Samba di São Paulo: Gastkoch Ivan Ralston im Hangar-7
Melting pot deluxe
Mehr Internationalität geht nicht: Der Basilianer Ivan Ralston brilliert als Hangar-7-Gastkoch im März mit einer von allen Ecken der Welt gespickten Spitzenkulinarik. Das mag auf den ersten Blick vielleicht beliebig klingen, ist aber im Falle des gerade einmal 35-jährigen Herdmagiers ganz und gar nicht der Fall. Denn: Ralstons Großeltern flüchteten als deutsch-österreichische Juden nach Brasilien, der junge Ivan selbst verbrachte seine prägenden Lehr- und Wanderjahre in Spanien und Japan – nur um anschließend in jene Stadt zurückzukehren, die er als „die multikulturellste, die ich kenne“, beschreibt: São Paulo also.
Fluch und Segen der Sterne
Dort eröffnet der Sohn einer Gastronomenfamilie im Jahr 2014 sein eigenes Restaurant namens Tuju. „Ursprünglich war es ein Casual-Konzept“, erinnert sich Ralston, „doch nach gerade einmal sechs Monaten bekam ich plötzlich den ersten Stern. Als der Guide Michelin mich anrief, um mir diese Nachricht zu überbringen, war ich sicher, dass irgendwer mich verarscht. Ich antwortete: ‚Fick dich!“›, und legte auf.“
Doch der prestigeträchtige Macaron hätte nicht echter sein können – was Ralston in den folgenden Jahren am eigenen Leib zu spüren bekam. Viel zu verbissen habe er plötzlich an sich und seiner Küche gearbeitet, sich aufgeopfert bis zum Gehtnichtmehr, nur, um den Stern zu behalten. Bis er bemerkte, dass es beim Kochen um mehr geht als nur um das Greifen nach Sternen.
„Es war seltsam: Genau durch die Entscheidung, einfach zu kochen, wie ich es wollte, bekam ich dann den zweiten Stern“, erinnert sich der Erfolgsverwöhnte. Und beweist nur wenige Minuten später schon mit den Amuse-Bouches, warum der scharlachroten Küchenbibel diese Kreationen zwei Sterne wert sind.
Kulinarischer Karneval
Der kleine Happen Langoustine – Avocado – Hühnerhaut kombiniert genauso wie Koji-Tartelette – Zucchini – Kaviar die Frische des atlantischen Ozeans mit den vollen, herzhaften Traditionsaromen Brasiliens. Dass Ralston außerdem eine genauso komplexe Aromenvielfalt mit einem vegetarischen Gericht gelingt, verdeutlicht seine Meisterschaft: Der Teller Artischocken – Erbsen – grüne Tomate – junger Parmesan lässt den Gaumen in alle Richtungen jubeln, ohne dass die Komposition außer Kontrolle gerät.
Die erstaunlich bissfesten Artischocken bestechen mit virtuosem Säurespiel, der in die Sauce verrührte Parmesan fängt genau diese bissfeste Säure gekonnt ab – bevor die grünen Tomaten und Erbsen gleich wieder mit einer ordentlichen Portion Frische aufwarten.
Ursprünglich war es ein Casual-Konzept, doch nach gerade einmal sechs Monaten bekam ich plötzlich den ersten Stern.
Ivan Ralston konnte die Verleihung des ersten Macarons nicht glauben – und tat sich am Anfang schwer, damit umzugehen
Ein weiteres Highlight: das Gericht Oktopus – Palmherz – Lardo – Olivenpesto. Der Oktopus wird – wie im Tuju – auch im Hangar-7 eine ganze Stunde massiert, dann vier Stunden im Dampfgarer bei 85 Grad gegart und harmoniert nach vorne preschend mit der Herzhaftigkeit des Lardo und des Olivenpestos, während das Palmherz – ein Traditionsprodukt São Paulos – die plötzliche Schwere des Gerichts ganz unerwartet auflockert. Ein Traum!
„In Wahrheit koche ich nicht für den Gast“, sagt Ralston ganz selbstbewusst, „ich koche für mich selbst. Weil ich es liebe, zu kochen und mit den Produkten umzugehen. Ich weiß nicht, ob dem Gast gefallen wird, was ich mache, aber ich liebe, was ich für ihn tue.” Wir wissen es und können versichern: Der Gast im Hangar-7 wird dieses einmalige März-Menü lieben – und sich ziemlich sicher verstärkt für die brasilianische Spitzenkulinarik begeistern können, die, wie Ralston beweist, zu Unrecht im Schatten der peruanischen und chilenischen steht.