Wie die Jackfruit neue kulinarische Welten eröffnet
Ein tropisches Gespenst geht um in Europa. Vegane Glutenallergiker in den angesagtesten Stadtbezirken huldigen ihm wie in Trance auf Blogs und Foodchannels – und das meist in Form von Rezepten, die so gar keine veganen Namen tragen wie etwa „BBQ Pulled Pork Pizza with Mango Salsa and Cashew Creme“ oder „Meatball Tacos“. Klar, die Namensfindung für vegane Gerichte kennt kein Pardon, wenn es um die Nachahmung von Fleischrezepten geht – doch mit der Jackfruit, so scheint es, wird dieser hartnäckige Trend auf ein neues Level gehievt. Warum eigentlich? Was macht die Jackfruit gerade dafür so besonders? Und kann sie womöglich auch mehr als nur Fleischersatz?
Who’s Jack?
Zunächst einmal: Ja, die Jackfruit ist zu 100 Prozent Frucht. Sie gehört zur Familie der Maulbeergewächse und hat damit weit mehr als nur das biologische Erbgut mit dem Gummibaum gemein. Schneidet man die Rinde auf, sondert das Innere dieser tropischen Megafrucht ein extrem klebriges, leicht milchiges Sekret ab, das binnen weniger Sekunden nicht nur die Hände verklebt, sondern auch das Messer untauglich macht.
Ein tropisches Gespenst geht um in Europa. Vegane Glutenallergiker in den angesagtesten Stadtbezirken huldigen ihm wie in Trance auf Blogs und Foodchannels – und das meist in Form von Rezepten, die so gar keine veganen Namen tragen wie etwa „BBQ Pulled Pork Pizza with Mango Salsa and Cashew Creme“ oder „Meatball Tacos“. Klar, die Namensfindung für vegane Gerichte kennt kein Pardon, wenn es um die Nachahmung von Fleischrezepten geht – doch mit der Jackfruit, so scheint es, wird dieser hartnäckige Trend auf ein neues Level gehievt. Warum eigentlich? Was macht die Jackfruit gerade dafür so besonders? Und kann sie womöglich auch mehr als nur Fleischersatz?
Who’s Jack?
Zunächst einmal: Ja, die Jackfruit ist zu 100 Prozent Frucht. Sie gehört zur Familie der Maulbeergewächse und hat damit weit mehr als nur das biologische Erbgut mit dem Gummibaum gemein. Schneidet man die Rinde auf, sondert das Innere dieser tropischen Megafrucht ein extrem klebriges, leicht milchiges Sekret ab, das binnen weniger Sekunden nicht nur die Hände verklebt, sondern auch das Messer untauglich macht. Der erste Schritt für die Jackfruit-Verarbeitung jeglicher Art lautet also: Gummihandschuhe an und das Messer vor dem Schneiden mit Öl einschmieren. Letzteres sollte übrigens relativ groß sein. Denn so eine Jackfruit ist erstens selten kleiner als 30 Zentimeter – wobei sie bis zu einem Meter anwachsen kann –, und hat zweitens eine Schale, die mit ihren grün-gelben, knotig-spitzen Noppen absolut taschenmesserresistent ist.
Ist sie aber einmal aufgeschnitten, eröffnet sich einem ein wahrer Spielplatz an Texturen, Einzelteilen und Konsistenzen. „Das Spannende ist, dass man von der unreifen Jackfruit eigentlich alles verwenden kann“, erklärt Johannes Marterer, der von 2011 bis 2018 als Küchenchef des Steirerschlössls zuletzt zwei Hauben und 16 Gault-Millau-Punkte erkochte und heute die ROLLING PIN Soulkitchen mit neuem Leben erfüllt. „Sogar aus den Kernen lassen sich kohlenhydrathaltige Beilagen machen“, so der gebürtige Bayer, der damit auch einen historisch bezeichnenden Punkt anspricht: Im fast drei Jahrzehnte lang vom Bürgerkrieg gebeutelten Sri Lanka beispielsweise garantierte der Staat jeder Familie zwei Jackfruit-Bäume, damit sie – komme, was wolle – zumindest nicht Hunger leiden musste. Verständlich: Eine Jackfruit kann bis zu knapp 50 Kilogramm wiegen, ein ausgewachsener Baum produziert immerhin bis zu 700 (!) Früchte pro Jahr. Hierzulande ist der kulinarische Alleskönner beispielsweise über R&S Gourmets erhältlich.
Wie schmeckt die Jackfruit?
Aber zurück zur Verarbeitung: Spricht man in unseren Breiten von Jackfruit-Produkten- und Jackfruit-Verarbeitung, bezieht man sich in der Regel auf die Frucht in ihrem unreifen bis halbreifen Zustand. In Ländern wie Indien, Bangladesch oder Indonesien wird sie hingegen meist reif in Konserven in Zuckerlösung angeboten und schmeckt nach einem Mix aus Ananas und Banane. Vor allem ist sie saftiger als im unreifen Zustand – und genau das ist der Punkt: Das Fleisch dieser unreifen Megafrucht ist erstaunlich fest, formbar und vom Geschmack her mit einer leichten Mangonote parfümiert.
Ihre Konsistenz hat außerdem etwas leicht Mehliges, ohne dass ihr Fleisch dadurch trocken wird. „Ich finde nicht, dass die Jackfruit viel mit tierischem Fleisch gemeinsam hat“, wundert sich Marterer über den Hype, dieses eigentlich interessante Produkt lediglich als Fleischersatz zu verwenden. „Es ist schade: Sowohl die Einzelfrüchte wie auch das Fruchtfleisch mit seinen vielen, schmalen Fasersträngen werden für diverse Fleischersatzprodukte einfach verhackt, mariniert und dann angebraten und sous vide gegart, damit sie den gewünschten Geschmack bekommen. Wenn man sich die Verpackungen anschaut, die man bei uns so findet, dann sind sie außerdem voller Geschmacksverstärker und irgendwelchen chemischen Zusatzstoffen.“ Und tatsächlich, wer wie Johannes Marterer als kreativer Kopf sein Handwerk versteht, kann sich über die Fantasielosigkeit des westlichen Jackfruit-Verständnisses nur wundern. Was also lässt sich aus diesem unterschätzten Früchtchen so alles zaubern?
Das Mehl hat eine leichte Maroninote und gibt für den Teig eine super Stärke ab.
Die gemahlenen Jackfruit-Kerne verwendet Johannes Marterer als Mehl für selbstgemachte Tortillas seines Jackfruit-Burritos
Gleich mehrfacher Protagonist
Marterers erstes Gericht spielt einerseits mit diesem westlichen BBQ-Topos und beweist gleichzeitig virtuos, was Jackfruit sonst noch so alles kann. „Das faserige Fruchtfleisch habe ich zuerst mariniert und dann in selbstgemachter BBQ-Sauce vakuumiert. Dadurch verändert sich natürlich die Konsistenz. Danach habe ich das vakuumierte Fruchtfleisch scharf angebraten und in der BBQ-Sauce etwa eineinhalb Stunden köcheln lassen.“ So weit, so gut. Doch der Twist: Dieses Fruchtfleisch serviert Marterer als Burrito in einer Tortilla, die aus Jackfruit-Mehl besteht. „Dafür habe ich die Kerne zuerst wie Bohnen abblanchiert, anschließend geschält und dann getrocknet. Im Thermomix werden sie dann zu Mehl gerieben, das geht natürlich auch mit einer Kaffeemühle. Das Mehl hat eine leichte Maroninote und gibt für den Teig eine gute Stärke ab.“
Eine von Marterers liebsten Jackfruit-Kreationen ist zwar lediglich eine kleine Beilage dieses Gerichts, gilt für den bayrischen Spitzenkoch aber als absoluter Glücksgriff: „Würdest du das jemanden blind verkosten lassen, er wäre überzeugt davon, dass es Essiggurken sind“, so Marterer. „Dafür habe ich einfach die Einzelfrucht in Scheiben geschnitten und sie gut zwei Tage wie Essiggurken in Essig, Zucker, etwas Dill und Koriander vakuumiert.“ Das Ergebnis: eine leicht knackige, doch im Vergleich zur Essiggurke cremigere Konsistenz, die als Snack mit einmaligem Säurespiel brilliert. Abgesehen davon: Ein einziges Gericht, das drei Texturen ein und derselben Frucht so virtuos wie harmonisch kombiniert, sollte eigentlich schon Beweis genug für das extrem breitgefächerte Potenzial sein, das in der Jackfruit steckt. Und tatsächlich scheinen einem mit jeder neuen und bis dato unbekannten Be- und Verarbeitungsmethode die Möglichkeiten immer unendlicher.
Das gilt auch für Marterers zweites Gericht, in dem die tropische Megafrucht sich durch seine Hand gleich in mehrere Protagonistenrollen aufteilt: Jakobsmuschel mit Jackfruit- und Sellerie-Püree und gerösteten Jackfruitkernen. „Das Püree besteht eigentlich nur aus Sellerie und Jackfruit“, erklärt Marterer. „Die Einzelfrüchte der Jackfruit habe ich in dünne Scheiben geschnitten und dann im Topf etwa zehn Minuten geräuchert. Ihr leicht süßliches Ursprungsaroma in Kombination mit den Raucharomen und dem Sellerie gibt dem Püree etwas Herbes und Fruchtiges zugleich.“
Wofür kann die Jackfruit verwendet werden?
Was in unseren Breiten geflissentlich ignoriert wird, ist für Marterer eine Spielwiese unbegrenzter Möglichkeiten – nämlich die Jackfruit-Kerne. „Für dieses Gericht habe ich sie geröstet, gesalzen und dann geschält und zerbröselt. Sie schmecken leicht mehlig und geben eine gute Stärke. Überhaupt sind die geschälten Kerne der Jackfruit eine tolle Beilage. Man kann sie einfach in Salzwasser für circa 15 Minuten kochen. Dadurch bekommen sie einen leichten Maronigeschmack – und sind gekocht genauso brüchig wie Maroni.“ Es gehört zweifelsohne mit zum Ergiebigsten und Faszinierendsten, was die Jackfruit ausmacht: Als Rohprodukt ursprünglich eher in der Schublade „süß“ und „fruchtig“ abgelegt, kann sie trotz allem im pikanten Bereich extrem vielfältig eingesetzt werden.
Dass die Lebensmittelindustrie sich vor allem auf das faserige Fruchtfleisch versteift, zeigt, wie verkürzt ihr Verständnis dieser so vielfältigen Frucht ist. Natürlich: Zieht das Fruchtfleisch lange genug in BBQ-Sauce und wird daraufhin scharf angebraten, bleibt lediglich die entfernt an Rotfleisch erinnernde Konsistenz übrig – und der Rest kann, sofern man als echter Veganer schon lange genug auf richtigen Fleischgeschmack verzichtet hat, beispielsweise als Pulled Pork durchgehen.
Würdest du das jemanden blind verkosten lassen, er wäre überzeugt, dass das Essiggurken sind.
Die Scheiben der Einzelfrüchte hat Marterer zwei Tage in Essig, Zucker, etwas Dill und Koriander vakuumiert
Doch wie Johannes Marterer es auf den Punkt bringt: „Die unreife Frucht einfach zusammenzuhacken und in BBQ-Sauce schwimmen zu lassen, kann ja eigentlich jeder.“ Deswegen wagt sich Marterer auch an das dritte, und im Vergleich zu den letzten beiden Gerichten umgekehrte Kunststück heran: Nämlich aus der unreifen Jackfruit die Süße herauszukitzeln – und ein Dessert daraus zu machen.
Verhängnisvoller Tunnelblick?
„Zuerst habe ich die Einzelfrucht in Zuckerwasser abblanchiert“, so Marterer. „Danach wurde sie eingefroren und anschließend immer wieder frisch heruntergelassen, bis die Essenz ganz fein war. Aus dieser Fruchtpüree-Grundbasis habe ich dann eine Mousse auf Joghurtbasis und das Eis auf Vanillebasis gemacht.“ Tatsächlich erinnert der Geschmack sowohl in der Mousse als auch im Eis eher an Mango als an Ananas und Banane – mit dem Unterschied, dass das leicht mehlige Element der Jackfruit vor allem beim Eis extrem cremig wird. Als runde Akzentuierung beeindrucken bei diesem Dessert die gehobelten Jackfruit-Kerne. „Sie werden dafür karamellisiert und dann gehobelt“, erklärt Marterer und zeigt auf die weißen Kernspäne, die neben der gelblichen Eiskugel wie Kokosraspeln aussehen.
Zu guter Letzt gibt es dazu noch Jackfruit-Pulver: „Dafür habe ich das Fleisch der Einzelfrucht aufgeschnitten, mit Zuckerwasser und Limettensaft durchgezogen und dann im Trockner trocknen lassen. Anschließend braucht man es nur zu pulverisieren – das war’s.“ Genau wie bei den letzten beiden Gängen besticht die tropische Megafrucht auch hier durch ihre extrem vielseitig einsetzbare Konsistenz: „Was Desserts betrifft, eignet sich die Jackfruit sicher auch hervorragend für Streuselkuchen, um nur ein Beispiel zu nennen. Denn dadurch, dass sie so gut wie keine Flüssigkeit verliert, wird sie bei Weitem nicht so gatschig wie ein Zwetschgenkuchen“, so Marterer.
Die Schattenseiten des Jackfruit-Hypes
Der momentane Jackfruit-Kult hat etwas Paradoxes: Dadurch, dass sie in unseren Breiten lediglich als Fleischersatz vermarktet wird, werden ihre Tugenden genauso unter den Teppich gekehrt wie ihre offensichtlichen Mankos. Denn der vegane Tunnelblick hat offenbar ihr vielfältiges Potenzial genauso verdrängt wie ihre offensichtlich problematische Ökobilanz. Ob es einem schmeckt oder nicht: Genauso wie Avocados und Bananen muss auch die Jackfruit stundenlang mit dem Flugzeug nach Europa und von dort über die Autobahnen bis zu den Restaurants geschafft werden, damit sie auf unsere Teller kommt.
Außerdem hat die Nachfrage ein regelrechtes Jackfruit-Fieber in Asien ausgelöst. Allein von 2015 bis 2017 wurden in Indien 1,8 Millionen Tonnen an Jackfruit produziert, in Bangladesch eine Million Tonnen und in Indonesien immerhin 700.000. Das Problem dabei: Genauso wie Palmöl werden Anbaufelder in diesen Ländern zu regelrechten Monokulturen umfunktioniert – für die schlimmstenfalls auch noch ganze Wälder illegalen Rodungen zum Opfer fallen. Aber eben nur schlimmstenfalls, denn schließlich kristallisieren sich wie bei anderen exotischen Produkten auch hier verantwortungsvolle Produzenten und Bauern heraus.
Johannes Marterer jedenfalls ist davon überzeugt, dass die Jackfruit gerade für die europäische Gastronomie vielversprechend sein könnte. „Für die Spitzengastronomie ist es deswegen eine spannende Frucht, weil du ja gerade dort immer etwas Neues bieten musst. Natürlich, es ist nicht regional und auch nicht ganz billig – eine größere Jackfruit kostet schnell einmal um die 80 Euro –, aber kaufe ich grüne Mandeln, zahle ich auch für die ein Vermögen.“ Abgesehen von den Verarbeitungsmethoden und -techniken der drei beschriebenen Gerichte, sieht Marterer die Jackfruit übrigens auch als vielversprechendes Produkt für diverse Amuse Bouches. „Das ist jetzt einfach nur laut gedacht, aber man kann beispielsweise einfach die Einzelfrucht in dünne Scheiben schneiden, in Essig marinieren, vielleicht mit Tomate und Petersilie kombinieren und daraus ein Röllchen mit süßen und herben Noten machen.“
Interessant bleibt bei alledem, inwiefern sich die Jackfruit als Protagonist – und eben nicht als Ersatz – in der Gastronomie durchsetzen wird. Denn so vielfältig sie auch verarbeitetet werden kann, fehlt ihr doch der entwaffnende Heiligenschein des Luxusprodukts, das selbst für viele Regionalisten ruhig vom anderen Ende der Welt importiert werden darf. Andererseits: Liegt gerade darin nicht auch ihre Chance? Schließlich ist sie als ganze Frucht im Gegensatz zu so manchem Luxus-
produkt auch unter quantitativen Gesichtspunkten sehr ergiebig – man denke nur an ihre Kerne zurück, die wie Kartoffeln als Beilage serviert werden können. Jedenfalls: Die Tage, in denen sie auf ihre Rolle als Fleischersatz reduziert wurde, sind hiermit hoffentlich gezählt.