NA ZDOROVJE!
Eigentlich schaut er ja ganz harmlos aus. In purem Zustand in ein Limonadenglas gefüllt, sieht er normalem Wasser zum Verwechseln ähnlich. Vermutlich hat ihm genau diese Tatsache auch seinen Namen eingetragen. „Vodka“ ist ein Diminutiv zu „Voda“, dem russischen Wort für „Wasser“, und heißt somit nichts anderes als „Wässerchen“. Das ist natürlich eine ziemliche Verharmlosung: Immerhin handelt es sich bei diesem Wässerchen um eine Spirituose mit einem Alkoholgehalt von 40 bis 80 Volumsprozent!
Als Ausgangsprodukt für die Wodkaproduktion können sehr unterschiedliche kohlenhydrathaltige Stoffe dienen. In Osteuropa ist dies meistens Roggen. Der daraus destillierte Wodka schmeckt mild, lieblich und leicht süßlich und gilt als der beste Vertreter seiner Art. In westlichen Ländern verwendet man vorwiegend Weizen, da dieses Getreide hier preiswerter und in größerer Menge verfügbar ist. In der Ukraine nimmt man dagegen auch gerne Kartoffeln, die dem Wodka eine schwerere und markantere Note verleihen. Bisweilen müssen sogar Melasse – ein Nebenprodukt bei der Zuckerproduktion – oder gar Zellulose als Grundstoff herhalten. Dass die daraus resultierenden Destillate als die billigsten und qualitativ schlechtesten gelten, ist wenig erstaunlich. Ihr Geschmack ist zumeist etwas süßer als jener von Getreide- oder Kartoffelwodka.
Die Wodkaherstellung beginnt mit der Zerkleinerung der Rohstoffe zu einer breiartigen Masse, die mit Wasser vermischt und leicht erhitzt wird, bis sich die vorhandene Stärke in Zucker verwandelt. Dem dabei entstandenen süßlichen Brei, den man als Würze bezeichnet, wird Hefe zugegeben, so dass dieser zu einer bierähnlichen Flüssigkeit mit einem Alkoholgehalt von sechs bis sieben Volumsprozent vergärt. Aus dieser als Maische bezeichneten Flüssigkeit gewinnt man anschließend durch Destillation den so genannten Rohalkohol.
Während bei anderen Spirituosen die bei der Gärung entstandenen Aromastoffe im fertigen Produkt erhalten bleiben – was dort durchaus erwünscht ist –, zeichnet sich Wodka durch die fast gänzliche Abwesenheit von Fuselstoffen und Aromen der fermentierten Stoffe aus. Um dieses Ziel zu erreichen, wird so lange destilliert, bis der Alkohol eine fast völlige Reinheit erreicht hat. Dieses Destillat wird anschließend gefiltert. Dazu wird die Flüssigkeit durch Aktivkohle oder Gestein gepumpt, wodurch die unerwünschten Aromastoffe gebunden werden. Die Filtrierung kann auch auf elektrischem oder biologischem Wege – etwa durch Milcheiweiß – erfolgen. Anschließend werden die noch immer verbliebenen Schwebeteilchen mit Hilfe von sehr feinem Filterpapier entfernt, bevor das Destillat mit möglichst reinem Wasser auf Trinkstärke verdünnt wird. Im Gegensatz zu Spirituosen wie Whisky oder Cognac kennt Wodka auch keine Lagerung in Holzfässern. Dies liegt vor allem daran, dass es infolge des fehlenden Weinbaus in Osteuropa früher keine entsprechende Fassherstellung und Fasskultur gab.
WODKA IM LAUF DER JAHRHUNDERTE
Die Wodkaherstellung kann auf eine lange Geschichte zurückblicken. Es begann – wie bei allen Spirituosen – damit, dass bereits in der Antike das Verfahren der Destillation entwickelt wurde. Mönche waren es, die im Mittelalter diese Kenntnisse nutzten, um aus dem Rohstoff Wein Branntwein zu destillieren. Mit italienischen und deutschen Kaufleuten gelangte dieser Branntwein nach Osteuropa, wo man bis zum späten 15. Jahrhundert auch die Kunst seiner Herstellung erlernte. Da dort aber kein Weinbau betrieben wurde und Wein extreme Mangelware war, behalf man sich damit, den einheimischen Roggen als Ausgangsprodukt zu verwenden – der Wodka war geboren!
Wo das genau war, ist ungeklärt: Nicht nur die Russen, sondern auch die Polen reklamieren für sich das Recht der Erfindung. In Polen verweist man auf Autoren wie Lukasz Golebiowski, in deren Werke sich Hinweise darauf finden, dass man in Polen bereits im 14. Jahrhundert Wodka produzierte. Wirklich verlässlich sind diese Quellen allerdings nicht. Dem gegenüber versucht der russische Historiker Viljam Pochlebkin seit Jahren, mit wissenschaftlicher Akribie nachzuweisen, dass Russland das Ursprungsland der Spirituose ist. Er argumentiert, dass die Dreifelderwirtschaft in Russland früher eingeführt wurde als in Polen und dass die so erzielten höheren Erträge es gestatteten, einen Teil der Ernte abzuzweigen und zur Wodkaherstellung zu verwenden. Ohne auf eindeutige Beweise zu warten, feierte das offizielle Russland im Jahr 2002 jedenfalls den 500. Geburtstag des Wodkas.
Dort wurde Wodka vom 16. bis zum 18. Jahrhundert in vom Zaren autorisierten Tavernen hergestellt und ausgeschenkt. Da sich dieses System auf Dauer nicht bewährte, gab Zar Peter der Große die Wodkaproduktion frei, doch schon seine Nachfolgerin, Katharina II, führte ein Herstellungsprivileg von Adel und staatlichen Brennereien ein. Die damit steigende Qualität und die wachsenden Produktionsmengen machten den Wodka erstmals zu einem russischen Exportartikel. Mit der Machtübernahme durch die Kommunisten im Jahre 1917 sollte sich das schlagartig ändern. Da der ausufernde Wodkakonsum nicht ins Weltbild des Arbeiter- und Bauernstaates passte, wurde nach der Oktoberrevolution ein generelles Produktionsverbot erlassen. Dieser „Prohibition“ ist es zu verdanken, dass die Wodkaherstellung auch in Westeuropa und in den USA Fuß fasste. Nahezu alle namhaften Wodkafabrikanten darunter die Herren Smirnov und Gorbatschov emigrierten in den Westen. Während in der Sowjetunion die Wodkaproduktion im Jahre 1936 wieder legalisiert wurde, gingen die Emigranten in der neuen Heimat weiter ihrem Gewerbe nach, und im Zuge der wachsenden Beliebtheit des Wodkas in den 50er Jahren wuchsen einige dieser Brennereien zu internationalen Konzernen heran.
Seit damals wird Wodka nicht nur in Osteuropa, sondern auch in vielen Ländern Westeuropas und in den USA hergestellt. Zu den bekanntesten Marken zählen „Danzka“ (Dänemark), „Caviar“, „Gorbatschow“, „Puschkin“ (Deutschland), „Finlandia“ (Finnland), „Grey Goose“ (Frankreich), „Royalty“ (Niederlande), „Eristoff“ (Georgien), „Viking Fjord“ (Norwegen), „Chopin“, „Sobieski“ und „Wyborowa „ (Polen), „Moskovskaya“ und „Stolichnaja“ (Russland), „Absolut“ (Schweden), „Nemiroff“ und „Olimp“ (Ukraine) sowie „Skyy“ und „Smirnoff“ in den USA.
Doch damit nicht genug: Nach dem Ende der Sowjetunion und dem Zusammenbruch des kommunistischen Regimes in den anderen Staaten Osteuropas hielt der Kapitalismus auch im Bereich der Wodkaproduktion Einzug. Ausländische Investoren übernahmen Brennereien – das bekannteste Beispiel für die Übernahme einer russischen Destillerie durch einen westlichen Spirituosenriesen war der Kauf des Moskauer Unternehmens „Cristall“ durch den Smirnoff-Konzern. Wie das Schicksal so spielt, handelte es sich dabei just um jene Destillerie, die vor 1917 Eigentum der Familie Smirnov war.
DIE VIELEN GESICHTER DES WODKAS
Wodka zeichnet sich besonders durch seinen fast neutralen Geschmack aus, was ihn zu einem der beliebtesten Branntweine der Welt gemacht hat. So unterschiedlich die Herkunftsländer sind, so vielfältig können die Darreichungsformen sein. Die Russen trinken ihren Wodka am liebsten pur und gut gekühlt. Und nicht zu knapp. Gorbatschow – der Generalsekretär, nicht der Wodkahersteller – sah sich in den Achtzigerjahren des 20. Jahrhunderts sogar veranlasst, eine breit angelegte Kampagne gegen Alkoholmissbrauch zu starten und Kleinbrennereien, die minderwertigen und oft gesundheitsschädlichen Fusel herstellten, reihenweise schließen zu lassen. Die Aktion war leider nicht wirklich von Erfolg gekrönt.
Ganz anders begegnet uns das „Wässerchen“ in einer der schicken „Vodkarias“, wie man sie in wachsender Zahl in den großen Metropolen des Westens findet. Keine Rede von schmuddeligen Plüschsofas, auf denen man Fusel von dubioser Herkunft zu sich nimmt. Nein, hier kann der Liebhaber unter 100 verschiedenen Wodkasorten und mehr wählen – und all das in gediegener Designer-Atmosphäre. Der Wodka ist zumeist entsprechend teuer – und bleibt doch was er ist: ein Getreidedestillat…
Gerade weil der Wodka so geschmacksneutral ist, eignet er sich auch bestens als Basis für Cocktails und Longdrinks, die aus den Bars rund um den Globus nicht mehr wegzudenken sind. Die Zahl der verschiedenen Kreationen ist Legion, und es kommen täglich neue hinzu. Zu den bekanntesten Vertretern unter den Wodka-Mixgetränken zählen neben dem durch James Bond zu Berühmtheit gelangten Wodka Martini auch der Screwdriver, der Wodka Julep, Wodka Tonic, Wodka Fizz und nicht zuletzt die als Katermittel gerne getrunkene Bloody Mary.
Einen Mittelweg zwischen dem purem Genuss und der Darreichungsform als Cocktail oder Longdrink stellen die aromatisierten Wodkas dar. Diese geschmacklich veränderten Variationen werden hergestellt, indem man das gefilterte Destillat mit Früchten wie Zitrone oder Orange, Gewürzen wie Pfeffer oder Vanille oder verschiedenen Extrakten und Essenzen ansetzt. Gerade diese Variationen erfreuen sich in den letzten Jahren vor allem unter jüngeren Konsumenten steigender Beliebtheit. Doch egal in welcher Form der Wodka genossen wird, seinen Platz im Spitzenfeld des internationalen Spirituosenangebotes kann ihm niemand mehr streitig machen. Und nicht nur das – ein russisches Sprichwort sagt: „Wodka macht aus allen Menschen Russen!“