Wo ist der Respekt geblieben, Herr Trettl?
Foto: Helge Kirchberger / Red Bull Hangar-7
Sind Gerichte, die vor 100 Jahren en vogue waren, es wert, gekannt zu werden?
Roland Trettl: Bestimmt nicht jedes Gericht, das wäre übertrieben. Dennoch: Was die Herren damals abgeliefert haben, ist großartig. Aber vermutlich ist ihnen auch nicht alles gelungen, was über ihren Pass ging. Worum es mir aber geht, ist das große Ganze. Wer die Klassik nicht kennt, kennt die Tradition nicht. Und je tiefer die Wurzeln sind, desto stärker können wir wachsen. Es reicht nicht, sich auf moderne Technik zu stürzen, ohne ein perfektes Schmorgericht hinzubekommen. Ich finde, dass die alte Garde ziemlich viel richtig gemacht hat und dass es vor allem richtig gut geschmeckt haben muss. Heute habe ich eher das Gefühl, dass durch das ganze Facebook, Twitter und die virtuellen Netzwerke so viel in eine falsche Richtung geht, dass alles so schnell vergeht. Es werden viele Gerichte, die man bei starken Kollegen gegessen hat und jetzt in seiner eigenen Küche nachkocht, gepostet. Das schaut oft gut aus, keine Frage. Aber das ist Malen nach Zahlen…
Foto: Helge Kirchberger / Red Bull Hangar-7
Sind Gerichte, die vor 100 Jahren en vogue waren, es wert, gekannt zu werden?
Roland Trettl: Bestimmt nicht jedes Gericht, das wäre übertrieben. Dennoch: Was die Herren damals abgeliefert haben, ist großartig. Aber vermutlich ist ihnen auch nicht alles gelungen, was über ihren Pass ging. Worum es mir aber geht, ist das große Ganze. Wer die Klassik nicht kennt, kennt die Tradition nicht. Und je tiefer die Wurzeln sind, desto stärker können wir wachsen. Es reicht nicht, sich auf moderne Technik zu stürzen, ohne ein perfektes Schmorgericht hinzubekommen. Ich finde, dass die alte Garde ziemlich viel richtig gemacht hat und dass es vor allem richtig gut geschmeckt haben muss. Heute habe ich eher das Gefühl, dass durch das ganze Facebook, Twitter und die virtuellen Netzwerke so viel in eine falsche Richtung geht, dass alles so schnell vergeht. Es werden viele Gerichte, die man bei starken Kollegen gegessen hat und jetzt in seiner eigenen Küche nachkocht, gepostet. Das schaut oft gut aus, keine Frage. Aber das ist Malen nach Zahlen, es sind nur Bilder. Die Optik zählt immer mehr, der Geschmack bleibt in den meisten Fällen auf der Strecke.
ein Evolutionär baut auf ihr auf.»
Jetzt haben Sie ja auch die bis heute sehr bekannten Gerichte von Auguste Escoffier, Marie-Antoine Carême, Félix Urbain-Dubois bis hin zu Paul Bocuse und Eckart Witzigmann als Vorlage genommen. Ist das nicht in einer Art dasselbe?
Trettl: Ich möchte nicht die Originalgerichte nachkochen. So weit lehne ich mich nicht hinaus. Das ist kein Wettkampf, dafür bin ich zu klein. Und vor allem habe ich davor zu viel Respekt, das wäre schon wahnsinnig arrogant zu sagen: Ich koche die Gerichte von Escoffier und Carême nach. Geht’s noch? Davor habe ich riesigen Respekt.
Aber Sie schrecken nicht davor zurück, Ihr eigenes Ding daraus zu machen?
Trettl: Es sind die großen Klassiker, wie einen Hummer à l’américaine, einen Pfirsich Melba, die man kennen sollte. Ich interpretiere diese Gerichte, die jeden durch seine Kochlaufbahn verfolgen sollten, nach meinem Geschmack, durch meine Ideen und die aktuellen Kochtechniken neu. Was die Sache für mich noch spannender machte, war es, das Wesen, den Charakter der Menschen hinter diesen Gerichten kennenzulernen. Wer sind die Herren, die die Küche neu erfanden, warum kommt man auf die Idee, einen Caesar Salad oder den Waldorfsalat zu kreieren? Wenn ich ein Gericht hinzaubere, das nach 100 Jahren noch auf vielen Menüs in dieser Form zu finden und nach mir benannt ist, ist das doch gleichbedeutend mit einem Ritterschlag.
Gibt es jemanden, der das heute noch schaffen kann?
Trettl: Ferran Adrià hat sich bereits jetzt einen ähnlichen Ruf erarbeitet. Der ist ein ganz Großer, eigentlich ein Wahnsinniger, der eine Evolution eingeläutet hat. Keine Revolution, wie er selbst sagt. Denn ein Revolutionär respektiert die Tradition nicht, ein Evolutionär baut auf ihr auf.
Also ist es möglich?
Trettl: Es ist doch so: Wenn heute René Redzepi in Kopenhagen etwas macht, dann wissen die Leute das bereits seit gestern in Chicago. Das Leben hat sich heute so beschleunigt, wie es vor einigen Jahren nicht denkbar gewesen wäre. Durch die OnlineMedien und -Portale spitzt sich diese Situation merkbar zu, weil alle sofort alles wissen. Im letzten Jahrhundert musste etwas wirklich richtig gut sein, um über die Grenzen getragen zu werden. Diese Nachhaltigkeit ist durch den modernen Informationsfluss definitiv Geschichte. So schnell man gehypt wird, so schnell wird man wieder zerschmettert. Kann man heute noch Klassiker werden? Ich bin mir nicht sicher, denn meiner Meinung nach fehlt der Respekt vor der Leistung und vor dem Menschen.
Wie meinen Sie das genau?
Trettl: Wenn ich sehe, was die Leute auf Facebook posten, frage ich mich schon, wo leben denn die – woher nehmen sich Personen, die in ihrem Leben noch nichts erreicht haben, noch nichts auf die Beine gestellt haben, das Recht heraus, beleidigend zu werden? Stehen die dann vor dir, kriegen sie den Mund nicht auf, aber fleißig in die Tasten reinhauen und das mangelnde Ego online auffrisieren. Gegen mich ist ja eine Sache, aber wenn man als Koch keinen Respekt vor Eckart Witzigmann hat, vor wem dann sonst? Und das ist einer der Gründe, warum ich in diesem Jahr die Klassiker zu meinem Motto gemacht habe. Das alles läuft unter dem Aspekt „Respekt“. Wenn ich vergleiche, wie die jungen Köche heute so drauf sind, finde ich das furchtbar. Ich war ja auch immer ein verrückter Hund. Aber ich bin nach 20 Jahren mit Herrn Witzigmann immer noch per Sie. Das kann er mir noch so oft anbieten, wie er will. Aber ich habe vor dem Mann zu viel Respekt, als dass ich es annehmen würde. Heute ist das schon so automatisch, dieses Per-Du. Aber nur, weil ich einen lässigen Stil habe, heißt das nicht, dass ich gleich mit allen best friend bin. Oder sein will.
Apropos Eckart Witzigmann: Welches Gericht haben Sie von Ihrem kulinarischen Ziehvater neu interpretiert?
Trettl: Sein Trüffel-Kalbsbries. Original werden dabei Bries, Trüffel und Gänseleber in einen Mantel aus Lauch und Parmaschinken eingehüllt und anschließend in dünnem Strudelteig gebacken. Für meine Variante verwende ich alle relevanten Produkte, allerdings setze ich sie neu zusammen. In diesem Fall wird eine getrüffelte Kalbsbries-Mousse in Form eines Trüffels serviert. Dafür haben wir eigens Silikonformen angefertigt. Damit es auch so aussieht wie ein Trüffel, wird die Masse abschließend mit getrocknetem Trüffel bestaubt. Der sitzt auf einem Sockel aus Gänsestopfleberparfait und einer dünnen Schicht Spinat. Der Witzigmann-Klassiker „Kalbsbries Rumohr“ wird dann von mir als kaltes Gericht präsentiert.
Wie sind Sie eigentlich an dieses Projekt herangegangen? Alte Kochbücher gelesen und dann nach der Versuch-und-Irrtum-Methode?
Trettl: Als ich zu überlegen begann, was ich in unserem Monat machen könnte, ärgerte ich mich gerade über die Respektlosigkeit vor der alten Elite. Da entstand die Idee, wichtige Gerichte aus der Geschichte herzunehmen und sie ins Heute zu transkribieren. Den Leuten zu zeigen, dass es eben nicht nur Adrià und Redzepi gibt, dass davor auch schon Großes geschaffen wurde. Auf dieser Idee habe ich dann aufgebaut. Das Erstellen eines regulären Menüs wäre bestimmt mit weniger Recherche verbunden gewesen. Hier habe ich viel reingelesen und die Geschichten hinter den Gerichten kennengelernt und für mich aufbereitet. Alleine die Auswahl der klassischen Gerichte war eine längere Prozedur.
Wer hat es denn letztendlich in das Menü geschafft?
Trettl: Eckart Witzigmann, natürlich Auguste Escoffier und Paul Bocuse, Fritz-Karl Watel mit seiner „Crème Chantilly“ sowie Edouard Nignon und das durch ihn bekannt gewordene „Beuschel Touraine“. Weil aber heute kaum noch jemand Beuschel isst, habe ich es stark modifiziert. Statt der Lunge und des Herzens verwende ich Calamari. Diese schneiden wir hauchdünn und aus dem Sud der Calamariköpfe wird das traditionell verwendete Wurzelgemüse gegart. Anstatt des Knödels habe ich mich für eine Farce aus Langostinos entschieden.
Und wie nennen Sie dieses Gericht dann? An das Original erinnert nun ja nicht mehr allzu viel?
Trettl: Im Menü steht „Beuschel Touraine“ von Edouard Nignon, gefolgt von einer kurzen Erklärung, in welcher Form ich es interpretiert habe. Das Gericht von Félix Urbain-Dubois, seinen Klassiker aus Seezunge mit Nudeln, habe ich aber schlicht „Butter, Butter, Butter“ genannt. Dubois war ein 160-Kilo-Mann, der genau das über das Kochen gesagt haben soll. Finde ich klasse. Bei seinem Gericht gehe ich stark in die asiatische Richtung, wobei der Butter in Form eines Riegels auf der Seezunge Ehre erwiesen wird. Als Nudeläquivalent verwende ich Algen. Meine Version des Klassikers.
Hangar-7/Restaurant Ikarus
Salzburg Airport
Wilhelm-Spazier-Straße 7A
A-5020 Salzburg
Tel.: +43 (0) 662/21 97-77
ikarus@hangar-7.com
www.hangar-7.com
www.facebook.com/hangar7
Next Chef: Rasmus Kofoed
Beuschel Touraine von Edouard Nignon
Er war neun Jahre alt, Analphabet und unfassbar motiviert. Letzteres brachte Nignon später in die größten Häuser Europas, zu Paillard Claridges nach London und in die L’Ermitage nach Moskau bei Olivier. Sein größter Nachlass ist das „Beuschel Touraine“ aus Kalbsniere und Kalbsbries, eine Interpretation einer alten Rezeptur aus der Region Pays de la Loire.
Kalbsbries Rumohr von Eckart Witzigmann
Kreiert hat Jahrhundertkoch Witzigmann diesen Klassiker 1976 für Wolfram Siebeck. Warum Bries? Weil der von ihm hochgeschätzte Gastrokritiker wie Witzigmann selbst ein Fan dieser speziellen Innerei ist. Gleichzeitig ist es eine Hommage an den Holsteiner Kunsthistoriker und Gastrosophen Carl Friedrich von Rumohr, der Witzigmann mit seinen Ansichten zum Thema Essen nachhaltig beeinflusste. Rumohrs berühmtester Leitspruch ist heute ein geflügeltes Wort: „Der Mensch ist, was er isst.“
Homard à l’américaine
Eines der ersten Gerichte, das Escoffier erfand, und eines, das ihn unvergesslich machte. Als „Langouste niçoise“ verkaufte es sich im Chez Philippe in Nizza, als „Langouste provençale“ im Restaurant Favre und erst im Petit Moulin Rouge wurde es zum „Homard à l’américaine“. Denn dort wart die Klientel gespritzter und ein Name musste her, der keinen ländlichen Touch mehr hatte. Und Amerika, das klang für Escoffier anscheinend weltmännisch genug.
von Auguste Escoffier
Die drei Rezepte sind auch online unter www.rollingpin.eu/qrcode abrufbar.
Crème Chantilly von Fritz-Karl Watel
Das große Festmahl für den Sonnenkönig Ludwig XIV. im Jahr 1671 war der beste und zugleich letzte Tag im Leben des Hofkoches von Prinz von Condé. Der Schweizer Watel erfand für diesen Anlass die bis heute bekannte „Crème Chantilly“, eine Dessertcreme aus geschlagener Sahne, die gezuckert und mit Vanille aromatisiert wird. Doch es war der Fisch, der Watel an diesem Tag dahinraffte. Denn die Legende besagt, dass er sich ins Schwert stürzte, als er erfuhr, dass die Lieferung nicht eintreffen würde. Später kam sie doch – da war Watel allerdings schon tot.
Schwarzwälder Kirschtorte von Josef Keller
Der „süße Josef“, ein Beiname Josef Kellers aus seiner Jugendzeit, kredenzte in Bad Godesberg im Kaffeehaus Ahrend Bonner Studenten als Modedessert Kirschen mit Sahne. Weil es Studiosi eben fröhlich mögen, tränkte er einen Mürbteigboden mit Kirschwasser und so entstand nach und nach das Tortengebäck, das man heute „Schwarzwälder Kirschtorte“ nennt.
Alle Rezepte von Roland Trettl und den Ikarus Gastköchen gibt es ab Herbst im Buchhandel und im Hangar-7 Online-Shop sowie als App.