Gemeinschaftsverpflegung im Umbruch: Das ist die Zukunft von Kantine und Co.
Ein weites Feld
Auf dem Online-Marktplatz Ebay gibt es sie noch: die DDR-Plastik-Menüteller aus den stramm sozialistischen Schulkantinen. Ein Relikt aus einer längst vergangenen Zeit, einerseits. Andererseits: Während die berüchtigte Deutsche Demokratische Republik längst auf dem Müllhaufen der Geschichte gelandet ist, haben die dreiteiligen Portionsteller wacker überlebt. Bundesweit gibt es eine immer noch unüberschaubare Vielzahl an Schulen, Krankenhäusern und Betriebskantinen, in denen aus diesen charmanten Utensilien, nun ja, gespeist wird. Doch genauso wie der Honecker’sche Sozialismus scheinen auch sie langsam, aber sicher ihrem Untergang geweiht – zumindest wenn man das, was man gemeinhin als Gemeinschaftsverpflegung versteht, genauer betrachtet.
Denn was vor wenigen Jahren noch unverkennbare Betriebskantine im Turnhallencharme der 1960er-Jahre war, lässt sich heute von einem stilsicheren Hipster-Lokal, wie es in jedem gentrifizierten Großstadtbezirk steht, kaum noch unterscheiden. Außerdem hat seit Neuestem auch Corona ein Wörtchen mitzureden: Die von Max Strohe ins Leben gerufene Initiative „Kochen für Helden“, in der Gastronomen deutschlandweit für Menschen in sogenannten Funktionsberufen kochen, spülte das sonst so vernachlässigte Thema der Gemeinschaftsverpflegung an die diskursive Oberfläche. Wie also steht es um dieses weite Feld? Was bedeutet Gemeinschaftsverpflegung heute? Und wo liegen die Unterschiede zwischen ihren einzelnen Ausprägungen wie Betriebskantinen, Kindergärten, Schulen und Seniorenheimen? Und warum hat das viel mehr mit Spitzengastronomie zu tun, als man denken mag?
Ein weites Feld
Auf dem Online-Marktplatz Ebay gibt es sie noch: die DDR-Plastik-Menüteller aus den stramm sozialistischen Schulkantinen. Ein Relikt aus einer längst vergangenen Zeit, einerseits. Andererseits: Während die berüchtigte Deutsche Demokratische Republik längst auf dem Müllhaufen der Geschichte gelandet ist, haben die dreiteiligen Portionsteller wacker überlebt. Bundesweit gibt es eine immer noch unüberschaubare Vielzahl an Schulen, Krankenhäusern und Betriebskantinen, in denen aus diesen charmanten Utensilien, nun ja, gespeist wird. Doch genauso wie der Honecker’sche Sozialismus scheinen auch sie langsam, aber sicher ihrem Untergang geweiht – zumindest wenn man das, was man gemeinhin als Gemeinschaftsverpflegung versteht, genauer betrachtet.
Denn was vor wenigen Jahren noch unverkennbare Betriebskantine im Turnhallencharme der 1960er-Jahre war, lässt sich heute von einem stilsicheren Hipster-Lokal, wie es in jedem gentrifizierten Großstadtbezirk steht, kaum noch unterscheiden. Außerdem hat seit Neuestem auch Corona ein Wörtchen mitzureden: Die von Max Strohe ins Leben gerufene Initiative „Kochen für Helden“, in der Gastronomen deutschlandweit für Menschen in sogenannten Funktionsberufen kochen, spülte das sonst so vernachlässigte Thema der Gemeinschaftsverpflegung an die diskursive Oberfläche. Wie also steht es um dieses weite Feld? Was bedeutet Gemeinschaftsverpflegung heute? Und wo liegen die Unterschiede zwischen ihren einzelnen Ausprägungen wie Betriebskantinen, Kindergärten, Schulen und Seniorenheimen? Und warum hat das viel mehr mit Spitzengastronomie zu tun, als man denken mag?
Kopenhagen als Kantinen-Königin
„Ich bin in die Gemeinschaftsgastronomie, weil mich damals die Individualgastronomie mit ihrer Dekadenz anwiderte“, fackelt Patrick Wodni nicht lange herum. Der gebürtige Gießener arbeitete nach seiner Kochausbildung unter anderem im Berliner Sternerestaurant Nobelhart & Schmutzig, das mit seiner „Brutal lokal“-Linie Essen an sich zwar als politischen Akt versteht – Wodni aber offenbar nicht weit genug ging. „Meine Motivation war es irgendwann, wirklich etwas zu bewegen.“ Und das konnte Wodni eben nach am besten dort, wo Essen die größte und gleichzeitig wohl unterschätzteste Auswirkung hat: im Krankenhaus. In der Klinik Havelhöhe stellte der unbeirrbare Idealist die Küche auf bio und frisch um – und versorgte so mit einem Budget von 4,76 Euro pro Teller 500 Patienten mit, ja, vernünftigem Essen. Das sprach sich schnell herum. Nicht nur bei so manchem Paar, das sich für die Entbindung bewusst für Berlins wohl einziges Spital mit kulinarischem Anspruch entschied.
Auch die New York Times machte sich vor Ort ein Bild von diesem „German Chef“, der seine Küchenlinie als „Reformhaus, aber in geil“ bezeichnet – und widmete ihm einen hymnischen Artikel. Heute ist Wodni stellvertretender Projektleiter für das Berliner Projekt Kantine Zukunft. Seine Mission, zusammen mit rund elf anderen Mitarbeitern: Kantinenessen – von der Kita bis zum Seniorenheim – besser und gesünder zu machen. Und das, indem Kantinen-Küchenteams vor Ort mit einem umfangreichen Beratungsprogramm darin unterstützt werden, ohne Mehrkosten den Anteil von Bio-Lebensmitteln auf mindestens 60 Prozent zu steigern. Ausgangsmaxime ist dabei das bewährte Kopenhagener Modell. Es war schließlich die dänische Hauptstadt, in der über die Erhöhung des Bio-Anteils in Essen Kantinen-Mahlzeiten nicht nur gesünder und umweltfreundlicher, sondern auch schmackhafter wurden.
„Natürlich gibt es verschiedene Ansätze, wie man Menschen dazu bringt, sich besser zu ernähren“, erklärt Wodnis Kollegin Dinah Hoffmann, ebenfalls stellvertretende Projektleiterin. „Aber mit der Gemeinschaftsverpflegung hat man wirklich einen Hebel, um ein ganzes System mitzugestalten. Für viele Menschen ist das Mittagessen in der Kantine schließlich die einzig warme Mahlzeit am Tag.“ Das weiß auch das Land Berlin: 1,1 Millionen Euro lässt es sich die Unterstützung von Kantine Zukunft pro Jahr kosten, zumindest drei Jahre lang. Bedenkt man, dass allein Betriebskantinen deutschlandweit 30 Millionen Portionen pro Woche produzieren, mögen die 1,1 Millionen für Deutschlands bevölkerungsreichste Stadt nicht astronomisch wirken. Aber sie sind zweifelsohne ein Anfang. Wie also sorgen Wodni und Co. dafür, dass Berlin gesünder isst?
Kulinarischer Trickle-down-Effekt
„Im Moment“, so Wodni, „sind wir drei Köche, die sich die Arbeit vor Ort aufteilen. Beim ersten Termin gehen wir zu zweit in die Küche, um uns erst einmal einen Überblick zu verschaffen. Dann versuchen wir, die ersten Felder auszumachen, in denen am meisten Bedarf besteht: Das kann bei der einen Kantine das Handwerk sein, bei der anderen ist es wiederum der Einkauf.“ Wodni spricht von Zielvereinbarungen und Roadmaps, die mit „allen Verantwortlichen“ besprochen werden, bevor die konkrete Arbeit losgeht. Wobei es gar nicht so einfach sei, sie allgemein herunterzubrennen. Von der Kita bis zur Betriebsgastronomie ist alles dabei. „Bei sehr großen Betrieben sitzen wir meist an Schreibtischen. Bei kleineren stehen wir oft in der Küche.“ Die Problemfelder hingegen sind oft dieselben: zu viel vorgefertigte Ware, zu viel Fleisch, zu wenig Bio-Angebot im konventionellen Großhandel. Was tun dagegen?
Dass die Ware – Kartoffeln also geschält oder Brokkoli bereits vorgegart – vorgefertigt ist, macht sie nicht automatisch schlecht. „Wenn man aber die Region miteinbinden will“, so Wodni, „wird es schwierig. Denn gerade kleine Betriebe haben keine Ressourcen, um vorverarbeitete Ware anzubieten.“ Weiter auf vorgefertigte Produkte zu bauen, würde also gerade kleine, regionale Betriebe, die in hervorragender und nicht selten Bio-Qualität produzieren, von einem hochpotenten Markt ausschließen. Eine der Lösungen, zumindest für kleinere Betriebe: Die Kartoffeln vom regionalen Bauern von nebenan um viel weniger Geld bestellen, sie dafür aber eben selbst schälen – oder eben einfach ungeschält verarbeiten. Größere Betriebe und solche, die aus personellen Gründen über keine Kapazitäten zum Schälen von Gemüse verfügen, können stattdessen auf regionale Schäl- und Verarbeitungsbetriebe sowie auf Plattform- und Logistiklösungen setzen. „Regionale Schäl- und Tiefkühlware ist für eine flächendeckende Grundversorgung ja von großer Relevanz“, stellt Wodni klar.
Schwieriger wird es mit den Bio-Produkten: Während sie im Einzelhandel die Nachfrage der Konsumenten in ausreichender Menge befriedigen, haben Kantinen oft nicht die Möglichkeit, ihren Bedarf – ganz zu schweigen von den anvisierten 60 Prozent – über den Gastro-Großhandel auch nur ansatzweise zu decken. Dänemark und der skandinavische Raum sind ein Beispiel dafür, wie schnell sich das ändern kann. Dort nämlich brachte der Boom rund um die Nordic Cuisine auch Politik und Verwaltung dazu, den Anteil an regionalen Bio-Produkten in Kantinen zu forcieren.
Mit dem Ergebnis, dass der dortige Großhandel die Gelegenheit am Schopf ergriff und Kitas, Seniorenheime und andere Institutionen tatsächlich mit ausreichend Bio-Produkten beliefern kann. Ein kulinarischer Trickle-down-Effekt, wenn man so will, ausgehend von der Spitzengastronomie. Den größten Hebel jedoch sieht Wodni beim Fleisch: „Wenn ich 14 Mal pro Woche Fleisch anbiete, dann kann das schon weniger sein. Abgesehen davon kann das Angebot bei vielen ruhig ausgedünnt werden. Ich finde es ja gut, dass es mal Kuchen gibt, aber es müssen nicht immer gleich 50 verschiedene sein. Vieles davon landet dann ohnehin wieder in der Tonne.“
Homeoffice vs. Mittagsmenü
Auch Theresa Geisel plädiert für weniger Fleisch in Kantinen. Als Vorsitzende des Vereins Food & Health, den sie 2017 mitbegründet hat, zeichnet sie gemeinsam mit einer interdisziplinären Experten-Jury und dem Focus-Magazin als Medienpartner die 50 besten Betriebskantinen Deutschlands aus. Wer der Münchnerin zuhört, merkt schnell: Der nötige gesellschaftspolitische Systemwechsel kann, ja soll nicht zuletzt durch betriebswirtschaftliche Finesse erreicht werden. „Man spürt, dass immer mehr Betriebe verstehen, was für ein Potenzial in der Kantine steckt“, so Geisel.
Das mag auf den ersten Blick als elitärer Nischenzugang zum Thema Kantine scheinen. Doch es waren gerade die Tech-Firmen aus dem Silicon Valley wie Google, Facebook und Co., die in den Nullerjahren damit begannen, ihren Mitarbeitern gutes Essen in stimulierender Atmosphäre zu bieten – und damit bewiesen: Hier geht es um mehr als eine kleine Annehmlichkeit über Mittag. Bis heute bietet Google seinen Mitarbeitern das Essen den ganzen Tag über kostenlos an. Klar, das kostet eine Menge Geld. Aber die kühnen Innovationen, die von den Nerds beim Mittag- oder Abendessen ausgetüftelt werden, sind diese Investition allemal wert. Geisels Food-&-Health-Initiative ist gewissermaßen der Beweis, dass dieser Ansatz langsam, aber sicher in den deutschen Mittelstand vordringt: „Es gibt nun einmal immer mehr junge Menschen, die heute von den Schulen und Unis in die Firmen strömen, und deren Prioritäten sind eben nicht mehr das eigene Firmenauto oder das Gehalt allein. Stattdessen geht es um das Umfeld am Arbeitsplatz, das kreativ und wertschätzend sein soll. Und da erweist sich die Betriebsgastronomie als zentrales Spielfeld.“
Essen in der Nobelkaserne
Das haben auch Betriebe in Österreich erkannt. Vorreiter der Alpenrepublik: die Red Bull Base Elsbethen im malerischen Salzburger Land. Allein unter räumlichen Gesichtspunkten nimmt die kulinarische Verpflegung dort schon einen prominenten Stellenwert ein: „Unsere Kantine wurde ja in eine ehemalige Kaserne, die Rainerkaserne, gebaut“, so Werner L. Depauly, Global Head of Procurement bei Red Bull. Das Mittagessen als zelebrierendes Ritual, zu dem fast schon gepilgert wird – zumindest gewinnt man in der genauso urig wie traditionell angehauchten Red-Bull-Kantine den Eindruck. Sie verfügt über 400 Sitzplätze, die es in mehreren Sitzungen auf bis zu 1200 Mittagessen bringen. „Hierzu haben wir auch ein eigenes Tool entwickelt für die Reservierung und Abrechnung, das ist einzigartig“, so Norbert Harasek, Sr. Hospitality Procurement Manager bei Red Bull.
Damit wird auch die in vielen anderen Betrieben immer noch im Argen liegende Essensverschwendung vermieden, da im Vorfeld bekannt ist, für wie viele Personen aufgekocht werden muss. „Mit Henry by DO&CO haben wir uns außerdem bewusst für einen Marktführer im betriebsgastronomischen Segment entschieden, weil sie ex-trem kreativ sind“, so Harasek. 16 Mitarbeiter kochen hier täglich mit regionalen und saisonalen Produkten, die unter anderem zu drei Hauptspeisen verarbeitet werden, aus denen die Red-Bull-Mitarbeiter aussuchen dürfen: Fisch, Fleisch oder vegetarisch. Außerdem gibt es als Vorspeise Salate und zum Schluss ein Dessert. Für DePauly ist genau diese abgerundete Vollständigkeit Grund dafür, dass viele Mitarbeiter nicht auf Teleworking bestehen: „Wo sonst bekomme ich ein so hochwertiges Essen? Im Homeoffice müsste man dafür zwei Stunden lang aufkochen!“
Davon abgesehen: Der Mehrwert der Betriebsgastronomie kann im besten Fall auch über das rein Kulinarische hinausreichen. „Wir ermutigen die Mitarbeiter dazu, auch mit Kolleginnen und Kollegen außerhalb ihrer Abteilungen essen zu gehen. Natürlich redet man da übers Geschäft. Und damit erhält man auch Informationen und Einblicke, die man ansonsten nie bekommen hätte.“ Ganz gleich, ob nun im Krankenhaus, in der Kindertagesstätte oder bei einem der größten Energydrink-Hersteller der Welt: Eine Kantine, das ist heute weit mehr als ein Ort trockener Kalorienzufuhr. Und gerade das Kopenhagener Modell zeigt: Wer die Gemeinschaftsverpflegung als wirksamen Hebel versteht, der kann nicht nur kulinarisch, sondern gesellschaftspolitisch Historisches erreichen.