Sternenköchin Antonia Klugmann: Die Traumfängerin
Zu den touristischen Hotspots dieser Welt zählt das Landesinnere des italienischen Friaul nicht. Zumindest noch nicht. Auch wenn sich langsam herumspricht, dass dieses geschichtsträchtige Fleckchen Erde zwischen Österreich, Slowenien und der Adria die nachweislich besten Weißweine Italiens hervorbringt. Und es einem beim nahezu omnipräsenten Ausblick auf die Ostdolomiten, die Julischen und Karnischen Alpen regelmäßig den Atem verschlägt.
Zu den touristischen Hotspots dieser Welt zählt das Landesinnere des italienischen Friaul nicht. Zumindest noch nicht. Auch wenn sich langsam herumspricht, dass dieses geschichtsträchtige Fleckchen Erde zwischen Österreich, Slowenien und der Adria die nachweislich besten Weißweine Italiens hervorbringt. Und es einem beim nahezu omnipräsenten Ausblick auf die Ostdolomiten, die Julischen und Karnischen Alpen regelmäßig den Atem verschlägt.
Antonia Klugmann kennt diese Region wie ihre Westentasche. Die italienische Starköchin führt mit ihrem 2014 eröffneten Restaurant L’Argine a Vencò so etwas wie eine internationale Touristenattraktion, quasi im idyllischen Nirgendwo, das zur 1550-Einwohner- Gemeinde Dolegna del Collio gehört. Gleich im Jahr nach der Eröffnung erhielt die gebürtige Triesterin den ersten Stern und machte sich auch medial einen Namen, nicht zuletzt als Jurorin in der italienischen Ausgabe der Kochsendung Masterchef.
„Eigentlich“, sagt Klugmann, „habe ich es fast lieber, wenn die Menschen nicht nur meinetwegen ins Restaurant kommen. Am liebsten ist mir, sie kommen wegen der Region. Weil dann bekommen sie in meinem Restaurant so etwas wie eine Tour durch alles, was das Friaul so ausmacht.“ Tatsächlich könnten die Gerichte, die man in ihrem Restaurant samt Gemüsegarten bekommt, terroirbehafteter nicht sein.
In Rotweinessig marinierte Radicchio-Blätter und Trüffel-Butter oder in Orangenfond gekochte Spaghetti mit Kürbisbottarga zeigen eindrücklich: Hier hat eine ihren Stil gefunden. Und das, obwohl – oder gerade weil – es sich Antonia Klugmann wirklich nicht leicht gemacht hat.
Nix Homecooking!
Antonia Klugmann, Jahrgang 1971, ist Tochter eines Arztehepaars. Vielleicht entschied sie sich deswegen bereits früh für eines der klassisch-bürgerlichen Studienfächer. „Ich wollte wirklich unbedingt Juristin werden“, erinnert sich die anspruchsvolle Perfektionistin in druckreifem Englisch, in dem sie sich, wie sie selbst sagt, sehr unsicher wähnt.
Drei Jahre gab sie sich in Mailand dem inbrünstigen Studium der Rechtswissenschaften hin. „Mich fasziniert das bis heute, wie Recht eine Gesellschaft prägt“, so Klugmann. „Andererseits hatte ich seit dem Gymnasium das Problem, meine Kreativität nicht wirklich ausleben zu können.“ Das änderte sich eher zufällig während ihrer Studienzeit. Denn in der Wohngemeinschaft, in der sie damals lebte, entdeckte sie das Kochen für sich. „Was mich antrieb, war aber nicht das sogenannte Homecooking, sondern dieser Anspruch der Haute Cuisine, wo es immer darum geht, wie Kreativität beim Kochen ausgelebt werden kann.“
Klugmann las Magazine, sah sich Kochsendungen an – und langsam, aber sicher war die Kerntemperatur eines gebratenen Seeteufelfilets eben wichtiger als Paragraf 19 des italienischen Strafgesetzbuches. Die gebürtige Triesterin brach das Studium nach drei Jahren ab. Und beschloss, Köchin zu werden. Auch wenn sie nicht genau wusste, wie sie das anstellen sollte.
Für die einen war das seltsam, für die anderen mutig.
Antonia Klugmanns Entschluss, im friaulischen Landesinneren ein Restaurant zu eröffnen, sorgte zu Beginn in ihrem Umfeld für Kopfschütteln
„Damals“, erinnert sie sich, „war es nicht so gehypt, Koch zu werden.“ Kein Wunder, dass der Entschluss der vielversprechenden Studentin bei ihren Eltern für Entsetzen sorgte. Und auch beim Rest der Familie. Schließlich gab es darunter niemanden, er jemals hauptberuflich hinter dem Herd gestanden hatte.
Ein Unfall als Turning Point
Klugmann wurde Tellerwäscherin in einem kleinen friaulischen Restaurant. Zur selben Zeit erfuhr sie, dass der Spitzenkoch Raffaello Mazzolini bald ein Restaurant in der Gegend eröffnen würde. Sie begann als Praktikantin, wurde Commis und machte dann eine vierjährige Ausbildung bei Mazzolini, von dem sie klassisches Können und unorthodoxe Innovationskraft erlernte.
Mit dem Grundwerkzeug für eine Kochkarriere gerüstet, trieb es Küchenverrückte in andere Spitzenrestaurants Italiens. Doch das Schicksal wollte es offenbar anders. Und wer weiß, im Nachhinein vielleicht: besser. Es war das Jahr 2005, als Klugmann einen schweren Autounfall hatte. Ein Jahr lang konnte sie nicht in der Küche stehen, schon gar nicht die vielen Stunden am Tag. „In diesem Jahr“, erinnert sich die Spitzenköchin, „beschloss ich, Gastronomin zu werden. Sprich, mein eigenes Restaurant zu eröffnen.“
Das tat sie auch. Und eröffnete 2006 das Antico Foledor Conte Lovaria in Udine. Sechs Jahre führte sie es als Küchenchefin. „Das war eine unglaublich lehrreiche Zeit für mich. Vor allem, weil ich Zeit hatte, mich zu entwickeln. Ich glaube, das lag auch daran, dass damals das Internet mit all den sozialen Netzwerken noch nicht so dominierend war. Das gab mir Raum, um meine Techniken zu verbessern und mich langsam als Köchin zu finden.“ Klugmanns Handschrift begann, sich stark auf vermeintlich unluxuriöse Produkte zu konzentrieren, vor allem feilte sie unaufhörlich an Techniken, um heimische Gemüsesorten zum Leuchten zu bringen. Denn auch den Gemüseanbau hatte sie während des Jahres nach ihrem Unfall entdeckt. Die Klugmann’sche Konsequenz lautete also: ein neues Restaurant. Ein wirklich eigenes. Mit eigenem Grund und eigenem Garten. Hier im Friaul.
Der erste Stern
Fündig wurde sie in Dolegna del Collio nahe der slowenischen Grenze. Neben einer alten Steinmühle aus dem 16. Jahrhundert ließ Klugmann das jetzige Restaurantgebäude bauen, ein modern anmutendes architektonisches Juwel aus Holz und Glas. „Für einige war dieser Entschluss seltsam. Für die anderen, sagen wir, mutig“, so Klugmann augenzwinkernd. Vier Jahre lang zog sich das alles. Auch, weil Klugmann ja währenddessen Geld verdienen musste. In Venedig holte sie, so ganz nebenbei, ihren ersten Stern für das Restaurant Venissa.
„Das war eine unglaublich intensive und, ja, stressige Zeit. Für das Venissa, das in Venedig ja einen gewissen Status hat, musste ich liefern und wollte auch immer besser werden.“ Das lohnte sich. Nicht nur wegen des Sterns, sondern auch, weil die im Venissa einund ausgehenden Journalisten Antonia Klugmann nun am Schirm hatten. Weniger als ein Jahr nach der Eröffnung der L’Argile a Vencò im Jahr 2014 erhielt Klugmann auch dort ihren – irgendwie doch wieder ersten – Macaron.
Soulfood aus der Dark Kitchen
„Fürs Restaurant war das ein Geschenk. Man muss wissen: Gerade für so ein abgelegenes Restaurant wie unseres kann ein Stern nicht überschätzt werden. Ohne den Guide wüssten viele Menschen nicht einmal, dass wir existieren.“ Mit dem Restaurant im Landesinneren hat – im Gegensatz zu ihrer Zeit als Küchenchefin im Venissa – Meeresfisch eine weniger prominente Bedeutung. Einfach, weil es schwierig wird, so Klugmann, die Transparenz und Nachhaltigkeit zu bewahren, wenn man nicht direkt am Meer kocht.
Nicht das Homecooking faszinierte mich, sondern die Haute Cuisine.
In ihrer Studenten-WG-Zeit entdeckte Antonia Klugmann ihre Leidenschaft für Fine Dine
„Dafür habe ich das Gefühl, als wäre meine Küche hier etwas italienischer, etwas traditioneller geworden. Oder eben persönlicher, weil ja auch ich mit traditioneller italienischer Küche groß geworden bin.“ Diese Rückbesinnung hat nicht zuletzt auch mit der Coronakrise zu tun. Denn da es mit Take-away oder Abholservice im friaulischen Niemandsland nicht weit her ist, ließ sich die Sterneköchin etwas anderes einfallen: Die Küche im L’Argine a Vencò wurde zur Dark Kitchen, gekocht wurde traditionelles italienisches Soulfood und verkauft wurde es in einem Shop in Triest.
Für Klugmann eine unerwartete Bereicherung: „Ich entdecke diese Küche neu, versehe sie mit einigen unserer Techniken aus dem Restaurant und bemerke, wie sehr ich dadurch weiterwachse, auch persönlich.“ Langweilig wird es also in der Karsthochebene des Friaul nicht. Weder für Klugmann noch für ihre (zukünftigen) Gäste. Ob sie nun ihretwegen kommen oder nicht.
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ANTONIA KLUGMANN wurde 1979 als Tochter eines Arztehepaares in Triest geboren. Drei Jahre studierte sie Jura – und entdeckte in ihrer Studenten-WG-Zeit ihre Leidenschaft für die Haute Cuisine. Nach Abbruch ihres Studiums verdingte sie sich zuerst als Tellerwäscherin und machte eine vierjährige Ausbildung beim italienischen Spitzenkoch Raffaello Mazzolini. Ein Autounfall unterbrach ihre Wanderjahre und ließ in ihr den Entschluss reifen, ein eigenes Restaurant zu eröffnen. Im berühmten Restaurant Venissa in Venedig holte Klugmann ihren ersten Stern. 2014 eröffnete das L’Argile a Vencò in einer kleinen Gemeinde im Friaul, für das sie seit 2015 mit einem Stern ausgezeichnet wird.