Das Gastronomiekonzept der Zukunft
Fotos: Shutterstock, Quelle: Hanni Rützlers Food Report 2015
Ein Croissant und ein Donut, das macht 80 Dollar. Rund 58 Euro. Kein Witz, in New York wird es bezahlt, als vor einigen Monaten der Hype beginnt. Nicht für zwei süße Gebäckstückchen, nein, für die kreative Kombination aus beiden. Der sogenannte Cronut, dieser krasse Mix aus zartem Plunderteig und der deftigen Schmalzvariante, ist der kulinarische Hit Amerikas. Vor der Bäckerei von Dominique Ansel, dem Erfinder des Cronuts, bilden sich Schlangen, viele Anhänger der neuen Leckerei müssen stundenlang warten, einige übernachten sogar. USA-Touristen fliegen stolz mit ihrem original Cronut im reisefesten Karton über den Atlantik. Und an den Tagen, da der Ansturm zu groß und die Backwaren zu wenig sind, entsteht auf den Straßen rund um Ansels Laden ein Schwarzmarkt, auf dem in der Tat 80 Dollar pro Teigrolle bezahlt werden. Das renommierte Time-Magazin hat den Cronut auf die Liste der besten Innovationen des Jahres gesetzt und den neuen Trend auf die seriöse Ebene gehoben. Hybrid Food, so wird der kontrollierte, meist sehr schräge Mischmasch…
Fotos: Shutterstock, Quelle: Hanni Rützlers Food Report 2015
Ein Croissant und ein Donut, das macht 80 Dollar. Rund 58 Euro. Kein Witz, in New York wird es bezahlt, als vor einigen Monaten der Hype beginnt. Nicht für zwei süße Gebäckstückchen, nein, für die kreative Kombination aus beiden. Der sogenannte Cronut, dieser krasse Mix aus zartem Plunderteig und der deftigen Schmalzvariante, ist der kulinarische Hit Amerikas. Vor der Bäckerei von Dominique Ansel, dem Erfinder des Cronuts, bilden sich Schlangen, viele Anhänger der neuen Leckerei müssen stundenlang warten, einige übernachten sogar. USA-Touristen fliegen stolz mit ihrem original Cronut im reisefesten Karton über den Atlantik. Und an den Tagen, da der Ansturm zu groß und die Backwaren zu wenig sind, entsteht auf den Straßen rund um Ansels Laden ein Schwarzmarkt, auf dem in der Tat 80 Dollar pro Teigrolle bezahlt werden. Das renommierte Time-Magazin hat den Cronut auf die Liste der besten Innovationen des Jahres gesetzt und den neuen Trend auf die seriöse Ebene gehoben. Hybrid Food, so wird der kontrollierte, meist sehr schräge Mischmasch aus Lebensmitteln genannt. Erlaubt ist, was schmeckt. Je verrückter, desto feiner.
„Hybrid Food ist neu und aufregend, setzt aber gleichzeitig auf Tradition“, sagt Scot Rossillo, der Besitzer des Ladens The Bagel Store im New Yorker Stadtteil Williamsburg. Er hat den Cragel erfunden – außen ein Bagel, innen ein Croissant. Das Gebäck mit dem Loch in der Mitte ist ein Renner, und Rossillo seit Beginn des Jahres omnipräsent im US-Fernsehen. Die großen Bäckereiketten umwerben ihn, alle wollen sein Rezept. Als Treffpunkt der Kreativköche hat sich die Markthalle Smorgasburg in Brooklyn etabliert. Hier wird unter anderem ein Bruffin angeboten, der mit einem Brioche gekreuzte Muffin. Und, ziemlich crazy: der Ramen-Burger. Das Hackfleisch liegt hier nicht wie üblich in zwei labbrigen Brötchenhälften, sondern zwischen japanischen Nudelklöpsen, Ramen genannt, die Sojasoße inklusive. „Die Verbraucher setzen sich immer mehr mit der Essenskultur auseinander, sind neugierig und wollen auf dem neuesten Stand sein“, sagt Trendforscherin Irma Zandl aus Manhattan. Den Hauptgrund für die ungeheure Popularität der neuen Produkte sieht sie in der multimedialen Verbreitung. „Viele Menschen stellen Fotos ihrer Mahlzeiten und Snacks auf sozialen Netzwerken wie Instagram, Facebook und Twitter ein“, so erklärt Zandl. Die Nachfrage steigt wie programmiert.
Retail-Gastro-Hybride im Wandel
Die Grafik zeigt, wie sich die kernmärkte rund um die Gastronomie angenähert haben. In Zukunft werden sie noch enger miteinander verknüpft, oft sogar unter einem Dach. Das Restaurant mit Shop – oder umgekehrt. Alles ist erlaubt.
Der hybride Ansatz beschränkt sich keinesfalls auf das bunte Vermischen von Lebensmitteln. Auch Restaurants mit entsprechenden Konzeptansätzen werden populärer. Die Betreiber fühlen sich frei in der Auswahl ihrer Kreationen. Hybrid-Food-Lokale entwickeln sich zu Aushängeschildern der kulinarischen Vielfalt in der globalisierten Welt. Es wird bunt gemischt. Obst mit Gemüse, Fisch mit Fleisch, Süßes und Saures. Das traditionsreiche Kalbsschnitzel mit einer asiatischen Note im Mantel – warum denn nicht? Renommierte Köche wie Wolfgang Puck, der Kärntner in Los Angeles, kombinierten bereits vor mehr als 20 Jahren gezielt traditionelle Küchen aus unterschiedlichen Kulturen auf höchstem Niveau. Fusion Food hieß der eher konservative Mix seinerzeit. Dagegen kennt Hybrid Food keine Grenzen. Niemand ist mehr gezwungen, sich an Großmutters Rezepturen zu halten. Ganz egal, ob die Oma aus Paris, Peking oder Mexiko-Stadt kommt. In den mitteleuropäischen Metropolen bauen rund 40 Prozent aller neu eröffneten Restaurants auf Konzepte mit Fusion- oder Hybrid-Ansatz. Speziell die lateinamerikanischen Küchen scheinen von dem neuen Trend zu profitieren. In Südamerika, wo sich über Jahrhunderte Einwanderer aus unterschiedlichen Kulturkreisen niederließen, hat die wild gekreuzte Küche eine lange Tradition. Kein Wunder also, dass Spitzenköche wie Jason Atherton, Miles Kirby und Claudio Cardoso in ihren Restaurationen Pollen Street Social, Caravan und Sushisamba Hybrid Food auf Sterneniveau präsentieren. Viele ihrer bunten Speisekreationen sind heute erst möglich, weil selbst exotische Zutaten überall und frei verfügbar sind. Mangos aus Indien, Tonkabohnen aus Brasilien, Koriander und Kaffirblätter – alles kein Problem. „Das Besondere ist: Die Menschen können jetzt ganz ungeniert mischen und genießen“, sagt Kirby, der in Neuseeland geborene und in England sesshaft gewordene Küchenchef.
Im großen Stil hat der Kollege Jamie Oliver den Trend zu Hybrid Food umgesetzt. An einem belebten Platz im Szeneviertel Notting Hill eröffnete er unter dem Namen Recipease seine spezielle Erlebniswelt. Hungrige, Durstige, Neugierige, Hausfrauen, Hobbyköche und Leseratten – hier ist jeder willkommen. Auf zwei Stockwerken können die Kunden Markenprodukte und Tischware von Jamie Oliver erwerben, Kaffee trinken und kleine Speisen konsumieren oder sich selbst mithilfe von Profiköchen ein Mittag- oder ein Abendessen zubereiten. Dieses sehr persönliche Menü wird gleich im Laden verspeist oder mit nach Hause genommen. Jamies Lokal boomt. Auch in Deutschland gibt es Ansätze, in denen Restaurants und Supermärkte kombiniert werden. Ein kleines, sehr hybrides Reich hat Spitzenkoch Alfons Schuhbeck bereits geschaffen. In bester Lage, am Platzl mitten in München, ist er mit einem Sternerestaurant, dem opulenten Tagescafé samt Patisserie, separatem Gewürzladen, Eissalon, Schokoladenladen, Teeladen und Kochschule vertreten.
Die Kombination aus gastronomischen und produktbezogenen Erlösquellen wird in Hanni Rützlers Food Report 2015 als Modell mit Zukunft betrachtet: diese Mixturen aus Supermarkt und Restaurant, in denen der Gast und Kunde einkaufen, kochen und essen kann. Oder der Buchladen, der das Mittagsmenü aus einem aktuellen Kochbuch serviert, natürlich frisch und detailgetreu zubereitet. Potenzial haben zudem Designshops, die neben Accessoires für Küche und Wohnzimmer auch Feinkostwaren anbieten. Als kulinarische Essenz des globalen Miteinanders wird Hybrid Food – als nackte Speise betrachtet – zukünftig immer selbstbewusster und selbstverständlicher serviert. Der richtige Mix aus Zutaten internationaler Herkunft obliegt dem feinen Geschmack des jeweiligen Kochs. Breiter wird die Palette an schrägen Produkten à la Cronut. Rosillo, der Bagel-Bäcker, lässt seine Produkte neuerdings auf Facebook von den Kunden bewerten. Ach ja, und den Bruffin gibt es auch auf italienische Art – mit Salami, Parmesan und Pesto. Der professionelle Medienberater, der eigens für das vielversprechende Produkt eingestellt wurde, hat es kurz nach Mitternacht auf allen Kanälen des sozialen Netzwerks gepostet.