Cocktails gestern und morgen: Die Zukunft im Glas
Eines gleich vorweg: Wenn vor 20 Jahren ein Charles Schumann gesagt hätte, er würde seine Cocktails „kochen“, er hätte wohl für schallendes Gelächter gesorgt. Heute allerdings gilt eben das, was etwa Mario Hofferer macht, als visionär und modern – also das „Kochen“ von Cocktails. Aber dazu später mehr. Bleiben wir noch bei den Legenden dieser besonderen Branchen.
Wenn man also heute mit den Urgesteinen der mitteleuropäischen Bar-Szene spricht, muss man sehr differenziert zuhören, um nicht bloß die eine Botschaft zu hören: „Damals war alles besser!“ Denn – und das ist durchaus verständlich – die Barlegenden dieses Planeten erlebten in einer Zeit ihre Hochblüte, als die Welt zumindest eines mit Sicherheit war: Ganz anders als heute. Doch uns geht es anlässlich unseres eigenen 20-Jahr-Jubiläums nun gar nicht darum, das Gestern mit dem Heute zu vergleichen.
Eines gleich vorweg: Wenn vor 20 Jahren ein Charles Schumann gesagt hätte, er würde seine Cocktails „kochen“, er hätte wohl für schallendes Gelächter gesorgt. Heute allerdings gilt eben das, was etwa Mario Hofferer macht, als visionär und modern – also das „Kochen“ von Cocktails. Aber dazu später mehr. Bleiben wir noch bei den Legenden dieser besonderen Branchen.
Wenn man also heute mit den Urgesteinen der mitteleuropäischen Bar-Szene spricht, muss man sehr differenziert zuhören, um nicht bloß die eine Botschaft zu hören: „Damals war alles besser!“ Denn – und das ist durchaus verständlich – die Barlegenden dieses Planeten erlebten in einer Zeit ihre Hochblüte, als die Welt zumindest eines mit Sicherheit war: Ganz anders als heute. Doch uns geht es anlässlich unseres eigenen 20-Jahr-Jubiläums nun gar nicht darum, das Gestern mit dem Heute zu vergleichen.
Vielmehr wollen wir den spektakulären Wandel einer Branche nachvollziehen, der innerhalb weniger Jahrzehnte so intensiv passiert ist wie in kaum einer anderen gastronomischen Spielart. Aber am besten – wir fangen einfach von hinten an. Um einen klaren und nicht nur verklärten Blick in die Vergangenheit zu erlangen, kommt man an Charles Schumann wahrlich nicht vorbei. In jenen Tagen, als Rolling Pin erstmals in Druck gegangen ist, standen auch bei ihm große Umbrüche an: „Wir sind damals mit meiner Bar aus der Maximilianstraße an den Odeonsplatz gezogen“, erzählt er.
Damals sorgte die Übersiedlung seiner „Schumann’s Bar“ noch für richtigen Wirbel. Heute wäre das eine mediale Randnotiz. Doch das ist nicht etwa schlecht, sondern: „Das Gute an den Veränderungen der vergangenen Jahre ist, dass es viel mehr Bars gibt“, attestiert der Altmeister. Außerdem sei der Wissensstand der Gäste ein ganz anderer als anno dazumal: „Die Leute, die trinken gehen, haben heute deutlich mehr Ahnung von der Materie als vor 20 Jahren. Wenn jemand einen Manhattan bestellt, dann weiß er genau, was er will und dem kann man nicht irgendwas hinstellen.“
Man trinkt kritischer, ist dabei aber auch weniger demütig. Das ist schade.
Rainer Husar vergleicht seine Zeit mit heute
Ins gleiche Horn stößt das österreichische Legenden-Pendant Rainer Husar. Seine „Rainer’s Bar“ galt als Epizentrum des Nachtlebens rund um den Wörthersee im malerischen Kärnten, heute betreut er mit seiner Erfahrung die Restaurants und Bars im Seehotel Dr. Jilly.
Er bestätigt: „Man trinkt kritischer, anspruchsvoller, ist dabei aber auch weniger demütig.“ Man müsse seiner Meinung nach die Leute heute deutlich besser beraten, um auch als Experte wahrgenommen zu werden, schließlich sei der „Nimbus des coolen Barkeepers schon seit vielen Jahren nicht mehr existent“, ergänzt mit Sammy Walfisch ein im Vergleich echter Jungspund – als Schumann und Husar am Höhepunkt ihrer Karrieren waren, hatte seine gerade erst begonnen.
So aber kann er aus dem Gesagten einen Umkehrschluss destillieren: „Heute wird der Beruf endlich als Expertentum wahrgenommen. Das hat sich zum Glück in eine professionellere Richtung gewandelt“, so der Wiener. Einig ist man sich generationenübergreifend darin, dass vor 20 Jahren viele Techniken, die heute Usus sind, in der Bar noch keine Rolle gespielt haben. Und da ist nun nicht die Sache mit dem Trockeneis und einer kurzweiligen Show gemeint. Die Mixology-Szene habe sich in den letzten Jahren selbst neu erfunden, sagt etwa Mario Hofferer. „Vor 15 Jahren haben die Köche ihren absoluten Hype erlebt, da gab es viele Kochsendungen im Fernsehen. Genau das gleiche passiert in der Bartending-Szene“, so der zweifache Cocktail-World-Champion.
Alles werde feiner und puristischer, Spreu trenne sich vom Weizen und ein Getränk sei nicht mehr einfach nur ein Getränk. Kräuter, Gewürze, sogar Fisch oder Fleisch findet man längst auch in Cocktails: Da wäre etwa Bacon fatwashed whiskey: „Dabei wird der Speck gebraten und nur das Fett verwendet. Das gibt man in den Whiskey, lässt es 24 Stunden im Kühlschrank ziehen, seiht es ab und dann hat man einen feinen Speckgeschmack im Whiskey“, erklärt Hofferer. Ebenfalls aktuell ein heißer Scheiß: Muschelsaft! Damit und mit anderen aus der Fernsicht überraschenden Zutaten experimentiert Hofferer tagtäglich mit großer Leidenschaft.
Generell habe sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten ein Wandel in der Auswahl der Grundprodukte ergeben. Waren einst Drinks mit einer klaren Rezeptur versehen, die man mit etwas Geschick und den richtigen Zutaten aus dem Supermarkt nachbauen konnte, sind die heutigen Ingredienzien eines Cocktails vorwiegend vom Barkeeper selbst erstellt, so die einhellige Meinung der aktuellen Mix-Meister. Und dabei kommen teilweise Methoden zum Einsatz, die man eher im Chemielabor als in der Bar verorten würde. Geräte wie Zentrifugen, Rotationsverdampfer und Vakuumkammern stehen heute neben verstaubten Zitronenpressen und Dörrgeräten.
Neue Barwelt der Frauen
Diese neuen Möglichkeiten wirken als mächtige Innovationstreiber für die ganze Branche, das weiß wohl kaum jemand besser als die aktuell beste Barkeeperin der Welt – Monica Berg. Als erste Frau überhaupt wurde sie heuer von der „World’s 50 Best Bars“-Jury mit dem Titel „Best Bartender“ geadelt. Auch eine Tatsache, die eine massive und wünschenswerte Weiterentwicklung in der noch vor wenigen Jahren fast ausschließlich männerdominierten Barwelt darlegt. Und auch wenn die Norwegerin selbst „Bartending als neutralen, individuellen, kreativen Traumberuf“ versteht, ist ihr ihre Vorreiterinnenrolle sehr wohl bewusst. Spätestens seitdem sie Aussagen wie diese hören musste: „Du bist der schlechteste Barkeeper der Welt. Du weißt nicht einmal, wie man Flaschen wirft und siehst auch nicht aus wie Tom Cruise.“ Dass das hier zitierte Showbarkeeping aus dem Film „Cocktail“ heute bloß einer von vielen unterschiedlichen Zweigen der Bar-Welt ist, hätte sich einst wohl niemand gedacht.
Damals, als etwa Laura Maria Marsueschke im Schweizer Gais als Saison-Barkeeperin im Service gearbeitet hat. Damals habe sie sich noch von vielen weißen gebügelten Hemden umringt gesehen und „viel Aufregung, Promis und Steifheit“ wahrgenommen. Vor allem aber auch Kerle, die sehr motiviert versuchten, sie zu beeindrucken – bis sie von ihrer Partnerin abgeholt wurde. Was damals zu Irritationen geführt haben mag, ist heute kein Thema mehr. Allerdings: Sie wird noch immer gefragt, wo der Chef zu sprechen sei. In ihrem eigenen Betrieb, der Neuköllner Thelonious Bar. Doch abseits der Wokeness-Debatte nimmt Marsueschke eine Entwicklung wahr, die Millennials rätselhaft fremd erscheint: „Arbeitgeber und -nehmer haben verstanden, dass die Arbeit Auswirkungen auf Körper und Psyche hat. Es gibt eine Form der Achtsamkeit, dass man Mitarbeiter nicht mehr verbrennt und knechtet.“ Die Gen-Z wiederum nimmt das als Grundbedingung wahr, die Entwicklung in diese Richtung geschieht also wohl nicht ganz drucklos.
Apropos Generationenkonflikt – der ist in der Bar-Bubble in vielerlei Hinsicht zu finden. In Berlin trägt er etwa den Decknamen „Gentrifizierung“ und verscheucht eine legendäre Eckkneipe nach der anderen. Dafür trinkt man alkoholfrei oder mit selbst geerntetem Gemüse, wie etwa das Neuköllner „Velvet“ das vorzeigemäßig und nach Noma-Prinzip durchexerziert. Diese Entwicklung sei durchaus zu befürworten – zumindest der Teil mit dem Gemüse, meint einer aus der alten Generation – Manfred Klimek, Wiener und Wahl-Berliner. „Wokeness und Identitätspolitik, die Awareness-Bewegung ist ein Generationenkonflikt, der sich auch im Barleben sichtbar machen wird.“ Stichwort Sexismus in der Gastro und im Barleben. Hier würde seiner Meinung nach in naher Zukunft von der Gen-Z die Rechnung serviert werden. Heißt: Alte Systeme werden endgültig Geschichte sein, neue Konzepte und Ideen die Barwelt bunter, offener, moderner gestalten. Zumindest aus gesellschaftlicher Hinsicht.
Wie wird die Bar von morgen?
Grundsätzlich – und darin sind sich Monica Berg, Sammy Walfisch, Mario Hofferer und selbst Charles Schumann und Rainer Husar einig – wird sich das Treiben hinter der Bar in den kommenden zehn Jahren noch intensiver an jenem in der Küche orientieren, als es heute schon der Fall ist. Und das fängt schon bei der Ausrichtung an: Spezifikation ist nicht nur im Restaurantbereich das Thema von morgen, sondern eben auch in der Bar. Das bedeutet auch, dass sich Konzepte nicht nur an Interessen und Zielgruppen orientieren, sondern auch die dazugehörigen Öffnungszeiten. Wer sagt, dass eine Bar von 18 Uhr bis mehr oder weniger in die späte Nacht geöffnet sein muss? Stattdessen werden manche Bars nur tagsüber, andere schon um 16 Uhr und wieder andere erst ab 23 Uhr ihre Pforten öffnen. Je nach Gesamtkonzept, versteht sich. Ergänzend dazu: Wenn Alkohol in der Bar eine geringere Rolle spielt, werden plötzlich auch die Öffnungszeiten neu gemischt.
Wenn wir aktiv unser Wissen weitergeben, kann die nächste Generation zu Höhenflügen ansetzen!
Peter Marcina über seine Ambitionen, Wissen zu vermitteln
Weniger wird mehr
Wo wir gerade beim Angebot sind: Alkoholfreie Drinks, Mocktails und dergleichen, werden viel mehr Platz einnehmen als sie es heute noch tun, das sagt etwa Trendforscher Andrew Fordyce. Das heißt aber nicht, dass spannende Spirituosen aus dem Barleben verbannt würden. Doch statt 20 Gins und 40 Rums wird man sich auf die besten der besten konzentrieren und die anderen weglassen. Dieser Trends des Fokussierens auf das Wesentliche werde sich aber auch in den Rezepturen fortsetzen, betont Andreas Schöler, Betreiber des One Trick Pony. Er sagt: „2010 konnte ein Cocktail kaum kompliziert genug sein. 2025 wird in hervorragenden Bars beinahe das Gegenteil der Fall sein: Drinks werden zwar komplex und aromatisch, aber weniger kompliziert sein. Der Grund liegt im bewussten Weglassen und Vereinfachen.“ Bei ihm spielt das Weglassen schon heute eine zentrale Rolle – und zwar auf zwei Ebenen: Erstens bei der Frage, ob ein Cocktail eine bestimmte Zutat überhaupt braucht, zweitens bei der Suche nach der einfachsten Zubereitungsmöglichkeit. Denn nicht immer sind moderne Gerätschaften wie ein Rotationsverdampfer der Weisheit letzter Schluss, um das beste Ergebnis zu bekommen.
Einen weiteren Fingerzeig in Richtung Zukunft liefert derzeit das „Aviary“ in Chicago, ein Ableger des Drei-Stern-Schuppens „Alinea“. Hier haben die Macher schlichtweg die gesamte Küchentechnologie auf die Bar umgelegt. Das Ergebnis sind Drinks, wie der „In The Rocks“, der in eine Eiskugel eingebaut ist und eine Steinschleuder erfordert, um seine Power zu entfesseln. Sprich: Das Teil ist im Grunde ein Werk, das Erlebnis und Überraschung mitbringt.
Eine Philosophie, die auch Peter Marcina mit seinem Konzept der „Mirror Bar“ in Bratislava verfolgt. Jedoch geht er die Sache natürlicher an – und konzentriert sich darauf, die Magie der Natur für alle Sinne wahrnehmbar zu servieren. Gemeinsam haben beide allerdings den Aspekt des Erlebnisses für alle Sinnesorgane. Und die Vision, ihr Wissen weiterzugeben. Marcina macht das aktiv mit seiner Organisation WHY (We Host You). Schließlich ist er davon beseelt, maximal viel von dem was er kann zu vermitteln.
„Dann kann die nächste Generation auf unseren Erkenntnissen aufbauen und auf viele Umwege verzichten.“ So würde seiner Meinung nach die schon so rasante Entwicklung hinter der Bar quasi einen Superboost bekommen. Wohin das führt? „Garantiert zu neuen Techniken und Erlebnissen“, sagt er. Damit lässt er uns vor allem eines wissen: Unserem heutigen Wissensstand wird er in 20 Jahren keineswegs nachtrauern. Sondern sich an dem erfreuen, wofür er und seine Kollegen und Kolleginnen die Grundsteine gelegt haben.
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Die Geschichte der Bar
Die Bar, wie wir sie heute kennen, hat ihren Ursprung im 19. Jahrhundert. Im Wilden Westen waren die Saloons der Treffpunkt für gesellige Stunden. Mit zunehmendem Alkoholkonsum kam es zu Schlägereien oder Schießereien, wodurch Getränke und Gläser zu Bruch gingen. Auch das Personal überstand solch einen Arbeitstag nicht immer unbeschadet. Um nicht ständig das komplette Sortiment neu kaufen zu müssen und dem Personal einen besseren Schutz zu ermöglichen, wurden Barrieren gebaut. Diese wurden zudem als Verkaufstische genutzt. Aus dem Wort Barriere wurde schließlich „Bar“ abgeleitet.