Paradoxe Logik
Gar nicht paradox, sondern ziemlich logisch: Bei Leuten, die in ihrer Mitte sind, geht der Plan auf. Beziehungsweise die Pläne. Das ist nämlich so eine Sache, die bei diesen Menschen zu beobachten ist: Selten ist es nur ein Projekt, dem das ganze Herzblut gilt. Sprudeln die Ideen einmal, ist es schwer – und auch nicht notwendig –, sich auf eine Sache festzulegen. Stefan Brandtner ist einer von ihnen. Gebürtiger Salzburger, ehemaliger Mitmischer in der Top-Gastronomie und heute King of Pop-up. Wobei er während unseres Gesprächs gerade King of the Road ist. Womit die Mehrprojekt-Schienen-Theorie ein weiteres Mal bewiesen wäre. In Begleitung einiger weiterer schwerer Gastro-Jungs tourt Brandtner für einige Tage auf seiner Harley durch Europa. Irgendwo zwischen Italien und Monaco. Einige Monate davor war der fahrbare Untersatz noch zentraler Bestandteil in Stefan Brandtners Paradoxon. Das Paradoxon Restaurant zu nennen, wäre an dieser Stelle unpassend. Natürlich gibt es Traum-Essen von Brandtners Bruder im Geiste, Martin Kilga, zubereitet. Er hat, wie Brandtner selbst, Stationen in der High-End-Gastronomie durchlaufen, bevor ihn der rote Faden in Brandtners Paradoxon eingewickelt hat. Mit im Package sind außerdem noch Anita und Katja, womit das Kernteam des Paradoxon komplett sein sollte. Aber zurück zur Maschine. Dem Anfang von Brandtners wilder Gastrotour. Diese, seine Harley, bestieg der 40-Jährige nämlich auch schon einmal im September 2011. Damals für mehr als nur einen kurzen Männertrip. Denn es war genug. Und Zeit umzudenken.
Gedankenfrei
Acht Jahre vor diesem Roadtrip galt Brandtner als Betreiber der Plainlinde in Salzburg als einer der In-Gastronomen der Republik. Und als der einzige Österreicher, der je längere Zeit in Häusern von Robuchon bis hin zu Ducasse gearbeitet hatte. Das nach einer strengen, aber hochwertigen Ausbildung am Arlberg. So weit, so klassisch. Die Plainlinde, die schon damals zu den unkonventionelleren Top-Restaurants Österreichs zählte, wurde Brandtner trotzdem irgendwann zu eng. „Wir haben immer schon in Sneakers gekellnert und österreichische Weine serviert, als noch Bordeaux und Co. ganz oben auf den Bestelllisten der Top-Häuser standen. Es ist schön zu sehen, dass sich das in den letzten Jahren so umgekehrt hat“, so Brandtner. Der übrigens schon nach dem ersten Hallo für uns „einfach nur Stefan“ war. „So ist es einfacher.“ Und unkomplizierter, nahbarer. Die Ideen beginnen, langsam aus dem, Schneckenhaus zu kriechen. „Du musst dich wohlfühlen bei dem, was du tust. Sonst funktioniert das nicht“, so der Pop-up-King. Wobei die ersten seiner Pop-up-Konzepte darauf basierten, was er nicht wollte: nämlich zu sehr im Mittelpunkt stehen oder wegen Allergien auf den vollen Genuss verzichten müssen. Die „Anti-Brandtner“ gingen wie Hölle. Mit dem terminierten Bestehen als zentralem Teil des Konzepts.
„Das finde ich witzig, darüber können wir reden.”
Stefan Brandtner über den Beginn der meisten seiner Projekte
Es wird immer klarer – Paradoxon funktioniert. Sowohl in seiner heute verkörperten Form im Stadtteil Nonntal als auch als Ansatz einer Idee. Das Korsett in der Plainlinde war dem Freigeist also zu eng. Dennoch – den Mut muss man erst einmal haben, um so wie Stefan Brandtner einfach einmal alles hinter sich zu lassen. Um zu denken. Und mit einem komplett neuen, nicht Gastro-, sondern Lebenskonzept, wieder in Salzburg aufzuschlagen. Dem traditionellen Salzburg, dem Brandtner beibringt, ein bisschen Lockerheit zu zeigen. Die Dinge nicht zu eng zu sehen. Und das bei Essen und Trinken der Spitzenklasse als Ausgangsbasis. „Wenn ich von Gastronomie spreche, ist für mich klar, dass Service und Küche stimmen müssen. Wenn ich von einem Audi spreche, beginne ich doch auch nicht zu erzählen, dass das Ding Lenkrad und Bremsen hat.“ Retour aus dem Süden 2011 wusste Brandtner also, was er nicht wollte. Der erste „Anti-Brandtner“ war Brandtner 63. „An vorderster Front stehen, das wollte ich nicht mehr.“ Daher verteilte der Erfolgsgastronom auch Visitenkarten aus Ziegelsteinen in der Salzburger Innenstadt, während sein Team das Konzept im ehemaligen Gusswerk umsetzte. 63 Tage war die Bude brechend voll. Der Name Konzept. Denn nach 63 Tagen war das erste Pop-up-Restaurant Österreichs auch schon wieder Geschichte. Was Brandtner auch nicht wollte, ebenso wenig wie viele andere, ist, wenn Allergien oder Unverträglichkeiten ihren Genuss einschränken. Konzept Nummer zwei war geboren – Mithridat. Zurückzuführen auf „Mithridatshäusl“, den Begriff für eine Anti-Giftmischerei, also die Frühform einer Apotheke im Mittelalter.
Nein heißt nicht automatisch Ja
Im Geist frei kam der Salzburger bald zu einer weiteren prägenden Erkenntnis. „Nur weil man etwas nicht will, heißt das nicht, dass man das Gegenteil davon will.“ Mithridat schloss seine mittelalterlichern, glutenfreien Pforten. Was wollte Brandtner also? Vielleicht ein Brett vor dem Kopf, weil er keines mehr hatte? Nein. Brandtner wollte seinem Freund und Künstler Clemens Hollerer einen Raum zum Arbeiten geben. Der werkelte zwei Monate und nagelte seinem Freund Brandnter die Hütte mit Holz voll. „Brett vor dem Kopf“ sollte das Kunst-Gastro-Projekt, das pünktlich zum Festspielbeginn im Sommer 2014 eröffnete, heißen. Kreativ und Freigeist heißt nämlich nicht automatisch planlos. Die Hütte voller Holz schlug ein wie eine Bombe. „Kunst und Kulinarik waren noch nie so nahe beeinander“, titelten die Medien. Clemens Hollerer nagelte weiter. „Die Leute wollten oft an denselben Tischen sitzen wie vielleicht am Abend davor. Ich sagte ihnen immer, ich kann ihnen das nicht versprechen. Manchmal hatte Clemens nämlich genau die Stelle untertags zugenagelt“, lacht Brandtner. Und was machten die Gäste? Sich nach anfänglichem Murren über die neuen Sichtweisen freuen. Na also. Geht doch. Auf die Hütte voller Holz folgten eine Weihnachtsausstellung mit von autistischen Kindern gemalten Bildern. „Sie sollten Weihnachten malen, wie sie es sehen.“ Die Bilder waren nach nur fünf Tagen ausverkauft. Der Spendenerlös: 7500 Euro. Das ist etwas, was Brandtner tun möchte: „Wir wollen mehr in die soziale Richtung gehen. Das ist das, was sich für uns gut anfühlt und uns liegt“, so der Ausnahmegastronom. „Wobei man immer aufpassen muss, dass man diese Menschen nicht für sein eigenes Wohlfühlen und Gutgefühl ausnutzt.“
„Wir wollen weiter in die soziale Richtung gehen und die Gastronomie dafür nutzen.”
Stefan Brandtner über weitere Projekte im Paradoxon
Jeder soll in seiner Authentizität akzeptiert und frei sein: Projektpartner, sein Team und er selbst. Ansonsten kommt es zu Paradoxien, die Brandtner nicht so recht gefallen wollen: „Wie authentisch kann ein Ostdeutscher in Lederhosen auf einer Almhütte schon sein?“ Ich frage immer: „Wer ist hier falsch, der Ostdeutsche, der die Lederhose anzieht, oder der Wirt, der meint, dass das seine Gäste wollen?“ Eine Frage, auf die er keine Antwort will, sondern die zum Nachdenken anregen soll. Gedanken, die einen weiterbringen. Und die man buchen kann. „Das Besondere unserer Consultings ist, dass wir uns in die vorhandenen Abläufe komplett integrieren und mitarbeiten.“ Nur so weiß man, wo der Schuh drückt. Gleichzeitig laufen die Umbauarbeiten im Paradoxon wieder einmal auf Hochtouren: Die aktuelle „Goartnheisl“-Installation macht unsichtbarer Kunst Platz. Paradox? Ja, natürlich. Diesmal darf Jürgen Norbert Fux zur Festspielzeit werkeln. Verpackte Kunst, unter dem Namen „ARTimSACK“, wird es werden, die es ab 9. Juli im Paradoxon nicht zu sehen gibt. Und noch etwas ist ziemlich paradox: Das, was uns Stefan da so alles erzählt, leuchtet nicht nur ein, sondern ist mehr als logisch. Gegensätze ziehen sich also nicht nur an, sondern ergeben in Kombination auch noch Sinn. Gastronomisch wie sonst auch. Die Gastronomie als Mittel zu sozialeren Zwecken. Und der Laden brummt wie Hölle. Himmlisch ist das. Und zum Glück eines von unzähligen Paradoxien, die Brandtner und Leute wie er in unendlichen Momentaufnahmen umsetzen und für den guten Zweck nutzen.
www.facebook.com/brandtnersparadoxon