Stefan Marquard: «Die Corona-Krise ist eine einmalige Chance für die Gastronomie»
Weder als Sternekoch, noch als TV-Star oder Unternehmer: Stefan Marquard, seines Zeichens auch Vater der JUNGEN WILDEN wollte sich nie anpassen. Das gilt auch für die Meinung zur eine der größten Zäsuren des vergangenen Jahrhunderts. In der Corona-Krise sieht Marquard alles andere als die Apokalypse. Warum er sich seinen ersten Laptop zugelegt hat, den Shutdown als Chance sieht und sein Restaurant ein für allemal zu schließen vielleicht gar nicht die schlechteste Option ist, verrät er im Interview mit ROLLING PIN.
Stefan Marquard im Interview
Hallo Stefan, wie geht es dir momentan?
Stefan Marquard: Ich muss sagen, mir geht es sehr gut. Ich habe wahnsinnig viel um die Ohren, weil ich mir viel auf die Fahnen geschrieben habe. Wie ich mich weiterbilde und was ich für die Leute da draußen machen kann und wie ich mich für die Zukunft aufstellen werde zum Beispiel. Ich habe keine Sekunde Langeweile, der Tag vergeht dreimal schneller.
Wie genau bildest du dich weiter? In welche Richtung möchtest du dich entwickeln?
Marquard: Ich möchte mich vor allem in Sachen finanzielle Intelligenz auf jedem Gebiet weiterbilden. Egal, was am Markt mit Geld passiert und was man mit Geld anstellen kann – ich will total fit sein. Dann kam vor drei Tagen der neue Feind in meinem Bett: mein erster Laptop. Mit diesem Teil möchte ich mich blind auskennen. Außerdem mache ich mich schlau, was YouTube betrifft. Ich habe ja früher immer Videos gemacht. Jetzt überlegen wir uns, wie man Geld damit verdienen kann. Als Motivation machen wir auch jetzt Videos für die Leute da draußen und kochen mit ihnen.
Also siehst du die Krise durchaus auch als Chance?
Marquard: Ich sehe die Krise eigentlich durchwegs als Chance. Dass irgendwann der große Knall kommt, war klar. In welcher Form konnte sich keiner vorstellen. Dass es ausgerechnet die gesamte Gastronomie und alles, was um sie gestrickt ist, lahmlegt, damit hätte niemand gerechnet. Aber ich habe von Anfang an gesagt: Wahrscheinlich ist Corona der größte Segen, der der Menschheit je widerfahren ist. Der Preis erscheint uns im Moment extrem hoch, unfair, schmerzhaft. Aber ich glaube, wenn die Verwandlung durch ist, werden wir früher oder später alle dankbar sein.
Wahrscheinlich ist Corona der größte Segen, der der Menschheit je widerfahren ist.
Stefan Marquard schätzt die unfreiwillige Auszeit
Warum das?
Marquard: Ganz einfach. Man hat jetzt automatisch Zeit, alles, was man tut, oder getan hat, in Frage und auf den Prüfstand stellt. Wir können endlich reflektieren: Was habe ich gemacht? Warum habe ich es gemacht? War ich erfolgreich damit? Macht es Sinn? Werde ich meinen Mitarbeitern gerecht? Bin ich ein guter Chef? Es geht aber nicht nur um das Geschäftliche, sondern auch ums Private. Gehe ich gut mit mir selbst und meiner Familie um? Wir können jetzt für die Zukunft wirklich alles neu ausrichten. Und die Zukunft wird in keinster Weise werden wie es einmal war.
Wie können sich Unternehmen jetzt schon mit der Zukunft beschäftigen, wenn sie in der Gegenwart um ihr wirtschaftliches Überleben kämpfen? Wir befinden uns ja aktuell noch in einer sehr frühen Schockphase.
Marquard: Ja, den Schock muss man erst verdauen. Dann muss man sich auch noch ein paar Tage über den Staat aufregen. Aber irgendwann ist das Thema durch. Dass mein Geld immer weniger wird, dass ich auf Eis gelegt bin, das ist alles klar. Aber wir haben zu essen, wir haben zu trinken. Uns geht das Geld aus, aber das betrifft uns alle. Und wir sollten jetzt auf keinen Fall Trübsal blasen. Wir können endlich in uns reinhören und neue Ideen zulassen.
Der Corona-Masterplan lautet also: sich jetzt neu erfinden, jetzt an neue Konzepte denken und neue Ideen festhalten – und, wenn es wieder möglich ist, etwas davon umsetzen.
Marquard: Nicht nur. Man sollte jetzt wirklich einen Plan für die Zukunft entwickeln, und auch das Team miteinbeziehen. Ich muss dafür nicht warten, bis alles vorbei ist. Weil wie lange das Ganze dauert, weiß ich ja nicht. Deswegen ist es umso wichtiger, mir jetzt schon anzusehen, was ich tun kann. Vielleicht gibt es ja eine Möglichkeit, wie ich mit meinen Fähigkeiten Geld verdienen kann.
Wie bringe ich meine Mitarbeiter dazu, über Zukunftsideen nachzudenken, wenn aktuell die Insolvenz im Raum steht und Arbeitsplätze gefährdet sind?
Marquard: Das ist nicht einfach. Ich bin mir sicher, dass mindestens ein Drittel aller Kleinbetriebe in der Gastronomie einen Cut machen und sich neu ausrichten muss. Viele Betriebe arbeiten schon seit vielen Jahren so, dass sie gerade noch über die Runden kommen. Und solchen Leuten empfehle ich, einfach mal aufzuschreiben, ob denen das Spaß macht und ob sie so weitermachen wollen. Da sage ich einfach: Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende – ohne damit jemandem zu nahe treten zu wollen, wir sitzen alle im selben Boot. Aber das ist die Chance, dass wir uns neu aufstellen.
Inwiefern?
Marquard: Es besteht die Chance, dass wir wirklich wieder eine Lobby bekommen. Uns hört seit Jahrzehnten keiner zu, obwohl wir einer der größten Arbeitgeber sind. Vielleicht können wir dann auch endlich die Preise verlangen, die uns zustehen – wenn es wieder losgeht. Jeder da draußen wird es verstehen. Die Leute betrachten das als Solidaritätsanteil für die Gastronomie. In vielen Ländern ist es einfach selbstverständlich, dass Top-Qualität richtig Geld kostet.
Es besteht die Chance, dass wir wirklich wieder eine Lobby bekommen.
Stefan Marquard rät Gastronomen, die Krise für ein Umdenken zu nutzen
Aber dafür müssten alle mitziehen. Wenn der Mitbewerber neben seine Produkte um die Hälfte verkauft, wird das schwierig.
Marquard: Das ist das Thema. Ich wünsche mir, dass aus dieser Zeit auch ein Schwarmdenken entsteht. Gemeinsam sind wir stark. Es muss Leute geben, die Tacheles sprechen und die Massen bewegen können. Jene von uns, die in der Öffentlichkeit stehen, sollten sich connecten und gemeinsam eine Sprache sprechen.
Also gehst du davon aus, dass die Solidarität, die jetzt entsteht, weiter existieren wird?
Marquard: Ich bin fest davon überzeugt, dass sich in ein bis zwei Jahren alles auf der Welt komplett verändern wird. Denn so lange wird das dauern, bis wir wieder einen Hauch von Normalität kriegen. Ich vermute, dass wir ein Auf und Ab haben, bis wir einen Impfstoff gefunden haben – oder bis alle sich angesteckt haben. Aber danach wird es einen anderen Zusammenhalt geben.
Wenn du ein Bild der Branche nach der Krise zeichnen müsstest: Wie würde das aussehen?
Marquard: Ich denke, dass sich alles neu ordnen wird – und zwar zum Guten für alle. Es wird wahrscheinlich weniger sein. Aber es wird für alle super Gehälter geben, dass ich nicht auch noch einen Zweit- oder Drittjob machen muss. Alle können aufgrund dessen Qualität bieten. Dann hast du nur noch freundliche Leute. Du hast nur noch glückliche Menschen, die du bedienen kannst. Und Unternehmen werden anders agieren. Irgendwann ist die Altersvorsorge nicht nur für einen selbst gedeckt, sondern auch für die Mitarbeiter. Es wird einfach ein Gemeinschaftsdenken geben.
Gibt es nicht auch ein gewisses Risiko, dass alles komplett schiefgehen könnte?
Marquard: Natürlich kann auch mal etwas schiefgehen. Aber auch das ist wichtig. Nur Scheitern macht einen Menschen stark. Wenn jemand erstmal gescheitert ist, dann geht er danach durch die Decke. Aber es ist niemand dazu verdammt, nichts zu tun – und schon gar nicht zu verhungern. Man muss einfach wollen, dann kann man auch was erreichen.
Alle Entwicklungen rund um die Corona-Krise gibt’s in unserem Gastro-Live-Ticker!