Stefanie Hehn: Lasst die Frau raus!
Sie hätte ihn nicht umarmen dürfen. Das war der damals 35-jährigen Stefanie Hehn in dem Moment aber ziemlich egal. Beziehungsweise konnte sie nicht anders. „Ich werde es nie vergessen, es war der 27. Oktober, drei Tage vor dem Lockdown, und ich habe die Prüfung zum Master Sommelier in London bestanden.“ Die Freude war riesig, ihr Kollege stand vor ihr und eine gefühlte Tonne Last fiel mit einem Mal von ihr ab: Das ist die Geschichte von Hehns einzigem Regelbruch während der Prüfung, die Umarmung – zwar mit Maske aber trotz Abstandsregeln.
Sie hätte ihn nicht umarmen dürfen. Das war der damals 35-jährigen Stefanie Hehn in dem Moment aber ziemlich egal. Beziehungsweise konnte sie nicht anders. „Ich werde es nie vergessen, es war der 27. Oktober, drei Tage vor dem Lockdown, und ich habe die Prüfung zum Master Sommelier in London bestanden.“ Die Freude war riesig, ihr Kollege stand vor ihr und eine gefühlte Tonne Last fiel mit einem Mal von ihr ab: Das ist die Geschichte von Hehns einzigem Regelbruch während der Prüfung, die Umarmung – zwar mit Maske aber trotz Abstandsregeln.
Die Frau und der Wein
Gleichzeitig aber zeigt diese Szene weit mehr auf, als bloß einen pandemischen Regelbruch: Die Tatsache, dass nach der großen Prüfung eine Frau und ein Mann herzen, kommt verdammt selten vor. Und es ist für Hehn offenbar gar nicht verwunderlich, dass sie eine der wenigen Frauen ist, die seit den Anfängen im Jahr 1977 den Lehrgang „Master Sommeliers“ absolviert hat. Die 36-Jährige meint zwei Aspekte ausfindig gemacht zu haben, die an eben diesem Ungleichgewicht Schuld tragen: Zum einen würden sich Frauen erst seit wenigen Jahren überhaupt trauen, in diese männlich dominierte Weinwelt einzutreten. Zum anderen spiele wohl auch das Alter eine Rolle, in dem man/frau für die feine Kost bereit ist.
Mit ungefähr 30 Jahren ist man im Leben meist genau an dem Punkt angelangt, an dem man genug Erfahrung gesammelt hat, um sich für so ein spezielles Thema zu interessieren. Gleichzeitig aber ist man noch aufnahmebereit und neugierig genug, um die Unmengen an Informationen, die es für das Bestehen der Prüfung zum Master Sommelier braucht, im Gedächtnis zu behalten. O-Ton Hehn: „Das ist aber genau der Zeitpunkt im Leben, an dem viele Frauen gerade nicht an solch eine Ausbildung denken.“ Da steht meist das Thema Familienplanung oder Kindererziehung an erster Stelle. Ganz im Gegensatz zu Männern, die sich in dieser Lebensphase eher freispielen können.
Es gilt, Modelle aufzuzeigen, wie man als Frau trotz Familie oder Kinderwunsch in dieser Welt Fuß fassen kann!
Stefanie Hehn über ihr Leben als Sommelière
Großes Manko in der Branche
Generell ortet Hehn in ihrer grundsätzlich geliebten Branche ein Manko in Sachen Familienfreundlichkeit. Deshalb möchte sich die Frau mit dem guten Geschmack in Zukunft bewusst dafür einsetzen, das Weibliche in dieser Männerbranche zu stärken. Es gelte, Modelle aufzuzeigen, wie es trotz Kinderwunsch und Familie klappen kann, in der Weinwelt Fuß zu fassen. „Und das“, sagt sie überzeugt, „ohne sich für die eine oder andere Seite, für ein Lebensmodell entscheiden zu müssen!“
Jede hat ihr eigenes Baby
Sie selbst ist dafür aktuell jedenfalls das klassische Paradebeispiel. Hat sie doch ihre Ausbildung zum Master Sommelier während ihrer Zeit im mit drei Michelin-Sternen ausgezeichneten Restaurant Überfahrt von Christian Jürgens begonnen. Während also andere parallel Kinder mit allen damit verbundenen Anstrengungen großziehen, hieß ihr Baby eben Full-Time-Job im Nobelrestaurant. Ein Job, der sie völlig ausgelastet hätte, wäre sie nicht so motiviert gewesen, das gesteht die Sommelière im Nachhinein gerne ein. Nur: „Ich liebe Wein und alles, was damit zu tun hat, und ich wollte mehr wissen.“ Die Übung ist jedenfalls gelungen: Heute ist Stefanie Hehn als Chefsommelière des Fünfsternehotels Fontenay in Hamburg die zweite Frau Deutschlands, die den höchsten Titel der Sommellerie tragen darf. Weltweit gibt es aktuell weniger als 300 Personen, die ihren Namen mit den begehrten Initialen MS für Master Sommelier erweitern dürfen. Sie weiß: „Der Weg dorthin ist steinig, aber er zahlt sich aus.“
Schließlich würde man nicht nur sehr viel über Wein lernen, sondern auch sich selbst besser kennenlernen. „Es ist für einen selbst überraschend, zu erleben, wie man mit den Extremsituationen, in die man zwangsläufig gerät, umgeht“, so die gebürtige Fränkin. Doch freilich sind es am Ende die schönen Seiten, die dazu motivieren, Rückschläge einzustecken und immer weiterzumachen. Stefanie Hehn sagt: „Man bekommt direktes Feedback und bei der Kombination von Wein und Speisen im Restaurant ist man ganz nah an den Emotionen der Gäste dran.“ Denn Essen gehen und dazu gute Weine trinken, ist per se ein freudiger Anlass. Als Sommelière habe man es in der Hand, wie freudig dieses Erlebnis ausfällt.
Plötzlich Role Model
Sie selbst hat besonders viel Freude daran, sich über die Herkunft von Weinen Gedanken zu machen. „Manche Rebsorten zeigen ihre Herkunft besser als andere!“ Demnach sei der Wein aus ihrer fränkischen Heimat, der Silvaner, ein Chamäleon, der gerne täuscht und tarnt. Daher bevorzugt die junge Frau sogenannte Top-Terroir-Sorten wie Chardonnay, Pinot Noir und Riesling. Authentische, tiefgründige, alterungsfähige Gewächse, die ihr verraten, woher sie kommen. Da fühlt sie sich weintechnisch zuhause. Und: Weine im Glas sollen lieber polarisieren als im Mainstream untergehen.
Wenn man so will, sucht Stefanie Hehn also in ihrem Glas das, was sie selbst in ihrem Leben sehr eindrucksvoll unter Beweis stellt: Individualität und kräftige Eigenständigkeit. Charakterzüge, die sie offenbar auch im direkten Kontakt so gut vermitteln kann, dass sie längst als Role Model wahrgenommen wird: Zwei Kolleginnen im Hotel haben, von ihr bestärkt, bereits die ersten beiden Schritte zum Master geschafft. Chapeau!
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STEFANIE HEHN
Die 36-jährige Stefanie Hehn wurde in Bad Kissingen in Franken geboren. Nach ihrer Ausbildung zur Restaurantfachfrau schlug sie bald die Karriere als Sommelière ein. 2011 gewann sie die Sommelier-Trophy als „Beste jüngste Sommelière Deutschlands“, 2019 wurde sie Sommelière des Jahres von Gault&Millau. 2020 setzte die Chefsommelière des Luxushotels „The Fontenay“ an der Hamburger Außenalster, die zuvor im Drei-Sterne-Restaurant Überfahrt von Christian Jürgens gearbeitet hatte, die bestandene Prüfung zur zweiten weiblichen Master Sommelier obendrauf.