Warum das Noma-Ende erst der Anfang ist

Das angekündigte Aus des Noma hat hohe Wellen geschlagen. Doch von einer Krise der Sterneküche ist keine Rede – ganz im Gegenteil. Zudem stellt sich die Frage: Sind René Redzepis ökonomische Argumente gar nur vorgeschoben?
März 2, 2023 | Text: Johannes Stühlinger | Fotos: Noma, Monika Reiter, Raphael Gabauer, Helge O. Sommer

Die Meldung ging wie ein Donnerschlag durch die Branche: René Redzepi verkündete Mitte Jänner, bis Ende 2024 sein Noma in Kopenhagen zuzusperren. Die Begründung für seinen drastischen Schritt aber traf die Elite der internationalen Sterneküche wie ein Blitzschlag: Spitzengastronomie sei menschlich, ökologisch und ökonomisch nicht mehr vertretbar. „Man muss die Branche völlig neu denken“, postulierte Redzepi. Wenn der Gründer des fünf Mal zum weltbesten gekürten Restaurants so etwas sagt, hat das Gewicht. Und man stellt sich die Frage: Wenn das Noma nicht in der Lage ist, die Ökonomie in den Griff zu bekommen, wie soll es anderen gelingen?

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Was hat René Redzepi wirklich zu seinem drastischen Schritt bewogen? Und: Warum dieser der Branche sogar helfen kann

„Ich glaube, man muss hinterfragen, ob Redzepi bei dieser Begründung entweder missverstanden wurde oder einfach einen Grund vorschiebt, der mit den wahren Hintergründen nichts zu tun hat“, sagt der deutsche Sterne­koch ­Alexander Hermann – und lässt damit aufhorchen. Das Noma könne locker 100 bis 200 Euro mehr pro Menü aufrufen, wäre dennoch zu 95 Prozent ausgelastet – und dann wohl rentabel, ist er sich sicher. Seiner Meinung nach geht es dem Erfinder der New Nordic Cousine in Wahrheit um ein Exit-Szenario, um die Möglichkeit einer vollständigen Zäsur. „Ich glaube, nach so vielen Jahren an der Spitze, nachdem du dich immer wieder neu erfunden hast, ist irgendwann die Zeit gekommen, zu der du einen Schlusspunkt setzen willst.“ Damit steht der 51-Jährige keineswegs allein da.

„Ich finde es wirklich interessant, dass ein Restaurant dieses Kalibers sich neu erfinden kann“, sagt Peter Sanchez-Iglesias aus dem von Gordon Ramsay gefeierten Sternerestaurant Paco Tapas im britischen Bristol. Er geht sogar einen Schritt weiter, wenn er sagt: „Die Tatsache, dass man ein Restaurant auf diese Weise schließt, aber gleichzeitig in der Lage ist, eine ganz neue Identität zu schaffen, ist super spannend. René Redzepi ist ein Vorreiter unserer Branche, und diese Art von Entscheidungen inspiriert künftige Generationen von ­Köchen und zeigt uns, dass wir keine Angst vor Veränderungen haben müssen.“

Die Meldung ging wie ein Donnerschlag durch die Branche: René Redzepi verkündete Mitte Jänner, bis Ende 2024 sein Noma in Kopenhagen zuzusperren. Die Begründung für seinen drastischen Schritt aber traf die Elite der internationalen Sterneküche wie ein Blitzschlag: Spitzengastronomie sei menschlich, ökologisch und ökonomisch nicht mehr vertretbar. „Man muss die Branche völlig neu denken“, postulierte Redzepi. Wenn der Gründer des fünf Mal zum weltbesten gekürten Restaurants so etwas sagt, hat das Gewicht. Und man stellt sich die Frage: Wenn das Noma nicht in der Lage ist, die Ökonomie in den Griff zu bekommen, wie soll es anderen gelingen?

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Was hat René Redzepi wirklich zu seinem drastischen Schritt bewogen? Und: Warum dieser der Branche sogar helfen kann

„Ich glaube, man muss hinterfragen, ob Redzepi bei dieser Begründung entweder missverstanden wurde oder einfach einen Grund vorschiebt, der mit den wahren Hintergründen nichts zu tun hat“, sagt der deutsche Sterne­koch ­Alexander Hermann – und lässt damit aufhorchen. Das Noma könne locker 100 bis 200 Euro mehr pro Menü aufrufen, wäre dennoch zu 95 Prozent ausgelastet – und dann wohl rentabel, ist er sich sicher. Seiner Meinung nach geht es dem Erfinder der New Nordic Cousine in Wahrheit um ein Exit-Szenario, um die Möglichkeit einer vollständigen Zäsur. „Ich glaube, nach so vielen Jahren an der Spitze, nachdem du dich immer wieder neu erfunden hast, ist irgendwann die Zeit gekommen, zu der du einen Schlusspunkt setzen willst.“ Damit steht der 51-Jährige keineswegs allein da.

„Ich finde es wirklich interessant, dass ein Restaurant dieses Kalibers sich neu erfinden kann“, sagt Peter Sanchez-Iglesias aus dem von Gordon Ramsay gefeierten Sternerestaurant Paco Tapas im britischen Bristol. Er geht sogar einen Schritt weiter, wenn er sagt: „Die Tatsache, dass man ein Restaurant auf diese Weise schließt, aber gleichzeitig in der Lage ist, eine ganz neue Identität zu schaffen, ist super spannend. René Redzepi ist ein Vorreiter unserer Branche, und diese Art von Entscheidungen inspiriert künftige Generationen von ­Köchen und zeigt uns, dass wir keine Angst vor Veränderungen haben müssen.“

Kurzer Blick hinter die Kulissen: Nach dem Aus am Jahresende 2024 will Redzepi aus seinem Noma ein Food-Labor machen. Es heißt, dass eine Zusammenarbeit mit der dänischen Regierung avisiert ist. Außerdem plant er, unter dem Label „Noma Projects“ eigene – hochwertige und nachhaltige – Noma-Produkte für den heimatlichen Vorratsschrank auf den Markt zu bringen. Ein hochwertiges „Cep Oil“, ein besonderer „Whisky Vinegar“ und eine geräucherte Pilzbasis sind bereits online erhältlich.

Aber zurück zum Ende des Noma. Hat dieses also womöglich gar keine direkten Auswirkungen auf die internationale Spitzengastronomie? „Es ist ein Thema von Redzepi und Noma“, sind sich Heinz Reitbauer, Chef des Steirereck in Wien, und Deutschlands Dreisterner Kevin Fehling einig. Dafür spricht auch, dass mit dem Geranium und vor allem dem Alchemist ausgerechnet in der Noma-Nachbarschaft schon zwei andere Chefs dabei sind, die entstandene Lücke zu füllen.

Vor allem im Alchemist setzt derzeit Rasmus Munk neue Maßstäbe, indem er multimediale Erlebnisse in sein 50-gängiges Menü integriert, die er zusätzlich mit gesellschaftskritischen Aspekten würzt. So landet gleich einmal ein Fisch in (genießbares) Plastik gehüllt auf dem Teller, um uns vor Augen zu führen, was wir mit dem Meer und seinen Lebewesen anrichten. Dass dieses aufwendige Konzept den Zeitgeist trifft, ist eine Tatsache.

Auf Augenhöhe mit den Allergrößten

Eines scheint offensichtlich: Die Spitzengastronomie wird davon nicht beeinflusst werden. Zudem muss man festhalten, dass René Redzepi schon in eine eigene Liga einzuordnen ist. Auf Augenhöhe mit Paul Bocuse oder Ferran Adrià, hat er die kulinarische Welt nicht bloß weiterentwickelt, sondern tatsächlich verändert.

Er hat Regionalisierung und den respektvollen Umgang mit Tieren so hip gemacht, dass daraus nicht nur die New Nordic Cousine erwachsen ist, sondern ein heute wirtschaftlich enorm wichtiger Tourismus-Zweig für ganz Skandinavien! Allerdings fällt auf, dass Redzepi stets nur auf sein Rennpferd, sein Noma, gesetzt hat. Im Gegensatz zu den meisten anderen Sterneköchen in der Top-Liga, die längst auf mehrere Betriebe und Betätigungsfelder setzen.

Redzepis Entscheidung zeigt, dass Veränderung keine Angst machen soll.
Der britische Sternekoch Peter Sanchez-Iglesias

Argentiniens Dreisterne-Star Mauro Colagreco zeigt seit Jahren vor, wie so ein Modell funktionieren kann – derzeit stehen zehn Restaurants unter dem Dach des Dreisternekochs. Auch die 2017 zur besten Köchin der Welt gekürte Ana Roš beschreitet inzwischen diesen Weg – und sperrt Bistros auf. Längst ist diese Entwicklung als Trend zu sehen, der die Rentabilität nach oben schraubt.

Wer wird der nächste René Redzepi?

Gleichzeitig sehen andere, wie etwa Adam Bennett, Chefkoch des britischen Sternehauses The Cross at Kenilworth, in dem finanziellen Druck auch eine Chance: „Er hilft uns allen, den Verstand zu schärfen und uns darauf zu konzentrieren, noch besser zu werden“, spricht er von einer daraus resultierenden Vorwärtsentwicklung.

Die Spitzen-küche ist stets ein Spiegelbild unserer Gesellschaft.
Alexander Hermann ist neugierig, was nun kommt

Und Alexander Hermann stößt ins gleiche Horn, wenn er sagt: „Die Spitzenküche ist stets ein Spiegelbild der Gesellschaft. Das, was Redzepi so groß gemacht hat, war der Gegenentwurf zur mediterranen Küche. Das ist jetzt aber auch schon wieder mehr als zehn Jahre her.“ Heißt: Die Welt hat sich weitergedreht, es ist wieder Platz für Neues.

Was das sein könnte? Hermann wagt freilich keinen Blick in die Glaskugel, gibt aber zu bedenken, dass wir gerade in einer sehr lauten Zeit leben, die wir alle nicht mehr begreifen können. „Daher suchen wir derzeit beim Essen vielleicht auch so nach der Richtigkeit, der Ehrlichkeit“, sinniert er laut.

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ach seinen Noma-Erfolgen plant René Redzepi nun ein Food-Lab und legt seinen Fokus auf die Forschung

Faktum ist: In jeder Branche und eben auch in der Spitzengastronomie hat alles seine Zeit. In der seinen ist es René Redzepi gelungen, das Thema Regionalität für ganz Europa so richtig sexy zu machen. Das ist eine Leistung, der man ohne Wenn und Aber Respekt zollen darf.  Gleichzeitig ist das Ende des Noma als eine Art Mahnung zu verstehen. Dass man sich, um an der Spitze bestehen zu können, täglich neu erfinden muss. Wer das nicht kann, wird eben nicht überleben. Redzepi hätte sich gewiss auch im Noma weiterhin neu erfinden können. Doch er will ganz offensichtlich nicht mehr. Und das ist schlichtweg zu respektieren.

Das NOMA

Die Grundidee des 2003 gegründeten Noma findet sich in einem Armee-Handbuch, in dem beschrieben wird, wie man allein von der Natur leben kann. Daraus entwickelten die Gründer des ursprünglichen Noma, René Redzepi und Claus Meyer (der längst nicht mehr an Bord ist), das, was man heute als „New Nordic Cousine“ kennt. Nachdem das Noma fünfmal zum besten Restaurant der Welt gekürt wurde, erklärte Redzepi nun, es Ende 2024 endgültig in eine Versuchsküche umzubauen.

 

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