Wer schläft, fängt keine Fische
Fotos: Michael Wissing BFF
Ein Paradiesvogel, der seinesgleichen sucht: „Ich schlafe nur fünf Stunden in der Nacht, denn die ist mir zu dunkel. Farbenfroh ist mein Leben genauso wie meine Küche und das Restaurant“, lacht Rico Zandonella, der Küchenchef des Restaurants Rico’s Kunststuben Küsnacht in der Schweiz, unweit von Zürich. Nach der kurzen Nacht geht Zandonella mit Eros spazieren. Das ist seine Bulldogge, die wie ein gut sitzendes Accessoire perfekt zu seinem außergewöhnlichen Stil passt. Dieser Stil zieht sich von seiner bunten Kleidung über jeden Teller bis hin zur Einrichtung des 2-Sterne-Restaurants. Die dunkelbraunen Möbel, die rote Samtdecke, das goldschimmernde Interieur, die indirekten Lichtquellen und nicht zuletzt der Hirsch aus hellem Holz, der mit einer Krone um den Hals auf einem Tisch liegend die Gäste begrüßt, lassen erahnen wie es im Kopf von Zandonella aussieht. Wenn ihm etwas gefällt, will er es haben und er ist so stilsicher dabei, dass die Gäste bei jedem Besuch Neues entdecken. Das ist auch das Motto der Speisekarte: Alle sechs Wochen ändert sich das Menü, alle drei Monate die À-la-carte-Gerichte. „Meine Stammgäste mögen es, sich von meinen Kreationen überraschen zu lassen, und ich mag es, ihnen jedes Mal etwas Besonderes anbieten zu können“. erklärt Zandonella, der weiß, dass seine Stammgäste das Restaurant erst zu dem machen, was es ist. Ein Ort, in den man eintauchen kann – und das nicht nur wegen des ausgefallenen Stils und der relaxten Atmosphäre, sondern wegen seiner Liebe zu Produkten, Aromen und Gewürzen. „Erst wenn die Stimmung entspannt ist und wir uns von dem Stress der Welt erholen, können wir uns ganz auf das Essen konzentrieren.“ Wie kleine bunte Puzzleteile fügen sich die Komponenten auf dem Teller zu einem Gesamtkunstwerk.
Über Inspiration, Entfaltung und Originalität
Einmal in der Woche besucht der 53-jährige Tessiner den…
Fotos: Michael Wissing BFF
Ein Paradiesvogel, der seinesgleichen sucht: „Ich schlafe nur fünf Stunden in der Nacht, denn die ist mir zu dunkel. Farbenfroh ist mein Leben genauso wie meine Küche und das Restaurant“, lacht Rico Zandonella, der Küchenchef des Restaurants Rico’s Kunststuben Küsnacht in der Schweiz, unweit von Zürich. Nach der kurzen Nacht geht Zandonella mit Eros spazieren. Das ist seine Bulldogge, die wie ein gut sitzendes Accessoire perfekt zu seinem außergewöhnlichen Stil passt. Dieser Stil zieht sich von seiner bunten Kleidung über jeden Teller bis hin zur Einrichtung des 2-Sterne-Restaurants. Die dunkelbraunen Möbel, die rote Samtdecke, das goldschimmernde Interieur, die indirekten Lichtquellen und nicht zuletzt der Hirsch aus hellem Holz, der mit einer Krone um den Hals auf einem Tisch liegend die Gäste begrüßt, lassen erahnen wie es im Kopf von Zandonella aussieht. Wenn ihm etwas gefällt, will er es haben und er ist so stilsicher dabei, dass die Gäste bei jedem Besuch Neues entdecken. Das ist auch das Motto der Speisekarte: Alle sechs Wochen ändert sich das Menü, alle drei Monate die À-la-carte-Gerichte. „Meine Stammgäste mögen es, sich von meinen Kreationen überraschen zu lassen, und ich mag es, ihnen jedes Mal etwas Besonderes anbieten zu können“. erklärt Zandonella, der weiß, dass seine Stammgäste das Restaurant erst zu dem machen, was es ist. Ein Ort, in den man eintauchen kann – und das nicht nur wegen des ausgefallenen Stils und der relaxten Atmosphäre, sondern wegen seiner Liebe zu Produkten, Aromen und Gewürzen. „Erst wenn die Stimmung entspannt ist und wir uns von dem Stress der Welt erholen, können wir uns ganz auf das Essen konzentrieren.“ Wie kleine bunte Puzzleteile fügen sich die Komponenten auf dem Teller zu einem Gesamtkunstwerk.
Über Inspiration, Entfaltung und Originalität
Einmal in der Woche besucht der 53-jährige Tessiner den Wochenmarkt und nimmt mit, was ihm gefällt. Zu seinen langjährigen Lieferanten pflegt er einen engen Kontakt. Dazu kommen kleine Bauernhöfe, die besondere Kartoffel- oder Spargel-Sorten anbauen. Wenn das Produkt im Mittelpunkt stehen soll, muss es eben auch das beste sein. Die Inspiration kommt dann von ganz allein. Er hat keine Kochbücher zu Hause. Früher hat er einige gehabt, aber heute verzichtet er darauf. Er will nichts abschauen: Entweder man ist ein Künstler oder man ist es eben nicht. Zandonella ist einer. Er kombiniert in manchen Gerichten bis zu zwölf Gewürze und Aromen. Scharf und sauer mag er besonders gerne, weil er damit die Speisen leicht auf eine neue Ebene hebt: „Ein selbst gemachter Kokosessig oder ein Honigessig mit Sternanis und Ingwer passen ausgezeichnet zu Meeresfrüchten. Bei mir kann der Gast sechs Gänge essen und trotzdem gut schlafen, weil ich mit Aromen spiele und kleine Portionen serviere. Wer aus meinem Lokal geht, soll sich entspannt und leicht fühlen.“ Bei der Frage nach seinem Lieblingsgewürz lacht er wieder. „Es ist einfacher zu sagen, was ich nicht mag: Kümmel. Zu intensiv. Und Wacholder passt nur zu Wild. Ansonsten experimentiere ich mit allem – die richtige Dosierung ist das Wichtigste.“ Aber nicht nur im Topf versucht er Neues – auch auf dem Teller: Da kann das Dessert auch schon einmal auf dem Tellerrand angerichtet sein statt in der Mitte. Weg von dem Gedanken, dass der Tellerrand nur dem Gast gehört oder andersherum ausgedrückt: Nun gehört der Rand mit dem Dessert darauf zu 100 Prozent dem Gast. Das ist Ansichtssache.
Wobei die klassische französische Basis auch seine Küche stark beeinflusst. Mit 14 Jahren begann er seine Lehre im Restaurant Ascolago in Ascona im italienischsprachigen Teil der Schweiz. Seine Mutter entfachte die Leidenschaft für den Beruf: Sie arbeitete als Küchenchefin in einem Restaurant, in dem er schon als Kind nach der Schule mithalf. Also bat er 1976 bei Horst Petermann in Begleitung seines Vaters um eine Lehrstelle. Hier lernte er die Basis kennen und war als Junge fast eingeschüchtert von der harten Arbeit, gibt er zu. Die hochklassische Küche ließ ihm aber keinen Platz für die eigene Kreativität. So entwickelte der Mann, der heute in seiner Freizeit gerne in Landgasthöfen essen geht und Geschnetzeltes mit Rösti isst, seinen Stil erst später – dafür aber in den besten Restaurants: im Crocodile in Strasbourg, bei Agnes Amberg in Zürich und im Suvretta Haus in St. Moritz. Im Tantris in München begann er als Koch – ohne ein Wort Deutsch zu sprechen. Er lernte die Sprache in der Küche von seinen Kollegen. Als Kind hatte er eine spanische und später eine portugiesische Nanny und lernte schnell. Neben Deutsch, Portugiesisch und Spanisch spricht er Italienisch, Französisch und Englisch. „Ich unterhalte mich eben gerne“, strahlt er.
Zandonellas Küchenphilosophie strahlt genauso wie er, seine Kleidung und sein Wortschatz: eine moderne mediterrane Küche mit klassischen französischen und italienischen Wurzeln sowie mit einem Hang zum Außergewöhnlichen. Der Koch mit fast 40 Jahren Berufserfahrung geht in seiner Selbständigkeit auf. Er kombiniert Exotisches mit Gewohntem und ist stetig auf der Suche nach etwas Neuem. Der Geschmack und das Produkt stehen für ihn im Mittelpunkt. Die Optik kommt gleich danach, wobei er betont, dass das Essen immer warm beim Gast ankommen muss. Die Kunst liegt darin, den Geschmack mit dem Aussehen perfekt zu gestalten. „Eine braune Sauce zu einem braunen Stück Fleisch würde es bei mir nicht geben. Ich liebe das Filigrane, mache alles Grobe fein und bin ein Perfektionist!“ Zum Thema Perfektionismus: „Das kann man nicht lernen. Disziplin und Ehrgeiz sind die Charakterzüge, die man braucht, um ein Perfektionist zu sein.“
Obwohl die Klassik nicht seine Lieblingsspielwiese ist, ist seine Einstellung zum Gast traditionell: „Der Gast ist König: Seine Bedürfnisse stehen an erster Stelle. Und: Man darf sich selbst nicht zu ernst nehmen“, schmunzelt Zandonella und man spürt, dass er es ernst meint. Das schätzt auch sein Team. Das besteht aus vier Köchen, einem Abwäscher, einer Bürokraft und vier Servicemitarbeitern. Darunter auch Gastgeber und Geschäftsführer Steffen Kümpfel, der sich gemeinsam mit der Sommelière Denise Busold, die in diesem Jahr ihre Ausbildung abgeschlossen hat, der Weinbegleitung zu Zandonellas Gerichten annimmt. Zandonella selbst trinkt keinen Alkohol und lächelt immer nur freundlich, wenn seine Gäste die alkoholische Begleitung seiner Menüs loben: „Ich habe tatsächlich keine Ahnung von Wein. Aber das macht nichts, weil Steffen und Denise diese Aufgabe ausgezeichnet machen. Sie haben alle Freiheiten und mein vollstes Vertrauen.“ Kümpfel wie auch der Rest des Teams sind seit drei Jahren im Restaurant tätig. Zandonella übernahm das Restaurant von Horst Petermann, bei dem er als 14-Jähriger seine Ausbildung absolvierte. Der Koch vergleicht die Selbständigkeit mit einem Sprung ins eiskalte Wasser: „Ich habe einen enormen Druck verspürt und musste an meine Grenzen gehen. Ich musste beweisen, dass ich es kann. Aber das liegt jetzt hinter mir.“ Mittlerweile ist das Restaurant am Zürichsee, über dem er wohnt, sein Kunstwerk: Von außen eher unscheinbar, gleicht es innen einem Museum mit zwei Räumen – einem Hauptraum mit 40 Plätzen und einem Extraraum, Rico’s Privé, für 20 Personen – sowie einem Innenhof. Hier gibt es zusätzlich 35 Plätze. „Manche Gäste kommen nur im Sommer, weil sie sich draußen wohlfühlen“, erzählt Zandonella, der gerne gemeinsam mit seinem Team den einen oder anderen Abend im Sommer draußen verbringt. Drei Wochen vorher einen Tisch zu reservieren, findet er zwar löblich, aber man darf auch gerne am gleichen Tag anrufen. „Es kann sein, dass mittags nur drei Tische reserviert sind, aber abends ist der Laden voll.“ So wie fast jeden Mittag und Abend von Dienstag bis Samstag. Dann bekommt ein Gast Zandonellas 6-Gänge-Menü für rund 160 Euro und einen fröhlich lachenden Küchenchef gleich dazu.
Das Gesamtkunstwerk
Zandonella kann es nicht ertragen, wenn etwas lieblos gemacht wird. Also nimmt er sich die Zeit in der Küche, im Restaurant und für sein Buch, das in diesem Herbst erschien, um seinen eigenen hohen Ansprüchen zu genügen. Das Buch „Rico’s“ ist weniger ein Kochbuch als ein perfekt inszeniertes Kunstwerk mit Bildern und Zitaten, die sein Leben beschreiben. Der knallgelbe Regenmantel, die Sneakers mit bunten Nieten, die mit Pailletten besetzte Jacke und Sätze wie „Leben und leben lassen“ sind Auszüge seines Faibles: das Außergewöhnliche. Im Buch bekommt der Leser auch einen Eindruck des Restaurants: beeindruckende Blumengestecke und natürlich in Szene gesetzte Rezepte. „Originalität“ ist der Titel eines Kapitels, in dem extravagante Fundstücke wie die grün glasierte und mit Nieten-Halsband verzierte Porzellanfigur einer Bulldogge platziert sind. Originalität: ein Wort, das Zandonellas Stil – in der Mode und in der Küche – ziemlich gut beschreibt, wobei seine Techniken bodenständig sind. So wie er selbst auch. Bei all dem Glamour ist das kaum zu glauben, aber trotzdem authentisch.