3-Sterne-Koch Sven Elverfeld aus dem Aqua in Wolfsburg im Exklusivinterview

Seit 2000 steht Sven Elverfeld in der Wolfsburger Kulinarik-Kathedrale Aqua am Pass. Seit 2009 wird der Ausnahmekoch durchgehend mit drei Sternen ausgezeichnet. Was ihn antreibt, woher er seine Inspiration nimmt und warum Zettel und Stift immer dabei sein müssen.
Dezember 1, 2020 | Text: Bernhard Leitner | Fotos: Kirchgasser Photography

Sven Elverfeld hat ein Stück deutsche Küchengeschichte geschrieben. Dabei musste er lernen, vom Chaoten zum Organisator zu werden und vom Solisten zum Teamplayer. Im großen Exklusivinterview spricht die Ausnahmeerscheinung über die letzten 20 Jahre, Höhen und Tiefen und darüber, wie man Mitarbeiter richtig heiß macht. 

2009 hältst du ununterbrochen drei Sterne. Wenn dir damals jemand gesagt hätte, dass du so lange in Wolfsburg sein würdest, was hättest du geantwortet?
Sven Elverfeld: Das hätte ich nie ausgeschlossen. Klar haben damals viele gesagt: Warum Wolfsburg? Aber ich habe mir – auch schon in jungen Jahren – meinen Arbeitsplatz nie nach der Größe der Stadt und den Örtlichkeiten ausgesucht. Ich bin immer dahin gegangen, wo ich am meisten lernen konnte. Ob ich nach der Arbeit groß ausgehen konnte oder nicht, hat für mich keine Rolle gespielt. 

Wo liegen deiner Meinung nach die Hauptunterschiede zwischen deiner und der nächsten Generation von Köchen?
Elverfeld: Der Druck für junge Köche ist heute einfach größer. Vor allem durch Social Media. Und wenn man sich dann auch noch zusätzlich selbst auf diesen Plattformen inszeniert, wird dieser Druck natürlich noch größer. Und je mehr Aufmerksamkeit du bekommst, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass du mal eine Watsche bekommst. 

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Seine ersten kulinarischen Gehversuche machte Elverfeld als Konditor in Hessen. Später lernte der Ausnahmekoch bei deutschen Herdlegenden wie Dieter Müller oder Dieter Biesler, ehe es im Jahr 2000 ernst wurde. Ohne genau zu wissen, worauf er sich einlässt, bewirbt sich Elverfeld für das damals noch nicht gebaute Restaurant Aqua im Wolfsburger Luxushaus Ritz-Carlton als Küchenchef. 2002 zeichnet ihn Gault Millau als Aufsteiger des Jahres aus. Im selben Jahr bekommt er seinen ersten Stern. 2006 folgt der zweite und seit 2009 hält der Edeltechniker ununterbrochen die Höchstmarke von drei Sternen im Guide Michelin.

Sven Elverfeld hat ein Stück deutsche Küchengeschichte geschrieben. Dabei musste er lernen, vom Chaoten zum Organisator zu werden und vom Solisten zum Teamplayer. Im großen Exklusivinterview spricht die Ausnahmeerscheinung über die letzten 20 Jahre, Höhen und Tiefen und darüber, wie man Mitarbeiter richtig heiß macht.

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Seine ersten kulinarischen Gehversuche machte Elverfeld als Konditor in Hessen. Später lernte der Ausnahmekoch bei deutschen Herdlegenden wie Dieter Müller oder Dieter Biesler, ehe es im Jahr 2000 ernst wurde. Ohne genau zu wissen, worauf er sich einlässt, bewirbt sich Elverfeld für das damals noch nicht gebaute Restaurant Aqua im Wolfsburger Luxushaus Ritz-Carlton als Küchenchef. 2002 zeichnet ihn Gault Millau als Aufsteiger des Jahres aus. Im selben Jahr bekommt er seinen ersten Stern. 2006 folgt der zweite und seit 2009 hält der Edeltechniker ununterbrochen die Höchstmarke von drei Sternen im Guide Michelin.

2009 hältst du ununterbrochen drei Sterne. Wenn dir damals jemand gesagt hätte, dass du so lange in Wolfsburg sein würdest, was hättest du geantwortet?
Sven Elverfeld: Das hätte ich nie ausgeschlossen. Klar haben damals viele gesagt: Warum Wolfsburg? Aber ich habe mir – auch schon in jungen Jahren – meinen Arbeitsplatz nie nach der Größe der Stadt und den Örtlichkeiten ausgesucht. Ich bin immer dahin gegangen, wo ich am meisten lernen konnte. Ob ich nach der Arbeit groß ausgehen konnte oder nicht, hat für mich keine Rolle gespielt.

Wo liegen deiner Meinung nach die Hauptunterschiede zwischen deiner und der nächsten Generation von Köchen?
Elverfeld: Der Druck für junge Köche ist heute einfach größer. Vor allem durch Social Media. Und wenn man sich dann auch noch zusätzlich selbst auf diesen Plattformen inszeniert, wird dieser Druck natürlich noch größer. Und je mehr Aufmerksamkeit du bekommst, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass du mal eine Watsche bekommst.

Was war in deinen Lehrjahren die wichtigste Erfahrung für dich?
Elverfeld: Ich war damals bei Doris-Katharina Hessler, die selbst autodidaktische Köchin war, als Sous Chef und wir haben zu viert, zu fünft Bistro und Gourmet mit einem Stern aus einer Küche geschickt. Da lernst du ganz schnell, dass Organisation im eigenen Kopf, im Team und in der Küche das absolute A und O ist und Grundvoraussetzung für Erfolg. Für mich war das ein wichtiger Schritt, weil ich eigentlich ein richtiger Chaostyp bin.

Wie waren deine ersten Jahre im Aqua? Hattest du Anlaufschwierigkeiten?
Elverfeld: Ich habe ja fast mein halbes Leben im Aqua verbracht. Das ist schon auch ein Stück von mir. Es fühlt sich auch an, als wäre es mein eigenes. Wenn ich an die Anfangszeit denke: Die Kollegen, die mit mir in den ersten acht Jahren gearbeitet haben, werden sich noch erinnern. Die Küche war ein Zustand, keine Ahnung, wer das damals geplant hat. Die war im obersten Stock und die Spüle sowie die Kühlhäuser waren im untersten Stock. Mittlerweile haben wir ja eine Küche von Lohberger, die ich selbst geplant habe. Die ist einfach Gold wert. Und das sind eben so Sachen, die sieht kein Mensch von außen. Aus heutiger Sicht würde ich das auch nicht mehr so leicht wegstecken. Ich bin zwar immer noch ein Hitzkopf, aber die Ansprüche sind über die Jahre natürlich größer geworden.

Es ist wie im Fußball, da hat ja auch niemand dieselben Fähigkeiten und ein Trainer kennt seine Spieler und setzt sie dementsprechend ein.

Sven Elverfeld über sein Credo von Mitarbeiterführung

Du wusstest also gar nicht so recht, worauf du dich da damals eingelassen hast?
Elverfeld: Nein. Ich hatte mich damals blind für ein Restaurant in einem Hotel beworben, das noch nicht einmal existierte. Ich hab dann am Frankfurter Flughafen mit zwei CEOs ein Einladungsgespräch geführt und auch gleich die Zusage bekommen. Zu der Zeit war ich noch in Heidelberg auf der Schule und sie meinten, es sei ja noch ein wenig Zeit, bis das Restaurant fertig sei, und damit ich die Company kennenlerne, sollte ich dafür ins Ritz-Carlton nach Dubai. Das war für mich ein Sprung ins kalte Wasser. Ich hatte damals dort vier Leute in der Küche, jeder mit einer anderen Nationalität – aus Sri Lanka, von den Philippinen, aus Frankreich und aus Italien war alles dabei. Da musste ich erst mal mein Englisch wieder hochfahren, wo ich ja auch nicht die hellste Leuchte war. Die Zeit möchte ich aber keinesfalls missen, weil ich gelernt habe, ein Team mit verschiedenen Charakteren und Eigenschaften  zu führen und diese richtig einzusetzen. Wenn du einem Italiener einen Fehler aufzeigst, geht der gleich an die Decke und der Filipino nimmt das an und macht’s beim nächsten Mal besser. Das hat mir später hier in Wolfsburg geholfen, die Stärken und Schwächen meiner Mitarbeiter zu erkennen und mit ihnen daran zu arbeiten. Es ist wie im Fußball, da hat ja auch niemand dieselben Fähigkeiten und ein Trainer kennt seine Spieler und setzt sie dementsprechend ein. Der eine ist vielleicht ein wenig filigraner und passt besser auf den Gardemanger, der andere hat ein gutes Gefühl fürs Braten von Fleisch oder Fisch und so muss man die Leute einsetzen. Und dann kannst du sie entwickeln und später dann auch die Posten tauschen, wenn sie so weit sind. Gleichzeitig kann man die Leute so auch besser halten, weil sie eine Perspektive haben und die Möglichkeit, auf verschiedenen Posten auf hohem Niveau zu lernen.

Mitarbeiterentwicklung und -bindung sind heute wichtiger denn je. Eine Philosophie, die du schon lange lebst. Zufall oder Absicht?
Elverfeld: Ich glaube, es liegt daran, dass ich viel in kleinen Brigaden gearbeitet habe. Und gerade in einer Konstellation, mit drei, vier Jungs den Stern aufrechtzuerhalten, musst du sehr umsichtig sein. Da kann nicht einfach jeder sein Ding machen und den anderen in der Scheiße hängen lassen. Wenn bei uns mal viel Fisch gebraucht wird, kommt Marvin, unser Sous Chef, dazu und hilft noch.

Wie oft ändert ihr euer Menü?
Elverfeld: Wir ändern nicht die ganze Karte, wir ändern Gerichte so, wie wir in der Entwicklung voranschreiten. Ich kann mich einfach besser auf ein Gericht konzentrieren, um es zu perfektionieren, als wenn ich das mit fünf, sechs oder sieben Gerichten machen würde. Ganz wichtig ist dabei die Kommunikation mit Marvin, meinem Sous, und Leon, dem Junior Sous, und dann nehmen wir schrittweise alle beteiligten Posten dazu und arbeiten das Gericht aus.

Wie viel Verantwortung überlässt du deinen Mitarbeitern?
Elverfeld: Das ist ein wichtiger Punkt. Denn auf der einen Seite ist es eine Bestätigung, dass man dazugehört und nicht nur der Ausführende ist, und auf der anderen Seite beflügelt das den Teamspirit und die Leute denken mit bei dem, was sie machen, weil sie auch stolz auf ihre Arbeit sein können. Der Betrieb muss ja auch mal funktionieren, wenn ich nicht da bin. Ich bin zwar zu 99,9 Prozent da, aber es wird auch in Zukunft Projekte geben, um die ich mich kümmern muss und wo ich eben nicht in der Küche stehen kann. Dahin gehend ist Deutschland im internationalen Vergleich noch ein wenig hinten und die Gäste gehen davon aus, dass der Chef jeden Tag persönlich in der Küche steht und alles selbst kocht. Und dafür brauchst du ein Team, das mit Herz und Seele bei der Arbeit ist, und keine Söldner.

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«Der Druck für junge Köche ist heute einfach größer. Vor allem durch Social Media», sagt Sven Elverfeld aus dem Dreisterner Aqua in Wolfsburg.

Zu deinen eigenen Lehrmeistern zählen absolute Granden wie Dieter Biesler oder Dieter Müller. Rückblickend: Wie hat sich dein eigener Stil über die letzten 20 Jahre entwickelt?
Elverfeld: Ich habe die ersten sieben, acht Jahre bestimmt klassisch französisch gekocht. Ich habe aber immer versucht, deutsche Klassiker miteinfließen zu lassen. Dieses Selbstvertrauen und diesen Ehrgeiz, zu sagen „Jetzt will ich mein eigenes Ding machen“, kamen kurz vor dem dritten Stern. Da wollte ich so ein bisschen aus diesen Fußstapfen ausbrechen – das soll bei Gott nicht negativ klingen –, aber natürlich hört man dann immer wieder mal, dass man hier und da etwas von Dieter Müller wiedererkennt.

Die Gäste gehen davon aus, dass der Chef jeden Tag persönlich in der Küche steht und alles selbst kocht. 

Sven Elverfeld über veraltete Wahrnehmungen

In den letzten 20 Jahren hast du viele Trends wie Molekular, New Nordic und was es da so alles gab miterlebt. Bist du jemand, der sich das genauer anschaut, oder interessiert dich das gar nicht?
Elverfeld: Ich würde lügen, wenn ich sage, das ging an mir vorbei. Mich hat es da immer wieder in den Fingern gekitzelt und ich habe auch verschiedene Dinge ausprobiert. Aber immer nur bis zu einem gewissen Grad, oft verliert man sich und übertreibt es dann damit. Doch Techniken oder kleine Segmente habe ich immer wieder in meinen Stil aufgenommen. Ich denke, vor allem die Molekularküche war zu dieser Zeit für viele Köche interessant, aber man muss sich auch wirklich damit befassen, denn im Endeffekt geht es immer nur um den Geschmack und das Produkt. Aus heutiger Sicht würde ich viele Dinge nicht mehr so machen, weil es einfach too much war. Aber die Leute fanden es zu dieser Zeit ja auch cool. Diese Trends sind dann auch irgendwann wieder vorbei und da bin ich froh, dass ich klassische Wurzeln habe und mich danach immer wieder zurückbesinnen konnte. Und klar gibt’s bei uns mal Wagyu auf der Karte. Weil ich eine Zeit lang in Japan gekocht habe. Manchmal haben Gerichte einen mediterranen Touch. Klar, ich hab auch zwei Saisonen auf Kreta gearbeitet. Das sind alles Teile von mir und warum soll ich das dann nicht auch anwenden? Das bin ja ich.

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Yougourette von Sven Elverfeld.

Wie schützt man sich selbst vor einer gewissen kulinarischen Betriebsblindheit, wie schafft man es, sich immer wieder neu zu erfinden und nicht stehen zu bleiben?
Elverfeld: Es reicht schon, wenn ich auf den Wochenmarkt gehe. Überall, wo man etwas sieht, was mit Essen zu tun hat – egal ob in einem Restaurant, am Markt, sogar im Supermarkt –, und sich denkt: „Damit könnte ich mal wieder etwas ausprobieren.“ Ich bin keinesfalls der Typ, der sich hinsetzt, mit den Fingern schnipst und dann plötzlich kreativ ist. Das funktioniert bei mir nicht. Ich muss immer an allen möglichen Orten Zettel und Stift liegen haben. Mal fährst du drei Stunden mit dem Auto und dir fällt irgendein Blödsinn ein. Das kommt dann in mein Büchlein rein, wo ich alle meine Ideen sammle und abspeichere. Und manchmal wird ein Gericht daraus und manchmal eben nicht.

www.restaurant-aqua.com

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