Tantris Reloaded: So erfindet sich das Restaurant Tantris komplett neu
SCHLIESSUNGEN. PLEITEN. WIEDERERÖFFNUNGEN. Ganz zu schweigen vom himmelschreienden Fachkräftemangel – die deutsche Gastronomie hat coronabedingt ein öffentliches Interesse erfahren, wie das in den vergangenen Jahrzehnten wohl noch nie der Fall war. Etwas ist dabei wohl oder übel in den Hintergrund geraten: dass sich die „Wiege der deutschen Spitzengastronomie“ nämlich, das legendäre Tantris in München-Schwabing, gerade neu erfindet. Und zwar komplett neu.
In Justus Dahindens denkmalgeschütztem Betontempel aus den frühen 1970er-Jahren bleibt zwar der eine oder andere Stein auf dem andern. Trotzdem, oder gerade deswegen, stellt sich seit Monaten ganz Gastro-Deutschland Fragen wie diese: Was genau kommt da im Oktober auf uns zu, wenn das neue Tantris – das streng genommen gar nicht mehr so heißt – neu eröffnet? Warum gerade jetzt? Und was bedeutet das für die teutonische Gastro-Landschaft, für die das alte Tantris ein regelrechter Leuchtturm war?
SCHLIESSUNGEN. PLEITEN. WIEDERERÖFFNUNGEN. Ganz zu schweigen vom himmelschreienden Fachkräftemangel – die deutsche Gastronomie hat coronabedingt ein öffentliches Interesse erfahren, wie das in den vergangenen Jahrzehnten wohl noch nie der Fall war. Etwas ist dabei wohl oder übel in den Hintergrund geraten: dass sich die „Wiege der deutschen Spitzengastronomie“ nämlich, das legendäre Tantris in München-Schwabing, gerade neu erfindet. Und zwar komplett neu.
In Justus Dahindens denkmalgeschütztem Betontempel aus den frühen 1970er-Jahren bleibt zwar der eine oder andere Stein auf dem andern. Trotzdem, oder gerade deswegen, stellt sich seit Monaten ganz Gastro-Deutschland Fragen wie diese: Was genau kommt da im Oktober auf uns zu, wenn das neue Tantris – das streng genommen gar nicht mehr so heißt – neu eröffnet? Warum gerade jetzt? Und was bedeutet das für die teutonische Gastro-Landschaft, für die das alte Tantris ein regelrechter Leuchtturm war?
Erinnern wir uns: Ende 2020 ging der längstamtierende Tantris-Küchenchef Hans Haas nach fast 30 Jahren Dienstzeit in den wohlverdienten Ruhestand. Damit endete nicht nur eine der beeindruckendsten Kochkarrieren im deutschsprachigen Raum, sondern die Geschichte des Tantris, wie man es seit seiner Eröffnung im Jahr 1971 kannte. Der Gourmettempel schloss daraufhin seine Pforten. Seither ist er eine Baustelle. Wenn auch eine, die sich langsam, sehr langsam, lichtet.
Zunächst stehen nun die wichtigsten Personalien fest. Und allein die verraten schon, dass hier einiges anders wird. Denn das neue Tantris wartet zum einen mit einem Executive Chef auf, einem Posten also, den es bis dato noch nicht gab. (Hans Haas und seine prominenten Vorgänger – Jahrhundertkoch Eckart Witzigmann und Heinz Winkler – waren wohlgemerkt „klassische“ Küchenchefs.). Zum anderen werden im neu renovierten Tantris zwei Konzepte von zwei Küchenchefs bespielt.
Das alles aber von einer einzigen Küche aus. Und dass auch in Sachen Bar, Pâtisserie und Bäckerei (!) Neues auf uns zukommt, macht für so manchen die Verwirrung perfekt. Jedenfalls: Was bis jetzt das Restaurant Tantris war, ist ab Oktober ein „Maison Culinaire“, sprich: eine Manufaktur. Mit eigener Vorbereitungsküche im Untergeschoss, eigener Bäckerei und Pâtisserie. Brot, Fonds, Pralinen, alles wird in der Johann-Fichte- Straße 7 selbst hergestellt.
Höchste Zeit also, sich vor Ort ein Bild zu machen. Und Fragen nachzugehen wie: Warum das alles? Warum gerade jetzt? Und wer sind sie, die Neuen, die das Epizentrum der deutschen Spitzengastronomie nun in eine neue Ära führen?
Unbekannt, aber oho
„Wir dürfen uns der Zukunft nicht verschließen“, sagt Matthias Hahn. Hinter dem Executive Chef wird gehämmert und gebohrt, was das Zeug hält. Die bedächtige Art des 45-Jährigen bleibt davon sichtlich unbeeindruckt, kein Wunder: Hahn war jahrelang die rechte Hand des französischen Stargastronomen Alain Ducasse, kennt sich mit Restaurantbaustellen von London bis nach Singapur bestens aus.
„Hans Haas hat im alten Tantris 120 Essen zu Mittag gemacht, und das in einem Zweisterner. Das war einzigartig. Da wurde an einem Samstagmittag mehr gekocht als in anderen Restaurants die ganze Woche. Diese Arbeitsleistung war extrem. Aber ein Jungkoch, der in einem Dreisterner arbeitet, wo abends – und nur abends – für 40 Couverts gekocht wird, ist übermorgen weg, wenn es heißt: So, und jetzt mittags einmal 120 Couverts! Das ist nur einer der Gründe, warum wir bald über eine Reduzierung nachgedacht haben“, erklärt der gebürtige Süddeutsche. Reduzierung, das heißt in diesem Fall kulinarische Zweiteilung.
Einerseits gibt es ab Oktober das Menü-Restaurant Tantris unter der Leitung von Küchenchef Benjamin Chmura. Die wechselnden, stark saisonal inspirierten Menüs werden mittags in Form von vier, abends in Form von sechs bis acht Gängen serviert. Und andererseits gibt es das etwas legerere À-la-carte-Restaurant mit dem Namen Tantris DNA. Mittags und abends wird hier die klassische französische Küche zelebriert, wie sie leibt und lebt. „Mit Klassikern wie einer Milchlammkeule, im Ganzen zubereitet in der eigenen Rotisserie. Einem Bresse-Huhn, gegart in der Schweinsblase. Und Gerichten aus fünf Jahrzehnten Tantris wie dem Kalbsbries Rumohr, die ihrerseits längst Klassiker sind.“ Wie Benjamin Chmura ist auch die Tantris-DNA-Küchenchefin Virginie Protat (noch) eher eine Unbekannte.
Das verwundert auch nicht weiter, und alles andere wäre bei genauer Betrachtung auch schlichtweg unstimmig gewesen. Benjamin Chmura und Virginie Protat sind aber alles andere als eine beliebige Wahl.
Internationalität à la française
Beide verkörpern die junge Generation frankophiler Produktbesessenheit. Und beide könnten auf ihre ganz eigene Art und Weise französischer nicht sein. Und fast hat man das Gefühl, Chmuras internationaler Background verstärke seinen französischen Kulinarik-Patriotismus noch. Im kanadischen Ottawa geboren, wächst Chmura in Brüssel als Sohn des Stardirigenten Gabriel Chmura und einer deutschen Ärztin auf. In Brüssel besucht er eine französische Schule und wächst generell „sehr französisch“ auf. Die Mutter kocht viel und gerne und auch der kleine Benjamin findet bereits in jungen Jahren Gefallen an allem, was da auf dem Herd gart und brutzelt. Nach dem Abitur schickt ihn sein Vater mir nichts, dir nichts zu einem Praktikum in ein Sternerestaurant. Von da weiß der Kochbegeisterte, welchen Weg er einschlagen will. Er geht nach Lyon und absolviert dort drei Jahre des renommierten Institut Paul Bocuse.
Danach geht er in Marc Haeberlins sagenumwobenes Auberge de l’Ill, zu Frédéric Simon nach Paris, in Yannick Allénos Le Meurice und in Eric Briffards George V. „Nach fünf Jahren Paris wollte ich aber etwas anderes sehen“, erinnert sich der Spitzenkoch. Er geht nach London in den Zweisterner The Greenhouse, lernt dort seine heutige Ehefrau – sie arbeitet dort im Service – kennen.
Sie reisten um die ganze Welt, um einen neuen Küchenchef zu finden.
Benjamin Chmura über die erste Begegnung mit Felix Eichbauer bei Michel Troisgros in Roanne
„Nach zwei Jahren entschlossen wir uns, beide in Australien in einem japanischen Restaurant anzufangen. Ich wollte eine ganz andere Welt sehen, um einmal aus der französischen Kultur herauszukommen.“ Mit geschärften Sinnen also nicht nur für das, was bisher war, sondern in Zukunft auch sein sollte, kehrt das Vollblut-Gastro-Paar zurück in das Land der Haute Cuisine – und ist sich nicht soganz sicher: Ein eigenes Restaurant eröffnen, ja oder nein? In einem neuen Sterneladen durchstarten, ja oder nein?
Letztlich beginnt Chmura als Sous Chef im legendären Les Frères Troisgros unter Michel Troisgros. Nach einem Jahr schon ist er Küchenchef – der jüngste übrigens in der Geschichte dieses einzigartigen Hauses. Kein Wunder eigentlich, dass er die Familie Eichbauer genau hier kennenlernt. „Da ich Deutsch spreche, hat mich Michel Troisgros ihnen vorgestellt. Sie reisten um die ganze Welt und waren auf der Suche nach einem Küchenchef. Ein paar Monate später hat mich Felix Eichbauer angeschrieben.“ Chmura ließ sich Zeit. Das war bei Virginie Protat anders.
Der lockere Spagat
Kennengelernt haben sich die beiden im Institut Paul Bocuse. Doch im Gegensatz zu Chmura ist Protat nicht nur durch und durch Französin, sondern Lyonnaisin noch dazu. Als Chmura sie fragt, ob sie das Tantris DNA als Küchenchefin übernehmen will, zögert sie keine Sekunde: „Für mich war sofort klar, dass ich ihm zusage“, erinnert sich Protat. „Ich wusste sofort, das ist eine einmalige Chance.“
Wir wollen uns weltweit positionieren.
Tantris Executive-Chef Matthias Hahn hat große Zukunftspläne
Und die Krönung einer zwar noch jungen, aber erstaunlich vielseitigen Kochkarriere. Angefangen hat bei Protat alles bereits als Jugendliche. „Ich habe mit 14 meinem Cousin in seinem Restaurant im Service ausgeholfen. Als ich gesehen habe, was für Glücksgefühle ich bei den Gästen am Tisch mit den Tellern auslöste, war mir klar, dass ich eine Ausbildung in der Gastronomie machen will. Seither habe ich mich auch nie gefragt, ob ich etwas anderes machen möchte.“ Protat entdeckt die kulinarische Welt in Restaurants in Australien und Neuseeland, arbeitet nach ihrer Rückkehr nach Frankreich für verschiedene Sternerestaurants in Lyon und in Burgund.
Jetzt, in München, steht sie mit einer subtilen Herausforderung im Scheinwerferlicht: die französische Küche und die alten Tantris-Klassiker zu feiern – und dabei dennoch ihre eigene Handschrift einzubringen. Protat ist zuversichtlich und unverkrampft: „Ich freue mich unglaublich auf den Austausch mit den Produzenten, die Arbeit mit dem Team und auch die Einflüsse, die ich
in diesem neuen Umfeld erhalten werde.“ Angst, dass Protats Interpretationen von verkrampfter Orthodoxie geprägt sein werden, ist nach einem Gespräch mit der 29-Jährigen also völlig unberechtigt.
Und was ist Matthias Hahns Rolle als Executive Chef in alledem? „Ich sehe sehr großes Potenzial im Tantris, und zwar weit über das Tantris als solches hinaus“, holt er noch etwas kryptisch aus. „Es geht darum, uns in der gesamten Welt zu positionieren. Wir wollen dieses Potenzial nutzen, um uns größer aufzustellen. In etwa drei bis fünf Jahren kann man dann einmal die Expansion angehen. Das bedeutet aber nicht notwendigerweise eine Multiplikation über Restaurants. Sondern eine Expansion beispielsweise mit Kochschulen, Pâtisserien, Beratung. Das Tantris hat diese Strahlkraft. Es hat alle Voraussetzungen, über die Kernkompetenz Restaurant neue Geschäftsfelder zu erschließen.“
Matthias Hahn unplugged im ROLLING PIN-Podcast.
Jetzt anhören: rollingpin.com/podcast