Panzerknacker mit Senf: Der Alltag in Gefängnisküchen
„Bei Brot und Wasser.“ Eine Redewendung, in der vor langer Zeit ein Fünkchen Wahrheit steckte. „Früher hieß es immer, die Gefangenen müssen nur satt werden“, sagt Jürgen Eschenbach und macht mit dieser Formulierung klar: Heute sieht man das, vor allem in seiner Rolle, anders.
Er ist seit sechs Jahren Leiter des Zentralen Verpflegungsmanagements (ZVM) der Berliner Justizvollzugsanstalten (JVA). Kurz gesagt: Der Mann bestimmt, was hinter den Schwedischen Gardinen auf den Tisch kommt.
„Bei Brot und Wasser.“ Eine Redewendung, in der vor langer Zeit ein Fünkchen Wahrheit steckte. „Früher hieß es immer, die Gefangenen müssen nur satt werden“, sagt Jürgen Eschenbach und macht mit dieser Formulierung klar: Heute sieht man das, vor allem in seiner Rolle, anders.
Er ist seit sechs Jahren Leiter des Zentralen Verpflegungsmanagements (ZVM) der Berliner Justizvollzugsanstalten (JVA). Kurz gesagt: Der Mann bestimmt, was hinter den Schwedischen Gardinen auf den Tisch kommt.
Und das hat jedenfalls mit Geschmack und keinesfalls mit Bestrafung zu tun. Denn für ihn – wie natürlich für den Gesetzgeber – darf Essen kein Teil der Strafe sein. Denn diese besteht ausschließlich im Freiheitsentzug. Also sagt er: „Es ist mir wichtig, mit den verfügbaren personellen und finanziellen Mitteln das Beste an Qualität für unsere ‚Kundschaft‘ zu gewährleisten.“
Allein an dieser Wortwahl erkennt man, dass Eschenbach nicht ursprünglich aus der Arbeit im Strafvollzug kommt. Mehr als drei Jahrzehnte lang war der 63-Jährige in der Gastronomie tätig, etwa in leitenden Positionen in Vier- und Fünf-Sterne-Hotels, danach im Catering für hochrangige Unternehmen.
Seine Kundschaft damals: Touristen, Geschäftsreisende. Seine Kundschaft heute: Untersuchungshäftlinge, verurteilte Strafgefangene, bis hin zu „Langstrafern“ und Sicherungsverwahrten. Mehr als 40.000 Menschen sitzen in Deutschland ein, bis zu 3500 davon in den sechs verschiedenen Justizvollzugsanstalten in Berlin, die seit 2018 im ZVM eingegliedert sind (bis auf die JVA Heidering).
Aus drei Großküchen – Tegel, Plötzensee und Moabit – werden sie bekocht. Je zehn Bedienstete arbeiten in den Küchen, mit Unterstützung von jeweils rund 35 Inhaftierten.
1,5 Tonnen Kartoffeln
Klar, dass solche Küchen straff organisiert sind. Und zwar so: Der Speiseplan wird vom ZVM gemeinsam mit einer AG Speiseplan erarbeitet und vorgegeben. Die Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) dienen als Grundlage und Richtlinie.
Wöchentlich gibt es einmal ein warmes Fischgericht, an zwei Tagen vegetarische Kost, fünfmal frisches Obst und Gemüse. Standardmäßig gibt es drei Wahlmöglichkeiten: Normalkost, schweinefleischfreie oder vegetarische Kost.
Auf Nachhaltigkeit angesprochen, überrascht Eschenbach mit einem Bekenntnis zu möglichst regional bezogenen Produkten. Zu Bio auch? Lieber regional als importierte Bio-Ware, lautet sein Motto. Kompromisse müssen alleine schon aufgrund der immensen Mengen gemacht werden, und auch wegen des Budgets.
Rund 4,50 Euro pro Tag und Insasse stehen zur Verfügung, da muss die Beschaffung von beispielsweise eineinhalb Tonnen Kartoffeln am Tag auch bezahl- und lieferbar sein. Zumal die Preise in letzter Zeit drastisch gestiegen sind. Ein Problem, das sich Vollzugsanstalten mit der Gastronomie „draußen“ teilen.
Größter Unterschied: Den Gefängnisküchen muss kein Gewinn übrig bleiben. Kurzer Blick über den Tellerrand: Was passieren kann, wenn private Dienstleister vom Gefängnissystem profitieren wollen, hat man in den USA gesehen. Der Caterer Aramark, der nach eigenen Angaben täglich eine Million Mahlzeiten an 600 Gefängnisse lieferte, soll, laut Recherchen von Chris Hedges aus dem Jahr 2013, mit etwa einem US-Dollar Warenaufwand pro Mahlzeit kalkuliert haben. Berichte über katastrophale Zustände, über minderwertiges und sogar verdorbenes Essen, waren keine Seltenheit.
Anspruch und Wirklichkeit
Zustände, die Inhaftierte in Berlin nicht kennen, nicht zuletzt aufgrund strenger Hygienekontrollen. Trotzdem schmeckt der Speiseplan nicht allen. Zumindest wird Beschwerden der Gefangenen ein offenes Ohr geliehen.
Das fängt damit an, dass die Speisen täglich verkostet werden. Von einem Beamten? „Das wäre zu einfach“, lacht Eschenbach. Auch ein Gefangener bewertet Geschmack, Aussehen und Temperatur des Essens. Feedback, das dem zentralen Verpflegungsmanagement wiederum bei der laufenden Menügestaltung hilft.
Zudem gibt es regelmäßig Treffen mit der GIV, einer aus den eigenen Reihen der Insassen gewählten Vertretung. Hier können Wünsche angebracht werden, allerdings sei es „schwierig, für alle noch so kleinen Bedürfnisse einen für alle geltenden Speiseplan aufzustellen. Anspruch und Wirklichkeit klaffen hier weit auseinander. Bei vielen Gefangenen sind immer noch fleischlastige Speisen und große Mengen gewünscht.“
Gerade Jugendliche hätten am liebsten täglich Nudeln und Schnitzel, was mit den DGE-Empfehlungen nicht vereinbar ist. Frauen hätten meist ein anderes Essensbedürfnis als Männer, wünschen sich mehr Obst und Gemüse als Fleisch. Und obendrein haben nicht alle denselben Kalorienbedarf. Alles erschwerende Faktoren, wenn eine einheitliche Essensfolge für mehr als 3000 Personen aller Altersgruppen erstellt werden will.
Ein weiterer Grund, warum das Essen im Justizvollzug so einen hohen Stellenwert hat: Für viele Gefangene, unter denen auch Drogen- und Alkoholkranke sind, ist regelmäßiges Essen ungewohnt. Gleichzeitig ist Essen nicht nur eine Notwendigkeit, sondern spielt auch eine zentrale Rolle im Resozialisierungsprozess; der zentralen Aufgabe des Justizvollzugs. Auch die Arbeit in den Gefängnisküchen begründet sich damit.
Rund hundert Gefangene arbeiten in den drei JVA-Großküchen. Bevorzugt solche, die eventuell bereits Gastro-Erfahrung haben, für andere ist es die erste geregelte Arbeit ihres Lebens. Sie soll ihnen helfen, Verantwortungsbewusstsein zu entwickeln, um sich nach der Freilassung in die Gesellschaft eingliedern zu können – ein Hoffnungsschimmer in einem ansonsten trüben Alltag.
Und eine Gelegenheit, ein wenig Geld zu verdienen. Die Küchenjobs sind unter Insassen besonders beliebt, doch diese müssen auch nach den Regeln spielen. Wer Krawall macht, für den wird rasch Ersatz gefunden.
Ganz schnell von null auf hundert
Gekocht wird unter speziellen Sicherheitsvorkehrungen: angefangen von der strengen Regelung der Messerausgabe, (wobei hier ohnehin kein Fleisch zerlegt, sondern, wenn möglich, vorportioniertes bestellt wird) bis hin zur Kontrolle der Fahrzeuge, die Produkte anliefern. Auf diesem Weg wird gerne versucht, Schmuggelware einzuführen – umgekehrt aber kommt es vor, dass sich Gefangene in den Lastern verstecken.
Ausbruchsversuche sind übrigens nicht strafbar, selten jedoch erfolgreich. „Man muss sich bewusst sein, wo man arbeitet“ – ein Satz, den Eschenbach seinen Mitarbeitern immer wieder ans Herz legt. „Es kann immer etwas passieren. Von null auf hundert, das geht ganz schnell.“ Krawalle unter den Häftlingen werden in der Regel durch die vor Ort anwesenden Bediensteten schnell beendet. Schlimmstenfalls kommt es zu einem Alarm, und eine „blaue Welle“ von Sicherheitsbeamten rollt aus allen Richtungen heran.
Solche Momente verdeutlichen die hohe Verantwortung, die der Leiter des ZVM mitträgt. Was er in sechs Jahren bei der Arbeit mit Straftätern gelernt hat: „Das Essen ist verdammt wichtig für die Stimmung in einem Gefängnis.“ Für viele Gefangene sei das Mittagessen der Höhepunkt des Tages. Wenn es nicht schmeckt oder zu wenig ist, gebe es ein Problem.
Noch ein Problem ist der Personalmangel. Hier schlägt Eschenbach Töne an, die wir aus der Privatwirtschaft kennen: „Auch wir suchen händeringend Nachwuchs.“ Obwohl die Arbeit im öffentlichen Dienst viele Vorteile mit sich bringt: geregelte Arbeitszeiten und eine Bezahlung, die in fortgeschrittener Beamtenlaufbahn netto höher ausfällt als für die meisten Mitarbeiter in der herkömmlichen Gastronomie. Aber: „Man muss es auch wollen.“
Auf einem guten Weg
„Der respektvolle und gerechte Umgang mit allen uns anvertrauten Gefangenen ist uns allen wichtig. Wie du mit deinen Gefangenen umgehst, so hast du sie auch. Deshalb nehmen wir unseren Auftrag sehr ernst.“ Die Resozialisierung beginnt mit kleinen Dingen, wie eben geregelten Mahlzeiten. Auch wenn man es nicht allen recht machen kann.
„Für 4,50 Euro kann man kein Adlon-Menü anbieten, das ist klar“, gibt der ehemalige Küchenchef zu. Andererseits halte sich das negative Feedback in Grenzen. „Daran sieht man, dass wir auf einem guten Weg sind.“
Ein Weg, der noch längst nicht fertig gegangen ist. Es gibt immer neue Ideen für die Optimierung von Prozessen, auch der Neubau einer Küche ist angedacht.
Und bis dahin muss weiter für das leibliche Wohl der „Kundschaft“ gesorgt werden, an allen 365 Tagen im Jahr.