Ingo Peters: Großmeister der großen Krisen
Ingo Peters› größter Albtraum? Ein Leben lang am Strand liegen und Champagner süffeln. „Entsetzlich“, stöhnt er, „nach ein paar Tagen denkt man doch: Was soll ich mit diesem scheiß Champagner?“ Der Hamburger macht schnell klar: Das südländische Dolcefarniente ist seine Sache nicht. War seine Sache nie. Im Gegenteil: Der abenteuerhungrige Hanseat braucht Krisen wie die Luft zum Atmen.
Ingo Peters› größter Albtraum? Ein Leben lang am Strand liegen und Champagner süffeln. „Entsetzlich“, stöhnt er, „nach ein paar Tagen denkt man doch: Was soll ich mit diesem scheiß Champagner?“ Der Hamburger macht schnell klar: Das südländische Dolcefarniente ist seine Sache nicht. War seine Sache nie. Im Gegenteil: Der abenteuerhungrige Hanseat braucht Krisen wie die Luft zum Atmen.
Kein Wunder, dass er im Zuge der Pandemie einmal mehr über sich hinauswuchs. Da war Peters plötzlich wieder in seinem Element. Machte als Krisenkapitän vieles besser als viele andere. Ausgerechnet er, der Stadthotelier par excellence, der die Pandemie wohl wie kein anderer Berufsstand am eigenen Leib erfuhr. Denn was ist schon das Vier Jahreszeiten ohne seine internationalen Gäste? Gar nicht so wenig, wie Peters bewies. „Du musst das Geld zum Fenster hinauswerfen, dann kommt es zur Tür wieder herein“, bringt er sein Krisenmanagement auf den Punkt.
Ich wurde als Nazi beschimpft, bekam auf meinen Spind Hakenkreuze gemalt. Ich konnte mir nicht einmal ein Feierabendbier leisten!
Ingo Peters über seine erste Auslandserfahrung in London
Seine „Sparen ist was für die anderen“-Mentalität zahlte sich aus: Heute schreibt das Vier Jahreszeiten bessere Zahlen als im Vorkrisenjahr 2019. Wie macht Ingo Peters das? Wer ist dieser Mann, der seit 25 Jahren einem der besten Hotels der Welt seinen ureigenen Stempel aufdrückt? Und wie geht’s weiter, jetzt, wo mit dem Krieg in Europa bereits die nächste Krise ansteht?
Ja nicht sesshaft werden!
Werfen wir zuerst einen Blick in seine Vergangenheit. Vater Architekt, Mutter Pharmazeutin. Und auch die ganze Verwandtschaft Peters’: alle Akademiker. Der Haussegen hing schief, als Peters seinen Eltern nach dem Abitur klarmachte: Studieren ist nicht, sein Traum ist die Hotellerie. „Ich wollte einen Job mit Menschen. Nicht wie mein Vater einen Job, bei dem ich mich tagelang hinter dem Schreibtisch verkriechen muss. Ich wollte ferne Länder sehen. Und ich wollte ins Management. Aber ohne sechs Jahre zu studieren.“
In einer Zeitschrift las der damals 18-Jährige dann einen Artikel über das Berufsbild des Hoteldirektors. „Da wusste ich: Genau das ist es.“ Schon damals galt das Vier Jahreszeiten als bestes Hotel Hamburgs. Mit etwas Glück ergatterte Peters dort eine Lehrstelle als Restaurantfachmann. Im Gegensatz zur mühsamen Schulzeit blühte er dort auf, vom Tranchieren am Gast über das Polieren der Türklinke perfektionierte Peters alles, was es im altehrwürdigen Haus für einen Grünschnabel zu tun gab.
Nach drei Jahren schloss er jedes einzelne Fach mit Bestnote ab. Innerhalb der heiligen Hallen des Grand Hotels sprach sich Peters’ Talent herum. Doch das Angebot zum Direktionsassistenten – für einen 22-Jährigen höchst außergewöhnlich – lehnte er ab. „So schön das auch klang“, erklärt Peters seine damalige Entscheidung, „aber ich wusste: Wenn ich das mache, dann bleibe ich hier hängen. Freundin, Wohnung, Möbel und weiß der Teufel was da alles noch auf mich wartet! Stattdessen wollte ich weiter lernen und die Welt sehen.“
Von Boilern und Hakenkreuzen
Also nächste Station: London. An seinem ersten Arbeitstag im Berkeley Hotel wurde Peters nicht einmal hineingelassen. Stattdessen kam ein Herr der Personalabteilung zum designierten Commis und erklärte ihm den Weg zu seiner Bleibe. Nicht ohne Peters vorzuwarnen, dass er wohl mehrere Male anläuten werde müssen, da die Vermieterin mit ihren 96 Jahren bereits etwas schwerhörig sei. Ihre Zweizimmerwohnung an der Victoria Station vermietete sie an insgesamt vier Untermieter. Zwei pro Zimmer. Peters’ Zimmerkumpan: der Fischkoch im Savoy. „Was hat das gestunken in diesem Zimmer!“
Wenig verwunderlich, sah doch der Mietvertrag vor, dass nur einmal pro Woche geduscht werden durfte. Viel rosiger war das Leben auch im luxuriösen Berkeley Hotel nicht. „Der italienische Hoteldirektor hatte im Restaurant bis auf wenige Ausnahmen nur Italiener und Spanier engagiert. Die sprachen nicht einmal richtig Englisch! Ich wurde als Nazi beschimpft, bekam auf meinen Spind Hakenkreuze gemalt. In den Supermarkt ging ich mit dem Taschenrechner, damit ich bei der Kasse nicht ohne Geld dastehe. Statt einem Feierabendbier gab’s Schwarztee, so wenig Kohle hab’ ich damals verdient!“ Nach zwei Jahren war dann Schluss. Was blieb, war eine neue Wertschätzung für den gar nicht so selbstverständlichen Komfort in seiner ursprünglichen Heimat.
Doch nach Deutschland ins gemachte Nest zurückzukehren, das wäre dann doch zu einfach gewesen. Und überhaupt: Nach London würde ihm so schnell nichts mehr etwas anhaben können. Peters hatte jetzt eine dicke Haut, war weiterhin hochmotiviert und wollte etwas erleben. Für jeden jungen Menschen in dieser Situation kommt seit Jahrhunderten nur eines in Frage: Amerika.
Auf alles vorbereitet
Geplant waren drei Jahre, geworden sind es acht. Von verschworenen Italo-Gemeinschaften und Schmierereien auf dem Spind keine Spur. „Die Amis sind da ganz anders. Dort zählt nur die Leistung. Wenn du Leistung bringst, dann kriegst du gut bezahlt, dann wirst du schnell befördert.“ Peters tat sich schnell hervor inmitten all der anderen Angestellten, die – wie es bis heute in den USA zumeist der Fall ist – nur übergangsweise in der Hotellerie arbeiteten. Im The Westin Copley Place in Boston brachte es der Mittzwanziger bis zum F&B-Direktor, eröffnete das Ritz-Carlton in Philadelphia mit und brillierte schließlich als Executive Assistant Manager im Ritz-Carlton Laguna Niguel in Kalifornien.
„Ich habe dort die großen Dimensionen der amerikanischen Hotellerie kennengelernt“, erinnert sich Peters. Und auch das Leben abseits der Arbeit war ein anderes als in London. „In Kalifornien konnte ich am selben Tag Skifahren und nachmittags ins Meer springen. Es war eine sehr schöne Zeit.“ Und doch hielt der Überflieger an seinem Plan fest, auch in Asien Arbeitserfahrung zu sammeln. Das Mandarin Oriental Phuket Yacht Club in Südthailand war dafür genau das richtige: Ein Resort, in dem Peters nicht nur neue Abläufe kennenlernte, sondern auch ein Gefühl für die asiatische Mentalität bekam. „Die Asiaten“, so Peters augenzwinkernd, „lächeln dich an, haben hinter dem Rücken aber schon das Messer ausgeklappt“. Peters nahm daraus ein Learning mit, das ihn von da an immer begleiten und seinen Führungsstil wesentlich mitbestimmen sollte: Immer vorbereitet zu sein. „Auf alles“, so Peters. „Und zwar wirklich auf alles.“
Von wegen Heimspiel
Die Asienkrise Ende der 1990er-Jahre traf die Hotellerie hart. Sie verschärfte außerdem die Wirtschaftskrise in Japan, die bereits früher begonnen hatte. Der japanische Auki-Baukonzern hatte das Hotel Vier Jahreszeiten in Hamburg Anfang der 1990er um über 200 Millionen D-Mark gekauft. Doch die anstehende Pleite des Konzerns führte zum Verkauf an die internationale Hotelkette Raffles, die zwar in Singapur gegründet worden, mittlerweile aber in amerikanischer Hand war. Ingo Peters, damals noch keine 30, hatte nicht nur gute Kontakte zu Raffles. Er war durch die vergangenen 15 Jahre auch in beiden Welten – der asiatischen genauso wie der amerikanischen – zu Hause.
„Außerdem hatte ich alles durch: Stadthotellerie, Resorts, Eröffnungen.“ Dass er durch und durch Hamburger war und noch dazu im Vier Jahreszeiten gelernt hatte, machte ihn für Raffles zum unbestrittenen Wunschkandidaten. Trotz – oder eben gerade wegen seines jungen Alters. „Durch die Asienkrise hatten die Japaner in all den Jahren nichts investiert. Das Haus war in einem sehr, sehr schlechten Zustand.“ Bei der Willkommenszeremonie erwarteten den frisch gekürten Hoteldirektor die Crème de la Crème des Hamburger Who’s-who: Der Bürgermeister, der Wirtschaftssenator, der Ruffles-Präsident, Unternehmer. Ein Heimspiel, könnte man meinen.
Doch Ingo Peters war nervös wie nie zuvor. „Plötzlich sagte ich mir: Jetzt kommt’s drauf an. Jetzt ist das Scheinwerferlicht auf dich gerichtet. Wenn du hier, zu Hause, das Ding in den Sand setzt, dann war’s das.“ Für Peters bedeutete das: Ärmel hochkrempeln und sein Heimathaus auf Vordermann bringen. Ein Glück, dass er über die Jahre Kontakt zum Grand Hotel und seinen Mitarbeitern gehalten hatte. Sie vertrauten ihm und er ihnen. „Wir haben jede Einzelräumlichkeit dieses Hotels umgestaltet und für Gäste erlebbar gemacht. Ich habe wirklich jeden einzelnen Quadratzentimeter angefasst. In der 125-jährigen Geschichte dieses Hauses hatte das bisher keiner gemacht.“ Und das war nur der Anfang.
Kein Heimspiel
2014 entstand die neue mondän-mediterrane Dachterrasse. 500 Quadratmeter, mit Holzdielen ausgelegt, daneben der neu gebaute Spa- und Fitnessbereich. Kurz darauf wurden die knapp 160 Zimmer renoviert. Und auch der Weinkeller – laut Peters jahrelang eine „Tropfsteinhöhle“ – erstrahlt in diesem Jahr anlässlich des 125-jährigen Jubiläums des Hotels in neuem Glanz. „Das alles waren Investments in die Hardware“, relativiert Peters. „Während Corona war uns aber auch klar: Wir müssen in die Software investieren. Das heißt: in unsere Mitarbeiter.“ Das Kurzarbeitsgeld wurde von Anfang an auf 100 Prozent erhöht. Es wurde in Schulungen investiert. Nach der Pandemie wurde das Gehalt der Mitarbeiter um 25 Prozent aufgestockt. „Das alles waren für uns Investitionen, keine Kosten. Heute stehen wir besser da als vor der Krise.“
Überhaupt, Ingo Peters sieht goldene Zeiten auf die gehobene Hotellerie zukommen. Bei den Menschen habe sich schließlich in den zwei Jahren Pandemie viel angesammelt. Abenteuerlust, Sehnsucht, aber auch Geld. „Sie wollen wieder etwas erleben, bedient werden. Der Krieg in der Ukraine wird sie nicht daran hindern, dort wird es außerdem sicher auch bald eine Lösung geben“, ist er überzeugt. Abgesehen davon: Die nächste Krise kommt bestimmt. Ingo Peters braucht sich also keine Sorgen zu machen.
www.fairmont.com/vier-jahreszeiten-hamburg
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INGO PETERS
Ingo Peters wuchs als Sohn eines Architekten und einer Pharmazeutin in Hamburg auf. Dem Widerstand seiner Eltern zum Trotz begann Peters nach dem Abitur eine Lehre zum Restaurantfachmann im Hotel Vier Jahreszeiten in seiner Heimatstadt. Es folgten fast 15 Jahre in den besten Häusern im Vier- und Fünf-Sterne-Segment der USA und Asiens. Seit 1997 ist Peters Hoteldirektor im Vier Jahreszeiten in Hamburg. Er feiert heuer sein 25-Jahr-Jubiläum.