt, kann sich ruhig fragen, was es heute Morgen zum Frühstück gab: Brot? Joghurt? Käse? Schinken? Kaffee? Alles fermentiert!

DAVID ZILBER LIVE @ CHEFDAYS – JETZT TICKETS SICHERN

csm_RP234_MD-Fermentation_header_ce820bb391
Das Fermentationsgenie des Noma, David Zilber, schüttet den Holunder-Balsam- Essig in ein Holzfass, wo er wohl für die nächsten zwölf Jahre vor sich hin reifen und durch das Holz komplexe, mehrdimensionale Noten entwickeln wird.

Idealer Einstieg: Obst und Gemüse

David Zilber betreibt diese uralte Kulturtechnik an der Schnittstelle zwischen Naturwissenschaft, Handwerk und Kunst. Den besten Einstieg in das Handwerk des Fermentierens bieten zweifellos Obst und Gemüse. Besonders greifbar wird das bei Zilbers Fermentationstechnik von Pflaumen. Hierbei kommt der Prozess der sogenannten Milchsäuregärung zur Anwendung, auch Laktofermentation genannt. Dabei brechen Mikrobakterien die Moleküle der Pflaumen auf, wandeln sie um und erzeugen so einen ganz neuen, oft süß-säuerlichen Geschmack. Generell gilt: Je länger Obst fermentiert, desto säuerlicher wird der Geschmack.
csm_RP234_MD-Fermentation_header2_9b94634486Die Methode der Laktofermentation kann nicht nur bei Obst angewendet werden, sondern auch bei Pilzen – in diesem Fall: Steinpilzen. Durch Fermentation, die im Grunde genommen genau so funktioniert wie bei den Pflaumen, entstehen zwei Produkte: der fermentierte Steinpilz an sich – und vor allem: sein fast schon mythischer Saft. Ähnlich wie Garum kann er universell eingesetzt werden. Laut Zilber und Redzepi „elektrisiert“ er alles, womit er in Berührung kommt.
Brot? Joghurt? Käse? Schinken? Kaffee? Alles fermentiert! 
Rund ein Drittel unserer täglich konsumierten Lebensmittel sollen fermentiert sein

Plastikbeutel oder Gefäß

Im Prinzip hat man bei der Milchsäuregärung, die bei den Pflaumen zur Anwendung kommt, die Wahl zwischen einem Plastikbeutel und einem Gefäß. Bei einem Gefäß sollten die geschichteten Pflaumen jedoch mit Gewichten beschwert werden, damit das Produkt immer von Flüssigkeit bedeckt ist. Dabei spielt es keine Rolle, ob das Gefäß aus Glas oder Keramik ist, ob es sich also um ein typisches Einmachglas oder um einen Tontopf handelt.
Bei Pflaumen und bei Früchten im Allgemeinen ist es elementar, zwar mit reifen, aber doch in ihrer Konsistenz noch festen Exemplaren zu arbeiten. Denn bei Überreife lässt sich der Verfall nur mehr schwer kontrollieren, unreifes Obst hingegen liefert den Milchsäurebakterien nur ungenügend Zucker. Dadurch würde die charakteristische, ausbalancierte Süße des fermentierten Produktes fehlen.

Salz, Salz, Salz

Bevor man die Pflaumen einlegt, müssen sie zuerst entsteint und halbiert werden. Doch das Wichtigste kommt erst: Salz. Salz ist das A und O der Fermentation. Besonders wichtig dabei sind zwei Dinge: Erstens sollte man immer mit unraffiniertem Salz fermentieren. Das bedeutet: mit Meersalz, dem keine Stoffe entzogen worden sind, bei dem also die gesamte Bandbreite der Mineralien enthalten, und das außerdem nicht jodiert ist. Die sicherste Faustregel für die Salzmenge bei der Fermentation von Obst und Gemüse lautet: zwei Prozent des Gewichtes. Für 300 Gramm Pflaumen sind das also sechs Gramm Salz.
Pflaumen und Salz sollten daraufhin ordentlich im Beutel geschüttelt werden, wie die beiden Autoren des Handbuchs betonen, damit sich das Salz gleichmäßig auf den Pflaumen verteilt. Sobald man sie gleichmäßig platziert, kommt endlich jenes Gerät zum Zug, das sich jeder Fermentierungsfetischist zulegen sollte: das Vakuumiergerät. So etwas kann zwar 2000 Euro und mehr kosten, ist sein Geld aber definitiv wert.
csm_RP234_MD-Fermentation_header3_997c683b68
René Redzepi und David Zilber pflegen einen regen und regelmäßigen Austausch über den neuesten Stand der Produkte in Sachen Fermentation.

Der Rülpser

Der Beutel mit den Pflaumen sollte mit der höchsten Saugstufe möglichst an seinem äußersten Rand versiegelt werden. Warum? Hier kommt jenes Phänomen ins Spiel, das David Zilber einen „Rülpser“ nennt. Durch den Gärungsprozess entsteht Luft, der Beutel bläht sich auf – und sollte daher nach fünf bis sieben Tagen an einer Ecke angeschnitten werden, damit die Luft eben in Form eines Rülpsers rauskann. Bei diesem Schritt geht es aber auch darum, die Pflaumen zu kosten und zu entscheiden, wie lange nun das nächste – und letzte – Fermentierungszeitfenster sein soll. Doch Zilber warnt: „Wenn du’s zu oft probierst, bemerkst du den Unterschied zum vorigen Mal nicht. Du musst also wirklich geduldig sein.“
Das Fermentieren ist vielleicht die letzte wirklich analoge Tätigkeit auf der Welt.
David Zilber über die uralte Kulturtechnik
Es ist genau diese Geduld, das Warten und Aushalten eines zutiefst biologischen Prozesses, was Zilber so fasziniert. „Das Fermentieren“, sagt Zilber, „ist vielleicht die letzte wirklich analoge Tätigkeit auf der Welt.“ Tatsächlich kann das Fermentationsrevival als Gegentrend zur digitalen Turbowelt verstanden werden. Wo alles und jeder innerhalb kürzester Zeit verfügbar ist, lehrt Fermentation das kompromisslose Ausharren und Warten auf die Materie. Dass sich das lohnt, versteht sich von selbst. Die fermentierten Pflaumen, die jetzt ihre charakteristische Mischung aus süß, sauer, salzig und fruchtig aufweisen, können nicht nur direkt nach dem gewünschten Fermentationsgrad genossen werden.
Ihre Schalen kann man auch im Dörrautomaten oder Ofen trocknen und dann zu Pulver zerreiben. Dieses Pulver eignet sich hervorragend als Gewürz zu Rindfleisch, aber auch zu Wild. Vor allem einem Steak gibt das fermentierte Pflaumen-Pulver eine „kapernähnliche Schärfe“, wie Zilber im Noma-Handbuch schreibt.

Fermentation für Fortgeschrittene

Es ist auffällig, wie viele Fermentationsvirtuosen ihre Kreativität mit einem Produkt ganz besonders austoben: Fisch. Kein Wunder, ist Fisch doch das Grundprodukt für eine der ältesten und sagenumwobensten Fermentationstechniken: das Garum. „Garum ist die Fermentationsgeschichte schlechthin!“, sagt Heiko Antoniewicz, visionärer Koch und kulinarischer Berater in Personalunion, über die Würzsauce, die so etwas wie das Ketchup der Antike war. Noch heute kann man in Ländern wie Spanien, Italien oder Portugal antike Garum-Fabriken besichtigen, in denen ein einmaliges Gemisch aus Sardellen-Eingeweide und Salzlake hergestellt wurde, das mehrere Monate lang unter der Sonne reifte.
Ich setze es überall ein, wo Fisch und Fleisch dabei sind. Überall dort, wo es darum geht, abzurunden und den Geschmack zu potenzieren.
Heiko Antoniewicz über das Ketchup der Antike
csm_RP234_MD-Fermentation_header4_6c7d1b117c
Ursprünglich im Nordic Food Lab entwickelt, bestand die Grundidee darin, statt aus Fischen ein Garum aus Insekten herzustellen. Die Variante mit Heuschrecken war, so Zilber, bei Weitem die beste. Sie entfaltet ein einzigartiges Umami-Aroma.

Geschmolzenes Bernstein

Einmal ausgepresst, wurde dieses Gemisch so lange gefiltert, bis eine klare und zugleich goldene Flüssigkeit übrig blieb, die an geschmolzenes Bernstein erinnert. Antoniewicz wollte seine eigene Fischsauce aber nicht mit Meeresfischen, sondern mit regionalen Süßwasserfischen herstellen. Technisch habe es durchaus funktioniert, so der Spitzenkoch, doch es schmeckte seinem Team und ihm einfach nicht. „Dann haben wir angefangen, das mit Hechtköpfen zu machen, und diese Hechtköpfe bringen so ein tolles Aroma mit, so ein tiefgründiges Umami, das ist unglaublich“, so Antoniewicz begeistert.
Beim Herstellen des Garums muss man natürlich sehr tapfer sein.
Heiko Antoniewicz über die ölfaktorischen Herausforderungen bei der Herstellung des Garums

„Beim Herstellen des Garums muss man natürlich sehr tapfer sein“, sagt er und spielt damit gleichzeitig auf den – gelinde gesagt – strengen Geruch an, für den diese Fermentationstechnik schon in der Antike berüchtigt war. Schließlich befanden sich die meisten Fabriken nicht umsonst weit abgelegen von den Städten. „Aber ab einer gewissen Zeit verwandelt es sich in Wohlgeruch“, stellt Antoniewicz klar. Da das Hechtkopf-Garum einen sehr akzentuierten Geschmack hat, benutzt Antoniewicz es auch nur tropfenweise. „Ich setze es überall ein, wo Fisch und Fleisch dabei sind. Überall dort, wo es darum geht, abzurunden und den Geschmack zu potenzieren. Und vor allem: eine geschmackliche Tiefe zu erzeugen.“

Das unvollendete Experiment

Die kulinarische Stärke – im wahrsten Sinne des Wortes – fermentierter Produkte ist ihr ausbalanciertes Aroma zwischen süß und sauer. Je nach Fermentierungsart überwiegt das eine oder das andere. Besonders greif- und schmeckbar wird dieser Zusammenhang beim Holunder-Balsam-Essig. In rohem Zustand sind Holunderbeeren giftig, erst durch das Fermentieren oder Kochen werden sie nicht nur bekömmlich, sondern zu einer einzigartigen Geschmackserfahrung. „Es ist wirklich ein ganz spezielles Aroma“, schwärmt David Zilber. „Einerseits süß, andererseits mit einem sehr, sehr dunklen Geschmack.“
csm_RP234_MD-Fermentation_header5_3f9ae30da7
Pasilla-Chilis: In mit Mango aromatisiertem Lakto-Honig geschmort, mit Schokoladensorbet gefüllt. Von René Redzepi und David Zilber.
Die Fermentation von Holunderessig ist selbst für den geübten Noma-Fermentationsguru Zilber ein Abenteuer. In einem ersten Schritt wird aus Holundersirup etwa 14 Tage alter Holunderwein in einem Einmachglas fermentiert. In einem zweiten Schritt werden dem Sirup Wasser und Hefe beigemengt. Nach erneuten zwei bis drei Wochen Fermentationszeit bei 18 Grad sollte der Alkoholgehalt so zwischen acht und zehn Prozent liegen. Man kann jetzt die ganzen Holunderbeeren beimengen und den Wein drei bis vier Monate im Glas, mit einem Seihtuch bedeckt, reifen lassen.

Ab ins Holzfass damit!

Von wegen „Leben ohne Luft“: Während dieser Monate sollte man unbedingt alle paar Tage mit dem Löffel umrühren, da die Holunderbeeren an der Oberfläche schwimmen. Keine Scheu: Die Beeren sollten dabei auch immer wieder kräftig ausgequetscht werden – am besten mit einem Esslöffel –, damit ihr Saft möglichst Teil des gesamten Prozesses wird. Mit einem Trichter kann man nun die Flüssigkeit in ein Holzfass geben, wobei auch hier die Beeren mit einem Seihtuch ausgeseiht werden sollten. Generell altert der Holunder-Balsam-Essig mindestens zwölf Jahre lang.
Da die Luftfeuchtigkeit die Verdunstung wesentlich mitbestimmt, sollte bei solchen Zeitspannen darauf geachtet werden, dass die Luft des Raumes, in dem das Holzfass steht, nicht allzu trocken ist – wie die beiden Kreativgenies in ihrem Handbuch unterstreichen.

Jedes Produkt ein einmaliges Abenteuer

Mit der Zeit wird der Inhalt des vor sich hin gärenden Holunderessigs immer weniger. Wer die Mittel dazu hat, kann die Flüssigkeit in immer kleinere Holzfässer geben. Warum? Weil dadurch ein Maximum an Flüssigkeit das Holz berührt. Dadurch entstehen Aromen, die sowohl kräftiger als auch komplexer sind, als wenn der Großteil des Essigs als leere Luftfläche im Fass liegt.
Übrigens kann man auch hier immer wieder Geschmacksproben entnehmen, allerdings idealerweise nicht öfter als alle paar Monate. Selbst David Zilber kann über den Geschmack des Holunderbeeren-Wein-Balsamico, der im Noma vor sich hin fermentiert, noch kein abschließendes Urteil abgeben. Erst in etwa zehn Jahren wird der Geschmack dieses edlen Tropfens beschrieben werden können. Doch eines ist bereits jetzt klar: Auch in zehn Jahren wird die Beschreibung nicht die letzte Wahrheit über den Holunder-Balsam-Essig preisgeben. Weil es beim Fermentieren schlicht und ergreifend keine letzte Wahrheit gibt. Jedes Produkt wird zum einmaligen Abenteuer. Und dass niemand weiß, wie es ausgeht, ist erst der Anfang des kulinarischen Zaubers, der von dieser uralten Technik ausgeht.
Die Zukunft der Fermentation steckt in diesem Buch: René Redzepi & David Zilber, „Das Noma-Handbuch Fermentation“, Verlag Antje Kunstmann, Veröffentlichung: 20. März 2019. Preis: 40 Euro. 

Was ist Fermentation?

Fermentation ist das Leben ohne Luft“, meinte einst der große Mikrobiologe Louis Pasteur. So knackig die Definition auch klingen mag – streng genommen ist sie abgelaufen. Denn bei Fermentation geht es weniger um den Entzug von Sauerstoff als vielmehr um die „Umwandlung von Lebensmitteln durch Mikroorganismen – seien es Bakterien, Hefen oder Schimmelpilze“. So steht es in der neuen Fermentationsbibel „Das Noma-Handbuch Fermentation“, das René Redzepi zusammen mit dem Noma-Head-of-Fermentation David Zilber geschrieben hat.
Doch Sauerstoff hin oder her: Über Fermentation im Allgemeinen zu sprechen, klingt immer viel zu abstrakt. Zumindest, wenn man nicht gerade zu jenen Menschen gehört, die ihre Zeit in chemischen Laboren oder naturwissenschaftlichen Instituten verbringen. Wer verstehen will, was Fermentation konkret bedeutet und in der Praxis mit sich bringt, kann – ja muss! – das am besten anhand einzelner Beispiele entdecken. Eines sei gleich verraten: Fermentierte Produkte sind bei Weitem nicht so exotisch wie das Beherrschen der Fermentationstechniken an sich.
Es gibt Studien, die davon ausgehen, dass rund ein Drittel unserer täglich konsumierten Lebensmittel fermentiert ist. Wer beim Lesen dieses Satzes gerade den Kopf schüttelt, kann sich ruhig fragen, was es heute Morgen zum Frühstück gab: Brot? Joghurt? Käse? Schinken? Kaffee? Alles fermentiert!

DAVID ZILBER LIVE @ CHEFDAYS – JETZT TICKETS SICHERN

csm_RP234_MD-Fermentation_header_ce820bb391
Das Fermentationsgenie des Noma, David Zilber, schüttet den Holunder-Balsam- Essig in ein Holzfass, wo er wohl für die nächsten zwölf Jahre vor sich hin reifen und durch das Holz komplexe, mehrdimensionale Noten entwickeln wird.

Idealer Einstieg: Obst und Gemüse

David Zilber betreibt diese uralte Kulturtechnik an der Schnittstelle zwischen Naturwissenschaft, Handwerk und Kunst. Den besten Einstieg in das Handwerk des Fermentierens bieten zweifellos Obst und Gemüse. Besonders greifbar wird das bei Zilbers Fermentationstechnik von Pflaumen. Hierbei kommt der Prozess der sogenannten Milchsäuregärung zur Anwendung, auch Laktofermentation genannt. Dabei brechen Mikrobakterien die Moleküle der Pflaumen auf, wandeln sie um und erzeugen so einen ganz neuen, oft süß-säuerlichen Geschmack. Generell gilt: Je länger Obst fermentiert, desto säuerlicher wird der Geschmack.
csm_RP234_MD-Fermentation_header2_9b94634486Die Methode der Laktofermentation kann nicht nur bei Obst angewendet werden, sondern auch bei Pilzen – in diesem Fall: Steinpilzen. Durch Fermentation, die im Grunde genommen genau so funktioniert wie bei den Pflaumen, entstehen zwei Produkte: der fermentierte Steinpilz an sich – und vor allem: sein fast schon mythischer Saft. Ähnlich wie Garum kann er universell eingesetzt werden. Laut Zilber und Redzepi „elektrisiert“ er alles, womit er in Berührung kommt.
Brot? Joghurt? Käse? Schinken? Kaffee? Alles fermentiert! 
Rund ein Drittel unserer täglich konsumierten Lebensmittel sollen fermentiert sein

Plastikbeutel oder Gefäß

Im Prinzip hat man bei der Milchsäuregärung, die bei den Pflaumen zur Anwendung kommt, die Wahl zwischen einem Plastikbeutel und einem Gefäß. Bei einem Gefäß sollten die geschichteten Pflaumen jedoch mit Gewichten beschwert werden, damit das Produkt immer von Flüssigkeit bedeckt ist. Dabei spielt es keine Rolle, ob das Gefäß aus Glas oder Keramik ist, ob es sich also um ein typisches Einmachglas oder um einen Tontopf handelt.
Bei Pflaumen und bei Früchten im Allgemeinen ist es elementar, zwar mit reifen, aber doch in ihrer Konsistenz noch festen Exemplaren zu arbeiten. Denn bei Überreife lässt sich der Verfall nur mehr schwer kontrollieren, unreifes Obst hingegen liefert den Milchsäurebakterien nur ungenügend Zucker. Dadurch würde die charakteristische, ausbalancierte Süße des fermentierten Produktes fehlen.

Salz, Salz, Salz

Bevor man die Pflaumen einlegt, müssen sie zuerst entsteint und halbiert werden. Doch das Wichtigste kommt erst: Salz. Salz ist das A und O der Fermentation. Besonders wichtig dabei sind zwei Dinge: Erstens sollte man immer mit unraffiniertem Salz fermentieren. Das bedeutet: mit Meersalz, dem keine Stoffe entzogen worden sind, bei dem also die gesamte Bandbreite der Mineralien enthalten, und das außerdem nicht jodiert ist. Die sicherste Faustregel für die Salzmenge bei der Fermentation von Obst und Gemüse lautet: zwei Prozent des Gewichtes. Für 300 Gramm Pflaumen sind das also sechs Gramm Salz.
Pflaumen und Salz sollten daraufhin ordentlich im Beutel geschüttelt werden, wie die beiden Autoren des Handbuchs betonen, damit sich das Salz gleichmäßig auf den Pflaumen verteilt. Sobald man sie gleichmäßig platziert, kommt endlich jenes Gerät zum Zug, das sich jeder Fermentierungsfetischist zulegen sollte: das Vakuumiergerät. So etwas kann zwar 2000 Euro und mehr kosten, ist sein Geld aber definitiv wert.
csm_RP234_MD-Fermentation_header3_997c683b68
René Redzepi und David Zilber pflegen einen regen und regelmäßigen Austausch über den neuesten Stand der Produkte in Sachen Fermentation.

Der Rülpser

Der Beutel mit den Pflaumen sollte mit der höchsten Saugstufe möglichst an seinem äußersten Rand versiegelt werden. Warum? Hier kommt jenes Phänomen ins Spiel, das David Zilber einen „Rülpser“ nennt. Durch den Gärungsprozess entsteht Luft, der Beutel bläht sich auf – und sollte daher nach fünf bis sieben Tagen an einer Ecke angeschnitten werden, damit die Luft eben in Form eines Rülpsers rauskann. Bei diesem Schritt geht es aber auch darum, die Pflaumen zu kosten und zu entscheiden, wie lange nun das nächste – und letzte – Fermentierungszeitfenster sein soll. Doch Zilber warnt: „Wenn du’s zu oft probierst, bemerkst du den Unterschied zum vorigen Mal nicht. Du musst also wirklich geduldig sein.“
Das Fermentieren ist vielleicht die letzte wirklich analoge Tätigkeit auf der Welt.
David Zilber über die uralte Kulturtechnik
Es ist genau diese Geduld, das Warten und Aushalten eines zutiefst biologischen Prozesses, was Zilber so fasziniert. „Das Fermentieren“, sagt Zilber, „ist vielleicht die letzte wirklich analoge Tätigkeit auf der Welt.“ Tatsächlich kann das Fermentationsrevival als Gegentrend zur digitalen Turbowelt verstanden werden. Wo alles und jeder innerhalb kürzester Zeit verfügbar ist, lehrt Fermentation das kompromisslose Ausharren und Warten auf die Materie. Dass sich das lohnt, versteht sich von selbst. Die fermentierten Pflaumen, die jetzt ihre charakteristische Mischung aus süß, sauer, salzig und fruchtig aufweisen, können nicht nur direkt nach dem gewünschten Fermentationsgrad genossen werden.
Ihre Schalen kann man auch im Dörrautomaten oder Ofen trocknen und dann zu Pulver zerreiben. Dieses Pulver eignet sich hervorragend als Gewürz zu Rindfleisch, aber auch zu Wild. Vor allem einem Steak gibt das fermentierte Pflaumen-Pulver eine „kapernähnliche Schärfe“, wie Zilber im Noma-Handbuch schreibt.

Fermentation für Fortgeschrittene

Es ist auffällig, wie viele Fermentationsvirtuosen ihre Kreativität mit einem Produkt ganz besonders austoben: Fisch. Kein Wunder, ist Fisch doch das Grundprodukt für eine der ältesten und sagenumwobensten Fermentationstechniken: das Garum. „Garum ist die Fermentationsgeschichte schlechthin!“, sagt Heiko Antoniewicz, visionärer Koch und kulinarischer Berater in Personalunion, über die Würzsauce, die so etwas wie das Ketchup der Antike war. Noch heute kann man in Ländern wie Spanien, Italien oder Portugal antike Garum-Fabriken besichtigen, in denen ein einmaliges Gemisch aus Sardellen-Eingeweide und Salzlake hergestellt wurde, das mehrere Monate lang unter der Sonne reifte.
Ich setze es überall ein, wo Fisch und Fleisch dabei sind. Überall dort, wo es darum geht, abzurunden und den Geschmack zu potenzieren.
Heiko Antoniewicz über das Ketchup der Antike
csm_RP234_MD-Fermentation_header4_6c7d1b117c
Ursprünglich im Nordic Food Lab entwickelt, bestand die Grundidee darin, statt aus Fischen ein Garum aus Insekten herzustellen. Die Variante mit Heuschrecken war, so Zilber, bei Weitem die beste. Sie entfaltet ein einzigartiges Umami-Aroma.

Geschmolzenes Bernstein

Einmal ausgepresst, wurde dieses Gemisch so lange gefiltert, bis eine klare und zugleich goldene Flüssigkeit übrig blieb, die an geschmolzenes Bernstein erinnert. Antoniewicz wollte seine eigene Fischsauce aber nicht mit Meeresfischen, sondern mit regionalen Süßwasserfischen herstellen. Technisch habe es durchaus funktioniert, so der Spitzenkoch, doch es schmeckte seinem Team und ihm einfach nicht. „Dann haben wir angefangen, das mit Hechtköpfen zu machen, und diese Hechtköpfe bringen so ein tolles Aroma mit, so ein tiefgründiges Umami, das ist unglaublich“, so Antoniewicz begeistert.
Beim Herstellen des Garums muss man natürlich sehr tapfer sein.
Heiko Antoniewicz über die ölfaktorischen Herausforderungen bei der Herstellung des Garums

„Beim Herstellen des Garums muss man natürlich sehr tapfer sein“, sagt er und spielt damit gleichzeitig auf den – gelinde gesagt – strengen Geruch an, für den diese Fermentationstechnik schon in der Antike berüchtigt war. Schließlich befanden sich die meisten Fabriken nicht umsonst weit abgelegen von den Städten. „Aber ab einer gewissen Zeit verwandelt es sich in Wohlgeruch“, stellt Antoniewicz klar. Da das Hechtkopf-Garum einen sehr akzentuierten Geschmack hat, benutzt Antoniewicz es auch nur tropfenweise. „Ich setze es überall ein, wo Fisch und Fleisch dabei sind. Überall dort, wo es darum geht, abzurunden und den Geschmack zu potenzieren. Und vor allem: eine geschmackliche Tiefe zu erzeugen.“

Das unvollendete Experiment

Die kulinarische Stärke – im wahrsten Sinne des Wortes – fermentierter Produkte ist ihr ausbalanciertes Aroma zwischen süß und sauer. Je nach Fermentierungsart überwiegt das eine oder das andere. Besonders greif- und schmeckbar wird dieser Zusammenhang beim Holunder-Balsam-Essig. In rohem Zustand sind Holunderbeeren giftig, erst durch das Fermentieren oder Kochen werden sie nicht nur bekömmlich, sondern zu einer einzigartigen Geschmackserfahrung. „Es ist wirklich ein ganz spezielles Aroma“, schwärmt David Zilber. „Einerseits süß, andererseits mit einem sehr, sehr dunklen Geschmack.“
csm_RP234_MD-Fermentation_header5_3f9ae30da7
Pasilla-Chilis: In mit Mango aromatisiertem Lakto-Honig geschmort, mit Schokoladensorbet gefüllt. Von René Redzepi und David Zilber.
Die Fermentation von Holunderessig ist selbst für den geübten Noma-Fermentationsguru Zilber ein Abenteuer. In einem ersten Schritt wird aus Holundersirup etwa 14 Tage alter Holunderwein in einem Einmachglas fermentiert. In einem zweiten Schritt werden dem Sirup Wasser und Hefe beigemengt. Nach erneuten zwei bis drei Wochen Fermentationszeit bei 18 Grad sollte der Alkoholgehalt so zwischen acht und zehn Prozent liegen. Man kann jetzt die ganzen Holunderbeeren beimengen und den Wein drei bis vier Monate im Glas, mit einem Seihtuch bedeckt, reifen lassen.

Ab ins Holzfass damit!

Von wegen „Leben ohne Luft“: Während dieser Monate sollte man unbedingt alle paar Tage mit dem Löffel umrühren, da die Holunderbeeren an der Oberfläche schwimmen. Keine Scheu: Die Beeren sollten dabei auch immer wieder kräftig ausgequetscht werden – am besten mit einem Esslöffel –, damit ihr Saft möglichst Teil des gesamten Prozesses wird. Mit einem Trichter kann man nun die Flüssigkeit in ein Holzfass geben, wobei auch hier die Beeren mit einem Seihtuch ausgeseiht werden sollten. Generell altert der Holunder-Balsam-Essig mindestens zwölf Jahre lang.
Da die Luftfeuchtigkeit die Verdunstung wesentlich mitbestimmt, sollte bei solchen Zeitspannen darauf geachtet werden, dass die Luft des Raumes, in dem das Holzfass steht, nicht allzu trocken ist – wie die beiden Kreativgenies in ihrem Handbuch unterstreichen.

Jedes Produkt ein einmaliges Abenteuer

Mit der Zeit wird der Inhalt des vor sich hin gärenden Holunderessigs immer weniger. Wer die Mittel dazu hat, kann die Flüssigkeit in immer kleinere Holzfässer geben. Warum? Weil dadurch ein Maximum an Flüssigkeit das Holz berührt. Dadurch entstehen Aromen, die sowohl kräftiger als auch komplexer sind, als wenn der Großteil des Essigs als leere Luftfläche im Fass liegt.
Übrigens kann man auch hier immer wieder Geschmacksproben entnehmen, allerdings idealerweise nicht öfter als alle paar Monate. Selbst David Zilber kann über den Geschmack des Holunderbeeren-Wein-Balsamico, der im Noma vor sich hin fermentiert, noch kein abschließendes Urteil abgeben. Erst in etwa zehn Jahren wird der Geschmack dieses edlen Tropfens beschrieben werden können. Doch eines ist bereits jetzt klar: Auch in zehn Jahren wird die Beschreibung nicht die letzte Wahrheit über den Holunder-Balsam-Essig preisgeben. Weil es beim Fermentieren schlicht und ergreifend keine letzte Wahrheit gibt. Jedes Produkt wird zum einmaligen Abenteuer. Und dass niemand weiß, wie es ausgeht, ist erst der Anfang des kulinarischen Zaubers, der von dieser uralten Technik ausgeht.
Die Zukunft der Fermentation steckt in diesem Buch: René Redzepi & David Zilber, „Das Noma-Handbuch Fermentation“, Verlag Antje Kunstmann, Veröffentlichung: 20. März 2019. Preis: 40 Euro. 

Werde jetzt Member.
100% kostenlos.

Als Member kannst Du alle unsere Artikel kostenlos lesen und noch vieles mehr.
Melde dich jetzt mit wenigen Klicks an.
  • Du erhältst uneingeschränkten Zugriff auf alle unsere Artikel.
  • Du kannst jede Ausgabe unseres einzigartigen Magazin als E-Paper lesen. Vollkommen kostenlos.
  • Du erhältst uneingeschränkten Zugriff auf alle unsere Videos und Masterclasses.
  • Du erhältst 50% Rabatt auf Rolling Pin.Convention Tickets.
  • Du erfährst vor allen Anderen die heißesten News aus der Gastronomie und Hotellerie.
  • Deine Rolling Pin-Membership ist vollkommen kostenlos.
Alle Vorteile
Login für bestehende Member

Top Arbeitgeber


KOSTENLOS MEMBER WERDEN
UND UNZÄHLIGE VORTEILE genießen

  • Insights aus der Gastro-Szene, ganz ohne Bullshit.
  • Personalisierte Jobvorschläge & die besten Jobs aus der ganzen Welt
  • Alle Online-Artikel lesen & Zugriff auf das Rolling Pin-Archiv
  • VIP-Einladungen zu ROLLING PIN-Events und vieles mehr…