Cook ‚n‘ Roll – Das verrückteste Lokal Hamburgs
Fotos: Giovanni Mafrici, Werner Krug, Kosmos-Verlag
Sollte der durchaus wahrscheinliche Fall auftreten, dass ein Auerochse auf Ihrer Kühlerhaube landet, sollten Sie zwei Möglichkeiten bedenken. Das Tier erlitt einen schnellen, stressfreien Tod – Ihr Auto allerdings auch – und Sie hätten bereits die Grundzutaten für einen Kochkurs. 24 Stunden anzuklicken auf der Homepage der rockigen Jungs von 4Experiment Gastraum, zu den knackigen Kochvideos kann man Rezepte vom Auerochsen parallel mitfabrizieren. Das Urviech ist natürlich nur bio gehegt worden. Wie so ziemlich alle Produkte im verrücktesten Restaurant Hamburgs.
Die Typen hinter dem Herd erschüttern die gängigen Vorstellungen von Sterneköchen gründlich. Die Mützen und weißen Kochjacken haben sie längst in den Keller verbannt. Lange Haare, Ziegenbart, Tätowierungen, Kapuzenjacken, T-Shirts mit Totenköpfen, Popeye oder einem Oktopus – das ist der Look der Gastraum-Jungs. Auch wenn man es ihnen nicht ansieht, einige haben schon strengen Sternedrill hinter sich. Raik Holst holte sich die Tiefenschärfe bei den Witzigmann-Schülern Jörg Sackmann, Michael Hoffmann (jeweils 1 Stern) und beim kulinarischen Godfather Dieter Müller (3 Sterne), Thorsten Schmidt schwitzte gemeinsam mit Raik bei Hoffmann, Jürgen Zimmerstädt werkte bei Bobby Bräuer und Hans Haas (jeweils 2 Sterne).
Irgendwann sagte das Trio dann: „Aus, vorbei, keinen Bock mehr!“ Raum und Zeit für ein neues, gemeinsames Restaurant war da. Ehrlich, wild und unkonventionell sollte es sein. Teamorientiert, spontan kreativ, mit den besten Produkten und ohne große Hierarchien – Chef, Souschef und andere Unnotwendigkeiten wurden…
Fotos: Giovanni Mafrici, Werner Krug, Kosmos-Verlag
Sollte der durchaus wahrscheinliche Fall auftreten, dass ein Auerochse auf Ihrer Kühlerhaube landet, sollten Sie zwei Möglichkeiten bedenken. Das Tier erlitt einen schnellen, stressfreien Tod – Ihr Auto allerdings auch – und Sie hätten bereits die Grundzutaten für einen Kochkurs. 24 Stunden anzuklicken auf der Homepage der rockigen Jungs von 4Experiment Gastraum, zu den knackigen Kochvideos kann man Rezepte vom Auerochsen parallel mitfabrizieren. Das Urviech ist natürlich nur bio gehegt worden. Wie so ziemlich alle Produkte im verrücktesten Restaurant Hamburgs.
Die Typen hinter dem Herd erschüttern die gängigen Vorstellungen von Sterneköchen gründlich. Die Mützen und weißen Kochjacken haben sie längst in den Keller verbannt. Lange Haare, Ziegenbart, Tätowierungen, Kapuzenjacken, T-Shirts mit Totenköpfen, Popeye oder einem Oktopus – das ist der Look der Gastraum-Jungs. Auch wenn man es ihnen nicht ansieht, einige haben schon strengen Sternedrill hinter sich. Raik Holst holte sich die Tiefenschärfe bei den Witzigmann-Schülern Jörg Sackmann, Michael Hoffmann (jeweils 1 Stern) und beim kulinarischen Godfather Dieter Müller (3 Sterne), Thorsten Schmidt schwitzte gemeinsam mit Raik bei Hoffmann, Jürgen Zimmerstädt werkte bei Bobby Bräuer und Hans Haas (jeweils 2 Sterne).
Irgendwann sagte das Trio dann: „Aus, vorbei, keinen Bock mehr!“ Raum und Zeit für ein neues, gemeinsames Restaurant war da. Ehrlich, wild und unkonventionell sollte es sein. Teamorientiert, spontan kreativ, mit den besten Produkten und ohne große Hierarchien – Chef, Souschef und andere Unnotwendigkeiten wurden …
… gleich einmal abgeschafft. Nach der Rechnung 3 + 1 (Nils Lauckner) wurde ein 4Experiment, was jetzt auch wieder nicht mehr so ganz stimmt. Inzwischen sind die 4 nämlich 5. Peter Rüppel ist neu an Bord, im 3-Sterne-Schuppen Le Petit Nice Passédat in Marseille holte er sich Schliff und Qualifikation für die bestens besetzte Bank im 4Experiment, das Platz für experimentelle Charaktere bietet. Giovanni zum Beispiel, er ist Kellner und doch wieder nicht. An der Wand hängen seine edlen Schwarz-Weiß-Fotos von einer Tour in Afrika. Was eben gerade kommt, einmal ist er Kellner, einmal Fotograf.
„Man lernt die volle Härte in der Sternegastronomie kennen, die Perfektion, den Umgang mit den besten Produkten – das haben wir alles mitbekommen. Aber irgendwann hatten wir keine Lust mehr, mit uniformierten Jacken im Keller zu stehen“, sagt Thorsten Schmidt. Natürlich hängt bei so vielen Köchen der Haussegen manchmal schief. „Ja, das gehört dazu. Man muss sich auch mal streiten. So kommen wir zusammen nach oben. Nach dem Abendgeschäft umarmen wir uns aber wieder und jeder geht mit einer Menge Energie nach Hause.“ Das Prinzip funktioniert einfach: Man sieht, was für Produkte da sind, dann entwirft und kocht jeder eigenständig sein Gericht. „Das Produkt soll über die Gerichte entscheiden“, meint Raik Holst, „genauso wie die Stimmung und Energie im Restaurant.“ So weit so anders.
Draußen brodelt das volle Leben. Kellner und Köche düsen durch den Gastraum mit grünen, roten und weißen Wänden, die Lampenschirme sind grellrot, im Eingangsbereich ein Totenkopf auf dem Boden, in einer Nische thront ein goldener Buddha, die einfachen Holztische sind voll besetzt. In die Küche sieht man durch ein längliches Bullauge, das von einer violetten Wand eingefasst ist. Aus den Boxen fließt sphärischer Sound, der sich später auch zu heavy Metal steigern kann. Früher rockten sogar Livebands, bloß die Nachbarn und im Endeffekt dann die Polizei hatten etwas dagegen. Am Herd herrscht das Treiben eines bunten Basars. Jeder ist überall, es zischt, Dämpfe wabbern aus alten Eisenpfannen, ein flinkes Messer zerteilt noch schnell ein Büschel Petersilie. Irgendwie führt dieses fröhliche Chaos aber doch zu einem sinnvollen Ganzen. Das Publikum fügt sich mit lustvollem Genuss in das Geschehen ein. Vom Banker bis zum Punker ist die ganze Bandbreite vertreten.
Speisekarten? Gibt‘s nicht, Tischtücher auch nicht, Eis wird auf Steinen präsentiert, Teller und Besteck sehen fast bei jedem Gast anders aus. „Je nachdem, was wir beim Einkauf auf den Flohmärkten finden. So erzählt jedes einzelne Stück seine eigene Geschichte“, erklärt Raik. Die Gerichte werden kostensparend auf einer Schiefertafel angekündigt. Schließlich könnte man die täglich wechselnde Karte nicht jedes Mal neu drucken. Was man beim Equipment spart, wird lieber in die Produkte gesteckt. „Das Essen fängt eben nicht erst im Ofen an, sondern schon im Stall“, philosophiert Raik. „Fuck Convenience Food!“, fordern die experimentellen Herren. Und mittlerweile hat sich vom Gastraum als Geschmacksepizentrum ein dichtes Netz von kleinen Produzenten über Deutschland gelegt. Nahezu alles, was den Weg in die Pfannen findet, wird biologisch erzeugt. Der Auerochse genauso wie die Hofsau, die Ziegen, Butter, Quark, Milch, Käse – alles von engagierten Produktfetischisten.
Lokalaugenschein auf einem deutschen Ziegenhof, wo Catherine ihre Ziegen hält, ganz natürlich, ohne Kraftfutter und ohne Konservierungsstoffe im formidablen Käse. „Nils, du hast einen genauso langen Bart wie die Ziegen“, meckert Raik. Einige Bauern in Frankreich bestrahlen die Ställe in der Nacht mit Licht, weil die Tiere dann mehr Milch geben. Catherine ist empört: „So werden die Ziegen zu Milchmaschinen umfunktioniert.“ Bei ihr haben die Tiere Zeit. Zeit, die auch die Gastraum-Gäste in den Produkten spüren – Ziegenkäse, -schinken und -salami. Auch die Kühe, die den Stoff für echte Bauernprodukte aus Kindertagen liefern, werden wie Könige behandelt. Vor dem Melken werden die Euter sogar zur Schonung mit Melkfett, Chinaöl und Essig eingerieben. Die Hofsäue dürfen nach schweinischer Lust und Liebe im Schlamm wühlen und Brot, Kastanien und Eicheln schlemmen. Die Tiere werden stresslos auf dem Hof geschlachtet, das wird in Filmbeiträgen ohne Filter gezeigt, auch das Ausbluten und die Verarbeitung der Tiere, genauso wie der Abschuss der Auerochsen auf der Weide. Jürgen Zimmerstädt: „Sicherlich schockierend, aber wir wollen das Bewusstsein schärfen und die Achtung vor dem Tier erhöhen. Die meisten Leute glauben ja, das Fleisch kommt schon als vakuumiertes Filet auf die Welt.“
Die Story hinter den Produkten wird den Gästen bei der Bestellung serviert. Ein wild lebender Auerochse auf der Weide – geschossen? Der Arme! Die Einsicht siegt dann. Das ist doch besser, als in den Schlachthof gezerrt zu werden und „unmenschlich“ abgeschlachtet zu werden. Keine Stresshormone im Côte de Boeuf. Erlaubt ist, was gefällt. Nur ganze Tiere werden gekauft und verarbeitet. „Nur Steaks zu braten, ist langweilig. Es ist doch viel anspruchsvoller und interessanter, ein Stück zu schmoren, Innereien und alle anderen Teile zu nehmen.“ Die Küche ist ein Versuchslabor. „Wir haben einen eigenen, einzigartigen Kochstil entwickelt“, sagen die Herren unisono, „wir müssen nicht kopieren, weil unsere fünf Hirne schon so viele Ideen einbringen.“
Heute gibt es Schwein? Okay, Nils brutzelt Schweinerücken mit Schokolade und Schweinbacke mit Berglinsenvinaigrette, Jürgen kreiert burmesischen Schweinefleischsalat, Raik Schweinebauch mit Pulpo und Thorsten eine klassische Schweinsbratwurst. Jeder nimmt, was er braucht. Einfach, natürlich, ein geschmacklicher Hammer. Auch zum Nachkochen. Auf der Homepage betreibt man virtuelle Spionage. In coolen Kochsendungen der anderen Art lüften die rockigen Jungs ihre Geschmacksgeheimnisse und machen Mälzer & Co. Konkurrenz. Nach dem Motto: Kill your TV!
>> Die Philosophie
4Experiment Gastraum ist ein Kochexperiment und funktioniert wie eine Band. 5 gelernte Sterneköche nützen das Restaurant als Bühne und rocken auf einer täglich neuen Karte. Das Motto: Jeder entwirft und kocht sein Gericht eigenverantwortlich. Die Produkte müssen so frisch und so biologisch wie möglich sein. Am liebsten ist der „5er-Bande“ Material abseits des Mainstreams wie z. B. wildlebende Auerochsen. Reibung zwischen den Köchen kommt vor, „nur so entwickeln wir uns“, ist das Credo. Erlaubt ist, was gefällt und schmeckt – ehrlich, wild, unkonventionell. Dazu gehört auch die Kommunikation nach außen – die Gäste können und dürfen gerne in die Küche schauen. Hinter dem Herd verstecken? Kommt nicht in Frage. Die Köche servieren ihre Gerichte gleich selbst.
>> Die Köche im Zeitraffer
Raik Holst (33) kochte bei den Sternemännern Jörg Sackmann (Baiersbronn), Michael Hoffmann (Vier Jahreszeiten, Hamburg) und 3-Sterne-Ikone Dieter Müller.
Thorsten Schmidt (33) schwitzte neben Raik bei Küchenmaniac Thorsten Ambrosius im La Mer im Hotel Prem, bei Uli Heimann und Michael Hoffmann.
Jürgen Zimmerstädt (43) war auf seiner Eurotour bei Wolfgang Abrell und Anton Mosimann. Highlights: die Zeit bei den 2-Sterne-Köchen Bobby Braeuer und Hans Haas.
Nils Lauckner (30) holte sich den Schliff im Restaurant Allegria in Hamburg und bei Jörg Müller auf Sylt.
Peter Rüppel (26) – Neuzugang im Gastraum – holte sich die höheren Weihen im 3-Sterne-Restaurant Le Petit Nice Passédat in Marseille.
>> Kontakt
4Experiment Gastraum
Karolinenstraße 32
20357 Hamburg-St. Pauli
Tel.: +49 40. 43188432
Montag bis Samstag ab 19:00 Uhr
wwww.4experiment.de