Im Rampenfieber

Genau in selbigem befindet sich momentan Andreas Senn, Küchen-Mastermind des Restaurants Heimatliebe. Auch oder gerade weil seine Vorratskammern regional­fetischismusfreie Zonen sind.
November 13, 2015

 Andreas Senn, Küchen-Mastermind
Fotos: Wolfgang Hummer

Windig, aber ein super Training.“ Es ist einer der ersten Sätze, die Andreas Senn an diesem Vormittag sagt, und er bezieht sich dabei auf seinen Radrennurlaub in Fuerteventura, von dem er gerade nach Hause gekommen ist. Viele Worte später an diesem Tag wird unter anderem eines klar sein: Kein anderer Satz könnte die Lebensphilosophie des aktuell unangefochtenen Shootingstars der Tiroler Fine-Dining-Szene besser ausdrücken. Andreas Senn weiß Gegenwind nämlich zu schätzen: egal, ob er von einem spanischen Berg, aus Kritikermündern, von Kollegen oder Mitarbeitern zu ihm weht. „Man lernt dadurch zu kämpfen, durchzuhalten“, sagt der 33-jährige Küchenchef des Restaurants Heimatliebe in Kitzbühel – und überraschenderweise schwingt in seiner Stimme kein Hauch verbissenen Ehrgeizes mit, sondern vielmehr beinahe kindlich diebische Freude an der Herausforderung. „Beim Kochen ist es wie beim Radrennfahren auch“, ergänzt er, „man muss…

 Andreas Senn, Küchen-Mastermind
Fotos: Wolfgang Hummer

Windig, aber ein super Training.“ Es ist einer der ersten Sätze, die Andreas Senn an diesem Vormittag sagt, und er bezieht sich dabei auf seinen Radrennurlaub in Fuerteventura, von dem er gerade nach Hause gekommen ist. Viele Worte später an diesem Tag wird unter anderem eines klar sein: Kein anderer Satz könnte die Lebensphilosophie des aktuell unangefochtenen Shootingstars der Tiroler Fine-Dining-Szene besser ausdrücken. Andreas Senn weiß Gegenwind nämlich zu schätzen: egal, ob er von einem spanischen Berg, aus Kritikermündern, von Kollegen oder Mitarbeitern zu ihm weht. „Man lernt dadurch zu kämpfen, durchzuhalten“, sagt der 33-jährige Küchenchef des Restaurants Heimatliebe in Kitzbühel – und überraschenderweise schwingt in seiner Stimme kein Hauch verbissenen Ehrgeizes mit, sondern vielmehr beinahe kindlich diebische Freude an der Herausforderung. „Beim Kochen ist es wie beim Radrennfahren auch“, ergänzt er, „man muss sich den Rückenwind eben wirklich verdienen.“

 Andreas SennAuf hart verdiente Erfolge versteht sich Roland Trettls ehemaliger Sous Chef im Hangar-7 bestens. Seit der gebürtige Oberösterreicher und Wahltiroler 2010 das Küchenzepter im Gourmetrestaurant des A-ROSA Resorts in Kitzbühel übernahm, hagelt es kulinarische Verdienstsymbole am laufenden Band. Unter den jüngsten Erfolgsmeldungen: 17 Punkte und damit die dritte Gault-Millau-Haube 2013 sowie die Kür zum Falstaff-Aufsteiger des Jahres. Bei einer derartigen Bilanz nach so kurzer Zeit könnte man sich eigentlich auch mal kurz entspannt zurücklehnen und die Huldigungen auf sich wirken lassen, oder? „Ja, logisch, und ich könnte in der Heimatliebe auch klassisch französisch oder radikal regional kochen“, schmunzelt Senn. „Aber ich versuche eben grundsätzlich, immer alles anders zu machen als die anderen. Und wenn es 19 oder 20 Gault-Millau-Punkte zu holen gibt, warum sollte ich dann mit 17 zufrieden sein?“ Der Senn’sche Karriere-Fahrplan steht also ganz unter dem Motto „Nach dem Erfolg ist vor dem Erfolg“.

Eigenwillige Routenplanung
Als der smarte Alleskönner Senn vor drei Jahren und nach einem kurzen Gastspiel im Royal Spa Kitzbühel in Jochberg Edi Hirtzbergers Schöpflöffel in der Heimatliebe übernahm, war allerdings ausnahmsweise nicht ganz klar, wohin die Reise gehen würde. Der kulinarische Routenplan sah nämlich eine klare regionale Ausrichtung der Küchenlinie vor. Senn aber hatte ziemlich schnell die Nase voll davon, sich in der Produktwahl einschränken zu müssen. Viele Feedbackgespräche mit Gästen und eine durchwachte Nacht später verfügte die Heimatliebe über eine neue Karte, auf der sich auch heute noch jede Menge internationales Getier tummelt.

 Andreas Senn im A-Rosa

Vom Trend zum ausgeprägten kulinarischen Lokalkolorit hält Senn heute noch weniger als je zuvor. Nein, sagt er, man werde ihn niemals medienwirksam aufgehübscht in Gummistiefeln auf irgendeinem Bauernhof stehen und die regionale Herkunft des jungen Schäfchens auf seinem Arm beschwören sehen. „Das ist doch in den meisten Fällen reine Augenauswischerei“, erklärt er, „weil es einfach nicht möglich ist, alle Produkte in bester Qualität aus Österreich zu beziehen. Und mit zweiter Qualität gebe ich mich einfach nicht zufrieden.“ Also kauft Senn sein Geflügel reinsten Gewissens in Frankreich, lässt handgetauchte Jakobsmuscheln aus Norwegen importieren, setzt aber bei Süßwasserfischen und Wild ebenso selbstverständlich auf österreichische Herkunft.

Dass er sich vor allem in puncto Produktwahl finanziell nicht einschränken muss, weiß Senn ebenso zu schätzen wie die Tatsache, sich in einem kleinen Restaurant mit einem kleinen Team kreativ austoben zu dürfen. „Ich hatte als Sous Chef im Hangar-7 30 Leute in meinem Team“, sagt er, „und das war eine wichtige Erfahrung, weil mich dann die erste Küchenchefposition absolut nicht aus der Ruhe gebracht hat. Aber in den Hangar-7 kommen die wenigsten Gäste aufgrund des Menüs des Ikarus-Teams, sondern weil sie das Gastkochmenü interessiert.“ In die lediglich 24 Sitzplätze umfassende Heimatliebe jedenfalls kommen Gourmets aus der ganzen Welt, um alleine Andreas Senns Küche zu genießen. „Und das ist ein Zustand, den ich absolut nicht mehr missen möchte.“

Apropos (ver-)missen: Dieses Gefühl plagt Andreas Senn aktuell in doppelter Hinsicht nicht. Zum einen wurde das Restaurant kürzlich einer optischen Generalüberholung unterzogen, und Meister Senn kann der neuen Gemütlichkeit auf seiner Showbühne nur Positives abgewinnen. Zum anderen steht seit ein paar Tagen ein junger Mann in Senns Küche, der den Trennungsschmerz von Ex-Sous Chef Andreas Stotter wohl mehr als erträglich macht: Stefan Csar, JUNGER WILDER 2011 und bis vor Kurzem noch in Andreas Caminadas 3-Sterne-Tempel Schloss Schauenstein am Werk, ist nämlich der neue erste Mann hinter Andreas Senn. Sieht also ganz so aus, als stünden die Zeichen in der Heimatliebe auch weiterhin auf Rückenwind.

www.a-rosa.at

 Schulterscherzel, Chioggia & Senf

Schulterscherzel, Chioggia & Senf
Rezept für 4 Personen

Schulterscherzel
1 Schulterscherzel zu 600 g
Jus, Salz, Pfeffer
Kümmel, gemahlen

Rote-Bete-Campari-Gelee
500 ml Rote-Rüben-Saft
25 ml Campari
4 g Agar-Agar
3 Bl. Gelatine

Goldrübenpüree
2 Goldrüben
1 Chioggia-Rübe
Salz, Pfeffer
Muskat
Apfelessig
Zitronensaft

Violettes Senfgel
500 ml roter Traubensaft
5 EL violetter Senf
1 TL Rote-Rüben-Pulver
6 g Agar-Agar
Apfelessig

Schulterscherzel
Schulterscherzel sauber parieren, mit Salz, Pfeffer und gemahlenem Kümmel würzen und mit etwas Jus vakuumieren. Bei 65 °C im­ Wasser­bad 12 Stunden garen.

Rote-Bete-Campari-Gelee
Rübensaft mit Campari und Agar-Agar aufkochen, Gelatine dazugeben und dünn auf ein Blech gießen. Auskühlen lassen. In 10 x 6 Zentimeter große Rechtecke schneiden und das Schulterscherzel damit bedecken.

Goldrübenpüree
Goldrüben sauber schälen und weich kochen, fein mixen und mit Salz, Pfeffer, Muskat und Apfelessig abschmecken. Chioggia-Rüben dünn aufschneiden und mit etwas Zitronensaft und Olivenöl marinieren.

Violettes Senfgel
Traubensaft mit Senf und Agar-Agar aufkochen, mit Rote-Rüben-Pulver etwas einfärben und abschmecken. Auskühlen lassen und fein mixen.

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