Die Erleuchtung kommt nach dem Fall
Fotos: Werner Krug A-8020 Graz, Gerald Rihar | HELGE KIRCHBERGER Photography, Wolfgang Hummer
Auch mal eine Niederlage einfahren gehört zum Geschäft. Wer pleitegeht oder ein Projekt vermasselt, verschweigt es lieber. Aktuell kommt Bewegung in die Sache – die Wirtschaft und die Politik preisten die Kultur der zweiten Chance und in sogenannten Fuckup Nights, einer Bewegung, die 2012 in Mexiko entstand und sich inzwischen in einem Dutzend Ländern durchgesetzt hat, berichten Unternehmer ganz offen über ihre Misserfolge. Unter dem Motto: Daraus lernen, seine Schlüsse ziehen und neu durchstarten. Auch die Strippenzieher der Gastronomie und Hotellerie sind vor Rückschlägen und Fehlentscheidungen nicht gefeit. Die Luft in der Branche ist dünn. Um erfolgreich zu sein, muss die Geschäftsidee Hand und Fuß haben. Wie groß das Fehlerpotenzial ist, zeigen die Zahlen bei Start-up-Unternehmen: Nicht ohne Grund hängt ihnen der Ruf an, dass sie oft und schnell scheitern. So rangiert das Gastgewerbe im Branchenvergleich bei den Insolvenzen in Deutschland auf Platz drei (2014, Statistisches Bundesamt) und in Österreich auf Platz zwei (2012, Statistik Austria) hinter dem Baugewerbe und hinter respektive vor Freiberuflern. Kein Ruhmesblatt, aber auch kein Grund, den Kopf in den Sand zu stecken. Erfolgreiche Gastronomen und Hoteliers verraten ROLLING PIN ihren größten Fehler und was sie seitdem tun, um solche Fehltritte zu vermeiden.
Ohne Marktanalyse geht es nicht
Ein Umsatz von 120 Millionen und 1400 Mitarbeiter – Kulinarik-Visionär Rainer Becker hat mit seinen neun Zumas und fünf Rokas ein japanisch inspiriertes Restaurant-Imperium aufgebaut. Doch auch bei dem Deutschen lief nicht immer alles glatt. Gelinde gesagt für das, was dem Deutschen 2007 passierte. In Macao eröffnete er das Roka nach demselben Restaurantkonzept wie der Dependance in Hongkong. Rainer Becker muss heute eingestehen: „Wir haben blind gehandelt, keine richtige Marktanalyse gemacht. Wir waren voller Euphorie, weil in London alles super gelaufen ist, vielleicht auch ein bisschen überheblich. Nach einem Jahr haben wir wieder zugemacht und dabei mehr als vier Millionen Euro verloren.“ Was er daraus gelernt hat? „Wenn wir jetzt in eine Stadt gehen, machen wir unsere Hausaufgaben besser, indem wir uns den Markt ganz genau anschauen.“ Das ist auch sein Rat an junge Unternehmer, die sich selbständig machen. Zudem sollten sie sich fragen, ob der Markt reif für ihr Konzept ist. Als Becker 2002 mit dem ersten Zuma in London startete, wusste er, dass der Markt umkämpft ist. Was für ihn Ansporn und Sicherheit zugleich war: „Wo viele gute Restaurants erfolgreich sind, ist der Markt da.“ Für die Finanzierung gibt es in seinem Unternehmen eine feste Regel: Ein Restaurant muss unter zwei Jahren abbezahlt sein. Beim ersten Zuma hieß es für den gelernten Koch, der lange für die Hyatt-Gruppe arbeitete, jeden Cent zehnmal umdrehen. „Ich habe bei Streichhölzern mit Namen, Bleistiften bis hin zur Kaffeetasse bis zu zehn Angebote eingeholt. Jeder Cent macht den Unterschied.“ Entscheidend für Becker bis jetzt: Das, was der Gast sieht, muss perfekt sein, was im Hintergrund abläuft, ist egal. Deshalb war sein erstes Büro auch mit Ikea-Möbeln ausgestattet.
Auch für Event-Koch und Rockrebell der Szene Stefan Marquard, der seinen Namen in den letzten 15 Jahren als feste Marke etabliert hat, gehört die Markt- und Zielgruppenanalyse zum kleinen Einmaleins der Unternehmensgründung. „Man sollte sich Gedanken machen, welche Leute in meinem Umfeld leben, was die im Geldbeutel haben, also was haben die für eine Kaufkraft und was habe ich an Konkurrenz.“ Dafür muss man besonders am Anfang auch nicht viel Geld in die Hand nehmen, Marquard empfiehlt praxisnah: Freunde losschicken, schauen, was die Speisen und Getränke bei den anderen kosten, Speisekarte fotografieren und auswerten.
Augen auf bei der Partnerwahl
Zum A und O beim Start-up gehören für Marquard außerdem ein kalkuliertes Risiko und die richtige Partnerwahl. Das hat dem Rockrebellen mit einem Cateringunternehmen und einem Restaurant zweimal fast das Genick gebrochen: „Meine erste Bruchlandung hatte ich mit einem Partner, der mich gnadenlos über den Tisch gezogen hat. Ich hab dem blind vertraut und er hat mich volles Gerät ausgenutzt. Die zweite war mit einem sogenannten besten Freund. Wir hatten keine vernünftigen Verträge gemacht und der Schuss ging auch nach hinten los.“ Bei Geld hört die Freundschaft auf, das hat Marquard am eigenen Leib erfahren und will jungen Leuten solche Erfahrungen ersparen. Deshalb rät er: „Das Vertragswerk ist das Allerwichtigste, ein ganz knallharter Vertrag, in dem alles geregelt ist. Dass jeder, auch wenn es auseinandergeht, damit leben kann und nicht das Privatgeld weg ist.“ Gedanken darüber, ob man sich etwa für eine GmbH entscheidet und somit eine Haftung mit dem Privatvermögen ausschließt, sollten dabei auch eine Rolle spielen. Das war seitdem Marquards Wahl für seine Unternehmen.
Einer, der weiß, wie Erfolg funktioniert, ist Klaus Kobjoll, einer der profiliertesten Privathoteliers und Gastro-Managementexperten Deutschlands. Er sagt von sich: „Ich habe neunmal den Fehler gemacht zu pachten. Denn Pächter sind Unternehmer zweiter Klasse.“ Wenn möglich würde er das Lokal oder das Haus kaufen, da bei Pacht alles, was man an werthaltigen festen Einbauten investiert, sonst dem Pächter gehört. „Wenn man die Investition auf zehn Jahre betrachtet, lacht man über den Hauskauf, wenn man überlegt, was man reingesteckt hat und was jetzt mir gehört und nicht dem Pächter.“ Doch bevor die Entscheidung Pacht oder Kauf ansteht, empfiehlt Kobjoll: sich ein bis zwei Jahre Zeit nehmen. Wer sich jetzt fragt, wie man sich das leisten kann, dem antwortet er: „Den Urlaub nutzen und sich Städte anschauen, die in der Gastronomie ganz weit vorn sind wie London, Paris, Barcelona oder Madrid in Europa, oder New York und Las Vegas. Das Ganze mit einer Gastro-Messe verbinden. Wichtig: die Eintrittskarte aufheben. Dann kann es als Studienreise abgesetzt werden.“ Und so kann man sich auch die Zeit leisten, um wie Daniel Düsentrieb die eigene Geschäftsidee zu entwickeln.
Kennzahlen eiskalt durchrechnen
Und wenn dann das Konzept steht, müssen ganz ungeschönt die Zahlen unter die Lupe genommen werden, rät Kobjoll: Welche Ausgaben und Einnahmen habe ich beispielsweise bei einem Restaurant und einer Auslastung von 80 Prozent, wenn man von 15 Euro pro Platz am Tag ausgeht. Und so sieht Klaus Kobjolls Fallbeispiel aus: „Ein klassisches Restaurant mit 100 Plätzen, das kann ein Steakhouse oder ein guter Italiener sein, muss eine Million Euro im Jahr machen. Die Mitarbeiterkosten dürfen 35 Prozent nicht überschreiten, die Miete nicht über zehn Prozent und bei einem Foodkonzept darf der Wareneinsatz nicht über 26 Prozent liegen.“ Wenn die Personalkosten höher sind, sei das Projekt dem Tod geweiht.
Solange der Laden läuft und sich alles irgendwie hinbiegen lässt – schön und gut. Aber was, wenn für einen Gastronomen oder Hotelier der Extremfall Privatinvolzenz eintritt? Hier spricht Klaus Kobjoll glücklicherweise nicht aus eigener Erfahrung. Sein Rat: „Entweder in Deutschland in sechs Jahren die Schulden abzahlen, bis man wieder eine weiße Weste hat, oder ins Ausland gehen, denn in der Branche kann man weltweit arbeiten.“ Und dann entweder in Deutschland oder in einem anderen europäischen Land neu starten. Dort sind die Steuerbelastungen und die bürokratischen Hürden nämlich teils viel niedriger. Also warum nicht mit der Geschäftsidee eines Wiener Cafés in der dynamischen litauischen Hauptstadt Vilnius starten?
Niemals mit Privatkapital haften
Noch weiter weg hat es den Sternekoch Stefan Hartmann nach seiner Pleite in Berlin gezogen. Ende 2014 hieß es für ihn: auf nach Kanada. Doch wie kam es so weit? 2007 erfüllt er sich mit damals 30 Jahren den Traum eines eigenen Restaurants, dem Hartmanns in Berlin-Kreuzberg, das 2010 mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet wurde. Das Restaurant läuft so gut, dass sich Hartmann 2011 entschließt, mit dem Neubau ein Zweitrestaurant zu eröffnen. Warum das Konzept nicht aufging, weiß der 38-Jährige heute: „Ich habe alles falsch gemacht. Die Location war schwierig und ich war selbst nicht im Neubau. Das war der erste Sommer im Hartmanns mit Stern. Außerdem war mein Atem nicht lang genug, um den Laden über Wasser zu halten. Wir haben im Monat bis zu 20.000 Euro Minus gemacht.“ Mit seinem Sternerestaurant erwirtschaftete er zwar einen guten Überschuss, der reichte aber irgendwann nicht mehr aus, um die Verluste des Neubaus zu kompensieren. Nach sechs Monaten war für Hartmann das Kapitel Zweitrestaurant beendet. Bis 2014 führte er sein Sternelokal weiter, dann musste der Spitzenkoch auch hier zusperren. Sein größter Fehler: „Ich habe komplett selbst gehaftet und hätte viel früher in die Insolvenz gehen müssen. Aber da war einfach die Angst, dass der Ruf darunter leidet.“ Zum Schluss wäre zwar mit dem Hartmanns genug Geld für die Schulden da gewesen, dann sei ihm aber wieder das Finanzamt mit Steuervorauszahlungen auf die Pelle gerückt: „Die haben kein Gespür für kleine Unternehmer. Mit 100.000 Euro Schulden hast du ein Problem, bei einer Million hat die Bank ein Problem.“
Unter diesen herben Rückschlag hat Stefan Hartmann einen Schlusstrich gezogen. In Vancouver will er als erster Sternekoch Kanadas neu durchstarten. In diesen Tagen eröffnet das Restaurant Bauhaus mit gehobener deutscher Küche. Hier ist er angestellter Küchenchef. Und auch für die Zeit, nachdem er seine Schulden abbezahlt hat, das wird in etwa vier Jahren sein, steht für Hartmann fest: „Komplett selbständig machen werde ich mich sicher nicht mehr, höchstens mit einem Investor und vor allem werde ich nicht mehr mein eigenes Geld reinstecken.“
Mit dem Artikel „Die Erleuchtung kommt nach dem Fall“ startet ROLLING PIN eine Reihe von Porträts über Persönlichkeiten aus der Gastronomie und Hotellerie, die offen über ihre Rückschläge auf dem Weg zum Erfolg sprechen. Ihre Erfahrungen wollen wir an junge Unternehmer weitergeben. Ganz nach dem Motto: Jeder macht Fehler, die Frage ist nur, wie man damit umgeht!