Lynchmorde und Hinrichtungen: Warum es im Vanille-Business auf Madagaskar so viele Tote gibt
Segen und Fluch auf dem achten Kontinent
Madagaskar, das ist für die meisten von uns zuerst einmal die Geschichte rund um Alex, Marty und Melman. Im Kult-Animationsfilm aus dem Jahr 2005 entdecken New Yorker Zootiere zum ersten Mal die Wildnis in diesem weit, sehr weit von ihrer Heimat entfernten tropischen Inselstaat. Atemberaubende Natur, exotische Lebewesen und jede Menge Abenteuer geschehen auf diesem wundersamen „achten Kontinent“, wie Madagaskar wegen seines Mikroklimas auch genannt wird.
Die Realität ist erstaunlicherweise gar nicht so anders. Nur eben ein bisschen grausamer. Das gilt vor allem für einen der größten Wirtschaftszweige dieser Insel im Indischen Ozean: die Vanilleproduktion.
Segen und Fluch auf dem achten Kontinent
Madagaskar, das ist für die meisten von uns zuerst einmal die Geschichte rund um Alex, Marty und Melman. Im Kult-Animationsfilm aus dem Jahr 2005 entdecken New Yorker Zootiere zum ersten Mal die Wildnis in diesem weit, sehr weit von ihrer Heimat entfernten tropischen Inselstaat. Atemberaubende Natur, exotische Lebewesen und jede Menge Abenteuer geschehen auf diesem wundersamen „achten Kontinent“, wie Madagaskar wegen seines Mikroklimas auch genannt wird.
Die Realität ist erstaunlicherweise gar nicht so anders. Nur eben ein bisschen grausamer. Das gilt vor allem für einen der größten Wirtschaftszweige dieser Insel im Indischen Ozean: die Vanilleproduktion.
„Es ist dem dortigen Klima zu verdanken, dass Madagaskar ohne Zweifel das bekannteste Vanilleland ist“, sagt einer, der es wissen muss: Josef Zotter ist Gründer der 1999 eröffneten Schokoladenmanufaktur im südoststeirischen Riegersburg. Nicht nur mit seinen eigenwilligen Schokoladenkreationen, sondern auch mit seinen Fair-Trade-bezogenen Rohstoffen etablierte sich Zotter als einer der profiliertesten seiner Zunft.
Nachdem Madagaskar auch als Kakaobohnenparadies gilt, kennt Josef Zotter dieses schöne und ertragreiche Stückchen Erde wie nur wenige Österreicher. Unter den Europäern konkurriert er damit wohl lediglich mit ein paar französischen Rentnern, die ihren Lebensabend in ihrer ehemaligen Kolonie verbringen.
Im Gegensatz zu ihnen jedoch schürft Zotter etwas tiefer: Er hat die furchteinflößenden, fast schon anachronistisch anmutenden Missstände rund um die Vanillewirtschaft am eigenen Leib erfahren. Warum genau liegt in der Produktion dieser süßen Schoten so vieles im Argen? Wie viel Blut klebt am ach so herzhaften Vanillearoma? Und wie äußert sich das alles in geschmacklicher Hinsicht?
Der geniale Sklave
Zunächst einmal: In Madagaskar wächst die sogenannte Gewürzvanille. Man kennt sie auch als Echte Vanille oder Bourbon-Vanille. Die nach dem französischen Königshaus Bourbon benannte Île de Bourbon, nur einige Kilometer südwestlich von Madagaskar entfernt, heißt seit Mitte des 19. Jahrhunderts zwar Île de la Réunion, das stolze Pflänzchen jedoch behielt seinen Namen.
Das liegt nicht zuletzt an der bahnbrechenden Errungenschaft eines zwölfjährigen Sklaven, der dort 1841 für eine agrarwissenschaftliche Revolution sorgte. Edmond Albius nämlich ist es zu verdanken, dass Vanille auch außerhalb ihres Ursprungslands Mexiko angebaut wird.
Vereinfacht gesagt war das heutige Mexiko deswegen mit einem natürlichen, Jahrhunderte anhaltenden Vanillemonopol gesegnet, weil nur eine einheimische Bienen- und Kolibriart die Vanillepflanze bestäuben konnte.
Ohne sie erwies sich die flächendeckende Züchtung andernorts als unmöglich. Albius erfand auf La Réunion eine neue Methode zur notwendigen Bestäubung, indem er mit einem dünnen Stock oder einem festen Grashalm die Klappe zwischen Staubbeutel und Narbe anhob, bevor er mit dem Daumen den Staubbeutel-Pollen über die Narbe strich.
Durch Albius’ bahnbrechende Fingerfertigkeit sahen die Mexikaner sprichwörtlich durch die Finger – während auf La Réunion und schließlich auch auf Madagaskar innerhalb weniger Jahre die Vanilleproduktion auf mehrere Tonnen anstieg.
Heute macht Bourbon-Vanille über 90 Prozent der weltweiten Vanilleproduktion aus. Davon wiederum werden in Madagaskar sage und schreibe 80 Prozent angebaut und verarbeitet. Bis heute wird dort die Vanillepflanze händisch bestäubt. Doch mit dem – nicht zuletzt vanillebedingten – Wohlstand begannen auch die Probleme.
Mehr Diebe als Bauern
„Eine Vanilleschote ist nicht gleich eine Vanilleschote“, erklärt Zotter. Die Vanille aus Uganda beispielsweise ist weniger intensiv und hat das, was Zotter einen „geringeren Vanillegehalt“ nennt. „Das kann man genau messen und anhand dessen auch die Kilopreise berechnen.“ Bis zu 700 Euro kostete madagassische Vanille schon, heute liegt der Kilopreis bei etwa 400 Euro. Damit ist Vanille nach Safran das teuerste Gewürz weltweit.
Dass Madagaskar terroirbedingt über die gehaltvollste und intensivste Vanille verfügt und gleichzeitig ein verhältnismäßig armes Land ist, führt dazu, dass um den wertvollen Rohstoff blutige Kämpfe ausgetragen werden.
„Es ist schrecklich“, erinnert sich Zotter, „alle paar Meter sitzt ein bewaffneter Vanillebauer in der Plantage, man sieht ihn nicht – aber man weiß, dass er da ist. Er ist müde, ausgelaugt, und er zögert nicht lange, seine Waffe zu benutzen. Wir haben kaum gewagt, die Pflanzen zu berühren, denn ein Gewehr schießt schneller, als wir eine Frage stellen können. Ob weiß oder schwarz, macht keinen Unterschied, jedes Rascheln oder jeder Schritt könnte tödlich enden – auch für uns.“
Generell gilt: Je verheerender das Wetter für die Ernte, desto blutrünstiger das Geschehen auf den Feldern. Das führt so weit, dass es phasenweise mehr Vanillediebe als Vanillebauern auf Madagaskar gibt. Offizielle Zahlen zu den Vanilletoten – unter denen übrigens auch von Dieben erschossene Bauern sind – gibt es nicht.
Laut Josef Zotter waren es über die Jahre jedenfalls „mehr als Drogentote“. Zeitungen wie der Guardian beispielsweise berichteten von Hinrichtungen auf dem Marktplatz mit Macheten, andere wiederum von Lynchmorden. Kurz: Im Vanillebusiness herrscht die Selbstjustiz, weil der Polizei in dieser Sache eben auch nicht zu trauen ist. Wie also geht ein Abnehmer wie Zotter inmitten dieser blutrünstigen Agrar-Anarchie bei der Beschaffung vor? Und kann unter solchen Umständen die bourbonische Qualität tatsächlich halten, was sie verspricht?
Blut, das man nicht schmeckt
„Vanille wird in Madagaskar angebaut wie in unseren Breiten Tomaten“, erklärt Zotter. „Das heißt, die Vanillepflanzen oder -felder befinden sich immer in der Nähe des Hauses – auch, damit sie bewacht werden können.“ Die Krux ist zum einen der Erntezeitpunkt. Die Pflanze muss reif sein, zu reif geht fast nicht. In der Regel beginnt die Erntezeit im Juli.
Geklaut wird die Vanille meist in unreifem Zustand, deswegen sitzen Bauern bis zum Erntezeitpunkt – ob mit oder ohne Gewehr – wie auf Nadeln. Die meisten unter ihnen bringen dann ihre Ernte in sogenannte Fermentationszentren. Einige davon betreibt die Vanillekooperative Mananara. Sie ist bio- und Fair-Trade-zertifiziert und verarbeitet aus über 70 Dörfern die Vanille von über 600 Vanillebauern.
„Dieser Fermentations- und Trocknungsprozess der Vanille ist sehr aufwendig, eigentlich liegt darin die meiste Arbeit“, erklärt Zotter. Klar, es gibt Bauern, die verarbeiten ihre Vanille selbst. Doch für einen Großabnehmer wie Josef Zotter braucht es eben qualitative Standards und quantitative Verlässlichkeit. „Nachdem die Bauern die Vanille geerntet haben, bringen sie die grünen Schoten zur zentralen Stelle. Dort wird von Mananara geprüft, ob nichts faul ist, es findet also eine Art erste Qualitätskontrolle statt.“
Eine unfermentierte Vanilleschote ist in der Regel etwa 30 Zentimeter groß und schmeckt grasig und bitter. Das typische Aroma der Vanille, das Vanillin, entsteht erst durch die Fermentation. Zuerst werden die grünen Schoten blanchiert. Entweder indem sie mit heißem Wasserdampf behandelt oder eben gleich in heißes Wasser getaucht werden.
Anschließend werden sie rund einen Monat lang warm-feucht fermentiert, meist in Reissäcken. Hier werden die ursprünglich grünen Schoten rostbraun und schrumpfen zu einem öligen Stäbchen zusammen. Im Zuge der anschließenden Trocknung entsteht während zwei bis drei Monaten das Aroma. „Dabei müssen die Schoten immer wieder gewendet werden“, erklärt Zotter.
Um die gesamte Verarbeitung kümmern sich bei Mananara übrigens 20 Mitarbeiter. „Sie passen auf, dass die Temperatur stimmt, dass keine Insekten die Ware beschädigen.“ Den genauen Fermentationsprozess behält jeder Hersteller natürlich für sich, doch im abschließenden Schritt kommen die Schoten immer wieder in die pralle Sonne und in den Schatten, manchmal werden sie dafür auch in Pergamentpapier gepackt.
Auch das kann bis zu drei Monate dauern. Damit werden die Schoten nach und nach schwarz – und enthalten jetzt auch ihr voll ausgeprägtes, unverkennbares süßliches Aroma. Spezialmühlen malen die Schoten – auch das ein aufwendiger Prozess –, damit Abnehmer wie Zotter ihre Ware getrocknet, gerieben und vakuumverpackt erhalten.
„Natürlich öffnet ein solches Business, in dem ein Produkt 400 Euro pro Kilo kostet, Tür und Tor für allerhand Tricksereien“, weiß der Schokolatier. Auf Mananara sei Verlass, doch dass bestimmte Produzenten die Ware strecken, komme immer wieder vor. „Wir haben ein eigenes Labor im Haus, wo wir jede Lieferung auf ihren Vanillegehalt überprüfen“, versichert Zotter. Das Blut, das an den Vanilleschoten klebt, schmeckt hingegen niemand.
Wie kein anderes Produkt verdeutlicht die madagassische Vanilleproduktion damit die Grenzen von Fair Trade. Fair gehandelt, das ist eben noch lange nicht friedvoll produziert.