Perlen to the People: Was Kaviar alles kann

Es muss nicht immer Kaviar sein? Immer nicht, findet Markus Rüsch, Inhaber des Altonaer Kaviarhauses AKI. Aber gern immer öfter. Seine Mission: Der Gastronomie den Facettenreichtum und die Vielseitigkeit von Kaviar näherzubringen.
Oktober 7, 2021 | Text: Stephanie Fuchs | Fotos: Aki Kaviar, Desietra Kaviar

Kaviar ist Kaviar. Das gilt nicht nur für den Großteil unter den Normalsterblichen, sondern auch für die meisten Kulinarikverrückten, die durchaus mit einer beeindruckenden Sternefressbiografie aufwarten können. Bei genauerer Betrachtung ist es aber doch etwas seltsam: Da werden bei Wein oder Champagner allerfeinste Nuancen beanstandet oder in den Himmel gelobt, bei Kobe- oder Wagyufleisch penibel auf Marmorierung, Reife- und Gargrad geachtet, während Störeier erstaunlich undifferenziert wahrgenommen werden.

Markus Ruesch
Markus Rüsch von AKI Kaviar bezieht zahlreiche seiner Premium-Kaviar- Sorten von den Aquafarmern in Fulda.

Kaviar ist Kaviar. Das gilt nicht nur für den Großteil unter den Normalsterblichen, sondern auch für die meisten Kulinarikverrückten, die durchaus mit einer beeindruckenden Sternefressbiografie aufwarten können. Bei genauerer Betrachtung ist es aber doch etwas seltsam: Da werden bei Wein oder Champagner allerfeinste Nuancen beanstandet oder in den Himmel gelobt, bei Kobe- oder Wagyufleisch penibel auf Marmorierung, Reife- und Gargrad geachtet, während Störeier erstaunlich undifferenziert wahrgenommen werden.

Markus Ruesch
Markus Rüsch von AKI Kaviar bezieht zahlreiche seiner Premium-Kaviar- Sorten von den Aquafarmern in Fulda.

Als würde dieses kleine Stückchen Luxus einen derart verzaubern, dass im Oberstübchen kurz der Pausenmodus einsetzt. „Dabei hat Kaviar so viele Nuancen!“, sagt einer, der es wissen muss: Markus Rüsch ist Inhaber und Geschäftsführer des geschichtsträchtigen Altonaer Kaviar Importhauses, kurz AKI. Als eines der ältesten Kaviarhäuser der Welt und Familienunternehmen in dritter Generation beliefert es von Hamburg aus Fluggesellschaften, Schiffsausrüster, Kreuzfahrtreedereien, führende Feinkostgeschäfte – und die Spitzengastronomie. Kein Wunder: Mit mittlerweile über 30 Kaviarsorten verfügt AKI über eines der größten und vielfältigsten Sortimente Europas. Eine Stärke, die Rüsch in den Mittelpunkt seines Tuns rückt. Und die sich in seiner Grundmaxime kristallisiert, die da lautet: „Kaviar ist eben nicht Kaviar.“

Markus Ruesch
Bis nach etwa vier Jahren das Geschlecht der Tiere bestimmt werden kann, wachsen Männchen und Weibchen gemeinsam auf.

Zarengold und andere Mythen

In den Köpfen der Konsumenten und vieler Küchenchefs poppen beim Thema Kaviar immer noch romantisch-verklärte Bilder vom Zarengold auf. Und jede Menge gefühlte Wahrheiten. Wirklich guter Kaviar gleich Wildfangkaviar. Wirklich guter Kaviar gleich wirklich teurer Kaviar. Dabei misst sich die wahre Qualität von Kaviar heute weder an der Herkunft noch am Preis.

Fakt ist: In der EU ist der Handel mit Wildfangkaviar seit 2009 verboten, der Großteil der weltweit rund 600 Tonnen produzierten Kaviars stammt aus Aquakulturen. Und auch wenn es – vor allem in China, dem mittlerweile weltweit größten Zuchtkaviarproduzenten – nach wie vor Farmen gibt, in denen man von westlichen Standards so weit entfernt ist wie Xi Jinping davon, ein überzeugter Demokrat zu werden, hat Zuchtkaviar in den vergangenen Jahren einen enormen Qualitätssprung hingelegt.

Kaviar wirkt am, wenn man ihn wie ein Gewürz einsetzt.
Markus Rüsch plädiert für mehr Mut im Umgang mit dem schwarzen Gold

Wenn Wasser- und Futterqualität stimmen und der Kaviarmeister über entsprechend große Erfahrung verfügt, dann können auch die Chinesen Kaviar in Spitzenqualität züchten. Auch AKI arbeitet mit einem renommierten chinesischen Produzenten zusammen, setzt aber vor allem auf Ware aus Italien, Frankreich und – ja, es ist wahr – Deutschland.

Hessisch by Nature

Ortswechsel ins osthessische Fulda und in die Aquakulturanlage von Desietra. Vom 2002 gegründeten Unternehmen, das alle Vermehrungs-, Zucht- und Produktionsstufen unter einem Dach vereint und ein ökologisch nachhaltig ausgerichtetes Aquafarming-Konzept verfolgt, produziert für AKI unter anderem Kaviar vom Weißen und Sibirischen Stör, Beluga-, Ossetra- und Sterlet-Stör-Kaviar. Auf rund 8000 Quadratmetern Fläche werden die Fische hier in Indoor-Kreislaufbecken in einer für sie optimalen Umgebung aufgezogen. Das Fischfutter lässt Desietra eigens in Deutschland und Belgien produzieren, Chemikalien, pharmazeutische Zusatzstoffe oder Hormone sind absolut tabu.

Markus Ruesch
In der Desietra-Aquakultur in Fulda werden die Störe nur mit hochwertigem Fischfutter gefüttert. Hormone oder Antibiotika sind tabu.

Die Aquafarmer aus Fulda halten die Fische einer Entwicklungsstufe zusammen, Männchen und Weibchen werden erst getrennt, wenn das Geschlecht bestimmt wurde. Es gibt separate Bassins für Störbrut, „Fingerlinge“ – so werden etwa drei Monate alte, zehn Zentimeter lange Störe bezeichnet – und große Betonbehälter für größere Tiere.

Slow Fish

Das mit dem Großwerden ist bei Stören aber so eine Sache, denn: ein Stör lässt sich Zeit zum Wachsen. Selbst unter Optimalbedingungen braucht ein Russischer Stör mindestens sechs Jahr bis zur Kaviarreife, bei Beluga dauert es gar bis zu 15 Jahre. Bei Desietra siedeln die Fische, sobald sie eine gewisse Größe erreicht haben, zum Auswachsen in externe Outdoor-Teichanlagen in Deutschland, Frankreich und Belgien um.

Kurz bevor die weiblichen Tiere kaviarreif sind, werden sie wieder in geschlossene Systeme zurückgebracht und getrennt nach Art gehältert, um den Rogen in den letzten Wochen noch zu veredeln, bevor es auf die Schlachtbank geht. Von der teilweise immer noch praktizierten Kaiserschnitt-Methode, bei der dem Stör durch einen kaiserschnittähnlichen operativen Eingriff bei lebendigem Leibe Rogen entnommen wird, bevor er zugenäht und wieder zurück in das Becken entlassen wird, nehmen die hessischen Aquafarmer Abstand.

Zwar kann ein Störweibchen durch das Aufschlitzen und Zunähen über viele Jahre hinweg Kaviar liefern, allerdings gilt die Methode als alles andere als tierfreundlich. Zudem steigt das Risiko, durch unsauberes Arbeiten im gesamten Bestand Infektionen zu verbreiten, deutlich an. In modernen, nachhaltigen Aquafarmen werden die Fische geschlachtet, die Eier, die noch fest im Körper sitzen, entnommen und das Tier so weit wie möglich Nose-to-Tail verarbeitet.

Kaviar muss knistern!
Markus Rüsch über ein wesentliches Qualitätskriterium

Nach der Eientnahme wird der Kaviar aus der sogenannten „Gonade“ gerieben, mehrmals gründlich gewaschen und gewogen. Dann ist es am Kaviarmeister, die edlen Eier mit Salz zu versetzen. Der Goldstandard hier heißt „Malossol“, also schwach gesalzen, und liegt bei 3,5 bis 4 Prozent. Das ist tatsächlich nicht viel, aber je schwächer Kaviar gesalzen wird, desto weniger beeinflusst das den Eigengeschmack. Und hochwertiger Kaviar braucht nicht mehr Salz als für die Haltbarkeit nötig ist. Die Kombinationshaltung, wie sie Desietra praktiziert, gilt als aufwendig und langwierig. Würden die Tiere ausschließlich in Indoor-Anlagen aufgezogen, wo ihnen durch Licht und Temperatur durchgehend Sommer vorgegaukelt wird, wären sie früher kaviarreif, und auch die Wasserqualität wäre leichter zu kontrollieren.

In Outdoor-Becken sind die Störe jahreszeitlichen Schwankungen ausgesetzt, entsprechend länger dauert es, bis ihr Rogen geerntet werden kann. Aber Kenner und Spitzenköche schwören auf die hohe Qualität des Kaviars von Tieren aus Kombinationshaltung.

Geschmacksfragen

Womit wir wieder zurück beim Thema Qualität, bei AKI und Markus Rüsch wären. „Es gibt schon mehr oder weniger universelle Qualitätsmerkmale, an denen man sich festhalten kann“, sagt Rüsch. Zum Beispiel? „Hochwertiger Kaviar knistert, wenn man ihn mit einem Perlmuttlöffel frisch ansticht. Und er sollte leicht fleischig und intensiv riechen, keinesfalls nach Fisch oder Metall.“ Über die tatsächliche Qualität bestimmt aber am Ende der Geschmack, sagt Rüsch. Und der ist von Sorte zu Sorte doch sehr unterschiedlich.

„Kaviar kann mild, nussig, cremig, buttrig, sahnig, salzig oder kräftig sein.“ Auch Kornstruktur, Farbe und Korngröße unterscheiden sich je nach Sorte, von hartschalig, sehr hell und großkörnig bis weichschalig, schwarz und kleinkörnig ist alles dabei. Markus Rüsch ist davon überzeugt, dass es sich gerade für Gastronomen und Küchenchefs lohnt, sich intensiver mit den vielen verschiedenen Facetten von Kaviar auseinanderzusetzen. Er sieht sich nicht einfach „nur“ als Händler und Kaviar-Experte, sondern vor allem auch als Botschafter.

Mehr Perlen, please!

„Unser großes Ziel ist, der Gastronomie nicht den Respekt, wohl aber die Scheu vor Kaviar zu nehmen, und sie für die Vielfalt, die Kaviar zu bieten hat, zu sensibilisieren“, sagt er. So werde etwa der großkörnige, feste, helle und eher milde Kaviar aus China in der Gastronomie extrem stark nachgefragt, sei aber – je nachdem, wie und mit wem gemeinsam man Kaviar in Szene setze – nicht immer unbedingt die beste Wahl. Ein kräftiger, ausdrucksstarker, kräftig-würziger Sevruga etwa mache auf einem gebutterten Toast oder Beef Tatar eine weitaus bessere Figur. Wie jetzt: Kaviar auf Buttertoast? Ein Prestigeprodukt auf einer Stulle?

„Kaviar ist ein hochwertiges, mittlerweile in sehr guter Qualität auch zu einem erschwinglichen Preis erhältliches Lebensmittel“, betont Rüsch. Das seiner Meinung nach in der zeitgemäßen Küche weit mehr Einsatzmöglichkeiten biete und verdiene, als in Nockenform auf einer Auster oder einem pochierten Ei zu thronen. Man könne ihn ruhigen Gewissens wie ein Gewürz einsetzen. Seine Motto: Lass das Salz weg, nimm Kaviar! Und auch bei der Getränkebegleitung sei noch Luft nach oben. Das Gläschen Schampus zum Kaviar wird so schnell wohl nicht aussterben, aber ein Süßwein oder ein herbes Pils harmonieren mindestens so gut. In diesem Sinne: Hoch die Flaschen und mehr Perlen für alle!

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