Kohnke Interview
ROLLING PIN: Eine schlechtere Bewertung für künstlerische Freiheit – Ist das nicht Zensur?
Manfred Kohnke: Wer mehr Chemie im Essen als kreativere Küche empfindet, kann ja auch genmanipulierte Lebensmittel, Überdüngung und Hormon-Doping als Gütezeichen unternehmerischer Freiheit in der Landwirtschaft rühmen. Zweit- und drittklassige Köche, die ihr Heil in der Molekularküche suchen, berühmen sich ja gern der „Geschmacksexplosionen und einer Spannung im Essen, die wir seit Jahren vermisst haben“. Schön wär’s – in Wahrheit beschwerte die molekulare Küche bislang keine bemerkenswerte geschmackliche Bereicherung.
RP: Halten Sie sich (und GAULT MILLAU) für so einflussreich, dass die Köche ihr Konzept auf Grund Ihrer Aussage ändern werden?
Kohnke: Wir werden genauso viel Erfolg haben wie Slowfood und die EU mit ihren Bemühungen, die Amerikaner von ihren Hormonviechern abzubringen. Aber so wie man den Import denaturierten Fleisches verhindern und begrenzen könnte, könnte man auch die allgemeine Kennzeichnungspflicht für unnatürliche Substanzen in den Lebensmitteln der Supermärkte auf die Speisekarten der Restaurants übertragen – die vielen Chiffren von E 322 bis E 953 schmücken ja auch kleingedruckt ungemein.
RP: Was halten Sie dann von Ferran Adriàs Küche und seinem deutschen Pendant Juan Amador?
Kohnke: Dem außergewöhnlich phantasievollen Ferrán Adrìa bleibt das Verdienst der radikalen Auflösung der klassischen Reihenfolge des Menüs. Es ist mehr als bedauerlich, dass der vornehmlich von Journalisten zum innovativsten, besten und einflussreichsten Koch der Welt hochgejubelte Katalane fast nur noch als berühmtester Laborant unter den Küchenstars und Patron eines Showrooms der nahe gelegenen spanischen Chemieindustrie empfunden wird. Und Juan Amador bemüht sich immer weniger ums Entertainment der Gäste, bei dem vieles an Kindergeburtstag erinnerte, und immer mehr um geschmackliche Substanz.
RP: Welches Kochkonzept protegieren Sie, wenn Sie die Molekularküche "verteufeln"?
Kohnke: Das Gegenteil von verteufeln wäre in den Himmel heben. Außer denen, die daran verdienen, empfindet niemand auf Erden mehr Chemie in Flüssen und Meeren, in Ackerbau und Viehzucht als gute Gabe Gottes. Wir protegieren alles, was dem Wohlgeschmack dient, also natürliche Aromen statt chemischer Keule. Nach meinen Beobachtungen kochen die Molekularköche am Markt der zahlenden Gäste vorbei und erhalten den meisten Beifall von eingeladenen Journalisten.
RP: Welchen Trend würden Sie sich wünschen, wenn nicht den der Molekularküche?
Kohnke: Nur dumme Köche fragen: Was ist der Trend? Der einzige Trend, den ich gut finde, ist diese Küche: aromenreich, leicht und bekömmlich zubereitet, appetitlich aussehend und freundlich serviert, dem Stil des Kochs und seines Hauses entsprechend – im Idealfall unverwechselbar.
RP: Sollte ein Restaurantführer nicht nach objektiven Kriterien bewerten und weniger nach einer persönlichen Abneigung oder Zuneigung des Chefredakteurs?
Kohnke: Der GAULT MILLAU ist und bleibt das Gemeinschaftswerk von 25 deutschen Testern, die weder aus Paris fremdbestimmt noch von selbsternannten Trendsettern beeinflussbar sind – nicht mal von mir. Aber wir müssen nicht jedem, der anderer Meinung ist, glauben, dass nur er objektiv ist. Gewiss ist wie in jeder Kunst auch in der Kochkunst nur: Erlaubt ist, was gefällt.
Interview: Katharina Wolschner