Einer gegen alle: So erschuf René Frank die erste besternte Dessert-Bar
Was macht das Coda so außergewöhnlich?
Mit den Superstars der Pâtisserie, wie sie vor allem in Frankreich zurzeit so stark gefeiert werden, hat René Frank recht wenig am Hut. Statt auf hochattraktive Kunstwerke mit entsprechender Instagramtauglichkeit – wie etwa im Fall von Cédric Grolet, dem Rockstar der Branche mit seinen 1,5 Millionen Followern – setzt der Deutsche vielmehr auf Qualität und Natürlichkeit der Zutaten, vor allem aber auf Geschmack. „Das meiste von diesen Instagram-Pâtisserien wird mit extrem viel weißem Zucker, mit Farbstoffen und sonstigen hochraffinierten beziehungsweise künstlich erzeugten Zusatzstoffen hergestellt, eben damit es gut aussieht. Dabei kommt der wahre Geschmack, also jener der Hauptzutaten, in der Regel zu kurz“, betont Frank. Und das sei eben genau das Gegenteil dessen, was er selbst in seiner „Dessert-Bar“ namens Coda im Berliner Bezirk Neukölln anstrebe.
Was macht das Coda so außergewöhnlich?
Mit den Superstars der Pâtisserie, wie sie vor allem in Frankreich zurzeit so stark gefeiert werden, hat René Frank recht wenig am Hut. Statt auf hochattraktive Kunstwerke mit entsprechender Instagramtauglichkeit – wie etwa im Fall von Cédric Grolet, dem Rockstar der Branche mit seinen 1,5 Millionen Followern – setzt der Deutsche vielmehr auf Qualität und Natürlichkeit der Zutaten, vor allem aber auf Geschmack. „Das meiste von diesen Instagram-Pâtisserien wird mit extrem viel weißem Zucker, mit Farbstoffen und sonstigen hochraffinierten beziehungsweise künstlich erzeugten Zusatzstoffen hergestellt, eben damit es gut aussieht. Dabei kommt der wahre Geschmack, also jener der Hauptzutaten, in der Regel zu kurz“, betont Frank. Und das sei eben genau das Gegenteil dessen, was er selbst in seiner „Dessert-Bar“ namens Coda im Berliner Bezirk Neukölln anstrebe.
Das 2016 eröffnete Coda ist ein ziemlich außergewöhnliches, um nicht zu sagen einzigartiges Restaurant. Nicht nur, weil es sich traut, ein einziges Menü anzubieten, das ausschließlich und von Anfang bis zum Ende aus Desserts besteht. Sondern auch, weil es dafür vom Guide Michelin mit zuerst einem Stern im Jahr 2019 und einem zweiten im laufenden Jahr ausgezeichnet wurde. Ob es noch ein weiteres reines Dessert-Restaurant auf dieser Welt gibt, das sich mit zwei Sternen schmücken darf, ist angesichts der jährlich steigenden Zahl an vom Guide bewerteten Ländern, Städten, Restaurants zwar statistisch nicht ganz so leicht zu erfassen, kann aber wohl ausgeschlossen werden.
Nicht nur vom Angebot her, auch in Sachen Erscheinungsbild entspricht das Coda kaum jenen Klischees, die man üblicherweise von einem 2-Sterne-Restaurant erwartet. Ungewöhnlich ist allein schon die Lage umgeben von Döner-, Billig- und Fastfood-Lokalen mitten in Neukölln. Ungewöhnlich auch das diskrete Äußere. Wer hierher will, muss schon wissen, wonach er sucht, so unscheinbar ist die Fassade. Ziemlich karg und aufs Wesentliche reduziert auch das Interieur – viel Stein, Beton und Metall, einfache Hellholzstühle und eine dominante Bar mit filigranen Barhockern, von der aus man in die Küche blickt. Kein Vergleich also mit einem Fine-Dining-Restaurant der alten Michelin-Schule. Und dennoch war der Patron und Küchenchef nicht überrascht, als im Jahr 2019 der erste Michelin-Stern fiel, wie er betont.
Von Georges Blanc bis zu Thomas Bühner
„Der Guide Michelin hat sich in den letzten Jahren doch sehr geöffnet“, sagt Frank, „während man früher davon ausgehen musste, dass er nur solche Lokale belohnt, die ein bürgerliches Ambiente inklusive Tischtüchern, Tafelsilber und so weiter vermitteln, so hat sich das inzwischen doch ziemlich geändert. Heutzutage erhalten ja sogar Straßenküchen in Asien einen Stern, wenn sie denn gutes Essen bieten.“ Doch dass bereits im Jahr darauf der zweite Stern folgte, damit hatte auch er selbst nicht gerechnet, wie der Küchenchef zugibt. Dabei weiß der 34-Jährige nur allzu gut, wovon er spricht. Denn Küchen von Sternelokalen von innen kennengelernt hat Frank in seiner Laufbahn wohl genügend.
Nach seiner ersten Stelle als Junior-Chef-Pâtissier in der Zirbelstube in Stuttgart zog es ihn 2007 hinaus in die Welt. Zunächst nach Spanien in die berühmte Chocolaterie Oriol Balaguer in Barcelona, später ins Restaurant Akelarre (3 Michelin-Sterne) in San Sebastián. In der Schweiz machte er Station im Lampart’s (2 Michelin-Sterne), in Frankreich arbeitete er im Restaurant Georges Blanc (3 Michelin-Sterne). Eine besonders prägende Zeit waren sechs Monate, die er in Japan verbrachte: In Tokio war er im Nihonryori RyuGin (3 Michelin-Sterne) und in Kioto im Kikunoi (3 Michelin-Sterne). Von 2010 bis 2016 belegte er die Stelle des Chef-Patissiers im Osnabrücker La Vie (3 Michelin-Sterne). 2012 erhielt das Weltklasserestaurant von Thomas Bühner seinen dritten Stern – ein Erfolg, an dem nicht zuletzt Frank mit seinen außergewöhnlichen Dessert-Kreationen maßgeblich beteiligt war.
Desserviert
„In den allermeisten Sternerestaurants ist es nach wie vor so, dass die Pâtisserie vernachlässigt wird“, bedauert der Chefkoch und Wirt, „während in der Küche ganz genau darauf geachtet wird, dass die Zutaten äußerst frisch, möglichst unverfälscht, weitgehend handwerklich erzeugt sind, so greift man in der Pâtisserie in sehr vielen Fällen einfach auf industrielle Ware zurück, beispielsweise auf Tetra-Pak-Eier, auf die schon erwähnten Farbstoffe, auf große Mengen an raffiniertem Weißzucker.“ Nicht so im Coda, wo alles so naturbelassen verarbeitet und serviert wird wie möglich. Und dennoch stellt sich die Frage: Kann man denn tatsächlich ein siebengängiges Menü ausschließlich aus Desserts essen, ohne sich dabei den Magen zu verrenken? Dazu muss man wohl erst einmal wissen, was genau der Küchenchef unter einem Dessert überhaupt versteht.
„Also der Begriff stammt ja bekanntlich aus dem Französischen und bedeutet natürlich schon so viel wie Nachtisch“, erklärt der Pâtissier, „weil es gereicht wird, nachdem man den Tisch abgeräumt, also ,desserviert‘ hat.“ Was auch insofern Sinn ergebe, als alle anderen Geschmackssinne, also salzig, sauer, bitter und umami, am Ende eines Mahles normalerweise bereits ziemlich ausgereizt seien und da eben nur das Süße noch punkten könne. „Bei uns indessen beginnt die Überlegung da, wo wir uns fragen: Wie würde ein Dessert aussehen und gestaltet sein, das richtig ausbalanciert wäre, und wie könnte man aus derartigen Desserts ein mehrgängiges Menü gestalten?“ Dafür dürften die Gerichte eben nicht zu süß sein und müssten möglichst bekömmlich daherkommen. „Es gibt da einen bedeutenden Unterschied etwa zwischen Zucker und Salz“, fährt Frank fort, „denn um Salzigkeit zu erreichen, kommt man um die Zugabe von Salz kaum herum. Süße indessen gibt es auch ganz ohne Zucker, beispielsweise einfach durch die natürliche Süße reifer Früchte, durch Honig, durch Ahornsirup und etliches mehr.“ Diese Süße hervorzuheben, stelle für einen Pâtissier eine ähnliche Herausforderung dar, wie für einen konventionellen Koch beispielsweise das Umami in einem Stück Fleisch in Evidenz zu setzen.
„Ein seriöser Koch wird ja nun auch nicht hergehen, das Fleisch braten, und dann einfach Glutamat dazutun, um den Umami-Geschmack zu erreichen“, betont Frank. Genauso wie Glutamat sei weißer Zucker eben nichts weiter als eine billige Möglichkeit, um relativ aufwandslos minderwertige Lebensmittelqualität zu kaschieren. „Erst wenn man den Zucker weglässt beziehungsweise entscheidend reduziert, kommt der wahre Geschmack der Speise zum Vorschein“, so Frank. Danach gehöre sie allerdings, genau wie in der „salzigen“ Küche, entsprechend ausbalanciert. Denn genau darum gehe es eben beim Kochen.
Mit Genugtuung betrachtet der Patissier die Entwicklung dahin, dass seine Zunft in den letzten Jahren an Prestige gewonnen hat. Als er selbst seine Ausbildung begann, sei man davon noch weit entfernt gewesen, will er betont wissen. „In Frankreich ist man da freilich schon etwas weiter, was nicht zuletzt daran liegt, dass die Franzosen generell bereit sind, für gute Küche mehr Geld auszugeben. Das trifft auch auf die Pâtisserie zu“, sagt Frank. Doch inzwischen gebe es auch im deutschsprachigen Raum eine wachsende Zahl an jungen Leuten, die sich für den Beruf begeisterten, fügt er hinzu. Und das liegt mit Sicherheit nicht zuletzt an ihm selbst. Und an dem deutlichen Zuspruch, den er mit seinem ungewöhnlichen Restaurant und dessen gewagtem Konzept erzielt.