Dr. Badass: Dein Kork, mein Kampf

Dr. Badass & Top-Sommelier aus dem 2-Sterne-Restaurant Tantris Justin Leone heute über Win-win-Situationen beim Kork!
Oktober 5, 2015

Du kennst bestimmt die Situation, wenn du nach einem superanstrengenden Lunch-Service extrem scharf auf einen Riesenschluck Apfelschorle bist und nach dem ersten Schluck dieser herrlich blubbernden Erfrischung fast erstickst, weil du sie so rasch wie möglich ausspucken willst? Kennst du nicht? Ich schon! Und ich werd sie nie vergessen. Denn auch wenn es nicht täglich passiert, dass man eine korkende Schorle erwischt, ist es dennoch möglich. Und ich hab’s geschafft, den Jackpot zu knacken. Reicht es nicht schon, mit der andauernden Enttäuschung zu leben, dass im Keller aufgrund von schlechtem Kork unbezahlbare abgefüllte Totgeburten herumliegen? Und jetzt muss ich mir auch noch um meine Brotzeit sorgen machen? Ich persönlich habe die Schnauze voll und es wird Zeit, dass wir uns einmal diesem Korken-Thema annehmen. Und glaubt mir, es ist ein Thema!
Warum braucht man Korken?
Gefühle und Emotionen machen uns Menschen verletzlich. Daher würden wir alle gerne daran glauben, dass Wein ein lebender, atmender sowie sich weiterentwickelnder Organismus ist und daher einen gleichsam organischen Verschluss benötigt, um sich mit seiner Umgebung auszutauschen. Denn was außer Bakterien kann auf Erden ohne Sauerstoff überleben oder sich entwickeln? Ich hoffe doch schon, dass wir Wein also als etwas Höheres ansehen. Aufgrund seiner natürlichen Elastizität und der Fähigkeit, Flüssigkeit in der Flasche ohne ein Mikrolevel an Sauerstoffaustausch zu blockieren, ist der Korken also das ideale Material für einen Wein, der würdig ist zu reifen. Wobei ich hier bewusst den Fokus auf das Wort „reifen“ legen möchte. Die Realität zeigt nämlich, dass 90 Prozent …

Justin Leone
Du kennst bestimmt die Situation, wenn du nach einem superanstrengenden Lunch-Service extrem scharf auf einen Riesenschluck Apfelschorle bist und nach dem ersten Schluck dieser herrlich blubbernden Erfrischung fast erstickst, weil du sie so rasch wie möglich ausspucken willst? Kennst du nicht? Ich schon! Und ich werd sie nie vergessen. Denn auch wenn es nicht täglich passiert, dass man eine korkende Schorle erwischt, ist es dennoch möglich. Und ich hab’s geschafft, den Jackpot zu knacken. Reicht es nicht schon, mit der andauernden Enttäuschung zu leben, dass im Keller aufgrund von schlechtem Kork unbezahlbare abgefüllte Totgeburten herumliegen? Und jetzt muss ich mir auch noch um meine Brotzeit sorgen machen? Ich persönlich habe die Schnauze voll und es wird Zeit, dass wir uns einmal diesem Korken-Thema annehmen. Und glaubt mir, es ist ein Thema!
Warum braucht man Korken?
Gefühle und Emotionen machen uns Menschen verletzlich. Daher würden wir alle gerne daran glauben, dass Wein ein lebender, atmender sowie sich weiterentwickelnder Organismus ist und daher einen gleichsam organischen Verschluss benötigt, um sich mit seiner Umgebung auszutauschen. Denn was außer Bakterien kann auf Erden ohne Sauerstoff überleben oder sich entwickeln? Ich hoffe doch schon, dass wir Wein also als etwas Höheres ansehen. Aufgrund seiner natürlichen Elastizität und der Fähigkeit, Flüssigkeit in der Flasche ohne ein Mikrolevel an Sauerstoffaustausch zu blockieren, ist der Korken also das ideale Material für einen Wein, der würdig ist zu reifen. Wobei ich hier bewusst den Fokus auf das Wort „reifen“ legen möchte. Die Realität zeigt nämlich, dass 90 Prozent allen produzierten Weins zur Lagerung von nur einem Jahr gedacht sind. Warum braucht man also Korken, wenn die meisten Weine nicht einmal die Dauer unserer aktuellen Lieblings-TV-Serie überdauern? Die meisten Gäste, die ich zu diesem Thema befragte, antworteten: „Weil es eben ex­trem romantisch ist, wenn man zu Beginn eines Candle-Light-Dinners einen Korken aus der Flasche zieht.“ Echt jetzt? Wenn ich wirklich einen Korken benötige, um die Romantik zum Laufen zu bringen, dann habe ich definitiv größere Probleme in meinem Leben! Und wenn es auf die Größe ankommt, dann ist der Korken bestimmt auch das unwesentlichste Problem meines Dates! Konzentrieren wir uns lieber darauf, worum es wirklich geht, und retten einigen Bäumchen das Leben!
Woher kommt der Kork eigentlich?
Ein ganz spezielles Mitglied der Eichenfamilie, Quercus suber, produziert die richtige Rindendicke über einen Zeitraum von neun bis 19 Jahren. Diese Rinde wird dann zur Produktion für unsere Weinkorken abgezogen. Manche Produzenten geben den Bäumen nur das Minimum von 25 Jahren bis zur ersten Ernte und bedienen sich dann alle weiteren neun Jahre. Gewissenhaftere Produzenten warten jedoch jeweils 20 Jahre, um eine qualitätsvollere Ernte zu erhalten, und holen die Rinde nur acht Mal im Leben eines Baumes ein. Portugal ist aktuell für 50 Prozent der weltweiten Weinkorkenproduktion zuständig, obwohl Spanien als Geburtsort gilt und lange Zeit die dominierende Nation war. Die Rinde muss händisch mit kleinen Äxten abgelöst werden, und es braucht fünf Männer, um einen Baum abzuarbeiten. Also wenn du beim nächsten Supermarktbesuch deine Lieblingspasta, die passierten Tomaten in der Flasche plus einen Block Parmesan sowie eine 2,90-Euro-Flasche Aglianico kaufst, denk daran, dass du dem Baum dankst, der zwei Weltkriege und fünf erwachsene Männer überlebt hat, um in deine superschrottige 08/15-Chemie-Plörre zu passen. Ganz ehrlich, wenn du weniger Zeit damit verbringen würdest, einen Öffner zu suchen, um den armen Korken langwierig aus der Flasche zu bugsieren, hättest du mehr Zeit für heißere Aktivitäten mit deinem Date! Lasst uns Prioritäten setzen!
Was ist ein Wein, der korkt?
Korkgeschmack entsteht durch eine chemische Verbindung namens 2,4,6-Trichloranisol und seine anderen Varianten. Harmlose, durch Luft übertragene Pilze produzieren dieses abscheuliche Gift, wenn sie auf Chlorophenol-Verbindungen treffen und sich dadurch in chlorierte Anisol-Verbindungen verwandeln. Das kann etwa durch das Besprühen der Reben mit bekannten Pestiziden passieren oder, umso tragischer, indem man den Korken Chlor aussetzt, wie es früher während der Reinigung der Flaschen vor der Abfüllung üblich war. Das alles macht Wein letzten Endes absolut ungenießbar. In seiner gefährlichsten und listigsten Variante ist dieser Vorgang extrem schwierig zu entdecken und kann letztendlich den kompletten Geschmack eines Weins ruinieren. Ihn belanglos machen, ohne all die sexy Kurven, die man sonst so schätzt. Manche Menschen haben dabei anscheinend einen genetischen toten Winkel und erriechen korkende Weine nicht. Andere wiederum, wie ich selbst, haben das Pech, an schlechten Tagen korkige Noten ohne Ende zu erschmecken. Ich empfinde das vielmehr als Pech als als Gabe. Und wenn ein Wein einmal zu korken beginnt, gibt es auch während der Lagerung keinen Weg zurück. Manche Leute glauben, dass es hilft, ein Stück Frischhaltefolie in den Wein zu stopfen, aber nach eigener Erfahrung schmeckt der Wein danach nach Kork und Plastik. Pfui. Und Kork arbeitet schnell. Wenn einmal ein infizierter Korkstoppel in die Flasche kommt, ist der Wein binnen 20 Minuten tot. Die gute Nachricht dabei ist, dass Kork nicht durch einen Öffner von der einen Flasche zur anderen übertragen werden kann. Also behandle deinen Lieblings-Laguiole nicht wie die von STD-verpestete Nadel eines Heroinjunkies. Bleib cool, mein Freund, bleib cool!
Alternativen?
Es gibt da wirklich unzählige im Moment. Und keine schlechten. Die Österreicher sind ganz stolz auf ihre Glaskorkerfindung. Da gibt es keine Chance auf TCA-Infektionen vom Holz, aber vielleicht ein Problem mit der Oxidation. Geht so ein Stoppel kaputt, kannst du innerhalb einer Woche Adieu zum Wein sagen. Auch Schraubverschlüsse sind berüchtigt und bisher eher mit sogenannten Saufweinen assoziiert. Selbst Paula Bosch hatte ein „Kein-Schraubverschluss-Credo“ im Tantris. Natürlich hat sich dieses Image durch unzählige hochpreisige Spitzenweine aus dem Napa Valley bis hin zum australischen Barossa Valley gewandelt. Und auch die Technik ändert sich dabei rasant. Die Verschlussentwicklung erlaubt es Winzern heute, unterschiedliche Durchlässigkeitsstufen in ihren Schraubverschlüssen zu nutzen. So kann man die natürliche Oxidation von Naturkorken simulieren, ohne Angst zu haben, dass der Wein stoppelt. Und auch aus der Serviceperspektive ist der Schraubverschluss ein Traum!
Kurz zusammengefasst:
Wir sollten den Mut haben, uns einzugestehen, was wir trinken. Wer nur 2,90 Euro ausgeben will, landet bei Schraubverschlüssen. Überlasst die wertvollen Rohmaterialen besser Flaschen, die es auch verdienen. Das wäre dann nämlich eine Win-win-Situation!

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