Die Reklamation als Chance
Das perfekte Unternehmen gibt es ebenso wenig wie den perfekten Menschen. Schon daher ist es unvermeidlich, dass nicht jeder Gast zu jeder Zeit mit dem Angebot eines Gastgewerbe- oder Beherbergungsbetriebes uneingeschränkt glücklich sein wird. Unzufriedenheit kommt dann auf, wenn die Erwartungen des Gastes von einem Produkt oder einer Dienstleistung von den realen Gegebenheiten abweichen. Dies führt zur Enttäuschung und setzt – je nach Charakter und Temperament des Betroffenen – eine Palette an emotionalen Reaktionen in Gang, die von stiller Verbitterung bis zu lautstarkem Protest reichen können.
Bis in unsere Tage wird der unzufriedene Gast noch weithin als Störenfried eines geordneten Hotel- oder Restaurantbetriebes betrachtet. Reklamierende Gäste gelten im Allgemeinen als Querulanten, denen man nichts recht machen kann und die sich nur beschweren, um sich wichtig zu machen oder ihre schlechte Laune am Personal auszulassen. Einer Beanstandung positive Seiten abzugewinnen, war bis in die jüngste Vergangenheit ein Ding der Unmöglichkeit.
Erst allmählich beginnen Hoteliers und Gastronomen, eine Reklamation als etwas Positives zu sehen, das es gestattet, Fehler auszumerzen und künftig zu vermeiden. Schließlich signalisiert die Beschwerde, dass es durchaus noch Chancen für den Betrieb gibt, Sympathien zurückzugewinnen – wer sich beschwert, ist kein „Feind“, sondern zeigt damit, dass er noch Interesse an einer weiteren Zusammenarbeit hat. Ein Gast, der reklamiert, möchte dem Betrieb die Chance geben, Mängel zu beheben, um wiederzukommen.
Leider machen aber nur vier Prozent der unzufriedenen Gäste ihrem Unmut Luft, während die anderen 96 Prozent das Haus oder das Restaurant abschreiben und nie mehr wiederkommen wollen. Bedenken Sie, dass diese 96 Prozent Ihnen nicht einmal die Chance geben, von ihrer Unzufriedenheit zu erfahren, so müssen Sie sich tatsächlich über jede Unmutsäußerung freuen!
Studien haben gezeigt, dass ein unzufriedener Gast seine negativen Eindrücke durchschnittlich an 10 Gesprächspartner weitergibt. Ein unzufriedener Gast pro Tag ergibt somit pro Jahr fast 3700 negative Aussagen über einen Betrieb. Daher ist es besonders wichtig, jede einzelne Reklamation ernst zu nehmen und das Problem aus der Welt zu schaffen. Gleichzeitig ist es von eminenter Bedeutung, sich nicht nur diesen artikulierten Beanstandungen zu widmen, sondern die Augen nach all jenen offen zu halten, die ihre Unzufriedenheit verschweigen, und auch diese Fehler auszumerzen.
Die heikelsten Punkte
Ideal wäre es natürlich, jeglichen Anlass für eine Reklamation zu vermeiden. Dies ist allerdings, wie wir eingangs feststellen mussten, so gut wie unmöglich. Dennoch kann man sich jene „Knackpunkte“ vor Augen halten, welche die am weitesten verbreiteten Anlässe sind, um den Unmut der Gäste zu erregen.
Das beginnt zumeist schon bei der Anreise: Schlecht leserliche und schwer verständliche Anfahrtsskizzen, eine mangelhafte Beschilderung, verstelle Einfahrten, spärliche Parkplätze, fehlende Gepäckwagen und Warteschlangen beim Einchecken lassen die Gäste meist schon mit einer Wut im Bauch einchecken. Werden sie dann auch noch mit der üblichen Frage „Hatten Sie eine gute Anreise?“ gequält, die sie sogleich als desinteressierte Floskel entlarven, indem sie mit einem nichts sagenden „Danke“ antworten, dann stehen die Zeichen ohnehin schon auf Sturm. Verärgerte Gäste sind nämlich ganz besonders kritische Beobachter!
Grundsätzlich gilt es daher, die schlechte Stimmung des Gastes bereits im Ansatz zu erkennen und umgehend darauf zu reagieren. Ein mürrischer Gruß von jemandem, der gerade seinen Urlaub antritt oder zum Essen kommt – und daher „gut drauf“ sein müsste – deutet bereits auf sich anbahnenden Ärger hin. Dem kann man vorbeugen, indem man die Frage nach der Anreise mit mehr Enthusiasmus stellt und vielleicht mit der Frage verbindet, was man besser machen könnte. Man wird damit vielleicht nicht die Laune des Gastes heben, ihm aber wenigstens das Gefühl geben, dass man ihn wichtig nimmt und ihm helfen möchte.
Mangelnde Sauberkeit in den Zimmern, gewünschte und dennoch fehlende Utensilien auf den Zimmern, eine nicht vorhandene Begrüßung im Frühstücksraum, eine mangelnde Begrüßung oder Hilfestellung im Restaurant, eklatante Informationslücken beim Servicepersonal hinsichtlich der Speisen und Getränke, entschuldigende Worte für zu lange wartende Restaurantgäste, umständliche Abrechnungsprozeduren für Hotelgäste im Restaurant, eine lieblose Vorbereitung der Tagungsräume, eine mangelnde Pausenbetreuung bei Seminaren und nicht zuletzt die fehlende Freundlichkeit bei der Abreise sind nur weitere der häufigsten Anlässe für Reklamationen.
Die Dramaturgie der Reklamation
Ein unschätzbarer Vorteil beim Reklamationsmanagement ist die Fähigkeit, Gäste möglichst rasch einzuschätzen. Erfahrene Mitarbeiter können das manchmal auf den ersten Blick, jüngere Kollegen brauchen da schon etwas länger. Diese Menschenkenntnis ist deshalb so wichtig, da man das Verhalten des Gegenübers besser versteht und auf eine maßgeschneiderte Weise reagieren kann. Vom misstrauischen über den redseligen und besserwisserischen bis hin zum rücksichtslosen Gast wollen sie alle anders behandelt werden!
Zur besseren Einschätzung des Gegenübers ist es sehr hilfreich, dessen Mimik, Gestik und Sprache genau zu beobachten. Vom Blickkontakt über den Gesichtsausdruck, die Handposen und die ganze Körperhaltung bis hin zum Tonfall und zur Wortwahl zeigt ein Mensch, in welcher Gemütslage er sich befindet. Innerhalb eines Kulturkreises sind diese Signale quasi „genormt“ und werden schon früh erlernt. Es sollte also keine großen Probleme machen, diese Signale richtig zu interpretieren. Um mit einer Reklamation richtig umzugehen, sollte man sich vor Augen halten, wie es dazu kommt und wie eine solche in der Regel funktioniert.
Die Vorgeschichte fast jeder Reklamation läuft nach einer einheitlichen Dramaturgie ab: Den Anfang macht die Unzufriedenheit mit einer Situation, die zu einem gewissen Unmut führt, den der Gast schließlich jemandem mitteilen will/muss. Also ruft er den Kellner oder geht zur Rezeption und erwartet in diesen Personen einen Gesprächspartner, der sich für ihn Zeit nimmt, der sein Problem ernst nimmt und der die Kompetenz hat, dieses Problem zu lösen. Die Reklamation selbst hat im Idealfall ebenfalls eine fast immer gleiche Dramaturgie. Es beginnt mit der Annahme der Reklamation und dem Signalisieren von Verständnis, geht weiter mit der Konkretisierung des Sachverhaltes und dem Anbieten von Lösungen und endet mit einer Entschuldigung und dem Anbieten einer Entschädigung. Hat man sich geeinigt, so sollte der Mitarbeiter die Reklamation möglichst relativieren, indem er fragt, ob sonst alles zur Zufriedenheit des Gastes ist. Ist das Problem selbst dann auch behoben, so empfiehlt sich ein Follow-up-Gespräch, in dem man sich erkundet, ob nun alles in Ordnung sei…
Voraussetzung für eine Lösung
Der Zeitpunkt der Reklamation ist jedenfalls nicht der Zeitpunkt, um die Berechtigung derselben zu diskutieren. Die Wahrheit ist immer eine Frage des Standpunktes – und was dem Mitarbeiter als lächerlich oder gar unberechtigt erscheint, kann völlig andere Hintergründe haben. Eine Diskussion über Sinn und Unsinn einer konkreten Beanstandung bringt daher herzlich wenig: Erstens lässt sich diese mit einem aufgebrachten Gast kaum sachlich führen, zweitens kann sie zwar sachlich gewonnen werden – der Gast aber wird verloren sein…
Um sich in dieser Situation richtig verhalten zu können und nicht wegen jeder Lapalie ihren Vorgesetzten zu rufen, müssen für die Mitarbeiter daher zwei Dinge einwandfrei geklärt sein: Zum einen müssen sie wissen, wie weit ihre Kompetenzen zur Bereinigung der Situation gehen – das heißt: welche Angelegenheiten und bis zu welchem „Streitwert“ sie Beanstandungen eigenständig lösen dürfen und ab wann sie ihren Vorgesetzten verständigen müssen. Zum anderen müssen sie sicher sein können, dass diese Regeln absolute Gültigkeit haben und ihnen kein Vorgesetzter in den Rücken fallen wird.
Diese beiden unabdingbaren Voraussetzungen müssen auch für abteilungsübergreifende Reklamationen gelten. Wenn etwa der Kellner einem Gast entgegenkommt und ihm ein Ersatzgericht anbietet, darf dies nicht vom Küchenchef verweigert werden, da sonst nicht nur der Kellner, sondern das gesamte Lokal blamiert ist. Auch hier müssen ganz klare Regeln herrschen!
Von großem Vorteil kann auch ein Reklamationsbuch sein, das in jeder Abteilung aufliegt und in das vor jedem Schichtwechsel die Reklamationen in den wichtigsten Zügen umrissen eingetragen werden. Dadurch sind die Kollegen der neuen Schicht informiert, können sich der Sache annehmen, wenn sie vom Vorgänger noch nicht bereinigt wurde und fallen nicht auf Gästesprüche à la „Ihr Kollege hat mir versprochen…“ herein!