Wie Yoshizumi Nagaya Düsseldorf eroberte
Zwölf Haltestellen mit der Bahn von der Ise-Bucht, eine Stunde Autofahrt vom Biwa-See entfernt wächst Yoshizumi Nagaya auf. In einer Stadt, die sich Gifu nennt und ziemlich genau in der Mitte der südlichsten japanischen Insel liegt. Der Vater verdient sein Geld als Fischhändler. Oft landet der Fang frisch auf dem Teller des Sohnes. Das Gemüse bringen Freunde der Familie. Vielleicht rührt es daher, dass Nagaya heute, 40 Jahre später, so viel Wert auf Frische legt, und dass Fisch und Gemüse in seiner Küche eine so große Rolle spielen. Dass es diese heute in Düsseldorf gibt, schreibt er jedenfalls ganz klar seiner Herkunft zu – und seiner Frau Jun.
Kulinarische Kernschmelze
Sie ist es, die den Koch dazu überredet, nach Deutschland zu ziehen. „Da hatte ich keine Wahl“, sagt Nagaya und lacht. In Düsseldorf, im japanischen Restaurant Edo, verspricht man ihm eine Stelle. Weder er noch seine Frau sprechen ein Wort Deutsch, niemals zuvor hatten sie einen Fuß in das fremde Land gesetzt. Als die Nagayas in Europa ankommen, zeigen die Kalender das Jahr 2000.
Zwölf Haltestellen mit der Bahn von der Ise-Bucht, eine Stunde Autofahrt vom Biwa-See entfernt wächst Yoshizumi Nagaya auf. In einer Stadt, die sich Gifu nennt und ziemlich genau in der Mitte der südlichsten japanischen Insel liegt. Der Vater verdient sein Geld als Fischhändler. Oft landet der Fang frisch auf dem Teller des Sohnes. Das Gemüse bringen Freunde der Familie. Vielleicht rührt es daher, dass Nagaya heute, 40 Jahre später, so viel Wert auf Frische legt, und dass Fisch und Gemüse in seiner Küche eine so große Rolle spielen. Dass es diese heute in Düsseldorf gibt, schreibt er jedenfalls ganz klar seiner Herkunft zu – und seiner Frau Jun.
Kulinarische Kernschmelze
Sie ist es, die den Koch dazu überredet, nach Deutschland zu ziehen. „Da hatte ich keine Wahl“, sagt Nagaya und lacht. In Düsseldorf, im japanischen Restaurant Edo, verspricht man ihm eine Stelle. Weder er noch seine Frau sprechen ein Wort Deutsch, niemals zuvor hatten sie einen Fuß in das fremde Land gesetzt. Als die Nagayas in Europa ankommen, zeigen die Kalender das Jahr 2000. Gleich die erste Nachricht, die sie in Deutschland erhalten, ist eine Hiobsbotschaft: Das Lokal, in dem der Japaner arbeiten soll, wird in sechs Monaten schließen.
Ich habe viel von meinen Gästen gelernt.
Yoshizumi Nagaya über den Prozess, die großen Unterschiede zwischen deutscher und japanischer Küche zu vereinen
In seiner Heimat hat der junge Nagaya die Kochkunst bei großen Meistern gelernt. Im Kaiseki bei Küchenchef Toshiro Kandagawa, dem Hüter aller japanischen Kochtraditionen. Er bildet Nagaya in der Millionenstadt Osaka aus. Sieben Jahre lang bleibt der seinem Lehrer treu. Danach kehrt er zurück in seine Heimat, Gifu. Dort führt Takada Hassyo, der bereits viele Sterneköche in die Welt brachte, auch Nagaya dem Gedankenexperiment der Innovation näher. Er lässt neue Eindrücke zu, er wandert aus und merkt: Auf die eigenwilligen Geschmacksgeister Europas hätte ihn in Asien niemand vorbereiten können.
Herr europäischer Geschmacksgeister
Nagaya nimmt die Herausforderung an. Diesen Gespenstern will er Herr werden. Nach seiner Zeit im Edo reist er in den Süden, um die neue kulinarische Welt zu erkunden. Nagaya geht nach Italien – ohne Plan, Sprachkenntnisse oder Arbeitsvisum. Bis das Ministerium ihm das Dokument ausstellt, arbeitet er in einem Supermarkt.
Die Wende bringt das Nobu in Mailand. Fusion Food mit südamerikanischen Einflüssen und japanischen Elementen zählt zu dessen Spezialitäten. In dem Armani-Restaurant, das Internationalität lebt, lernt auch Nagaya, sich in der europäischen Geschmackswelt zurechtzufinden.
Voller Elan kehrt der Japaner nach einem Jahr zurück nach Düsseldorf. Er träumt nun von seinem eigenen Restaurant. Das Lokal soll seinen Namen tragen, die Küche ein beispielloses Integrationsprojekt werden. Immer schon hält er das Ambiente simpel. Die elegant minimalistische Einrichtung hilft Gästen, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren: Die Speisekarte allein ist aufregend genug.
Entgegen allen Widrigkeiten
2003 öffnen sich die Türen des Nagaya in der japanischen Hauptstadt Deutschlands. Am ersten Tag kommt: kein einziger Gast. Der Jungunternehmer hatte nirgends Werbung für sein Lokal gemacht. Ausgerechnet der deutsche Nachbar ist sein erster Kunde. Am nächsten Tag bringt er Freunde. Während die Tische des Restaurants bald voll und die Besucher zufrieden sind, bahnt sich hinter den Türen die nächste Prüfung für den Koch an.
„Ich habe das Geschäft damals mit einem Partner zusammen gemacht“, erinnert sich Nagaya. Von den deutschen Gesetzen hatte er keine Ahnung, die Sprache beherrschte er noch immer kaum, und Hilfe war in jeder Hinsicht dringend nötig. Sein Kompagnon nutzt das aus und bestiehlt ihn. Alleine kann der Japaner das Lokal nicht weiterführen. Als seine Stammgäste davon erfahren, bieten sie ihre Hilfe an. Am Ende muss der Küchenchef feststellen: „Auch sie wollten nur Geld haben.“
Auch sie wollten nur Geld haben.
Zweimal betrügen Geschäftspartner Yoshizumi Nagaya
Wer nun denkt, ein Herr Nagaya würde an diesem Punkt aufgeben, dem würde der Japaner vermutlich verhalten, aber bestimmt ins Gesicht lächeln. Allen Widrigkeiten trotzt er. Nun stemmt der Geläuterte sein Geschäft aus eigener Kraft. Zwei Köche und zwei Leute im Service beschäftigt er zu Beginn. Nur ein Jahr nach der Eröffnung gelingt dem Nagaya, was noch kein japanisches Restaurant vollbracht hat: Es wird in Deutschland das erste seiner Art sein, das der Guide Michelin mit einem Stern prämiert.
Fusionsküche war gestern
„Gott sei Dank haben wir den bekommen“, kommentiert Nagaya und zieht seine Mundwinkel leicht nach oben. Auch wenn er ständig auf den zweiten Stern hinarbeitet, am wichtigsten ist ihm die Zufriedenheit seiner Kunden. „Die japanische Küche denkt zuerst an ihre Gäste“, sagt der Ausnahmekoch gelassen, „das Essen muss ihnen schmecken.“ Am Ende seien sie diejenigen, die den Küchenchef auszeichnen.
Aber was die Deutschen mögen und was nicht, muss der Asiate erst verinnerlichen. „Das war nicht einfach“, resümiert er, „aber ich habe viel von meinen Gästen gelernt.“ Auch seine Köche helfen ihm, die westlichen Präferenzen besser zu verstehen. Mit der Zeit bemerkt er: Die europäischen Geschmacksknospen gewöhnen sich nur schwer an Umami. Starke Aromen verwöhnen dagegen den deutschen Gaumen. „Außerdem besteht ein Gericht in der japanischen Küche aus sehr wenig Komponenten“, erzählt Nagaya. Drei bis vier Akzente setzt ein Koch auf dem asiatischen Inselstaat.
Nach und nach passt er sein Menü an, behält dabei aber seinen eigenen Stil stets bei. „Die Zubereitungsweise war anfangs eher japanisch, heute ist sie eher europäisch geprägt“, sagt Nagaya. Von Fusionsküche will er nichts wissen. Seine Kochkunst ist viel mehr als die Verschmelzung zweier grundverschiedener Arten, Kulinarik zu interpretieren.
Interkulturelles Erlebnis
Wer seine Menükarte studiert, liest den in zwölf Gänge gegossenen Versuch, eine neue Kultur zu erschaffen. Weder deutsch-japanisch noch japanisch-deutsch scheint sie. Muss man für die Schöpfungen dennoch Worte finden, kann es nur zwei geben, die ihnen gerecht werden: Yoshizumi Nagaya. Was der Küchenchef kredenzt, kennt keine Vergleiche. Den europäischen Stil bereichert er mit asiatischen Ideen und japanischer Präzision. Manche seiner Kreationen seien so stilvoll angerichtet, dass es den Gästen schwerfalle, sie zu zerstören, heißt es. Drei Viertel von ihnen sind übrigens Deutsche.
Lange begrüßt sie Nagayas Frau Jun, die mittlerweile den Service leitet, im traditionell japanischen Kimono und empfiehlt: Omakase. Der Name des Menüs bedeutet sinngemäß übersetzt: „Ich überlasse Ihnen das“ – in Japan eine gehobene Art, Sushi zu bestellen. Der Koch wählt dabei die Zutaten und bereitet jedes Stück einzeln zu. Im Nagaya wählt der Küchenchef vier Empfehlungen als Teil eines Menüs, das mit Gänsestopfleberterrine beginnt. Gegessen wird abwechselnd mit Stäbchen und mit Messer und Gabel, je nach geografischem Ursprung des Ganges. Zu den japanischen Gerichten servieren Maître Mathias Däubler und sein Team deutschen Wein.
Die Zutaten, mit denen Nagaya arbeitet, stammen aus aller Welt. Je nach Saison lässt er verschiedenes Gemüse aus seiner Heimat importieren: im Frühjahr beispielsweise das Kirschblatt. Nagaya serviert es getrocknet. Ein ganzes Jahr wurde es zuvor in Salzwasser eingelegt – und anschließend in Läuterzucker gewaschen. Das Ergebnis schmeckt nach Kirsche mit leicht salzigem Hauch, wird zart von Süße untermalt.
Werte leben, Heimat finden
2016 eröffnen Nagaya und seine Frau ein zweites Lokal in der Stadt am Rhein. Ein Jahr später brilliert auch das Yoshi mit einem Stern im Guide Michelin. Die Küche des Ablegers besinnt sich wieder auf die japanischen Wurzeln ihres Chefs. Auch das Ambiente erinnert, schlicht in Schwarz gehalten, an eine asiatische Metropole. „Es sieht aus wie in Tokio“, klärt der Meister auf.
Wieder nach Japan zurückzugehen, kann sich der Koch momentan nicht vorstellen. Nach Gifu reist er, wenn auch selten, immer noch gerne. Besonders vermisst er den Süßwasserfisch Ayu, der in seinem Herkunftsland zu Sashimi verarbeitet wird, aber nach Deutschland nur unzureichend frisch importiert werden könnte. Die alten Werte sind geblieben, aber ihre Heimat ist neu: Yoshizumi Nagaya und seine Küche sind in Düsseldorf mehr als angekommen.
HIER geht’s zum Rezept von Chawan Mushi